Es ist schwer, passende Worte dafür zu finden: es war einfach nur demütigend, peinlich, unfassbar und eine einzige Enttäuschung: Das DFB-Pokal-Achtelfinale und meine Premiere im B-Block der Cannstatter Kurve im Stuttgarter Stadion wurde zu einem Desaster. Eine Katastrophe wie sie keiner der VfB-Fans nach dem tollen Ligaspiel hätte vorausahnen können.

Mein 3-Tages-Kurzurlaub in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart begann schon am späten Montag Nachmittag mit einem Alptraum. Der Fahrer, den ich mir über die Mitfahrzentrale organisiert hatte, bewegte sich geschwindigkeitstechnisch jenseits des Erlaubten und sorgte dafür, das ich bereits 20 Minuten nach Aufbruch eine SMS an meine mich in Stuttgart abholende Freundin Julia schreiben musste, das mir jetzt schon ziemlich übel ist. Ich versuchte, klaglos die waghalsigen Überholmanöver, die wilden Lichthupen und die bösartigen Stinkefinger über mich ergehen zu lassen, was hatte ich auch für eine Wahl? Ich hatte ein Ticket fürs DFB-Pokal-Achtelfinale im B-Block in der Cannstatter Kurve – es wäre doch völlig blöd, jetzt auf der Autobahn den Löffel abzugeben. Somit verzichtete ich auch darauf, mich einfach an der Autobahn raussetzen zu lassen, was mir bisweilen eine bessere Option erschien als mit diesem Wahnsinnigen weiterzufahren.

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Wie abgesprochen wurde ich in Stuttgart von meinen Freundinnen Bea und Julia abgeholt, herzlich begrüßte man sich, ich freute mich unendlich, die beiden wiederzusehen. Mehr oder weniger schwer bepackt kehrten wir erstmal in einem Cafe ein und machten uns einen tollen Abend. Über Nacht blieb ich bei Julia in Holzgerlingen.

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Früh raus aus den Federn, wer mag das schon. Aber das ist alles eine Frage der Motivation wenn ihr mich fragt: wenn ich weiß, das an jenem Tag ein Spiel ist, braucht es keine 5 Sekunden und ich stehe hellwach auf der Matte. Das war auch diesmal nicht anders. Zum Frühstück gabs lecker Brot und Brötchen, Tee und echte schwäbische Butterbrezeln. Und morgen fange ich gleich mit meiner Diät an, ganz bestimmt.

Am Bahnhof in Böblingen wurde ich verabschiedet und verbrachte den Tag in der Stuttgarter City, wo mich der erste Weg zum Stadion führte. Gespenstisch leer ist es dort so viele Stunden vor dem Abpfiff, erst etwa 12 Stunden später sollte diese Stätte der Heiligkeit vom Leben durchströmt werden. Ein freundliches “Lassen Sie es sich schmecken!”, was ich einem dort bereits im Dienst befindlichen Ordner während seiner offensichtlichen Frühstückspause entgegnete wurde zur langen Plauderei über den VfB, das Spiel und Dies und Das. Nach anderthalb Stunden Geplauder musste ich weiterziehen und fand mich wieder in einem gähnend leeren VfB-Fanshop. Längst erfasst von der Gänsehaut, wieder in Stadionnähe zu sein, streifte ich durch die Reihen mit Shirts, Tassen und Gläsern, Trikots, Spielzeug und vielem anderen. Ein feminin geschnittes Girlieshirt in weiß mit roter Schrift sollte es sein, schließlich war es runtergesetzt auf 8 Euro – da bin ich schon schwäbisch genug, ein echtes Schnäppchen!

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Nächste Station: Ticketschalter, noch habe ich den VfB-Fanshop nicht verlassen. Kaum größer als die Theke selbst lukte ich darüber und wünschte mir grinsend eine Stehplatzkarte für den Gästebereich fürs Auswärtsspiel in Hannover. Weitere 13 Euro ärmer aber glücklich lief ich den gleichen Weg zurück zur S-Bahn-Station, wo ich mich – erneut unterbrochen von einem Plausch mit besagtem Ordner – auf den Weg zum Stuttgarter Fernsehturm machte. Dort angekommen war es arg knackig kalt und leider etwas neblig dazu, aber das hielt mich nicht davon ab, meine Fotos zu machen. Ich als Freundin des Breitbild-Panorama kam hier natürlich voll auf meine Kosten. Als ich die Kälte, die einem regelrecht ins Gesicht knallte, nicht mehr ertragen konnte, verließ ich den Killesberg wieder, voller Vorfreude auf das Spiel am Abend.

Zu Mittag gegessen wurde in Ottos Kneipe, wo ich erstmal lecker Spätzle zu mir nahm, gehörig schwäbisch! Danach gings dann nochmal in die Innenstadt, etwas flanieren und shoppen, ein letztes Mal zu den Schließfächern, wo ich mich allem entledigte, was ich nicht unbedingt brauche. Ergebnis: ich fühlte mich ziemlich nackt: keine Tasche, kein Rucksack. Das Ticket im Tickethalter um den Hals, die Gürteltasche voll mit Geld, Batterien und Speicherkarten, Handy und Taschentücher in der linken Manteltasche, die Kamera in der rechten. Und nicht zu vergessen: beide VfB-Schals um den Hals geschlungen, eine stolz geschwellte Brust und mit Hoffnung, Glaube und Motivation im Herzen – immer am rechten Fleck.

