So wirklich weiß wohl niemand etwas mit diesem Punkt anzufangen. Auf der einen Seite: zumindest nicht verloren! Auf der anderen? Es hätten drei Punkte sein müssen. Mal wieder. Weder so richtig glücklich noch so unglücklich wie in den letzten Wochen traten wir die Heimreise an. Und dennoch blieb der Hauch eines Lächelns auf unseren Lippen. Bevor wir den Gästeblock des Bremer Weserstadions verlassen hatten, riefen wir den Jungs zu: “Weitermachen!”. Und zwar genau so. Dann wirds auch bald mal was mit den so lang ersehnten drei Punkten.

Wieder war man knapp dran, das Spiel zu gewinnen, dass die Wende hätte einläuten können. Wieder scheiterte man an den Möglichkeiten, die man auf dem Silbertablett serviert bekommen hatte. Wieder kassierte man Gegentore durch Möglichkeiten des Gegners, die eigentlich gar keine waren. Für Werder war hier viel Glück dabei, den Ausgleich zu erzielen. Dass man es zuvor wieder versäumte, den Deckel drauf zu machen, lässt einen erneut ein \”Gschmäckle\” zurück.

Trotz allem war es eine tolle Auswärtsfahrt, die sich gelohnt hat, sei der Ertrag auch nicht besonders groß gewesen. Es sind stets die Fahrten nach Bremen, die viel Kraft kosten. Das vierte Auswärtsspiel im hohen Norden innerhalb von drei Jahren, mehr als einen Punkt habe ich hier noch nie mitnehmen können. Ob der eine Punkt am Ende wichtig ist, oder ob es die nunmehr elf unnötig hergeschenkten Punkte sind, die am Ende womöglich zum Klassenerhalt fehlen, wird man abwarten müssen.

Mit Nervosität und Unbehagen

Warum machen wir das eigentlich? Weil wir nicht anders können, weil es unsere Leidenschaft ist, die uns antreibt \” sei es in Form von brachialem Support, der Bereitwilligkeit zum finanziellen Ruin oder der Motivation, mitten in der Nacht zu einem Spiel in 630 Kilometern Entfernung aufzubrechen und gut neun Stunden in einem Bus zu sitzen, ohne zu wissen, was einem vor Ort erwarten würde. Die Angst war groß, wieder wichtige Zähler liegen zu lassen.

Mit zwei Punkten zu wenig endete das Spiel an der Weser, doch nahmen wir zumindest etwas mit, was wir auf der Reise der letzten Monate verloren hatten: unseren Optimismus. Es fällt schwer, zu erklären, wie man nach nunmehr neun nicht gewonnenen Spielen (und das ist sieben Niederlagen und zwei Remis denkbar höflich ausgedrückt) wieder optimistisch sein kann. Neu-Trainer Huub Stevens hat den Jungs offenbar in den Arsch getreten, es schien erste Früchte zu tragen.

Unendliche innere Unruhe. Besser kann ich mein Unbehagen vor dieser Auswärtsfahrt nicht ausdrücken. Frankfurt und Braunschweig waren ziemlich übel, Grund zum positiven Denken hat es aktuell nicht wirklich, wenn man sich den VfB anschaut \” nervös, verunsichert und mitunter völlig neben sich. In Bremen erneut zu verlieren würde uns Fans einen weiteren Schlag ins Gesicht verpassen und bei den Letzten die Hoffnung schwinden lassen, dass wir nächste Saison weiterhin erstklassig sind.

Durch die Nacht in Richtung Norden

Nach drei Stunden Schlaf (sofern man das so nennen kann) war die kurze \”Nacht\” schon wieder vorbei. Alles hatte ich bereits vorbereitet, die Kameras waren soweit vorbereitet, der Laptop geladen und verpackt, das Vesper war das einzige, was noch zu richten war. Am frühen Freitag Abend legte ich mich schlafen, um am späten Freitag Abend wieder aufzustehen. Elf Uhr, Zeit, die letzten Vorbereitungen zu treffen. In dem Moment kam Felix zur Haustüre hinein. Er war noch, wie viele andere VfB-Fans auch, noch beim Broilers-Konzert in Ludwigsburg.

Noch einmal unter die Dusche, Brötchen fertig gemacht und zwei Kissen in die Tasche gepackt. Am Treffpunkt angekommen sah man viele bekannte Gesichter, die Meisten von Ihnen hatten nicht geschlafen. Die Stimmung war gut, fast so, als würde man nicht gerade im Abstiegskampf stecken, der uns allen an die Substanz geht, manchen mehr und manchen weniger. Der große silberne Doppeldecker fuhr vor. Mit einigen Minuten Verspätung setzte sich der Konvoi in Bewegung.

Lange dauerte es nicht, bis es still wurde. Musik und Licht gingen aus, Ruhe kehrte ein. Ich bin mir nicht sicher, was im oberen Bereich des Doppeldeckers vor sich ging, doch der komplette untere Bereich war offenbar völlig weggetreten \” Felix und ich waren zwei davon. Viele taten es uns gleich und holten sich eine Mütze voll Schlaf. Nur eine Pause gegen vier Uhr morgens riss uns kurzzeitig aus dem Land der Träume.

Jede Menge freie Zeit

Die zweite Pause vier Stunden später nutzten wir für den ersten Kaffee des Tages. Wirklich wach machte er nicht, war die Nachtruhe im Bus doch nicht wirklich bequem und erholsam. Sei es drum, wir sind hier ja schließlich nicht auf einer Luxuskreuzfahrt. Gut zwei Stunden später erreichten wir dann schließlich die Hansestadt, unweit vom Stadion kullerten wir alle mehr oder weniger fit aus den vier Bussen, nicht gänzlich unbemerkt von den hiesigen Ordnungshütern.

