Montag morgen, der Wecker klingelte um 8:30 Uhr in der Früh. “Oh Gott, nein…” stöhnte ich und arbeitete mich langsam von der Matratze herunter auf den birkefarbenen Laminatfußboden in unserer Cannstatter Wohnung. So müde war ich schon ewig nicht mehr. Warum habe ich mich überhaupt hingelegt? Erst anderthalb Stunden zuvor hatte ich mich ins Bett gelegt. Um 6:50 Uhr waren wir nach unserer Auswärtsfahrt nach Braunschweig wieder daheim \” das Protokoll einer Horrorfahrt, die auf jedem Fall in Erinnerung bleiben wird.

Dabei waren wir froh, überhaupt nach Braunschweig zu kommen. Schworen wir uns noch im Falle des Auswärtsspiels in Berlin, dass wir künftig unsere Planungen rechtzeitig unter Dach und Fach haben, passierte es gegen den Aufsteiger erneut: “Wie kommen wir jetzt eigentlich hin?”. Die übliche Fahrgemeinschaft würde es aufgrund der Ansetzung am späten Sonntag Nachmittag nicht geben, auf die Rückmeldung eines gemeinsamen Freundes wartete man am Freitag Abend vergeblich.

“Niemals wird die Busfahrt nach Braunschweig ausverkauft sein!” tönte Felix noch zwei Tage zuvor. Wortlos zeigte ich ihm die Webseite, auf der mit roten Lettern geschrieben stand: “Diese Fahrt ist ausverkauft!”. Und nun? Panik! Zwei Tage vor einem weiten Auswärtsspiel und noch keine Möglichkeit, wie man hinkommt. Es wurde gefacebookt, gesimst, gemailt, binnen von drei Stunden war dank dem geschätzten Fotografen-Kollegen Franky eine Fahrmöglichkeit gefunden. Das erste Mal mit dem RWS Berkheim, dem größten VfB-Fanclub.

Schlafen ist eh überbewertet

Verkraftet hatte ich das Aus im DFB-Pokal noch nicht so wirklich. Am Mittwoch Abend schied man ausgerechnet in Freiburg aus und musste neben dem Ausscheiden in den Europa League Play-Offs in letzter Sekunde nun auch das Verabschieden vom zweiten Wettbewerb hinnehmen. Urlaubstage waren bereits geblockt, sowohl für die Gruppenphase aus internationaler Bühne als auch für die nächsten DFB-Pokal-Spiele. Am Donnerstag löschte ich die Einträge aus dem Excel-Dokument im Büro und fragte mich nicht zu Unrecht, wie die Reaktion der Mannschaft aussehen würde.

Wie so oft war der Frust nach solchen Spielen groß, dafür war die Motivation, schnell einen Spielbericht an dieser Stelle veröffentlichen zu können, vergleichsweise gering. Es war nicht nur der Rückblick auf Freiburg, den ich einige Tage vor mir hergeschoben hatte, auch der Spielbericht zum verpassten Heimsieg gegen Frankfurt hing mir noch im Nacken, er hätte schon fertig sein müssen, bevor wir ins Breisgau aufgebrochen waren.

Der Aberglaube zwang mich schließlich einige Stunden vor dem Aufbruch in den Norden zu drastischen Mitteln. Den gesamten Samstag über verbrachte ich mit den Zeilen, die mit Vedad Ibisevics verschossenem Elfmeter ihr tragisches Ende fanden, wohlwissend, dass ich nicht rechtzeitig fertig werden würde. Es war gegen Mitternacht, als ich den Button “Publizieren” klickte und Frankfurt damit abgeschlossen war. Vier Stunden später war dann auch Freiburg fertig aufbereitet. Die Nacht war so gut wie vorbei.

Die Vorahnung des Präsidenten

Für sage und schreibe anderthalb Stunden legte ich mich dann doch noch einmal hin, den Rest könnte ich dann schon irgendwie im Bus nachholen. Nach dem kleinen Nickerchen weckte ich Felix, richtete das Vesper für die Fahrt und sprang noch unter die Dusche. Losgehen sollte es in Esslingen-Berkheim, dort angekommen gesellten wir uns zu den zahlreichen Fans, die sich am Parkplatz versammelt hatten. Es war Punkt halb Acht, als der Bus um die Ecke bog und wir einsteigen konnten.

