Eine Woche ist vergangen, erst jetzt schreibe ich. Eine harte Arbeitswoche mit zahlreichen Überstunden ging im Nu vorrüber, ließ mir schlichtweg keine Zeit zum schriftlichen Verarbeiten eines Spiels, dass ich und viele andere uns ganz anders vorgestellt hatten. Eine Woche, der Stachel sitzt noch immer sehr tief, wie immer, wenn man ein Duell mit einem noch so kleinen Schuss Rivalität verliert. Es war eine Demontage, die viele offene Fragen zurück ließ. Ein Ausflug in den Breisgau, der nur wenig Positives an sich hatte.

Beim Schreiben der ausstehenden Blogartikel bin ich rückwärts verfahren: gestern spielte der VfB in Fürth, damit habe ich heute morgen begonnen, gerade eben habe ich Augsburg fertig gestellt, und nun der Vollständigkeit halber auch Freiburg mit der entsetzlichen Pein der Niederlage. Es hatte nicht sollen sein, etwa 2.000 Stuttgarter sahen wenige Tage nach einem glamourösen 5:1-Erfolg in Bukarest kein Land.

Sie waren müde, nur wenig Verschnaufzeit hatte man ihnen eingeräumt. Dass es sinnvoller gewesen wäre, andere Jungs ins Spiel zu schicken, wissen wir nun erst hinterher. Offenbar wollte Bruno Labbadia nach dem Motto “Never change a winning team” verfahren. Funktioniert hat es nicht wirklich, im Gegenteil. Es war zu einfach viel des Guten und verhagelte mir die Laune mehrerer Tage.

Der Ausflug ins ungeliebte Baden startete kurz nach um 8 direkt vor unserer Haustür. Gerd, mit dem wir oft fahren, holte uns zusammen mit seiner Frau und Simeon, der ebenfalls Mitglied im Fanclub ist, direkt bei uns ab. Die Stimmung war gut und ausgelassen, als wir in Richtung Südwesten unterwegs waren, fernab von Stau und Unfällen, es war entspannt.

Wie schon letzte Saison parkten wir im Parkhaus in der Nähe des Stadions und zogen uns um. Besonders kalt würde es nicht werden, um die 14 Grad war die erwartete Temperaturansage für Ende November deutlich im angenehmen Bereich, doch sollte es regnen, wie schon die komplette Autofahrt über. Ich entschied mich, den dickeren von beiden Pullis anzulassen und den dünneren, meinen von Felix geerbten Cannstatter Kurve Pulli im Auto zu lassen. Als hätte ich es geahnt, schon gegen Hannover hatte ich den Pullover nicht getragen.

Bei leichtem Nieselregen machten wir uns auf, sammelten noch ein befreundetes Ehepaar ein und fuhren mit der Straßenbahn Richtung Altstadt, schauten uns ein paar Sachen an und kehrten noch zum Essen ein. Überall waren schon Stuttgarter gesichtet worden, die Stimmung war entspannt und friedlich, keine Anfeindungen, keine Pöbeleien, von beiden Seiten.

Simeon, Felix und ich fuhren direkt nach dem Essen weiter zum Stadion, wir verzichteten auf das von den anderen geplante Kulturprogramm und waren sehr früh schon vor der Spielstätte an der Schwarzwaldstraße. Es hatte aufgehört zu regnen, ein paar der aktiven Fans waren bereits da, kurz nach uns folgte der mit dem Sonderzug gereiste Großteil. Grund genug, gleich reinzugehen, bevor die beiden einzigen Eingänge am Gästeblock verstopfen würden.

Hinter den Toren warteten wir im sicheren Abstand, musterten Jeden, der den Käfig betrat. “Käfig” ist dabei keinesfalls übertrieben, der Freiburger Gästeblock ist das Schlimmste, was man sich als Auswärtsfahrer nur vorstellen kann. Klein, eng und mit weit nach oben verlaufenden Zäunen, die die Sicht aufs Spielfeld beeinträchtigen. Die üblichen Verdächtigen, von Freiburg bis Hamburg und von Nürnberg bis Gladbach waren wir in dieser Hinrunde schon dabei.

