Es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein: Weiterhin ungeschlagen zu sein unter unserem neuen Trainer Christian Gross. Zu schön die Tatsache, innerhalb weniger Wochen eine Mannschaft anzufeuern, die nach einer miesen Hinrunde endlich wieder funktioniert. Zu schön die Freude über die tollen Siege der letzten Wochen. Zu erleichternd die Hoffnung, nun nichts mehr mit dem Abstieg zu tun zu haben. Und dann kam der Holländer.

Das vergangene Wochenende hat mich viel Kraft gekostet. Kraft, die durch einen Sieg hätte für eine ganze Woche ausreichen können. Mit gesundheitlichen Schäden kam ich zurück: ein Husten, der mich heute nahezu nonstop im Büro hat “bellen” lassen. Da fällt es schwer, den Kopf für schöne Worte frei zu bekommen.

Im Gegensatz zu den letzten Wochen wurde das diesmalige Heimspiel gegen den Hamburger SV auf ein komplettes Wochenende ausgedehnt. Bereits am Freitag Mittag wurde ich in der Nähe meines Büros in der Leipziger Südvorstadt abgeholt, im großen Mercedes Viano ging es los – mit so viel Beinfreiheit wie schon lange nicht mehr. Da Olivia, die Tochter meines Stammfahrers Reinhart und dessen Frau Conny mit dabei war, wurde es auch nicht langweilig. Und wenn sie mal schlief, wurde das eiskalt mitgenutzt.

Die Vorfreude auf das Spiel am nächsten Nachmittag war groß: “Eines der Standardergebnissen, entweder das 3:1-Christian-Gross-Heimspiel-Ergebnis oder das obligatorische 1:0 wie in den letzten beiden Saisons 2008 und 2009 davor”, meine Prognose stand felsenfest, und auch meine Mitfahrer schlossen sich mir ein, der VfB würde dort weiter machen, wo er letzten Wochenende aufgehört hat: mit einem Sieg.

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Christian Träschs wunderschönes Tor zum 1:1

Als ich in der Jugendherberge eingecheckt hatte führte mich mein Weg viele, viele, viele Treppenstufen hinunter: den Berg herunter zum Hauptbahnhof, weiter die Königsstraße entlang Richtung Rathaus, zu meinem Stuttgarter Lieblingsrestaurant “La Vida”, jedes Mal gehe ich dort hin, wenn ich in Stuttgart übernachte – auch wenn es einst nur aus der Not heraus gefunden wurde, damals suchte ich am Samstag vor dem Sonntags-Derby gegen Karlsruhe eine Sportkneipe, und wurde hier fündig.

Wer mich kennt, weiß, wie es um meinen Aberglauben bestellt ist: er ist nicht lebensbestimmend, aber dennoch vorhanden. Kein Spieltag ohne meinen Glücks-Cappuchino aus der Glückstasse, die musste natürlich mit ins sperrige Gepäck. An dem großen Frühstücksbuffet der Jugendherberge bediente ich mich und genoss meinen Glücks-Cappuchino aus der Glückstasse. Es hat nicht immer Glück gebracht, siehe Hinrunde der Saison, aber wenn ich es denn auslasse und dann geht es schief – nunja, wer selbst abergläubisch ist, wird wissen, was ich meine.

Noch ein wenig Fußball-Lektüre von 11Freunde vor dem erneuten Aufbruch zum Hauptbahnhof im Schneetreiben, die Spannung stieg. Nach einem ausgedehnten Spaziergang durch den Schlossgarten traf ich am Hauptbahnhof noch Freundin Janine, in der U11 wurden wir “gesegnet” mit ein paar Gästefans, die seit gefühlt 12 Stunden an der Flasche hingen und einen entsprechenden Lärm gemacht haben, was für meine langsam beginnenden Kopfschmerzen, gemessen am langen Weg der Fahrstrecke, nicht gerade förderlich war. Aber dann waren wir auch endlich da und kamen zu meiner Stammkneipe, die ich Janine unbedingt mal zeigen wollte, auch Conny, Niko und andere bekannte Gesichter waren schon da.

