Nicht zu fassen. Es war einfach nicht zu fassen. Entsetzt schlugen wir die Hände über unseren Köpfen zusammen. Unglaublich. Ein einziger Schuss ins Glück hätte das Jubiläumsspiel perfekt gemacht. Was zurück bleibt, ist Ernüchterung, ein wenig Entsetzen und trotz allem das Gefühl, dass dieses Unentschieden in Ordnung geht \” vor gar nicht allzu langer Zeit in genau gleicher Situation, am gleichen Ort, vor dem gleichen Tor, mit dem selben Elfmeterschützen hatte es uns noch bitterer erwischt. Die postwendende Niederlage blieb uns erspart \” verhagelte dennoch die Feierlaune.

“Zusammen gewinnen wir das Spiel” hatte Alexandru Maxim noch wenige Tage zuvor im Exklusiv-Interview auf neu erlerntem Deutsch gesagt. Ich glaubte ihm, ist die Aufbruchsstimmung unter dem neuen Coach Thomas Schneider tagtäglich greifbar. Die Partie in Berlin war kein Augenschmaus, aber enorm wichtig, denn zu wissen, dass man auch solche Spiele gewinnen kann, ist teilweise mehr wert als ein phänomenaler Kantersieg gegen die ungeliebten Hoffenheimer.

Wie groß die Nervosität vor diesem großen Tag doch war. Schon Tage zuvor ein Tunnelblick, nichts als das Spiel im Kopf gehabt. Es stand uns Großes bevor. Der 120. Geburtstag unseres geliebten Vereins, das Auflaufen der Mannschaft in den edlen Traditionstrikots, eine riesige Choreographie in der Cannstatter Kurve und dazu ein Gegner, der regelmäßig mit einem gewaltigen Auswärtsmob nach Stuttgart kommt. Es war alles angerichtet für einen großen Tag.

Wieder daheim

Recht lange war die Zeitspanne zwischen Berlin und Frankfurt \” am Freitagabend siegte man knapp und ein wenig glücklich in der Hauptstadt, am Sonntag Nachmittag erst gegen die Eintracht, die am Donnerstag zuvor noch international gespielt hat. Ein wenig Neid kann ich mir nicht verkneifen, erwische ich mich doch selber ab und zu damit, die Europa League als “unseren” Wettbewerb zu bezeichnen. Der Stachel vom Rijeka-Spiel sitzt noch tief, es wird dauern, bis es verheilt.

Noch gut erinnere ich mich an vergangene Saison, etwa ein Jahr ist es her. Die Vorstellung davon, der VfB wäre in einer äußerst schwierigen Phase in der Lage, die starke Eintracht daheim niederzuringen, sie war einfach zu absurd. Der Glaube, dass wir das Spiel verlieren würden, kostete mich den Wetteinsatz von einem Kaffee, eine der wenigen Wetten, die man gerne verliert. Unter Thomas Schneider ist die Mannschaft wieder aufgeblüht, schon nach den ersten Tagen waren Fortschritte zu erkennen.

Mein Tipp dieses Mal: 2:1, der Hausfrauentipp. Felix legte noch einen drauf mit einem 3:0, das wäre vielleicht etwas zu viel des Guten gewesen. Wie stark ist der VfB also wirklich, nachdem man mit Bruno Labbadia eine gehörige Altlast von sich stieß und seitdem kaum einer dem damaligen Coach hinterher weint \” auch wenn dieser unbestritten seine Erfolge beim VfB hatte, das wollen wir ja auch nicht vergessen. Mit Thomas Schneider ist die Spielfreude und die Leidenschaft, alles zu geben, wieder zurückgekehrt. Warum sollte dann also auch kein Sieg gegen Frankfurt drin sein?

Erst zwei Kreuze, dann drei Punkte?!

Der Tag begann mit einem guten Frühstück und dem Gang zum Wahllokal. Bundestagswahl 2013, da wollten wir natürlich auch unsere Kreuzchen machen. In der benachbarten Schule war alles schnell erledigt, nach den zwei Kreuzen waren die drei Punkte an der Reihe. Etwas langsamer als sonst liefen wir gut zwei Stunden vor Anpfiff zum Stadion los, die große Kamera war dieses Mal mit dabei, die angekündigte Choreographie würde gute Bilder erfordern. Nur schwer konnte ich mit Felix mithalten, zu schmerzhaft ist schnelles Laufen aktuell für meine lädierte Achillessehne.