In unsere Ohren drang das klatschen der mitgereisten Stuttgarter als Antwort auf pöbelnde Freiburger, gerade zu amüsiert waren wir. Noch. Felix und ich lachten darüber und machten Scherze. Unsere Wege trennten sich dann wie üblich, Felix ging nach rechts, ich blieb links und hatte nette Gesellschaft eines aktiven Fans mit Beinverletzung, der Hüpfen und vor allem wildes Pogo momentan lieber meidet, besser ist das.

Es konnte losgehen, ich war ja auf Einiges vorbereitet, nur nicht das. Hinein ins Spiel, auf dass ich mich so sehr gefreut hatte. In einem kleinen Derby sind Siege noch einmal doppelt so süß, Niederlagen sind doppelt so bitter, was wir letztes Jahr erfahren haben bildete den kompletten Kontrast zu dem, was in dieser Partie auf uns zukommen würde.

Gut 10 Minuten waren schon rum, viel passierte nicht, dafür gab der mitgereiste Anhang Vollgas. Dennoch kam ich nicht umhin, zu merken, wie müde unsere Jungs nach anstrengenden Reise nach Bukarest wirkten. Ich dachte nicht weiter darüber nach, versuchte stattdessen mitzusingen und so gut es ging Fotos zu machen, wenn ich schon nicht viel vom Spiel mitbekam.

So schlecht, wie das Ergebnis am Ende ausdrückte, war die erste Halbzeit nicht einmal. Es ist völlig klar, dass es kein weiterer Galaauftritt mit genau der selben Besetzung werden würde, beide Mannschaften waren etwa auf Augenhöhe. Die Hände wurden über dem Kopf zusammengeschlagen, “Neiiiinn!” schrie man, als wir knapp das 0:1 verfehlten, Zdravko Kuzmanovic setzte seinen tollen Schuss nur an den Pfosten beim Stand von 0:0.

So bitter es auch ist, dieser Pfostenschuss war das frühzeitige Ende aller Herrlichkeit, es waren erst 20 Minuten gespielt. Die Hoffnung ließ ich mir davon allerdings auch nicht nehmen. Freiburg spielte nicht schlecht, einen rabenschwarzen Tag hätten sie meinetwegen aber gerne haben können. Der Metallzaun direkt zu meiner Linken versperrte mir weitgehend die Sicht auf das Tor vorm Gästeblock, in dem Sven Ulreich versuchte, den Kasten sauber zu halten. Ich habe das Unheil erst bemerkt, als 22.000 Badenser jubelnd aufsprangen.

Jan Rosenthal hieß der gefeierte Torschütze. Ein Moment der Stille, kurz schütteln, weiter gehts mit dem Support für unsere Schwaben. Das 1:0 der Gastgeber sollte uns doch nicht wirklich Angst machen, oder? Seufz. Man wollte sich dennoch fast das Ohr abschneiden, als es von der Heimkurve der Breisgauer tönte “Die Nummer Eins im Land sind wir”, in der Tat, es frustrierte mich im tiefsten Inneren meines Herzens.

Von der enormen Auswärtsstärke der letzten Wochen war wenig zu sehen, im Zweikampf stets einen Schritt zu langsam. Noch wollte ich nicht zugeben, was ich mir schon beim 0:1 gedacht habe, dass es möglich wäre, hier ohne Punkte wieder wegzufahren, wenn die Jungs sich nicht um 300% steigern würden. Ich dachte einen Moment lang an meinen eigenen Aberglauben und an den im Auto liegenden Pulli. Welch dummer Aberglaube.

Halbzeitpause. Kräfte sammeln, unsere Jungs brauchen unsere Unterstützung, alleine würden sie das vielleicht nicht schaffen. Um mich herum viele fragende Gesichter, auch im Nachbarblock, der ebenfalls viele VfB-Fans beherbergte. Es konnte weitergehen, den Glauben an den Auswärtssieg haben wir nicht verloren, wir drehten das Spiel in Gladbach schließlich auch, nicht zu vergessen die Rückrunde der letzten Saison, als Spiele drehen zur schwäbischen Spezialität wurde.

Die letzten Hoffnungen trugen wir gemeinsam im Jubel der Freiburger zu Grabe. Es war die 67. Minute, es war das 2:0 der Breisgauer, es war der das Ende. Schmerz, unendlicher Schmerz, er brach uns das Herz. Es wurde still. Der Support kam zum Erliegen, wer will es uns auch verdenken angesichts dieses Spielstands. Man schaute sich nur die Mannschaft an und war sich sicher: das ist gelaufen. Wenn selbst Ulle einen schlechten Tag hat, was man ihm bei all den starken Leistungen und Unmengen gerettete Punkte nicht mal verübeln kann, dann ist es einfach nicht unser Tag.

