Ich war definitiv nicht die einzige der 4.500 mitgereisten Fans, die befürchtet hatten, nicht mehr rechtzeitig anzukommen. Vermutlich haben wir alle die selbe Erfahrung gemacht, am Freitag Nachmittag auf den Autobahnen Deutschlands stecken geblieben zu sein. Stau, wohin das Auge reichte. Ohne eine einzige Minute verpasst zu haben feierten wir am späten Abend den Auswärtssieg auf dem “Betze”.

“Sind wir bald da?” war die wichtigste Frage des Tages. Laut Routenplaner waren es 2,5 Stunden bis nach Kaiserslautern, gegen 14 Uhr Nachmittags wollten wir aufbrechen um vielleicht noch ein bisschen die Stadt anzuschauen, 2 Stunden Staupuffer eingerechnet. Dass wir diesen komplett verbrauchen würden, hatten wir nicht bedacht. Zu Beginn des langen Wochenendes war mehr los auf den Straßen, als allen VfB-Fans lieb gewesen wäre.

Der Altweibersommer beschert uns seit Tagen wundervoll spätsommerliche Temperaturen, da machte Petrus auch am letzten Septembertag keine Ausnahme. Mit der S-Bahn gings zuerst nach Weinstadt, von dort aus nach Waiblingen, noch 2 Mitfahrer abholen. Zu Fünft ging es los, das Autoradio prognostizierte uns von Anfang an nichts gutes. Der ursprüngliche Plan, über Ludwigsburg auf die A81 zu fahren, wurde schnell verworfen, dort sollten die Zufahrtswege und die Autobahn selbst wohl komplett blockiert sein.

Und es ging so weiter \” die Radiomoderatorin von SWR1 kam kaum noch hinterher mit den Staumeldungen, in schnellem Tempo ratterte sie alle Meldungen in der Region herunter, mit Erschrecken stellten wir fest, dass auch wir betroffen sein würden. Mehr schlecht als recht kamen wir auf die Autobahn, wo es teilweise nur im Schritttempo oder gar nicht mehr voranging. Immer wieder Stehen, die ersten besorgten Blicke auf die Uhr.

Die Sonne schien mir durchs Fenster mitten ins Gesicht. Die daraus resultierenden größer werdenden Kopfschmerzen wurden durch die Unwissenheit, es noch rechtzeitig zu schaffen, auch nicht gerade kleiner. Angesagt waren 18 Kilometer Stau bis Sinsheim. Dort angekommen waren wir am Stadion, nur allerdings am falsche. In einiger Entfernung stand das Stadion des Dorfvereins aus Hoffenheim, nur wollten wir nicht dorthin. Erstmal kurze Pause mit Kaffee und (VfB-)Kuchen.

Ab hier sollte es besser laufen, das prognostizierte zumindest die Radiotante. Auf dem Parkplatz des Autohofs Kraichgau stellten wir erstmal Funkverbindung zu unseren Fanclub-Leuten her, die sich noch hinter uns befanden. So weit hinter uns, dass sie auf einem Parkplatz standen und auf ihren Fahrer warteten, der selbst im Stau stand.

All unsere guten Wünsche für eine rechtzeitige Ankunft galten nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Leuten vom Fanclub und allen anderen, die fürchten mussten \” darunter auch die aktiven Fans vom Commando Cannstatt und deren Freunde und Bekannte. Auch sie waren noch nicht losgefahren und durften später beweisen, das auch Schwaben manchmal Dusel haben.

Weiter gings, die Staumeldungen im Radio (für andere Autobahnen oder die Strecke hinter uns) wurden länger und länger, doch wir hatten Glück, uns stand eine weitgehend problemlose Weiterfahrt bevor, jeder Kilometer in voller Geschwindkeit tat gut. Bei Hockenheim fuhren wir auf die A61 und fuhren Richtung Koblenz/Speyer, das Ziel kam näher, die Straßen waren frei.

Zwischenzeitlich bei unseren Freunden innerhalb und außerhalb des Fanclubs per SMS nachgefragt, wie es aussieht, Warnungen und Hinweise ausgesprochen und viel Geduld und Erfolg zugesprochen. Bei uns sah es jetzt schon ganz gut aus, was man von denen hinter uns leider nicht sagen konnte. Durchhalten!