Fanclub-Präsident Jojo hatte es wohl schon geahnt, bei den letzten drei Fahrten mit dem Bus des Unternehmens Ganter Reisen hatte es Probleme gegeben, in der Hoffnung, es würde diesmal alles problemlos verlaufen, starteten wir unsere Tour mit einem Zwischenhalt in Ditzingen, wo wir noch vier weitere Leute, darunter auch Franky und Helmut, den wir bereits aus Freiburg kennen. Die Stimmung im Bus war ausgelassen und heiter, mich störte das jedoch nicht: schnell war ich ins Land der Träume entglitten.

Alle zwei Stunden ein kleines Päuschen, prima um die Beine zu vertreten und ein bisschen Luft zu schnappen. Während die erste Rast für einen Kaffee genutzt wurde, war es bei der zweiten Rast schon ein kleines Mittagessen bei Burger King. Gemütlich und entspannt saßen wir vor der Raststätte unweit des Busses, hatten stets die Uhr im Blick und freuten uns schon auf die Ankunft in Braunschweig. Einer unserer Mitfahrer kam vorbei und meinte, der Bus wäre kaputt. Bitte was?

Reicht doch noch locker!

Offenbar hatte sich einer von drei Keilriemen verabschiedet. Nicht weiter tragisch, es könne trotzdem weitergehen. Ideal ist das natürlich nicht. Erste Erinnerungen an Bremen wurde wach, als die Fahrt zurück nach Stuttgart zu einer echten Geduldsprobe wurde, noch hatten wir ja keine Ahnung, was alles noch folgen würde. Die Pause wurde zwar länger als geplant, konnte dennoch einigermaßen entspannt fortgeführt werden.

Der September war nun schon fast vorbei, die Tage werden kürzer und der frische Herbstwind lässt uns oft spüren, dass es aufs Ende des Jahres zugeht. Heute meinte es Petrus gut mit uns und schickte uns ein paar letzte warme Sonnenstrahlen. Es wurde spürbar warm im Bus, das andauernde Anfahren und Abbremsen des Busses weckte mich schlussendlich immer wieder auf. Die Klimaanlage war ausgefallen, im Stau standen wir mittlerweile zu allem Überfluss auch noch.

Es war noch genug Zeit, kein Grund zur Panik. Viele der mitgefahrenen jüngeren Fans hatten schon beim Aufbruch in Esslingen angefangen mit Bier, die größer werdende Hitze im hinteren Teil des Busses tat dann ihr übrigens. Es wurde laut, die Stimmung war mindestens so aufgeheizt wie die Temperaturen in den hinteren Reihen. Die ersten baten um eine Pause, doch wo Pause machen, wenn man im Stau steht?

Höhere Gewalt

Es schaukelte sich hoch, kurz bevor es eskalierte, fuhren wir raus und standen erst einmal eine Ewigkeit auf dem Rastplatz. Zwei einhalb Stunden vor Anpfiff und noch immer zahlreiche Kilometer entfernt. Ob das am Ende noch reicht? Mit Glücksbringer Sandro schrieb ich via WhatsApp, auch bei ihm ging nichts mehr, er empfahl uns die Abfahrt bei Seesen, die erste Abfahrmöglichkeit in einer dutzende Kilometer langen Baustelle, die sich durchziehen würde bis Salzgitter. Den Tipp gab ich weiter an Jojo und die beiden spürbar genervten Busfahrer.

Man entschied sich zum Weiterfahren, scheiterte aber zunächst an der mittleren Bustüre, gegen die einige Leute getreten hatten, um an frische Luft zu kommen, kurz bevor wir schließlich dann doch auf den Rastplatz gefahren waren. Zuerst ging die Tür nicht aus, nun ging sie nicht mehr zu. Und da man ja im Ländle so gut wie alles mit Gaffa zu reparieren versucht, musste es auch für die lädierte Tür herhalten. Es konnte weitergehen.