Die Sonne schien, es sollte ein goldener Septembernachmittag werden. Es war ein guter Tag für den feierlichen Rahmen unseres Vereinsjubiläums. Früh nahmen wir schon unsere Plätze ein, ich an gewohnter Stelle im Stehblock 33 B, Felix organisierte sich aufgrund der geplanten Choreo erneut eine Karte für den Oberrang, der ihm eine tolle Sicht ermöglichen würde. Ich war angespannt, konnte es kaum abwarten. Furcht vor einer Niederlage? Vor dem Spiel zumindest nicht.

Schön, endlich wieder hier zu sein. Nach der Länderspielpause und dem Auswärtsspiel in Berlin wurde es allerhöchste Zeit, wieder “nach Hause” zu kommen. Schon im Ansatz konnte man erkennen, dass einige Gäste mitgereist waren, von den erwarteten 6.000-8.000 Gästefans blieb man jedoch weit entfernt. Auf den Stufen des Stehplatzbereichs waren überall weiße Papptafeln und schwarze und rote Fähnchen ausgelegt worden. Die Vorfreude stieg mit jeder Minute.

Eine zweiteilige Jubiläumschoreographie

Nach gefühltem ewig langem Warten war es dann endlich soweit, es war kurz vor halb sechs, gleich würden die Mannschaften einlaufen. Es war das Startsignal für eine zweiteilige Choreographie. Vor dem Stehplatzbereich liefen die Helfer mit einer Banderole ein, die die vorderen Reihen der Kurve verdeckte, weshalb bei uns unten auch kein Material ausgelegt war. Nach einem kurzen Signal wurden unten rote Fähnchen und in der Mitte schwarze Fähnchen geschwenkt, im oberen Bereich des Unterrangs und auf dem kompletten Oberrang wurden weiße Papptafeln hochgehalten.

In der Mitte erschien das württembergische Wappen, auch die Zahlen 1893, verteilt auf mehrere Blöcke, waren zu lesen \” auch wenn die Drei sich erst recht spät zu Erkennen gab. Vom Oberrang aus wurde der erste Teil der Choreographie noch ergänzt von den Worten “Verein für Bewegungsspiele”, wovon die jeweiligen Anfangsbuchstaben in Frakturschrift gemalt wurden. Begleitet von einer epischen und heroischen Musik aus den Lautsprechern machte es uns allen eine Gänsehaut.

Und wir waren ja noch nicht einmal fertig! Wo jede andere Choreographie endet, gingen wir über zum zweiten Teil der Tagesordnung. Die Mannschaften betraten bereits das Feld, als die Kurve komplett in weißen Papptafeln erstrahlte, ein durchgezogener Banner mit den Jahreszahlen 1893 und 2013 umrahmte unser wunderschönes Wappen, welches von oben nach unten durchgereicht wurde \” “Das Geschenk zum Jubiläum: Das Bekenntnis zur Tradition”. Wunderschön.

Auf den Leib geschneidert

Mit dem Pfiff von Schiedsrichter Felix Zwayer endete die Musik und die Jubiläumschoreographie war zu Ende. Im hohen Bogen flogen uns von hinten die Pappkugeln ins Genick. Auf dem Spielfeld rollte der Ball. Mit viel Liebe und Engagement hatten die Ultras vom Commando Cannstatt diese Choreographie geplant, der Verein sorgte für das perfekte Trikot, lag jetzt also nur noch an der Mannschaft selbst, uns an diesem Feiertag einen Sieg zu schenken.

Auf ihren Leibern trugen sie mit Stolz das alte Wappen, wie wunderschön diese Traditionstrikots doch anzusehen waren. Nur hier und heute würden sie sie tragen, und dann nie wieder. Wer das nötige Kleingeld hatte, bestellte sich eines für einen happigen Preis von 93 Euro plus elf Euro für die Beflockung einer Rückennummer. Ein tolles Bild, dass die Jungs abgaben, zumindest optisch. Das entstandene Foto vom offiziellen Traditionstrikot-Shooting findet einen Ehrenplatz in meiner Fanecke im Büro.