Für ein Radler blieb noch Zeit, dann ging es auch schon rüber zum geliebten Stadion, wo ich wie immer Philipp noch Gesellschaft leisten wollte und auch Janine zu ihrem Fanclub-Treffen wollte. Der Ärmste kann einem wirklich leid tun, jedes Heimspiel in der Kälte rumstehen, ohne Handschuhe, und den vorbeilaufenden Leuten Flyer in die Hand drücken – eine Stamm-Abnehmerin hat er zumindest.

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Da darf gejubelt werden

Sogar Bea traf ich vorm Stadion, die am Freitag zuvor leider keine Zeit für ein Treffen gefunden hatte, für ein paar Minuten schwätzte man bevor auch ich mich auf den Weg zu meinem Block machte. Eines steht fest: wenn ich gewusst hätte, dass die Stadionzeitungen, die sonst nach dem Spiel auch noch zahlreich vorhanden sind, diesmal wie weggefegt sein würden, hätte ich mich lieber vorher damit eingedeckt.

Ein fast schon obligatorisches Treffen im 37er Block später wurde es Zeit, der Anpfiff nahte und auf dem Weg die Treppenstufen hinauf, erfreute ich mich an der Tatsache, heute einen Großteil meiner Leute wieder begrüßen zu können: Micha, Andi und Martin, wie schön.

Wieder daheim, im geliebten Stadion, wieder überkam mich eine Gänsehaut, als der Schiedsrichter die Partie zwischen unserem VfB und den Nordlichtern aus Hamburg anpfiff. Es konnte losgehen, auf gehts zum nächsten Sieg! So war der Plan. Nicht nur die Heim-Fans freuten sich auf das Spiel, sondern auch der gut gefüllte Gästeblock, der seine Begeisterung mit einer gewaltigen blau-schwarzen Rauchbombe demonstrierte.

Als der Rauch sich gelegt hat, entwickelte sich recht schnell eine rasante Partie mit guten Szenen auf beiden Seiten. Im Hinterkopf stets den Gedanken, fast schon in Sicherheit zu sein, würde man das erleichternde 1:0 schießen, sei es sofort oder erst nach 92 Minuten wie letzte Saison – noch haben wir in dieser Saison kein Spiel verloren, in dem wir in Führung lagen.

Und dann kam doch alles anders. Ich kann nicht beantworten, was unsere Abwehr in der 23. Minute  gemacht hab, im schlafmützigen Zustand machten sie es dem Hamburger Marcus Berg beschämend einfach, das 0:1 zu erzielen. Das konnte doch nicht wahr sein. Da war es wieder, das ungebliebte Gefühl des aufsteigenden Frustes. Ich hätte gedacht, wir VfB-Fans wären in der Hinrunde schon mehr als genug damit bedacht worden. Aber diese Rechnung wurde anscheinend ohne uns gemacht.

Mit dem 0:1 ging es dann schließlich auch in die Halbzeitpause, ein unschönes Gefühl, nicht in Führung zu liegen, und ein schreckliches Gefühl, im Rückstand zu sein. Noch hoffte ich aber, dieses Spiel würden die Jungs schon noch irgendwie drehen. So pfiff der Wind einem noch kälter um die Ohren, das Adrenalin war noch nicht da, welches die schwäbischen Niedrig-Temperaturen aushaltbar gemacht hätte. So wurden 15 lange Minuten des bangen Wartens nicht gerade kürzer.

Nichtsdestotrotz war die Hoffnung da, nach weiteren 45 Minuten mit einem Sieg das Stadion zu verlassen. Die 2. Halbzeit wurde vom mitgereisten Anhang aus dem Norden wieder mit einer Rauchbombe begrüßt, wer will ihnen die Euphorie auch verübeln, immerhin waren sie die Mannschaft, die in Führung lag.