Dem Rat, in Seesen runterzufahren, folgte man schließlich, über die Landstraße sollte es weitergehen. Doch an einem Tag, an dem so vieles schief gegangen war, konnte man für nichts garantieren. Mitten durch die Pampa, durch den Wald, vorbei an weiten Feldern, durch Dörfer hindurch, immer wieder der minütlich verzweifelter werdende Blick auf die Uhr. Die Zeit rannte gnadenlos gegen uns, mitten im Dorf musste man dann auch noch umkehren, weil man die falsche Abzweigung genommen hatte. Wir wollten doch nur nach Braunschweig!

Den Anpfiff verpasst

Weitere Minuten verstrichen, bis wir etwas erspähen konnten, dass die finsteren Minen etwas erhellte: ein blaues Schild, das uns den Weg zur Autobahn Richtung Braunschweig anzeigte. Kutscher, gib Gas! Nur noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. Felix und ich haben noch nie den Anpfiff eines Spiels verpasst, in Augsburg war es knapp, in Düsseldorf noch knapper, um es heute zu schaffen, bedürfe es noch eines Wunders. Wir erreichten Braunschweig kurz vor halb sechs, damit konnten wir uns vom Miterleben des Anpfiffes verabschieden.

Braunschweig ist ein schönes Städtle, das wissen wir spätestens seit unserem Wolfsburg-Vorglüh-Programm vom Rückrundenauftakt der letzten Saison. Vorbei an den Schlossarkaden bahnte sich der Bus den Weg durch die Innenstadt, immer wieder aufgehalten von roten Ampeln. Natürlich, wenns mal blöd läuft, dann richtig. Wenige Minuten nach dem Anpfiff erreichten wir den Gästeparkplatz P4, schneller als bei jeder Alarmübung entleerte sich der Bus, wir rannten zum Eingang.

Schnelle Kontrolle, ein paar Treppenstufen hoch und schon nahm ich meine Position ein, natürlich bei Glücksbringer Sandro. Felix positionierte sich wie immer auf der anderen Seite des Gästeblocks, inklusive seiner neuen Kamera, die wir am Samstag Nachmittag noch gekauft hatten. Die fünfte Minute des Spiels lief bereits, zumindest haben wir noch kein Tor verpasst. Hätten wir beinahe, denn offenbar wäre es nach nur zwei Minuten um Haaresbreite für unsere Jungs gefallen \” wie sehr es mich ärgert hätte.

Viel Gefolge im hohen Norden

Etwa 2.100 Gästefans machten sich auf den Weg zur zeitlich ungünstig gelegenen Ansetzung des siebten Spieltags. Das letzte Duell im Braunschweiger Eintracht-Stadion gab es am 19. Spieltag der Saison 1984/1985 \” da war ich noch nicht einmal geboren. Damals unterlagen Karl Allgöwer, Hermann Ohlicher und die Förster-Brüder der Eintracht mit 3:1, die am Ende der Saison dennoch für fast 30 Jahre aus der 1. Bundesliga abgestiegen waren.

Nun waren sie wieder da, bisher wenig erfolgreich: erst ein Punkt aus der Partie gegen Nürnberg verbuchen sie auf ihrem Konto. Gerne bleibt es nach 90 Minuten bei einem Punkt. Noch immer nagte das Pokalspiel in Freiburg an mir, das Ausscheiden gepaart mit dem verschossenen Elfmeter gegen Frankfurt und ich sah die hoch gelobte Aufbruchsstimmung schon im Boden versickert, die ersten paar Minuten bekräftigten mich in dem Glauben, dass es heute kein Spaziergang werden würde.

Es brauchte Minuten, um mich zu akklimatisieren. Dieser Stress schon wieder bei der Anreise! Etwas beruhigend wirkte dabei die Anzeige der Mannschaftsaufstellung unserer Jungs, Thomas Schneider hat hoffentlich den Fehler zum ersten und letzten Mal in Freiburg gemacht, Timo Werner und Alexandru Maxim nicht von Beginn an zu bringen. Zu wichtig sind diese beiden Jungs. Die Devise war klar: sich nun voll und ganz auf die Bundesliga konzentrieren. Muss man ja auch, denn das ist der einzige Wettbewerb, der uns geblieben ist.