Es ist nicht so, als wären wir nicht vorgewarnt worden. Wenige Tage zuvor gewannen sie gegen Girondins Bordeaux mit 3:0. Dass sie kein angenehmer Gegner sind, zeigten beide Spiele in der letzten Saison, die der Brustring knapp, aber leidenschaftlich für sich entscheiden konnte: sowohl daheim als auch auswärts gab es ein 2:1 aus VfB-Sicht. Beide Siege hielt ich im Vorfeld für unmöglich. Hier war ich mir aber sicher, dass mit dieser Kulisse, an diesem Tag, mit diesen Trikots und mit dieser positiven Aufbruchsstimmung etwas gehen muss.

Brenzlige Anfangsphase

Wenige Minuten waren erst gespielt, da lag Alexandru Maxim schon auf dem Boden. Der junge Rumäne, der binnen weniger Monate so wichtig wurde und dann ohne jeden Grund unter Bruno Labbadia aussortiert wurde, erwacht unter dem neuen Spielleiter Thomas Schneider zu alten Kräften. Wir würden ihn noch brauchen in dieser Partie, für ein paar Minuten sah es so aus, als ginge es nicht weiter. Gestützt von den Betreuern schlappte er vom Feld, kam aber wieder zurück.

Was gegen Hoffenheim noch so wahnsinnig einfach aussah, war schon in Berlin nicht mehr so schön anzusehen, was nicht weiter tragisch war, denn man nahm ja dennoch die drei Zähler mit. Dass Eintracht Frankfurt alles andere als einfach werden würde, sollte man wissen. Auch ohne ihren Top-Torschützen Alexander Meier würde es gefährlich werden.

Umso beängstigender offenbarte sich vor unseren Augen die erste Halbzeit. Ein strammer Schuss aus der Drehung führte beinahe zum schnellen Rückstand durch Johannes Flum. Da fehlte nicht mehr viel. Viel fehlte jedoch dem VfB, um überhaupt so richtig ins Spiel zu finden. Auch gegen die Hertha bekleckerten sie sich nicht gerade mit Ruhm, insbesondere in der ersten Halbzeit. Was bleibt ist die Hoffnung, dass ein paar wenige gelungene Aktionen am Ende reichen, den Rest besorgt Ulle.

Rückstand mit Ansage

Gut eine Viertelstunde alt war die Partie, die gewiss kein Spaziergang werden würde. Das Eckverhältnis fiel schonmal deutlich für die Gäste aus, von drei direkt aufeinander folgenden Ecken stand Tranquillo Barnetta bereit. Laute Pfiffe von der Cannstatter Kurve in Richtung des Ex-Leverkuseners, der acht Jahre die Schuhe für die Werkself schnürte und aktuell von Hannover 96 ausgeliehen ist.

Mir war nicht wohl bei der Sache, dass sie den Ball schon nach dem ersten Eckstoß nicht wegbekommen konnten, so folgte, was folgen musste: die bittere Rechnung. Weder Antonio Rüdiger noch Gotoku Sakai wussten mit dem Ball, der direkt vor ihren Füßen lag, nichts anzufangen. Ein kleiner Blackout? Marco Russ brauchte aus kürzester Distanz nur den Ball ins Netz zu dreschen.

Vor der Kurve drehte er ab, seine Mitspieler begruben ihn unter einer Jubeltraube. Es war die 14. Minute, Frankfurt führte und mir wurde auf einmal ziemlich, ziemlich schlecht. Ohje, diese Bauchschmerzen. Um mich herum lange Gesichter, pöbelnde Gesten und schüttelnde Köpfe. Aus dem Gästeblock drang ein hämisches “Auswärtssieg, Auswärtssieg!” in unsere Ohren. Alles andere als ein Jubiläumsspiel nach Maß.

Hätte, hätte, Fahrradkette…

Dass Eintracht-Spieler Stefan Aigner den Ball noch mit seinem Arm berührte, was nicht unbedingt zu einer natürlichen Körperbewegung gehörte, blieb außerhalb des Aufmerksamkeitsbereichs der Unparteiischen. Lange hielt der Frust nicht, zu wichtig war die Unterstützung, die wir Fans unserer Mannschaft zukommen lassen sollten.

Es zeigte schnelle Wirkung, ein steiler Pass von Gotoku Sakai auf den durchgestarteten Martin Harnik führte beinahe zum postwendenden Ausgleich. Was wäre hier los gewesen, wenn der ins Eck gekullert wäre? Wäre der kurze Pfosten hier die bessere Alternative gewesen? Hätte, hätte, Fahrradkette \” auf der Anzeigetafel stand das 0:1, das war nicht das, was wir uns erhofft hatten, aber es war ja noch ausreichend Zeit.

