Es ist doch wirklich nicht zu fassen – wieder nichts zählbares nach der Rückkehr aus Berlin, wo ich mir tatsächlich nach exakt 14 Monaten wieder einmal das Spiel Hertha BSC Berlin gegen den VfB Stuttgart angetan habe, 14 Monate nach dem ich mir schon einmal eine Niederlage ansehen musste, 14 Monate und kein bisschen klüger: auch nach 17 Jahren konnte der VfB wieder nicht in Berlin gewinnen. Es ist deprimierend.

Es hatte sich ja angekündigt, doch die Hoffnung stirbt – wie fast immer – bekanntlich zuletzt, so auch die meinige, nach der plötzlichen und unerwarteten Suspendierung von Herthas Superstar Pantelic (Hertha seit 3 Jahren ohne Sieg ohne Pantelic und diese Saison noch ohne Heimsieg) fuhr ich dennoch mit großer Hoffnung nach Berlin, mittags gings los, schnell noch eine Mitfahrgelegenheit eingesackt und los gings.

Kaum in Berlin am Olympiastadion angekommen führte unser Weg (meiner und der meines Stammfahrers) als erstes zu den Ticket-Tageskassen, wo er sich eine Schiedsrichterkarte holte und ich mir – welch Überraschung – für den Gästeblock. Jetzt aber schnell zum Fantreffen, die Jungs und Mädels warteten schon. Herzlich begrüßt in einer Runde von 5 Hertha-Fans, 2 Neutralen und einem anderen VfB-Fan, nämlich Kumpel Jonas war auch dabei.

Wer glaubt schon an Omen und böse Vorzeichen? Ich zum Beispiel. Am Vorabend gab es in Stuttgart das Stadt-Derby Stuttgarter Kickers gegen den VfB Stuttgart II, 3:0 zur Halbzeit für uns, Endstand 4:4 – wie kann man sich ein klares Spiel so wegnehmen lassen? Ob das schon ein Vorzeichen für den darauf folgenden Tag des Spiels Hertha gegen Stuttgart sein würde? Ich wollte es nicht wahrhaben.

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Es wurde langsam 15 Uhr, mit reichlich Adrenalin und Vorfreude aufs Spiel, ähnlich wie Kollege Jones “mit den Hufen scharrend”, betrat ich das Stadion. Nachdem ich den ersten Durchgang der Kontrolle hinter mich hatte und sich vor mir das Berliner Olympiastadion erhob, blieb ich stehen und hielt kurz inne: Was mache ich eigentlich hier? Nach 14 Monaten stand ich wieder hier, genau an der selben Stelle. Damals unbefleckt und ahnungslos, heute längst infiziert und identifiziert mit dem VfB Stuttgart, war ich wieder hier – wo einst alles begann.

Wie schon damals führte mich mein Weg direkt in den Gästeblock, wo bereits ordentlich Betrieb war. Fürs erste suchte ich mir meinen Platz in der hinteren vorvorletzten Reihe des Blocks G-3, letztes Mal wars Block G-2 in der Mitte. Ursprünglich hatte ich vor, den Platz dem Beginn des Spiels nach vorn zu verlagern, wo ich mithüpfen, mitsingen und – hoffentlich am Ende – mitfeiern konnte, doch ich beließ es dabei.

Munter ging es los und mein Optimismus schien sich zunächst zu bewahrheiten: Stuttgart machte das Spiel, hatte die besseren Chancen und war klar feldüberlegen, so wollte ich das sehen, so schaffen wir das, das Brechen des langfährigen Berlin-Fluchs. Die erste halbe Stunde passierte erst einmal nicht wirklich was, mal von der Tatsache abgesehen, das ich langsam unruhig wurde und endlich ein “Tor für die Gäste” durch die überdimensionalen Lautsprecher am Dach des Olympiastadions hören wollte. Es wäre egal, wie lange ich in diesem Spiel warten sollte, es wäre egal ob das Endergebnis 0:1 oder 0:5 oder 1:2 ist, ich wollte nur eines: Punkte mitnehmen.

Während ich fleißig einige vielversprechenden Szenen filmte, diese jedoch nie wirklich ertragsreich waren, konnte ich auf dem anderen Ende des Spielfelds, an dem unser Keeper Jens Lehmann zwischen den Pfosten stand, sehen, wie die Abwehr sich für einen abrupten Streik entschloss und nach einem Zuckerpass der Berliner über 40.000 Hertha-Fans von ihren Sitzen aufsprangen und feierten. Statt die Durchsage “Tor für die Gäste” zu genießen, hätte ich bei “Toooooooor füüüüür Heeeerthaaaaa” am liebsten in Tränen ausgebrechen können… oder die Schalensitze demolieren… oder beides. Stattdessen ein starrer Blick, ein heruntergeklappter Unterkiefer und konnte es einfach nicht glauben.

Eine weitere Viertelstunde hoffen und bangen wurden zur Geduldsprobe, Stuttgart, immer noch feldüberlegen, spielte klasse bis zum Strafraum und vertändelte dann etwa der Ball oder legte nicht genug Durchschlagskraft an den Tag – wir waren dem Ausgleich näher als Berlin dem 2:0. Wieder und wieder direkt vor dem Tor und wieder zappelte es nicht im Netz, es war zum Verzweifeln.