Kein schönes Spiel

Sie taten sich schwer gegen das Tabellenschlusslicht. Angefeuert von leidenschaftlichen Braunschweiger Fans spielten sie immer wieder frech nach vorne. Die erste Halbzeit wurde zur Geduldsprobe, in der das eine oder andere Mal Alarmstufe Rot im Strafraum herrschte. Ein kleiner Moment der Verunsicherung, wenn Braunschweig hier in Führung gegangen wäre, nicht auszudenken, wie die Partie am Ende verlaufen wäre.

So richtig wollte auch die Stimmung auch im gut gefüllten Gästeblock aufkommen, die dargebotene Leistung auf dem Feld entzückte nicht wirklich. Noch war genug Zeit, den Arsch hochzubekommen, dass man wenig begeistert war vom Spiel spürte man allerdings auch an der eher mauen Beteiligung am Support, zumindest in den Reihen ab der Mitte und oberhalb. Als dann Domi Kumbela in der 27. Minute beinahe das 1:0 für die Eintracht ins Netz köpfte, wurde es langsam unruhig.

Wir Glückskäfer waren ganz und gar nicht zufrieden. Torsten Kirschbaum, der auch in dieser Partie den verletzten Sven Ulreich vertreten musste, hätte kaum eine Chance gehabt. Das Bruddeln wurde lauter, viele Fehlpässe und nahezu sinnlose Schüsschen aus der zweiten Reihe war nicht unbedingt das, was man gegen die so schwach eingeschätzte Eintracht erwartet hatte. Wenige Minuten waren im ersten Durchgang noch zu spielen, es gab noch einmal einen Freistoß für den VfB.

Umstrittener Führungstreffer

Machs noch einmal, Alex! Seit knapp acht Monaten in Stuttgart, schon unser Experte für ruhende Bälle. Er stand bereit vor der Braunschweiger Fankurve, die leidenschaftlich ihr Team in den blau-gelben Trikots anfeuerte. Erneut perfekt hinein gebracht, besser kannst du ruhende Bälle eigentlich nicht hinein bringen, wir alle dürfen uns glücklich schätzen, einen Spieler wie Alexandru Maxim in unseren Reihen zu haben. “Pass auf Sandro, jetzt passierts gleich” waren meine Worte.

Und auf einmal waren beide da, wo sie hingehören: Vedad Ibisevic dorthin, wo der Ball hinkam, und der Ball dorthin, wo er hingehört, ins Netz! Es war mehr Erleichterung als die pure Begeisterung, als die Anzeigetafel auf 0:1 umgeschalten hatte. Streng genommen hätte dieser Treffer nicht zählen dürfen, den entscheidenden Meter Platz verschaffte sich unsere Nummer 9 kurzerhand mit einem Schubser gegen Ermin Bicakcic, der von 2009 bis 2011 selbst das Trikot mit dem Brustring trug.

Sei es drum, das Tor zählte und sorgte für ein wenig hellere Minen im Gästeblock. Viel passierte bis zum Pausenpfiff nicht mehr, mit dem 1:0 aus Stuttgarter Sicht ging es in die Kabinen. Zum ersten Mal seit dem Einstieg in den Bus vor zahlreichen Stunden konnte ich mich ein kleines bisschen entspannen und durchschnaufen. Keine Hektik, keine Panik, ich war im Stadion, der VfB führte, alles war soweit prima. Ob am Ende ein Auswärtssieg zu Buche steht, blieb abzuwarten.

Per Abpraller ins Glück

Langsam schaute ich mich nach bekannten Gesichtern um, die Zeit fehlte mir ja zu Beginn des Spiels. Viele übliche Verdächtige, darunter auch zahlreicher Besuch aus der Hauptstadt, 230 Kilometer brauchten die Jungs und Mädels von der Cannstatter Kurve Berlin. Für den schwachen Arthur Boka kam Konstantin Rausch, bei dem zumindest die defensive Arbeit nicht zu beanstanden ist, wenngleich auch nach vorne mehr gehen könnte. Voller Hoffnung ging es in Halbzeit Zwei.

Eines musste man unserer Mannschaft lassen: so lange sie in der ersten Hälfte gebraucht hatten, hier fackelten nicht lange. Nun spielten sie in unsere Richtung, und trotz des späten Erscheinens im Stadion war die Sicht bestens, dank Sandro, der mir den Platz freihielt direkt am Mundloch des Gästeblocks. Klick, klick, klick, die Kamera steht niemals still. Sicherlich auch nicht bei Felix, dessen Freude über die neue Kamera sehr groß gewesen war.