Da Kevin Trapp noch mit den Fingerspitzen dran war, gab es Eckball. Wer sonst, wenn nicht Alexandru Maxim, sollte ihn treten? Der einzige weitere passable Schütze für ruhende Bälle wäre Neuzugang Konstantin Rausch, der vorerst auf der Bank Platz genommen hatte. Mit Alex und (mit Abstrichen) auch mit Koka kehrte die Gefahr zurück in die Reihen des VfB. Schluss mit Radfahrerflanken und Eckbällen, die ihren Adressaten auf Kniehöhe erreichen.

Ein kluges Köpfchen

Zwei Minuten seit dem Rückstand waren erst vergangen, als der Rumäne den ersten Eckball für den VfB trat. Anlauf vor dem Gästeblock. Kapitän Christian Gentner verlängerte den Ball noch, aus ähnlicher Position hatte er eine Woche zuvor das Tor des Tages in Berlin erzielt. Am kurzen Pfosten stand einer, dessen Name vor einigen Monaten noch keiner so recht auf dem Schirm hatte. Ein kleiner und unscheinbarer junger Mann, Timo Werner, doppelter Vorlagengeber gegen Hoffenheim, unser Sturmtalent.

Da nimmt er sich einfach ein Herz und hält seinen Kopf hin, buchsiert den Ball damit ins Netz und erzielt wenige Wochen nach seinem Profi-Debüt sein erstes Tor. Was ist denn hier los? Wunderbar, dass die jungen Wilden wieder zum Zuge kommen. Begeistert rannte er Richtung Haupttribüne, schaute dabei euphorisch schreiend zu seinem Förderer Thomas Schneider, bevor ihn der Rest der Jungs eingeholt hatte.

Vergessen wird er diesen Moment nie, und eines ist sicher: wir haben ein Auge auf dich, Timo! Im Rücken der Abwehr stahl er sich davon, auf ihn war die Eintracht wahrscheinlich nicht einmal vorbereitet gewesen. Sehen wir hier einen neuen Stern aufgehen? Wir sind gespannt, was wir von dem 17-Jährigen noch alles zu sehen bekommen, mit Freude schauen wir auf den Burschen, der nächstes Jahr sein Abitur macht und sagen mit Stolz: der wird bei uns ein ganz ganz Großer!

Lauter als bei den anderen

Es kommt nicht von irgendwoher, dass das Schreien des treffsicheren Torschützen dieses Mal lauter war als andere Male. Man kann fast sagen, dass es sich angedeutet hatte, nach seiner Leistung gegen Hoffenheim und in Berlin folgte nun sein erstes Tor, ein ganz wichtiges und ein ganz besonderes \” nicht nur für ihn, auch für die Geschichtsbücher: jüngster VfB-Torschütze der Vereinsgeschichte. Mutiger kleiner Timo, die Kurve liebt dich jetzt schon.

Es war genau das, was der VfB gebraucht hatte, sie kamen endlich in Tritt und hielten die Eintracht so gut in Schacht, dass es sich zumindest weitgehend auf dem Feld neutralisierte. Ein wenig Entlastung nach der hochbrisanten Anfangsphase, das gab mir die Zeit, nicht nur meine Aufmerksamkeit zeitweilig auf die geliebte Kurve zu lenken, die ich Foto für Foto auf die Speicherkarte meiner Kamera bannte.

Doch gab es mir auch die Gelegenheit, meinen Blick durch die Reihen schweifen zu lassen. Wieviel zwischen Verein und Fans in den letzten Jahren zu Bruch gegangen ist, sehen wir hier bei jedem einzelnen Heimspiel. Leere Sitzschalen, ein deutlicheres Zeichen für die Missgunst der eigenen Anhängerschaft vermag es kaum geben. Nur 44.810 Zuschauer, davon alleine gut 3.000 Gäste aus Frankfurt.

Kein volles Haus

Die neuerliche Aufbruchsstimmung ließ die Massen nicht wirklich zu den Tageskassen strömen, 15.000 leere Plätze zum Jubiläumsspiel gegen einen guten Gegner, bei bestem Wetter, im exklusiven Traditionstrikot im Rahmen des 120. Vereinsgeburtstags, dazu die letzten Siege und eine gelockerte Atmosphäre in Bad Cannstatt? Was brauchen die Stuttgarter denn noch, um dem VfB das Vertrauen auszusprechen, was sie ihnen \” mit Sicherheit nicht grundlos \” in den letzten Jahren enthalten hatten?