Endlich in Kaiserslautern! Mittlerweile war es schon 18 Uhr. Planmäßige Ankunft ohne Stau wäre etwa 16:30 Uhr gewesen. Eine halbe Stunde später fanden wir uns auf dem Parkplatz ein, wo das köstliche Vesper-Buffet munter weiterging. Noch mehr Kaffee und Kuchen, Landjäger, Brezeln, Bier, Toblerone-Minis und Prinzenrolle. Die Kalorien wurden nicht aufgeschrieben, wohl besser so.

Nun hatten wir noch mehr Zeit, als wir befürchtet hatten, für einen kleinen Stadtbummel reichte es dennoch nicht, doch das machte mir nichts aus. Zu lange habe ich während der Fahrt gehofft, rechtzeitig anzukommen, so dass ich den Parkplatz am Betzenberg lieber nicht wieder freiwillig verlassen wollte.

Nun konnte ich mich wieder dem widmen, was sonst auf dem Plan steht: Nervosität im Vorfeld des Spiels und die bohrende Frage, ob die Niederlage gegen Hamburg wieder wett gemacht werden könnte. Schließlich steht Kaiserslautern selbst grade mit dem Rücken zur Wand, erfüllen alle Anforderungen für den Aufbaugegner names VfB Stuttgart.

Vorbei an vielen Pfälzern und wenigen Stuttgartern, durch den Eingang über mehrere Ordnerkontrollen hinein in den Block, der \” wen wunderts \” zu dieser Zeit noch erwartungsgemäß relativ leer war. Was mit meinem Funknetz innerhalb des Fritz-Walter-Stadions loswar, kann ich nicht sagen, keine meiner SMS mit gespannten Fragen über den Verbleib unserer Wegbegleiter wurde dem Empfänger zugestellt “Senden fehlgeschlagen”. Erst nach dem Spiel erreichten mich mehrere Nachrichten auf einmal.

Die Uhr tickte unerbittlich, der Gästestehblock füllte sich zwar regelmäßig mit neuen Zuschauern, ebenso wie die oberhalb und nebenan angrenzenden Gästesitzblöcke, doch von den aktiven Fans noch keine Spur, Kontaktaufnahme fehlgeschlagen.

Für lauten und vor allem ehrlichen Beifall sorgte die Durchsage, der Anpfiff würde sich wegen im Stau steckengebliebener Zuschauer um 10 Minuten verschieben – zum 3. Mal in Folge späterer Anpfiff für den VfB, schon in Freiburg (15 Minuten) und gegen Hamburg (10 Minuten) \” die Lautrer pfiffen zwecklos. Gas geben!

Die 10 Minuten waren fast abgelaufen, der Anpfiff nahte, kaum einer glaubte noch an ein rechtzeitiges Erscheinen des Commando Cannstatt, da kam einer von Felix’ langjährigen Bekannten schweißüberströmt die betonierten Treppen des Gästeblocks hochgelaufen. Ein Blick zum Blockeingang zeigte: sie haben es noch geschafft. Kurz vor knapp, die größten Glückspilze des Abends.

Alle komplett, jetzt konnten wir uns jetzt erstmal aufs Spiel konzentrieren, während sich vor uns noch alles an die rechte Stelle sortierte. Als die Mannschaften einliefen, zündete die Lautrer Westkurve Tausende von Wunderkerzen, was ein tolles ergab. Neben Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt gilt die Kurve vom 1. FC Kaiserslautern als eine der stimmungsintensivsten im deutschen Profifußball. Ich war zum ersten Mal hier und sog gierig jede einzelne Sekunde ein.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich vor lauter Frust nach der Niederlage gegen Hamburg nun Wunderwerke erwartet habe, doch die erste Halbzeit war jetzt nicht unbedingt allererste Sahne. Kaiserslautern kam mit breiter Brust aufs Feld, nichts davon zu sehen, dass es sich hier ums abschlussschwächste Team der Liga handelte.