Ein schnell ausgeführter Freistoß kam zu Ibrahima Traoré, der beherzt aus der zweiten Reihe abzog und Keeper Marjan Petkovic zu einer Rettungstat zwang. Am kurzen Pfosten konnte er nur noch nach vorne abprallen, die Situation bereinigt, so schien es zumindest. Ich sah ihn heraneilen, für möglich gehalten hätte ich es jedoch nicht, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte: noch bevor der Braunschweiger Torwart endgültig klären konnte, war Alexandru Maxim schneller und vollendete aus spitzem Winkel zum 0:2.

Immer wieder Traoré

Für einen Moment waren sie still, die Eintracht-Fans. Wer will es ihnen auch verdenken? In den letzten 10 Minuten über die Halbzeitpause hinweg kassierten sie zwei Treffer, waren im ersten Durchgang selbst nah dran an der Führung. Zeit für Mitleid hatten wir nicht, mögen sie sich bitte die Punkte gegen andere Vereine holen. Mein Blick verfolgte den neuerlichen Torschützen, nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn er in Freiburg über die komplette Distanz auf dem Feld gestanden hätte, hätte man das Aus verhindern können?

Ständiger Dreh- und Angelpunkt im Spiel des VfB war unser Flügelflitzer Ibrahima Traoré, der sehr bemüht war und immer wieder für gefährliche Aktionen sorgte. Das erfreute uns zusehendst, wir sangen uns langsam ein. Wer hätte das gedacht, noch vor fünf Wochen standen wir auf dem Abstiegsplatz, verloren jedes Spiel und sahen uns konfrontiert mit einem neuerlichen Abstiegskampf, nachdem man doch gehofft hatte, alles würde besser werden und man habe aus den Fehlern der letzten Saison gelernt.

Ebenfalls bemüht war auch Youngster Timo Werner, den wir schnell in unsere Herzen geschlossen hatten und wir uns immer wieder freuen, wenn wir den 17-jährigen auf dem Feld sehen dürfen. Heute war nicht sein Tag, ihm gelang bei weitem nicht so viel wie noch in den Spielen zuvor. Der Junge braucht Zeit, und auch wenn dies nicht sein Spiel gewesen ist, so war sein Spiel gegen Hoffenheim herzerwärmend und der Treffer gegen Frankfurt verdammt wichtig. Er wird uns noch viel Freude machen.

Nie wieder der gute Samariter der Liga?

Timo Werner verließ nach 74 Minuten den Platz und durfte von der Bank aus mit ansehen, wie den Niedersachsen beinahe das 1:2 gelungen wäre, eine gute Flanke, zwei Braunschweiger standen bereit, Daniel Schwaab klärte gerade noch vor dem Tor von Torsten Kirschbaum. Unser Neuzugang im Tor vertrat Sven Ulreich bisher ganz gut, an beiden Gegentoren in Freiburg hatte er nichts machen können. Schnell leitete er nach der darauffolgenden ergebnislosen Ecke den nächsten Angriff ein.

Sie gaben sich nicht zufrieden mit dem 0:2, nein, immer wieder versuchten sie es. Aus einer frustrierenden Ausgangsposition heraus gelang es Thomas Schneider in nur fünf Wochen, die Mannschaft wieder zu dem zu bringen, was sie eigentlich auszeichnen sollte: dem Spaß am Fußball. Wie oft hatte man noch vor einigen Monaten und Jahren solche Spiele gegen schwache Gegner genutzt, um die andere Mannschaft wieder aufzubauen? Der gute Samariter der Liga, ich hoffe, das ist ein für alle Male Geschichte.

Die Stimmung war besser und besser geworden, man hüpfte und klatschte im Takt und schrie die Mannschaft nach vorne, jeder angekommene Pass, jede gelungene Flanke, wir hatten mindestens so viel Spaß daran wie die Jungs auf dem Feld. Eine Viertelstunde noch zu spielen, wenn nicht gleich der Anschlusstreffer fällt, dürften die drei Punkte uns gehören. Dann nichts wie hinein in den Bus und ab nach Hause. Doch noch war es nicht soweit, warum nicht also noch ein paar weitere VfB-Tore bejubeln? Ein bisschen Wiedergutmachung für Freiburg, sofern das überhaupt möglich ist.