Unverständlich für uns Fans, die immer da sind. Ich will nicht sagen, dass es in den letzten Jahren immer leicht war. Im Gegenteil, wir hatten dunkle Zeiten durchleben müssen, teilweise ein Wechselbad der Gefühle mit strikter Trennung zwischen großen Europapokalspielen und dem Fast-Abstieg in der Bundesliga in dem einen Jahr, im nächsten Jahr gute Bundesligaspiele und gähnende Leere im Europapokal?! Was war hier nur passiert?

Es ist ein Prozess, durch den wir durch müssen, wir alle sind dabei gefragt. Der Grundstein dafür ist gelegt, selten waren die Voraussetzungen so gut wie jetzt. Schwere Altlasten in Form von Bruno Labbadia, Gerd E. Mäuser und Dieter Hundt ist man los geworden, holte sich das alte Wappen zurück und installierte mit Thomas Schneider einen Trainer, der die Sprache des VfB spricht und dessen Ziel es ist, junge Spieler zu integrieren. Fußballherz, was willst du mehr?

Aufopferungsvoll dazwischen geworfen

Ohne weitere Vorkommnisse ging es mit dem 1:1 in die Pause. Auf der Anzeigetafel wurden erste Prognosen der Bundestagswahl gezeigt, gemischte Reaktionen beim Publikum. Die zweite Halbzeit begann mit den ersten guten Gelegenheiten für unsre Jungs, die \” man entschuldige mir das, aber ich nehme mir als Frau an dieser Stelle das Recht heraus \” unverschämt gut aussahen mit ihren Traditionstrikots. Kein Sponsoraufdruck, keine Werbung, nur der Brustring, das alte Wappen und die Spielerbeflockung hinten drauf. Das Puma-Logo hätte man jedoch auch weglassen können.

Mit Glück konnte Sven Ulreich in der 53. Minute Schlimmeres verhindern, als er sich aufopferungsvoll gegen den heraneilenden Vaclav Kadlec stellte und so den erneuten Rückstand verhinderte. Lange blieb Ulle liegen, musste sich behandeln lassen. Lange her scheint die Zeit, als der junge Keeper ein Unsicherheitsfaktor war, heute lieben ihn die Fans für seinen Einsatz, auch in solchen Situationen.

Wie sich im Nachgang herausstellte, verletzte er sich dabei so sehr, dass er mindestens zwei Spiele pausieren musste, dennoch spielte er die Partie zu Ende. Unsere tapfere Nummer Eins, “Ulle, Ulle, Ulle!” skandierte es mehrere Male aus unseren Reihen. Sie gaben sich redlich Mühe, das 2:1 zu erzielen, doch scheiterten sie entweder an Kevin Trapp \” oder wie allzu oft: an sich selbst.

Mit einem Fuß im Abseits

Den Ballgewinn von William Kvist am Mittelkreis hatte ich noch gesehen, wie auch dessen Pass auf Daniel Schwaab, was folgte, verbarg sich jedoch hinter Fahnen und verschiedenen Köpfen von großen Menschen. Mit 159cm Körpergröße bin ich es leider gewohnt, in solchen Situationen auf mein Gehör umzuschalten und mich in solchen Momenten an den Reaktionen meiner Mitmenschen zu orientieren.

Sekunden später wühlte ich nervös in meiner Kameratasche und zog panisch die Taschentücher heraus, ein verzweifelter Versuch, meine Spiegelreflexkamera zu trocknen. Es war tatsächlich passiert, aus diesem Angriff ging ein VfB-Tor hervor \” für die beiden angetrunkenen Herren hinter mir offenbar Grund genug, zwei volle Bierbecher über mir, bzw. meiner Kamera zu entleeren. Nichts passiert soweit, der Kamera ging es gut.

Mir allerdings recht schnell nicht mehr \” ein kurzer Jubel endete schnell, es war Abseits. Erst spät am Abend, beim Auswerten von insgesamt 750 Fotos, sah ich erst, wer das Abseitstor erzielt hatte: ausgerechnet Alexandru Maxim. Er küsste schon seinen Arm (das Tattoo, das er dort trägt?), seine Trauer war groß über den Pfiff des Schiedsrichters. Vedad Ibisevic stand mit einem Fuß im Abseits.