Jetzt sangen nur noch die Freiburger, jetzt hatten sie die große Fresse. Doch seid euch sicher, es gibt ein Rückspiel, gerne von der Sorte wie vergangene Saison. Und als wäre der Stachel noch nicht tief genug drin gewesen, bohrte man ihn noch weiter hinein, 17 Minuten vor Schluss auch noch 3:0. Tatenlos mussten wir dabei zusehen, wie die verhassten Badenserschweine uns vorführten, sowohl die Mannschaft als auch die Fans, die nun natürlich ihren allergrößten Spaß hatten, uns aufs Korn zu nehmen. In den benachbarten Blöcken verließen die ersten VfBler das Stadion, sie hatten mehr als genug gesehen.

Dann hieß es nur noch: abwarten. Bitte habt Verständnis dafür, dass ich dieses Spiel abkürze, doch bringe ich es einfach nicht übers Herz, mir mehr als die Highlights erneut reinzuziehen, und selbst das verlangt mir mehr ab, als ich selbst gedacht hatte. Es war schlichtweg ein gebrauchter Tag. Minuten vergingen und man war letztendlich noch dankbar, dass es nicht noch deutlicher ausgefallen ist.

Ich dachte frustriert an meinen Kollegen, der Freiburg-Fan ist und am Freitag noch meinte “Ach, Glückwunsch zum 5:1, am Sonntag landet ihr ja eh wieder auf dem Boden der Tatsachen!”, ich hatte sogar schon Ideen, was ich ihm alles an den Kopf werfen würde, hätte der VfB das Spiel für sich entschieden. Am Ende sollte ausgerechnet der Recht behalten, der alle paar Jahre mal ins Stadion geht. Der Abpfiff entfesselte nochmal alle Wut, die in diesem Spiel aufgebaut wurde.

Bis an die Strafraumgrenze kamen die Jungs an uns heran, statt aufbauendes Klatschen gab es die akustische Schelle, weit ausgebreitete Arme signalisierten die leeren Hände, mit denen wir wieder nach Hause fahren müssten. Es gibt keinen Roten, der das in dieser Art und Weise hat kommen sehen. Der Block leerte sich rasend, wir blieben noch lange da. Verzweifelt und enttäuscht saß ich ganz alleine auf den kalten Betonstufen, das Gesicht in meinen Händen vergraben. Ich war zu wütend, um Tränen zu zeigen, und zu traurig, um es einfach abzuhaken. Trost spendende Freunde waren auch keine Hilfe.

Ich blieb dort sitzen, bis wir vom Ordnungspersonal rausgeworfen wurden. Die Fahrgemeinschaft sammelte sich am Ausgang. Die meisten VfBler um uns herum waren sich einig, dass dies auch in der Höhe eine verdiente Niederlage war, Felix versuchte mich zu trösten, keine Chance. Nicht heute. Wortlos trottete ich ihnen hinterher, stieg ins Auto, klappte den Laptop auf und bearbeitete Bilder bis zu unserer Rückkehr, nur unterbrochen von einer kurzen Stippvisite bei einer bekannten Fast-Food-Kette.

Auch so kann Fußball sein. Das ist unser VfB, innerhalb weniger Tage von der 5:1-Gala zur bitteren 0:3-Pleite vermag er die ganze Messlatte an Emotionen seinen Anhängern zuzumuten. So kennen wir unseren Verein mit dem Brustring, wir stehen zu ihm, auch wenn er uns auf schmerzhafte Wege enttäuscht. Es hatte nicht sollen sein, auf ein neues gegen die erwartet umkämpften Spiele gegen die Abstiegskandidaten Augsburg und Fürth.

Am nächsten Tag war ich im Büro nahezu nicht ansprechbar. Bei der Frage meines Chefs, obs denn wirklich so schlimm war, entgegnete ich nur: “Es war noch viel schlimmer”. Mein Kollege tat gut daran, mir den ganzen Tag aus dem Weg zu gehen. Ihm ist vermutlich klar, wie es sich anfühlen muss, und auch eine Woche später hat er mir gegenüber nicht ein einziges Wort zum Spiel fallen lassen. Den Schmerz der Niederlage linderte es jedoch nicht.

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