Einer geht noch, einer geht noch rein…

Wieder war Ibrahima Traoré unterwegs, wer sonst, wollte man fast meinen. Gekesselt von vier Braunschweigern schien der Versuch, es alleine zu probieren, aussichtslos. Somit passte auf den mitgelaufenen Kapitän Christian Gentner, lief aber ungebremst weiter in Richtung Marjan Petkovic. Es ging beinahe schneller, als man schauen konnte: ein schneller Doppelpass mit Gente, rasch gespielt durch die Beine der Aufsteiger, der Guineer brauchte nur noch zum 0:3 zu vollenden. Hochverdient und nebenbei bemerkt wunderschön anzusehen.

Viel beeindruckender als der Jubel in unseren eigenen Reihen war jedoch die Tatsache, wie die krisengebeutelten Braunschweiger, die soeben den Nackenschlag bekommen hatten, reagierten. Sie standen auf, klatschten und sangen für ihre Mannschaft. Wirklich erstaunlich! Man stelle sich vor, man wäre in Stuttgart und der VfB liegt 0:3 hinten \” sofern überhaupt noch Zuschauer auf den Tribünen (Kurve ausgenommen) da sind, sie würden nur laut pfeifen und bruddeln. Und hier? Man ist dankbar für jedes Spiel, das man im Oberhaus absolvieren darf.

Nur ein paar wenige Zuschauer auf der Haupttribüne machten sich fünf Minuten vor Abpfiff des Spiels auf den Weg, die Allermeisten der 22.760 Zuschauer blieben bis zum, ja, zumindest für sie bitteren Ende. Nur noch ein paar wenige Minuten, dann hätten wir es geschafft, der nächste Sieg unter Thomas Schneider. Hier brennt garantiert nichts mehr an. Ich wandte mich an Sandro, dem die zweite Halbzeit ebenso viel Spaß gemacht hatte wie mir: “Jetzt könnten sie eigentlich durchaus noch eins schießen, oder?”

“You’ll never walk alone”

Gesagt, getan. Es wunderte einen nicht wirklich, dass wieder die bärenstarke Nummer 16 gehörigen Anteil daran hatte: eine scharfe Hereingabe in den Strafraum auf den für Timo Werner ins Spiel gekommenen Martin Harnik, Schlappen hingehalten, schon stand es 0:4. Das ging hier einfacher, als ich dachte. Nach den anfänglichen Anlaufschwierigkeiten in der ersten Halbzeit hätte ich nie gedacht, dass wir hier noch so hoch gewinnen würden. Dass wir das natürlich dankend annehmen, steht außer Frage.

Gute Laune, Leute! Ein Ausflug, der sich zumindest ergebnistechnisch überaus bezahlt gemacht hatte. Die letzten Minuten durfte dann auch Cacau aufs Feld, Alexandru Maxim bekam seinen verdienten Applaus. Die reguläre Spielzeit war fast abgelaufen, als man auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions sehen konnte, wie sie ihre blau-gelben Schals nach oben hielten, voller Stolz, voller Leidenschaft, als stünde es 4:0 und nicht 0:4. “You’ll never walk alone” – ganz, ganz großes Kino, Eintracht Braunschweig!

In Stuttgart würde es so etwas nicht geben, im Gegenteil. Wie oft sehnten wir uns nach einem heimischen Publikum, welches in guten und eben auch in schlechten Zeiten zur Mannschaft steht und seine Stimme erheben kann. Die verbitterte und zum Bruddeln geneigte Mentalität vieler Schwaben, sie zeigt sich allzu oft dann, wenn es mal nicht läuft, wie man es sich selber wünscht. Dann wird gepfiffen, gemotzt, gemault. Geht es darum, für die einzustehen, die das Trikot mit dem Brustring tragen, erheben sie sich noch nicht einmal von ihren Plätzen.

Danke Jungs, danke Thomas!