Warten auf den “Lucky Punch”

Er irritierte den Torwart und griff schließlich selbst aktiv ins Geschehen ein \” unter Umständen wäre er nur passiv im Abseits gestanden. Nicht das letzte Mal, dass der Bosnier ein unglückliches Bild in diesem Spiel abgab. Eine Bierdusche, die sich am Ende nicht einmal gelohnt hat, anders als einst in Nürnberg, als sich mehrmals das Gesöff über mir und der Kamera ergoss. Sie wollten den Sieg, das konnte man ihnen ansehen. Wir honorierten das und ließen sie spüren, wie wichtig uns dieses Spiel war.

Lauter Support, eifriges Hüpfen, begeistertes Klatschen, wir gaben Alles, dass sie uns zu diesem Tag bis zum Schluss auch Alles geben konnten. Immer wieder versuchten sie es, das leidige Thema mit der Chancenverwertung. Thomas Schneider wird noch viel zu tun haben, das zum Positiven zu verändern. Nach wenigen Wochen ist ein guter Trend schon durchaus sichtbar, warum nicht also auch dieses Thema beim Schopfe packen?

Nur noch ein paar Minuten zu spielen, gelingt hier einer Mannschaft etwa noch der “Lucky Punch”? Wäre es nicht der Abschluss eines perfekten Tages, wenn es der VfB wäre, der noch einmal mehr den Ball über die Linie bringt? Die Uhr tickte. Und selbst, wenn es beim 1:1 bleiben würde, so richtig schlecht wäre aus dieses Ergebnis nicht. Zwar konnte man in den elf der letzten zwölf Partien gegen die Hessen mindestens einen Punkt verbuchen (wie könnte ich das eine verlorene Spiel auch je vergessen), doch was heißt das schon?

Der Sieg auf dem Silbertablett

Letzte Minute der regulären Spielzeit, ein Freistoß findet den Fuß von Vedad Ibisevic, das Netz zappelt, es ist aber nur das Außennetz. Kein glücklicher Tag für unseren Top-Torschützen. Die Nachspielzeit war schon angebrochen, hatte man sich hier schon mit dem 1:1 arrangiert? Unsere Gäste konnten mit dem Ergebnis schon deutlich besser leben, von ihnen kam nichts mehr \” nunja, fast nichts mehr, bis auf ein folgenschweres Foul im Strafraum.

Sven Ulreichs langer Ball nach vorne, über Umwege Einwurf für den VfB durch Ibrahima Traoré, der für Timo Werner ins Spiel gekommen war. Ein Foul, ein Sturz, ein Pfiff \” Elfmeter! Riesen Jubel, es war diese eine Chance, auf die wir seit dem Ausgleichstor in der 16. Minute gewartet hatten. Sprichwörtlich in allerallerallerallerletzter Minute.

Alle Diskussionen der Frankfurter nützten nichts, ein klares Foul an unserem Flügelflitzer bildete die Grundlage für die letzte Szene des Spiels. Drei Minuten Nachspielzeit waren vom vierten Offiziellen angezeigt worden, es war die 93. Spielminute. Danach wäre vermutlich sowieso Schluss gewesen. So Geschichten schreibt nur der Fußball, dass dir an so einem großen Feiertag der Sieg auf dem Silbertablett serviert wird.

“Mach ihn!”

Wo ist unser Elfmeterschütze vom Dienst? Klare Sache für Vedad Ibisevic, der alle Elfmeter schießt, wenn er auf dem Platz steht. Hatte er in dieser Partie 93 Minuten lang die Scheiße am Fuß, so könnte er mit einem einzigen Treffer ins richtige Eck zum Helden des Tages werden. Kurz schaute ich mich um, glänzende Augen, nahezu betend falteten die Allermeisten neben mir ihre Hände vor dem Gesicht, “Bitte, Bitte, Bitte, mach ihn einfach rein!”.

Vor mir stiegen die Fans auf die Mauer und versperrten mir ein weiteres Mal die Sicht. Ich schaute auf Kevin Trapp, der zwischen einigen Fans hervorblitzte. Ich schaute auf die Uhr, und wieder zu meinen Gleichgesinnten, die wie auch ich so sehr hofften, dass wir gleich jubeln dürfen. Sekunden der Spannung. Der Bosnier lief an, beobachtet von einer euphorischen Kurve, die alles getan hat, um ihre Mannschaft zum Sieg zu Schreien.