So ging es zum tooor.de-Fantreffen, wo altbekannte Gesichter auf mich warteten. Dort angekommen amüsierte ich mich zwar, allerdings nur bis sich andeutete, das Deutschland das Handballspiel gegen Dänemark, welches gerade lief, mit 25:27 verlieren würde und somit die Hoffnungen auf den EM-Sieg 2009. Der Tag fing schon mal blöd an mit der nervenaufreibenden Fahrt, nun das Handball-Aus… ein komisches Gefühl sammelte sich langsam in meiner Magengegend.

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Da ich eine vielgefragte junge Frau bin… 😉 … ging es kurz darauf weiter zum nächsten Treffpunk: Conny und Reinhart warteten, meine VfB-Fahrer. Mit Conny ging ich dann in den B-Block nach einer quasi nur oberflächlichen Abtastung durch die Sicherheitsleute. Ein halbes Dutzend mal mussten wir unsere Eintrittskarte auf Verlangen vorzeigen, dich ich so fest in der Hand hielt, als handle es sich um eine 500-Euro-Schein. Der emotionale Wert, würde dieser Abend gut enden: unbezahlbar.

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Aufgeregt stieg ich die Stufen zum Block hinauf, das Adrenalin schoss mir durch die Adern als ich die Leute um mich herum hörte. Auf einmal war ich wieder mittendrin: “Willkommen zu Hause!” seufzte ich lächelnd in den Stuttgarter Abendhimmel. Wieder daheim, in 500 Kilometern Entfernung, ein tolles Gefühl. Unendlich stolz und voller leidenschaftlicher Inbrunst sang ich mit Conny “You’ll never walk alone” und bekam Gänsehaut während ich erstmals in der Cannstatter Kurve meinen Schal in die Luft streckte. Darauf stand geschrieben: “Bist unser Leben, gibst uns so viel.”

Langsam wurde es eng auf den Stehrängen des Neckarstadions, nun bekannt als “Mercedes-Benz-Arena”, immer mehr Menschen drängten sich in die Reihen, ich hatte mit meinen 1,59 Metern Körpergröße meine liebe Not, etwas sehen zu können. Der Anpfiff ließ mein Blut noch einmal richtig in Wallung geraten: endlich ging es los, auf diesen wichtigen Moment habe ich lange gewartet. Supporten ist Ausdauersport! Nicht nur bei der Wolfsburger Pleite im November habe ich das spüren müssen, es wurde gehopst, gesungen und geschrien, selten war ich mehr in meinem Element.

Die ersten herben Rückschläge gab es jedoch schon nach wenigen Minuten, so nahm das Spiel seinen Lauf und ehe man sichs versah stand es 0:3. Warum passiert so etwas? Als Jens Lehmann einen läppisch geschossenen Elfmeter vergab keimte jedoch Hoffnung auf, Proteste nach einem zu Unrecht nicht gegebenen Anschlusstreffer zum 3:1 nützten aber auch nichts. Ich kann mich nicht mehr an viel vom Spiel erinnern – wer kanns mir verübeln. Der Support wurde weniger, der Block leerer, der Frust größer und die Hoffnungen immer kleiner. Was ist nur passiert? Da noch ein versenkter Elfmeter und dort noch der Schlusspunkt zum zwischenzeitlichen 0:5 ließen den Abend schnell zum Alptraum werden.

Statt bösen Pfiffe in Richtung der eigenen Spieler zu werfen, regierte gegen Ende des Spiels der Galgenhumor die Cannstatter Kurve – ich fand das ganze nur bedingt witzig. Auf einmal wurde wieder gehopst, gesungen und geschrien, auch wenn sich der Rest des Stadions (ausgenommen der ausgenommen gut gelaunte Gästeblock!) nicht daran beteiligen wollte. Mario Gomez’ Tor zum 1:5-Endstand wurde frenetisch bejubelt, als hätte er soeben den Ausgleich geschossen (Ligaspiel lässt grüßen – DAS waren noch Zeiten!)

Es hatte nicht sollen sein an diesem Abend. Verlieren ist zwar immer blöd und niemand möchte dabei sein, wenn es passiert, aber eine derartige Packung musst du erstmal verarbeiten. Der Frust danach war entsprechend groß – die Erleichterung, da nicht alleine durchzumüssen, war ein wenig beschwichtigend. Arm in Arm mit meiner Conny verließ ich gesenkten Hauptes das Stadion. Das war ein ganz ganz bitterer Pokalabend.

