Grundsätzlich gibt es 3 verschiedene Arten von Unentschieden: das, was sich wie ein Sieg einfühlt und für pure Freude sorgt (Wolfsburg), jenes das dir das Gefühl der Niederlage gibt (Hoffenheim) oder eben auch solche, für die du letztendlich dankbar bist, wenn du weißt, dass es viel schlimmer hätte kommen können. So geschehen im meist verregneten Bremen an der Weser. Mit ungewöhnlich gnädigem Sonnenschein, der mir den ersten Sonnenbrand des Jahres auf die Haut brachte.

Noch sind die Ängste vor dem Abstieg in Stuttgart und Umgebung allgegenwärtig. Seit einigen Wochen schon schenkt uns die Mannschaft wieder regelmäßig wieder mindestens einen Punkt, und wir wissen alle, dass auch nur ein einziger Punkt am Ende entscheidend sein kann. Unseren Weg ebnet ein Spielplan, der uns alle derzeitigen direkten Abstiegskonkurrenten vor die Nase setzt. Frankfurt, Wolfsburg, St. Pauli und nun Werder Bremen.

Das Punktekonto wird stetig gefüllt, doch die Art und Weise, wie dies geschieht, gibt eher neue Rätsel auf. Das Glück, was uns so oft in dieser Saison abging, kam allmählich zurück. Der Glaube an einen durchdachten und vorausschauenden Spielstil nicht. Grund zur Besorgnis? Vielleicht. Grund zum Fernbleiben der Auswärtsspiele? Sicherlich nicht. Was sind schon 700 Kilometer und 8 Stunden Fahrt, wenn nicht schon der beste Beweis für aufopferungsvolle Liebe zum Verein und dem Drumherum.

Zu Siebent traten wir den weiten Weg in die Hansestadt an, für mich das erste Mal, für man andere, so auch meine bessere Hälfte Felix, zum dritten Mal – oder noch öfter. Mit krassem Schlafdefizit nach nur 2 Stunden geschlossener Augen ging es weiter nach Weinstadt-Beutelsbach, wo wir etwa halb 4 – mitten in der Nacht wohlgemerkt – aufbrachen. “Guten Morgen” war schon fast ironisch. Ein bisschen schlafen und 2 Stunden später war diese Aussage dann auch endlich legitim.

Nach unserer Ankunft am späten Nachmittag, am Ende einer langen Reise mit überraschend wenigen Toilettenpausen, waren wir schon zum ersten Teil des Sightseeings aufgebrochen und spazieren an der Weser entlang, über uns strahlender Sonnenschein. Danach erst einmal einchecken im etwas außerhalb gelegenen Hostel und schon war es soweit: auf zum Stadion. Ein weiteres schweres Spiel im Abstiegskampf.

Die großen Flutlichtmasten sieht man bereits von weitem, von der großen Masse grün-weiß gekleideter Menschen ganz zu schweigen. Ohne unqualifizierte Kommentare der gastgebenden Fans gingen wir unseren Weg, durch die Eingangskontrollen und hinein in den Gästeblock, der soweit ich erfahren konnte erst seit dieser Saison im Oberrang ist. Ungewöhnlich und überraschend, eng ohne viel Platz zum Fotografieren, zugebenermaßen auch ein wenig enttäuschend.

Viele waren erschienen zum Auswärtsspiel des 28. Spieltags, 2.500 Rote im grünen Norden. Viele bekannte Gesichter beim Gang in den Gästestehblock und wie immer die bange Frage: wird es heute zum Sieg reichen? Man durfte gespannt sein, und so nahmen wir unsere Plätze recht zentrumsnah ai Stimmungskern des Blocks ein. Es konnte losgehen!

Schnell sickerte bei mir die Gewissheit durch, dass sich an diesem Nachmittag nicht viel Spielraum für kreative Foto-Gestaltung bieten würde, und dabei sollte es auch bleiben. Lediglich ein paar Aufnahmen von hinten sind gelungen, doch das machte nichts, hier und heute legte ich mehr Wert auf guten Support. Es sollte sich bezahlt machen.

Wann immer der VfB in Bremen spielte, leicht war es nie. Viele in meinem Bekanntenkreis haben hier einige Niederlagen erlebt, in der letzten Saison gab es an der Weser ein 2:2 – nach einem 2:0 für den VfB, Torschütze unter anderem: Pavel Pogrebnyak, der sich an diesem 2. April 2011 nicht mehr als ein “er hat sich bemüht” verdienen konnte. Sei es drum, wenn andere die Tore schießen.

Die Wahrscheinlichkeit, gegen ebenfalls abstiegsbedrohte Bremer dennoch nicht gut auszusehen, war durchaus gegeben, dennoch gab es schon bald Grund zum Jubeln, und zwar für uns. Nach 13 Minuten gab es ein Gestocher im gegnerischen Strafraum, was gäbe ich jetzt für Adleraugen. Man hätte blind sein können, man hätte trotzdem verstanden.

Tamas Hajnal, Leihgabe von Borussia Dortmund und einer der wenigen Transfers und Leihgeschäfte, die ich persönlich als “gelungen” bezeichnen würde, schoss das 1:0 aus Sicht des VfB – riesen Jubel, ein schreiendes, kreischendes, hüpfendes und euphorisches Durcheinander der guten Laune. Bloß nicht über die Absperrung fallen, da gehts tief abwärts. Gleiches gilt für unseren Platz in der Tabelle, für einen Moment war das Leid einer ganzen Saison (fast) vergessen.