Rechts oben im Eck wollte er ihn versenken, Kevin Trapp war bereits unterwegs in die andere Ecke. Gesehen habe ich nichts, wie auch die paar Wenigen, die sich nicht getraut hatten, hinzusehen. “Gleich jubeln wir”, ich war nicht die einzige, die sich dessen sicher war. Stattdessen: Ernüchterung. “Nein, nein, nein!”. Verschossen. Oh Gott, warum? Warum nur? Wie kann man den verschießen? Er konnte es selbst nicht glauben und vergrub sein Gesicht in seinem Trikot.

Erinnerungen an Wolfsburg

Auch solche Geschichten schreibt nur der Fußball. Mal bist du der Held, mal bist du der Depp. Moment, da war doch schonmal was? Richtig, letzte Saison, erstes Heimspiel, Wolfsburg, Elfmeter in der 90. Minute beim Stand von 0:0. Damals war es auch Vedad Ibisevic, der verschoss: seinen Elfmeter ließ Diego Benaglio nach vorne abklatschen, den Nachschuss drosch der Bosnier an gleicher Stelle wie heute über das Gebälk. Im direkten Gegenzug kassierten wir noch das 0:1, bevor die Partie zu Ende war \” wir erholten uns in der ganzen Saison nie wieder von diesem schlechten Start.

Dieses Mal blieb es uns erspart. Direkt danach war Feierabend. Zurück blieb eine große Ratlosigkeit. Waren es die Nerven, die unserem sonst recht zuverlässigen Elfmeterschützen versagten? Verdenken kann man es ihm nicht: dieses Spiel bedeutete uns Fans so viel, der Rahmen war perfekt, um drei Punkte einzufahren. Mit der Choreographie, den Traditionstrikots und Timo Werners erstem Tor hätte nur noch ein Sieg für den perfekten Tag gefehlt. War dieser Gedanke zu viel des Guten für die Nummer Neun?

Am Ende blieben alle ein wenig enttäuscht zurück. Ein Punkt gegen starke Frankfurter, doch gar nicht so übel, möchte man meinen. Aber auch nur, wenn man den Spielverlauf nicht kennt. Da hast du den Sieg auf dem Schlappen und nutzt diese Möglichkeit nicht. So oft hat er uns gerettet, so viele enorm wichtige Tore, ohne die wir vielleicht abgestiegen wären. Und dennoch überwog am Ende dieses sechsten Spieltags ein Gefühl, dass dem nach einer Niederlage nicht unähnlich gewesen war.

Eine gefühlte Niederlage

So fühlte es sich tatsächlich an. Wie ein Last-Minute-Treffer des Gegners, der aus einem Punkt null Punkte macht. Die Art und Weise, wie wir uns hier selbst um den Sieg gebracht haben, ist einmal mehr bemerkenswert und besorgniserregend zugleich. Die Mannschaft hatte nun wahrlich genug Chancen, den Sieg innerhalb von 90 Minuten unter Dach und Fach zu bringen, nutzte die Schwächen in Frankfurts Abwehr aber nicht aus. Ein Gefühl der Leere. Da denkst du gerade noch, jawoll, das könnte der Sieg sein, und im nächsten Moment stehst du da und denkst dir nur: “Dafuq?”.

Langsam trabten sie in Richtung Kurve. Mit hängenden Köpfen, ihnen war bewusst, was für eine großartige Gelegenheit sie sich entgehen lassen hatten. Wir hätten auf Platz sechs vorstoßen können, Vedad Ibisevic könnte die Torjägerliste alleine anführen nach diesem Spieltag, es wäre perfekt gewesen. Der Glaube, dass dieser Elfmeter hätte drin sein “müssen”, ist mit Abstand betrachtet natürlich alles andere als gerechtfertigt. Ich selbst habe nie auf dem Feld gestanden und einen Elfmeter verwandelt.

Und trotzdem: Trauer. Zaghaftes Klatschen für beide Seiten der Kurve, keiner wollte so recht zufrieden sein mit dem, was am Ende rausgekommen ist \” statt gemeinsam das zu feiern, was am Ende hätte rauskommen können. Minutenlang verharrte ich, konnte es noch immer nicht glauben. Um mich herum wurde bereits das Arbeitsmaterial eingesammelt. In mir stieg von nun an täglich die Angst, dass diese eine letzte Situation Konsequenzen für unser Pokalspiel hat. Gedanken, die ich lieber verdrängt hätte.

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