Und um ganz ehrlich zu sein: es war eine richtig schlechte erste Halbzeit. Wir dürfen uns bei unserem Keeper Sven Ulreich und der Lautrer Unfähigkeit bedanken. Für mich begann das Spiel mit einem eigenartigen Gefühl, es wird vermutlich noch das Adrenalin sein, wegen des Staus, des befürchteten Zuspätkommens, das Warten aus unsere Freunde und Kameraden und das Glück, gerade noch rechtzeitig die schöne Zahl von 4.500 Schlachtenbummlern erreicht zu haben. Es ließ mich ein wenig über die erste Spielhälfte hinwegsehen.

Man konnte den Pfälzern deutlich anmerken, dass sie wollten. Sie erspielten sich schon in den ersten 45 Minuten zahlreiche Chancen, brachten den Ball aber nicht im Tor unter. Wir allerdings hatten kaum Chancen. Fast folgerichtung stand es 0:0 zur Halbzeit. Meine SMS-Nachrichten wollten nachwievor nicht verschickt werden, die steilen Stufen des Blocks ließen mich weite Teile der Besucher überblicken, doch die Mitglieder vom Fanclub, die ebenfalls erst spät eingetroffen sind, vermochte ich nicht mit bloßem Auge zu entdecken.

Nachdem noch ein paar Unterschriften für die Aktion “Pro altes VfB-Wappen” gesammelt wurden, wofür ich schon ewig mein Zeichen gesetzt habe, begann die zweite Halbzeit, die uns letztendlich die drohende Ernüchterung genommen und eine gute Stimmung beschert hat. Bruno Labbadia hat hoffentlich die richtigen Worte gefunden, denn es müssen bekanntermaßen Tore her, um ein Spiel zu gewinnen. Mangelnde Chancenverwertung ist das eine, wenig bis keine erspielten Chancen etwas anderes.

Es kam fast wie aus dem nichts. Nur 7 Minuten nach Wiederanpfiff trauten wir unseren Augen nicht, nahmen das Geschehene aber dankend an: das 1:0 für den VfB. Es war Cacau, der nach Vorlage vom Kannibalen Khalid Boulahrouz nur noch den Fuß hinhalten brauchte. Für ihn und auch für uns war es eine Befreiung, es war Cacaus erstes Tor seit 5 Spielen, in einer für ihn recht schwierigen torlosen Zeit, in der er sich Egoismusanschuldigungen hat anhören müssen.

Denen hat er es jetzt gezeigt, würde ich sagen. Zutiefst erfreut tauchte man den Gästeblock in ein rot-organenes Licht, ein tolles Gefühl für uns, ein weniger tolles für die Lautrer, die vor dem Spiel noch das Spruchband “Das Feuer fängt vom Funken an” zeigten. An der Stelle spreche ich mich nochmal für die Legalisierung von kontrollierter Pyrotechnik aus – Pyrotechnik legalisieren, Emotionen respektieren. Das war die wichtige 1:0-Führung in einem Spiel, was zerfahren war und jederzeit sich hätte in eine Richtung bewegen können, in der die jeweils andere Mannschaft vielleicht hoffnungslos verloren gewesen wäre.

Etwas ansehnlicher als die erste Halbzeit war es nun schon eher anzusehen, was aber wohl auch am errungenen Selbstbewusstsein durch Cacaus Treffer gelegen haben mag. Gegen Kaiserslautern kannst du dir aber nie wirklich sicher sein. Letzte Saison erlebte ich diese Partie mit Felix im Palm Beach direkt neben dem Stadion, nach einer 3:0-Führung des VfB war das Spiel so gut wie gewonnen. Es folgte eine Aufholjagd, die Partie endete mit 3:3, ein sehr ernüchternder Nachmittag. Keiner von uns wollte das jemals wieder erleben.

Wie effektiv man auch mit wenigen Chancen umgehen kann, zeigten wir neulich nicht nur gegen bis dahin ungeschlagene Hannoveraner, sondern auch nun gegen Kaiserslautern. Er gab die Vorlage zum 1:0 und traf nun selbst zum 2:0. Khalid Boulahrouz, unser holländischer Nationalspieler mit marrokanischer Abstammung. Konnte das hier wirklich wahr sein? Abgefälscht zwar, aber wunderschön anzusehen.