Jetzt dachte ich an die Liedzeilen des Songs “Gewinnen kann jeder” von den Nordend Antistars:

Größe zeigt sich beim Verlieren, So was kann jedem mal passier’n, Wir sind keine Freunde aber faire Gegner.
Wir zeigen auch im größten Frust unsere stolz geschwellte Heldenbrust und tun so als wäre nichts gewesen.
Wir werden es überleben, geh’n jetzt einen heben, und machen uns auf die Reise und sagen zum Abschied leise – scheiße
Gewinnen kann jeder das war nur ein Schönheitsfehler, wir kommen wieder und das nächste Mal – das nächste Mal als Sieger
Wir singen auch bei Niederlagen, denn es kommen wieder bessre Tage, sind sowieso moralische Sieger
Wir ertrinken unsren Frust beim Verlieren und bei Punktverlust stehen auf und kommen wieder

Die nächsten Minuten erlebte ich mehr oder weniger nur im Schock-Trauma, unfähig, zu begreifen, was an diesem Abend passiert ist. Das etwas, worauf man sich so sehr gefreut hat, so sehr in die Hose gehen konnte. Als der Schock nachließ und das Bewusstsein wiederkam, dachte ich zunächst an all die Anti-VfB-Stuttgart-Bekannten in meinem Umfeld, ich sah ihr breites Grinsen und hörte schon fast deren dumme Kommentare. Und es gab nichts, was ich tun könnte, um das aufzuhalten. Nichts würde die Zeit zurückdrehen können, damit die Jungs anders spielen würden als an jenem Abend am 27. Januar 2009. Dem ist denke ich nichts weiter hinzuzufügen.

Der nächste Morgen begann natürlich zerknirscht und verkatert, in den Knochen die Blamage, der man beigewohnt hat und leider in dem Wissen, das die halbe Nation dabei zugesehen hat. Eine auflockernde Dusche und ein leckeres schwäbisches Frühstück später tat ich das, was mittlerweile liebgewonnene Tradition geworden ist, wenn ich nach einem Heimspiel in Stuttgart übernachte: das Mannschaftstraining am Morgen danach – nie war die Fahrt nach Bad Cannstatt schwerer gewesen als an diesem windig-kühlem Mittwoch Morgen.

Mit im Schlepptau hatte ich meine Fahrer, mein Bester Reinhart kam mit zum Trainingsgelände. Ich, weil ich mir beweisen wollte, auch mit richtig bescheidenen Spielen umgehen können, und Reinhart, weil er vorhatte, aus dem Verein auszutreten. Hier und da mit ein paar Leuten geplaudert, gerieten wir schnell an einen, der Reinhart sein Tonaufnahmegerät unter die Nase hielt: ein Radioreporter vom SWR-3. Ich kann mich nur noch an den Schock erinnern, der mir ruckartig in die Glieder fuhr, als ich hörte “Und was sagen Sie dazu?”. Ich weiß nicht mehr, was genau ich gesagt habe, aber es triefte vor Enttäuschung und doch: die Gewissheit, auch in schweren Zeiten zum VfB zu stehen. Eben durch Dick und Dünn – in diesem Falle durch ganz, ganz dünn.

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Einige Meter weiter schlossen sich auch Reinharts Frau Conny und deren Tochter Olivia an, die bisher im Auto gewartet hatten. Die Kameraleute, die um uns herum schlichen, versuchte ich nicht mal aus dem Augenwinkel anzusehen – nützte nur allerdings nichts, gefunden haben sie uns doch, begeistert von unsrer Geschichte, für diesen Scheiss 500 Kilometer gefahren zu sein. Ehe wir uns versahen war die Kamera auf uns gerichtet: Stuttgart. 3 Grad. Schmerzverzerrtes Gesicht. Die Frisur..hält? Wie sehe ich aus? Wen muss ich anschauen? Auch hier bemühte ich mich, laut und deutlich zu sprechen, möglichst dialektfrei und vor allem: ohne Verhaspeln. Als die Kamera ausgeschaltet war, redeten wir noch lange mit dem freundlichen Kameramann, der – wie sich herausstellte – eine VfB-DVD zur Meisternacht (erhältlich im VfB-Fanshop) gemacht hat, die schon längst in meinem DVD-Regal steht. Zufälle gibts. Achja, den Jungs schaute ich nur nebenbei beim Trainieren zu, bei denen ich normalerweise – unter weniger enttäuschenden Umständen – den Boden unter deren Füßen verehre. Ohne das Warten auf Autogramme fuhren wir wieder zurück, aßen noch zu Mittag in Ottos Kneipe neben dem Stadion und genossen die letzten Stunden: die schrillen VfB-Fans aus Sachsen on Tour.

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Zeit, Abschied zu nehmen aus Stuttgart. In der Hoffnung, nächstes Mal würde es besser werden, setzte ich mich in ein fremdes Auto und fuhr per organisierter Mitfahrgelegenheit – wenn auch über nicht nachvollziehbare Umwege – nach Leipzig zurück. Der Frust saß unglaublich tief, der Blick aus dem Fenster war leer, meine Augen waren offen, doch sah ich nichts anderes als immer wieder das Bild der Anzeigetafel, die Abends zuvor ein demütigendes 1:5 gegen den FC Bayern München offenbarte und das DFB-Pokal-Aus meines über alles geliebten VfB Stuttgart besiegelte. Es hatte nicht sollen sein.

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