Den wohlwollenden Applaus gaben sie sich nicht nur gegenseitig für diesen Auftritt, es gab auch anerkennendes Klatschen aus unseren Reihen. Ich persönlich habe nur einmal “You’ll never walk alone” gesungen, der Anlass war einst in Glasgow vor fast vier Jahren nur wesentlich erfreulicher. Das Spiel war fast vorbei, die letzten Sekunden waren angelaufen, es gab noch einmal Ecke für den VfB, direkt vor unserem Block. Noch einmal schrien wir sie nach vorne, als konnten wir einfach nicht genug davon haben.

Ausgeführt wurde die letzte Szene des Spiels nicht mehr, noch an der Eckfahne drehten sich unsere Jungs zu uns um und klatschten uns zu. Der Abpfiff war beinahe im Lärm untergegangen. Eine anstrengende Anfahrt in den Norden, sie hatte sich gelohnt. Mit der Mannschaft feierte man noch ein paar Minuten, klatschte sich am Zaun vorne noch ab und feierte auch \” verdienterweise \” den im Poloshirt vorm Gästeblock stehenden Thomas Schneider.

Er hat die Leidenschaft zurück gebracht, nicht nur bei seinen Schützlingen, auch bei uns Fans. Möge seine Amtszeit lang und von Erfolg beschieden sein! Schnell leerte sich der Gästeblock wieder, von Sandro verabschiedete ich mich, schon bald sehen wir uns wieder, dann in Hamburg, wo vor gut einem Jahr unsere gemeinsame Glückssträhne begann und hoffentlich nicht beim Gastspiel am erneut taktisch unklugen Sonntag Nachmittag enden wird.

Pünktliche Abfahrt

Noch eine Bratwurst vorm Gästeblock, ein wohlschmeckendes Bier und der Blick in viele gut gelaunte Gesichter, so endete der siebte Spieltag. Der Blick auf die Tabelle macht nun auch wieder Spaß, vom sechsten Platz grüßt nun der Verein für Bewegungsspiele, durch die gute Tordifferenz zogen wir noch an den Gladbachern vorbei. Wenn wir am Ende der Saison immernoch dort stehen, mir soll es recht sein. Doch die Saison ist noch lang, es kann noch viel passieren. Die Zuversicht, dass uns eine gute Restsaison bevorsteht, sie ist auf jedem Fall da.

Pünktlich um 19:45 Uhr setzte sich der Tross in Bewegung, die zahlreichen Busse machten sich auf den Weg in Richtung Heimat. Ich freute mich auf mein Bett, am nächsten Morgen erwartete mich ein Termin zur Kernspintomographie meiner lädierten Achillessehne, bis es soweit war, müssten wir erstmal unbeschadet die 500 Kilometer überstehen, die uns schon auf dem Hinweg so viele Nerven gekostet hatten. Wir waren noch nicht einmal aus der Stadt heraus, schon eröffente ich mein Bus-Büro. Laptop an, Bilder rein, und schaffe, schaffe, schaffe.

Ein paar der Berkheimer hatten mich neugierig angesprochen, nicht wenige verfolgten von den hinteren Reihen meine Arbeit. Felix’ neue Kamera ließ ihn übermütig werden, 874 Fotos galt es zu sichten und zu bearbeiten. Nur mit dem Adrenalin im Blut konnte ich das überstehen, die Kraft reichte gerade noch so, um fertig zu werden. Internetstick hinein, Bilder hochladen, Laptop runterfahren, fertig.

Erneute Probleme

Bei der nächsten Rast tauschten Felix und ich wieder die Plätze. Saß ich zum Bearbeiten der Bilder noch auf dem Platz am Gang, weil dort der Vordersitz weiter vorne war und mir somit mehr Platz in den ohnehin schon verdammt engen Sitzreihen verschaffte, so überließ er mir danach bereitwillig den Fensterplatz. Innerhalb weniger Minuten muss ich offensichtlich weg gewesen sein, zugedeckt mit Felix’ Pullover war mir warm und kuschlig.

Durch eine Ansage per Mikrofon wurde ich wieder wach, ein technischer Halt, um den Bus nochmal durchzuchecken \” so ganz bekam ich es nicht mit, was der eigentliche Auslöser des Stops war. Eine kurze Pause war angekündigt, zehn Minuten später sollte es eigentlich weitergehen. Wir blieben gleich sitzen, ich wollte direkt weiterschlafen. Die Zeit verging, doch der Bus fuhr einfach nicht weiter. Stillstand? Ich wurde nun endgültig wieder wach, es war kalt durch die geöffneten Türen.