Halbzeit, Zeit zum durchschnaufen, Kraft tanken und Batterien wechseln, die ganze Zeit Fotos und Videos machen fällt ganz schön ins Gewicht. Mittlerweile halte ich meine Kamera intuitiv, sehe das Spiel natürlich nicht durch den Monitor der Kamera sondern mit eigenen Augen. So sehr hatte ich gehofft, meine Jungs würden das Spiel auf meiner Seite des Spielfelds in Sack und Tüten packen, so hoffte ich, den Treffer auf anderer Seite sehen zu können.

Weiter gehts, mit reichlich Nervosität, dem größten Hoffen auf Ausgleich und Sieg startete die 2. Halbzeit. Lange dauerte es nicht, da gabs erst mal Eckball für die Schwaben, leider abgeblockt. Keine 2 Minuten später Ecke auf der anderen Seite, wieder für uns. Bitte Jungs, macht es. Ich schloss die Augen, schickte im übertragenen Sinne ein kleines Gebet gen Himmel zum Fußballgott und drückte den Aufnahmeknopf meiner Kamera bei 6fachem Zoom. Pardo trat an, ich zog die Kamera mit und war mir sicher: Jetzt passierts. Kopfballverlängerung von Gomez, Cacau, Drin, Tor, Ausgleich – Kurz: Lautes Kreischen als AVI-Datei mit einer Dateigröße von 80 MegaByte.

Der Weckruf für Stuttgart, das musste er sein, los Jungs, kämpfen und siegen.Wieder das selbe Spiel: Pech und Unvermögen gepaart mit einer guten Berliner Defensive konnte ihn auch in Halbzeit 2 herbeiführen: den längst verdienten Siegtreffer für unsere Jungs aus dem Ländle. Die Minuten verrinnen, einen Punkt hatten wir sicher, doch endlich musste ein Sieg her, nach 17 langen Jahren des Wartens und der Frustration, Armin Veh wechselte viel zu spät schwache Spieler aus und brachte indes auch noch die Falschen. Elson und Ljuboja für Arthur Boka und Mario Gomez, da waren nur noch 5 Minuten zu spielen. Die Hoffnungen, durch Martin Lanig, der sich eine halbe Stunde lang vor dem Gästeblock warm lief, frischen Wind ins Spiel zu bekommen, wurden abrupt zerstört.

Die letzten 3 Minuten offizielle Spielzeit, mit einem Unentschieden hätte ich mich durchaus arrangieren können, immerhin keine Niederlage und hinterher kann man mir auf dem Nach-Fantreffen nicht mehr dumm kommen. Ein gut gespielter Pass reichte, und als der Ball von Kacar direkt vor meiner Nase in der 87. Minute ins Tor trudelte und alles, was nicht zum Gästeblock gehörte, zum wahren Freudenhaus wurde, schmerzte wie 1000 Nadelstiche ins Herz. Es konnte nicht wahr sein, nicht jetzt, nicht so kurz vor Schluss. Meine Augen waren aufs Spielfeld gerichtet, doch sie sahen nichts, nur noch das Gehör schien intakt: Meine Ohren vernahmen gröhlende und jubelnde Berliner, sie lauschten der gellenden Frustration aus den eigenen Reihen, doch was sie nicht hörten: meinen eigenen Herzschlag. Denn der setzte in der 87. Minute für kurze Zeit aus.

Da war er wieder, der Herzschlag – voller Hoffnungen auf ein spätes Wunder wie einst im UEFA-Cup-Rückspiel gegen Cherno More Varna. Nur noch wenige Minuten, die vielleicht letzten Szenen des Spiels, die Nachspielzeit von 2 Minuten hat bereits begonnen. Jens Lehmann war mit vorn, verließ mit diesem Risiko den eignenen Kasten um bei der letzten Ecke für Stuttgart, der letzten Chance, zumindest noch einen Punkt mit Hängen und Würgen zu ergattern. Fehlanzeige. Erst mit dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Sippel konnte ich es begreifen: Schluss, Aus, Vorbei. Alle Jahre wieder, der VfB Stuttgart gewinnt wieder einmal nicht gegen schwache Hauptstädter.

Was soll man groß dazu sagen, eine unglaube Enttäuschung. Ein Spiel, was man hätte nie im Leben verlieren dürfen, hat man verloren. Berlin spielte höchst effektiv: 2 Torchancen, 2 Tore – und wenn man aus zahlreichen Torchancen nichts macht, nunja, die Geschichte ist ja nun geschrieben. Nach dem Abpfiff blieb ich noch lange sitzen, ließ mich erst von einem Ordner, der mich zum Aufstehen bat, von dort vertrieben. Normalerweise hätte mich eh nichts mehr in diesem Stadion gehalten, doch ich wollte mir die Höhne der Hertha-Fans nicht antun, dennoch quälte ich mich zurück zum Nach-Fantreffen, was trotz des einen oder anderen blöden Kommentars ganz nett war. Dennoch war ich bedient.

Mein Fahrer Reinhart und ich sprachen kaum ein Wort auf der Rückfahrt, dennoch brachte er mir wieder eine Lektion bei, ohne das wir beide ein Wort sprechen mussten: die Hoffnung nie aufgeben und seinen Weg gehen, auch mit dem Wissen, das einen wohlmöglich eine Enttäuschung erwartet.

Ob ich nächste Saison wieder nach Berlin komme, überlege ich mir 3 Mal. Aber wie es nun mal im Leben so ist: in der Saison, in der man vor Frust und Angst vor der erneuten Enttäuschung, nicht fährt, gerade dann klappt es meistens. Ich muss im November erst einmal das Länderspiel gegen England in Berlin überstehen, wieder voller Hoffnung, das mein 3. Spiel in Berlin nicht so läuft, wie die ersten beiden.

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