Keeper Sven Ulreich bezeichnete seinen Torjubel später nach dem Spiel als “unkoordiniert”, nichts war in diesem Moment von weniger Bedeutung als sein Torjubel. Der Ball war drin, die Anzeigetafel zeigte ein großes 0:2 in Weiß auf rotem Grund. Während weiter unten im Block die nächsten äußerst ansehnlichen bengalischen Fackeln gezündet wurden, war die Freude überall riesengroß. Noch etwas mehr als 20 Minuten zu spielen plus Nachspielzeit. Reicht es wenigstens diesmal?

Wo wir letzte Saison noch ein beängstigendes Aufbäumen des Gegners sahen, waren wir hier und heute weit weniger besorgt. Bis, ja bis auf diesen einen illustren Moment wenige Minuten nach der 2:0-Führung. Sven Ulreich hat an diesem Abend alles gehalten, was es zu halten gab, aber als die Lautrer Itay Shechter und Konstantinos Fortounis an Sven Ulreich vorbei waren und nur noch den Ball hätten im Netz unterbringen müssen, stockte allen \” sowohl FCKlern als auch VfBlern \” der Atem.

Ein Moment des Glücks für die einen und ein Moment der Furcht für die anderen, den Gegner rankommen zu lassen war etwas das wir uns nicht leisten konnten. Die Sorge war unbegründet, die beiden vergaben kläglich, was für einige Amüsierung sorgte. Plötzlich war da der Ulreich bezwungen und nur noch 2 VfB-Spieler “hüteten” das Tor um das Schlimmste zu verhindern. Für die Pfälzer waren es die tragischen Figuren in einem Theaterstück, das für sie kein Happy End vorgesehen hat.

Wie bereits geschrieben ist keine Führung so klar, als das man sie sich in erster Linie selbst wieder verderben könnte, wer sonst außer dem VfB hat in der Vergangenheit leider zu oft bewiesen, wie es geht, sich selbst zu schaden. Meine beunruhigten Blicke in Richtung Anzeigetafel seien an dieser Stelle ebenso wenig fehl am Platz wie die Hoffnung, es in dieser Saison besser zu machen als zuvor.

Alles Bangen war am Ende nicht nötig, nach etlichen prüfenden Blicken, wieviele Minuten und Sekunden denn noch übrig sind, kam der erlösende Abpfiff. Freude, Erleichterung und Begeisterung waren uns anzusehen. Mit der Mannschaft feierten wir, bevor sich der Block recht schnell leerte. So lange sie auch gebraucht haben für die Anreise, die meisten hatten es eilig, zu später Stunde zumindest schnell wieder heimzukommen \” verständlicherweise.

Bei uns dauerte es noch. Mit einem Grinsen im Gesicht beobachtete ich das letzte Treiben im Gästeblock und wartete ebenfalls auf unsere Rückfahrt. Erstmal was Trinken, unsere Trinkpäckchen á 500ml mussten laut Stadionordnung leider draußen bleiben. Wo ich im Stadion keine einzige SMS mehr bekommen habe, vibrierte und piepste mein Handy im Sekundentakt, darunter auch meine Kollegin Ann, die mir vor dem Spiel viel Spaß und Erfolg wünschte und auch Karo, die ich am Sonntag zuvor bei der Typisierungsaktion für den leukämiekranken Diego in Fellbach kennengelernt hatte.

Für die Jungs auf dem Platz war es die Kaltschnäuzigkeit, bei uns die Freude über eine rechtzeitige Ankunft. Es war ein perfekter Fußballabend unter Flutlicht, der uns ein weiteres Mal die Freude bescherte, das nicht jede Hinrunde automatisch schlecht sein muss. Und meine Befürchtungen, das das Spiel gegen Hamburg uns zurückwerfen würde, war offenbar ebenfalls unbegründet. Es heißt in der Pfalz zwar “Der Betze brennt”, doch das hat er an diesem Abend nur im Gästeblock. Wenn das Feuer in dir brennt, egal ob du auf dem Platz stehst oder im Fanblock, es beginnt mit einem Funken.

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