Aber die Fotos nicht vergessen! Der Winkel von oben, die unmöglichen Lichtverhältnisse durch die direkte Platzierung unter dem Dach machten das allerdings schwierig bis unmöglich. So tat ich wieder das, was mir an jenem Tag mehr Spaß machte: Arm in Arm mit Bekannten und Unbekannten, mit ganzer Kraft unseren Verein nach vorne schreien.

Minute um Minute konnte ich auf dem Rasen erkennen, wie aus der erfreulichen Führung Balanceakt wurde, Werder wurde immer stärker, und wir ließen uns immer wieder in die eigene Hälfte zurückdrängen. Wie lang das gut gehen würde, wusste niemand. Auf einmal Jubel auf Werder-Seite, gleich darauf Jubel beim VfB – was ist passiert? Bremens Sandro Wagner stützte sich auf, als er das 1:1 erzielte – zu Recht aberkannt. Tief durchschnaufen.

Ein 2:0 zur rechten Zeit wäre Gold wert. Doch es kam kein 2:0. Die Freistöße des Torsten Frings waren immer gefürchtet, ungeachtet Werders Tabellenplatz. Auch dieses Mal trat er an, von einem meiner Jungs auch bekannt als die “Größte Ratte des deutschen Fußballs”. Ich weiß nicht, wer von unseren Spielern zur falschen Zeit am falschen Ort war, doch das Tor zum Ausgleich sollte als “abgefälscht” in den Spielbericht eingetragen werden. Frust auf der einen, Jubel auf der anderen Seite.

In den letzten 10 Minuten der 1. Halbzeit passierte nicht viel, für die nächste Viertelstunde quartierte ich mich während der Pause auf den kalten Steinstufen des Weserstadions im Gästeblock ein. Bequem ist anders, aber wenn man schonmal eine Verschnaufpause nehmen kann, warum nicht. Was ist hier und heute noch drin? Es gibt durchaus Fragen, die einfacher zu beantworten sind.

Wieder Stellung nehmen im Block, es konnte weiter gehen. Die Temperaturen nach wie vor tropisch für jene, die den Sonnenstrahlen ausgesetzt waren. Oben im Schatten hätte es kühl sein müssen – eigentlich. Weg mit dem Pulli! Für erhitzte Gemüter sorgten auch die Geschehnisse auf dem Platz, als Ulreich geschlagen, der Ball aber trotzdem nicht im Tor war. Tasci klärte auf der Linie, nicht die einzige Szene voller Adrenalin.

Schön anzusehen war es nicht gerade, dass Bremen zu immer besseren Chancen kam und fleißig auf unser Tor zurannte, zumindest ohne den Ball darin unterzubringen. Auch wir kamen noch zu zahlreichen Chancen, doch hüben wie drüben schien nix mehr zu gehen. Die Spannung spürbar, das Spiel immer auf der Kippe, bis in die Schlussphase hinein, als Ulreich erneut bravorös parierte und uns damit den Punkt sicherte.

Enttäuschte Grün-Weiße, jubelnde Rote, wir wussten, wie viel Schwein wir gehabt hatten. Deshalb war die Frage, wie die Art und Weise des Unentschiedens einzustufen war, schnell beantwortet. Standing Ovations und wieder die “Niemals 2. Liga!”-Schals, die vor dem Spiel erneut ausgegeben worden. Drei Punkte sind besser als einer, einer ist besser als keiner, das wusste jeder. Wenn man bedenkt, dass die Punkteausbeute pro Spiel fast immer bei Null war, konnte man jetzt nicht traurig sein, im Gegenteil. Wir wähnen uns wieder sachte auf dem Weg der Besserung.

Nach dem Spiel traf ich mich noch mit Susi, eine alte Freundin aus Leipziger Zeiten – Sie kam mir entgegen mit einem grünen Schal. Sie ist Werder-Fan, doch das kümmert mich nicht. Es wurde gequatscht, geschnackt, gelabert, wie auch immer, es machte in jedem Falle Spaß. Zwei ostdeutsche Damen, die unter anderem des Fußballs wegen in ihre Lieblingsstadt gezogen sind. Getrennt in den Farben, vereint in der Leidenschaft zum eigenen Verein. Doch so weit kann keine “Fanfreundschaft” gehen, kleine Sticheleien waren auch hier nicht zu vermeiden, auf beiden Seiten.

Der Abend wurde in der Bremer Innenstadt verbracht, Spazieren, mit netten Leuten schwätzen, Essen und Trinken (mein Tipp: Bremer Hofbräuhaus, die besten Kässpätzle jenseits Württembergs!) und ein wenig Sightseeing bei Nacht. Irgendwann forderte ein harter Tag seinen Tribut und kurz bevor meine Beine unter mir nachgaben, suchten wir das Hostel auf, um am Sonntag noch einen schönen Tag bei einem herrlichen Frühstück im Weincafe Engel zu erleben.

Dann gings auch schon wieder heim ins 700 Kilometer entfernte Ländle, der Ort, wo du nach jeder langen Reise, sei sie auch noch so schön gewesen, immer wieder gern zurück fährst. Die Einen würden mich verrückt halten, einfach mal so nach Bremen zu fahren. Wiederrum andere wissen genau, was ich meine: Freude selbst am frühen Aufstehen mitten in der Nacht, in Angriff nehmen der größten Anstrengungen, und wofür das alles? Manchmal lohnt sichs schon ab dem ersten Punkt. Die Leidenschaft lebt und zehrt Tag ein Tag aus von Erlebnissen wie diesen.

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