Minuten später dann die bittere Gewissheit: es geht nicht weiter. Eine Störung im Kühlwassersystem führte zum Stillstand, man bekam es auf die Schnelle nicht wieder hin. Im Bus zu warten mache kein Sinn, sagte man uns, und verwies uns auf das Nachbargebäude, das zum Rasthof gehörige Restaurant. Wo waren wir eigentlich? Es dauerte, bis ich mich orientieren konnte. Laut Ortung waren wir noch nicht weit gekommen, gerade einmal Kassel.

Gestrandet in Kassel

Es war schon Mitternacht, gut vier Stunden nach unserem Start vor dem Eintracht-Stadion waren wir gerade einmal knapp 160 Kilometer weit gekommen, 340 Kilometer lagen da noch vor uns. Geplante Ankunft war gegen zwei Uhr nachts. Nichts ging mehr, wir waren gestrandet. Im Restaurant stärkten sich einige, auch wir nahmen noch etwas Essbares zu uns, ein Mitternachtssnack, im wahrsten Sinne des Wortes. In Gruppen saßen wir beieinander, einige hockten sich in die Ecke und versuchten zu schlafen.

Ich meine, mich zu erinnern, dass wir anderthalb Stunden feststeckten. War es länger? War es kürzer? Ich weiß es nicht mehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der mein Blick immer wieder auf die Armbanduhr an meinem linken Handgelenk fiel, riefen uns die Reiseleiter Jojo und James, die einen guten Job gemacht haben, zur Weiterfahrt. “Endlich!” traf es noch am allerehesten. Hinein in den Bus, der offenbar repariert worden war, zurück auf den Platz und direkt mal weiter geschlafen.

Vier weitere Stunden später erreichten wir Ditzingen, wo wir jene Vier, die dort eingestiegen waren, wieder entlassen durften. Für große Verabschiedungszeremonien hatte man hier weder Zeit noch Kraft. Schließlich in Esslingen-Berkheim angekommen war ich erleichtert und froh. Felix hatte noch gemutmaßt, dass es sicherlich hell sein würde, bis wir daheim ankommen. Am Ende sollte er \” wie so oft \” Recht behalten. Wir setzten uns gleich ins Auto, gut 20 Minuten später und dem ersten Licht am Horizont erreichten wir unsere Cannstatter Wohnung.

Das Ende eines strapaziösen Abenteuers

Halbtot fiel ich ins Bett, ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob ich meine Klamotten überhaupt ausgezogen hatte, zumindest zum Brille absetzen schien es gerade noch gereicht zu haben. Es war schon fast sieben Uhr morgens. Wie auch die Nacht davor stellte sich mir die Frage, ob sich Schlafen überhaupt noch lohnt. Mir war es egal, ich kippte nahezu nach vorne um und war sofort weg. Mehr als anderthalb Stunden waren auch in dieser Nacht nicht drin, der Wecker klingelte, auf gehts zum MRT-Termin.

Berkheims Fanclub-Präsident Jojo resümierte noch auf der Rückfahrt, dass er so etwas in 35 Jahren Busfahren noch nie erlebt hat. Na das will was heißen. Auch Fotografen-Kollege Franky war eine derartige Tortour noch nicht untergekommen. Wir fassen zusammen: Hinfahrt über zehn Stunden, Rückfahrt fast zwölf Stunden. Das zehrte an den Nerven, keiner von uns will derartige Widrigkeiten noch einmal durchmachen müssen. Nicht wenige von denen, die mitgefahren sind, mussten direkt früh morgens wieder ins Geschäft.

In der Röhre eingeschlafen bin ich nicht, dafür schleppte ich mich danach gegen Mittag mit halb geschlossenen Augen ins Büro. Eine abenteuerliche Fahrt, das steht außer Frage. Wenigstens etwas, was man später erzählen kann, definitiv. Und gelohnt hatte es sich ja außerdem auch. Am Ende bin ich dem VfB so dankbar, dass er uns die drei Punkte beschert hatte, im Falle einer Niederlage wäre meine Laune für mindestens ein paar Monate im Allerwertesten gewesen.

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