Lange mussten wir nicht warten, 10 Minuten waren in der 2. Halbzeit gespielt, als ich ein weiteres Mal die Kamera auf das Spielfeld gerichtet habe. Khedira passte den Ball auf rechts außen, wo Alex Hleb den Ball zurück ins Mittelfeld beförderte – dort kam Christian Träsch angesaust der mit einem unhaltbaren und wunderschön anzusehenden Schuss ins Glück den Jubel im Neckarstadion einläutete. Der Junge hat es drauf – jedes seiner bisher 3 Bundesliga-Tore waren wunderschön, gegen Bremen, gegen Dortmund, und nun gegen Hamburg. Träsch. Alles andere als Trash. Und ja, ich weiß, dieser Wortwitz war halbgar, verzeiht mir.

Man konnte es fühlen, auf jedem einzelnen Platz, in jedem einzelnen Zentimeter dieses altehrwürdigen Stadions: hier geht noch was. Der Support nahm an Fahrt auf und jeder, ausschließlich jeder glaubte nun daran, dass wir dieses Spiel auf keinem Fall, unter gar keinen Umständen verlieren würden. Das dachte sich auch der HSV-Trainer Bruno Labbadia, der wechselte nen in der Winterpause neu verpflichteten holländischen Weltstar Ruud van Nistelrooy in der 65. Minute ein.

Der VfB machte das Spiel, drückend überlegen sahen wir eine Angriffswelle nach der nächsten auf das Tor vor der Cannstatter Kurve zurollen. Macht es Jungs, kämpfen und siegen, niemals aufgeben! Doch wie will man ein Spiel gewinnen, wenn man die Tore nicht macht? Ciprian Marica und Sami Khedira scheiterten beide auf dem Weg zum 2:1. Und dass sich sowas früher oder später rächt, wissen wir.

Schon 10 Minuten war er auf dem Platz, de Holländer. Ungewöhnlich lang für einen Stürmer. Aber was nützt es schon – mit seinem 1. Ballkontakt traf er uns mitten ins Mark: 1:2, nur kurz nachdem wir das 2:1 hätten erzielen können, nein MÜSSEN. Das durfte nicht wahr sein, gerade als wir drückend überlegen waren.

Nur 90 Sekunden später lichteten sich die Reihen schon zusehendst. Es wäre zum Lachen, wenn es aus VfB-Fansicht nicht so derart peinlich und beschämend gewesen wäre. Mit seinem 2. Ballkontakt setzte er der 1. Niederlage unter Christian Gross den Deckel auf – 1:3. Der Boden möge sich bitte auftun und mich voll und ganz verschlingen. Doch damit hätte ich nichts gekonnt – und auch jetzt ändert sich nichts an meinem Prinzip, ungeachtet des Spielstands niemals vorzeitig das Stadion zu verlassen. Tapfer ließ ich die Schmach über mich ergehen.

In 15 Minuten galt es, 2 Tore zu schießen. Aber die Moral war nun gebrochen, als die letzten Versuche, den Ball noch im Kasten meines Landsmanns Frank Rost unterzubringen, auch noch scheiterten. Traurig flog mein traumatisierter Blick durch das Neckarstadions, eine Antwort auf meine Frage “Warum” konnte ich nicht finden.

90 Sekunden und 2 Ballkontakte reichten, um uns im Alleingang fertig zu machen. Da tröstet es auch nicht sonderlich, dass wir das Spiel ohne van Nistelrooy nie und nimmer verloren hätten. Mit ihm brach unsere Serie. Und hoffentlich nicht auch noch unser Rückgrat.

Was bleibt, ist eine Hand voll Fotos und die Hoffnung, dies wäre nur ein Ausrutschter gewesen auf unserem Weg zum Klassenerhalt (und mehr). Und wenn ich eines in meinem jungen Leben als leidenschaftlicher VfB-Fan gelernt habe, dann doch das, dass man nicht jedes Spiel gewinnen kann, dass einfache Fehler bestraft werden, aber dass auch jedes noch so dämliche Spiel vergessen werden kann, wenn man sich in Gesellschaft netter Leute befindet. In diesem Sinne entsende ich herzliche Grüße an die Damen und Herren am Prießnitzweg in Stuttgart sowie meine zahlreichen brustringtragende Freunde und Bekannte – mit niemanden sonst würde ich meine Begeisterung lieber teilen als mit euch.

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