Wir waren früh dran für ein Spiel, dass erst fünf einhalb Stunden später angepfiffen werden würde. Was tun wir denn alle mit der zur Verfügung stehenden Zeit? Während sich ein Großteil der mitgereisten Fans in einer naheliegenden Kneipe einkehrte, bzw. mangels ausreichendem Platz vielmehr davor stand, kapselten wir uns ab. Bereits Tage zuvor war die Entscheidung gefällt, bei einer frühen und problemlosen Anreise das Weincafé Engel aufzusuchen, wo wir bereits vor drei Jahren mit Freunden richtig gut frühstückten.

Damals steckte der der VfB tief im Abstiegskampf, spielte in Bremen 1:1 \” und stieg am Ende nicht ab. Ein Königreich für den Aberglauben! An der Straßenbahnhaltestelle versuchten wir uns auf dem Netzplan zurecht zu finden, was nicht so gut funktionierte. Unterstützung bekamen wir von einer älteren Dame, die uns beriet und uns sogar günstiger mitfahren ließ. Mit nahm sie auf ihre Karte kostenlos mit, Felix zahlte einen vergünstigten Preis für eine Kurzstreckenkarte. Zu guter letzt drückte sie uns die Daumen. Ja gibts denn sowas?

Leckeres Frühstück an alter Futterstelle

Von weitem sah ich es sofort, das Café, wo ich bisher nur einmal gewesen war, was dennoch bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Man kann von Bremen halten, was man will \” wirklich hässlich sind einige Teile der Stadt wirklich nicht. Viel verändert hatte sich hier nichts. Auch die Frühstückskarte schien die gleiche zu sein wie vor drei Jahren. Der Tisch war voll gestellt mit Rührei, Brötchen, Aufschnitt, Marmelade, Orangensaft und Kaffee.

Gemundet hats, frisch gestärkt liefen weiter in Richtung Altstadt und flanierten durch die Böttcherstraße, bis uns der Blick auf die Uhr mahnte, nun langsam in Richtung Weserstadion aufzubrechen. Vorbei an jenen, mit denen wir hergefahren sind, liefen wir weiter, um Kumpel Sandro zu treffen, der selbst mit Freunden mit dem Zug angereist war. Schnell noch ein Radler, dann ging es los. Die Aufregung wuchs immer weiter.

Zwischen vielen Werder-Fans hindurch erreichten wir schon bald den Gästeblock. Schnell noch etwas gegessen und hinein, die Treppenstufen hoch. Drinnen zog es wieder gewaltig, die kalte Luft weht einem in den oberen Reihen stets um die Ohren. Kurz gesagt: \”Es zerrt wie Hechtsuppe\”. Wieder trennten sich die Wege von Felix und mir, der Fotos wegen. Mit einer neu gekauften kleinen Kompaktkamera zog er los, die wir nach meinem Telefonat mit der Bremer Geschäftsstelle Anfang der Woche noch kurzfristig organisieren mussten.

Ein dunkler Schatten über dem Schwabenländle

Da stand ich nun und blickte um mich. Die Lichtverhältnisse hier würden es mir ein weiteres Mal sehr schwer machen, brauchbare Fotos zu machen. Direkt unter dem Stadiondach, eingepfercht, dicke Betonbalken direkt im Sichtfeld. Einen schlechteren Platz kann es für Gästefans nicht geben, wer sich eine Sitzplatzkarte für horrende 38 Euro im Gästeblock gekauft hatte, dem wurde die Sicht komplett durch einen Zaun versperrt.

Mit lautem Applaus wurde die Mannschaft begrüßt, als hätte man ihnen all die Nachlässigkeiten der letzten Wochen und Monate bereits vergessen. Während Huub Stevens dem Aufwärmen von der Seitenlinie zugesehen hatte und sämtliche Kameras auf ihn gerichtet waren, sahen wir den Jungs zu und hofften das Beste. Schließlich kamen sie sogar zu uns, klatschten uns zu, etwas, was sie schon ewig nicht mehr gemacht haben. \”Danke, dass ihr gekommen seid!\” – beweist uns, dass es sich lohnen kann!

Nun konnte es losgehen, der 25. Spieltag, die nächste Chance für unsere Brustringträger, zu beweisen, dass sie erstklassig sind und ins Oberhaus gehören. Wo noch vor einem halben Jahr stets die Zuversicht unser Begleiter war, hat sich die Angst wie ein dunkler Schatten über das Schwabenländle gelegt. Die Sorge, am Ende abzusteigen, ist wahnsinnig groß, bei jedem von uns. Das Ruder endlich herumzureißen, das wünschen wir uns seit Wochen, sind aber stets enttäuscht zurück geblieben.

Mit der Kamera im Anschlag

Neben der Bremer Ostkurve betraten sie das Feld, Thorsten Kinhöfer lief vorne weg, als sie quer über den Rasen liefen. Ein weiß-rotes Fahnenmeer begrüßte die Jungs, mit denen wir nur allzu gerne nach 90 (plus!) Minuten gemeinsam gefeiert hätten, seien wir im Oberrang auch recht weit entfernt. Die Stimmung war gut, die Euphorie groß, heute endlich den verdammten Bock umstoßen. Wenn es doch nur so einfach wäre!

Voller Anspannung stand ich nun da, die Handschlaufe meiner kleinen Stadionkamera hatte ich mir ums rechte Handgelenk gewickelt und schoss die ersten Bilder, die bestenfalls schon wenige Stunden später im Netz sein sollten. In den schwarzen Auswärts- bzw. Dritttrikots waren sie aufgelaufen und ließen uns trotz vieler ausbleibender Ergebnisse noch nicht gänzlich die Hoffnung verlieren, dass es am Ende zum Klassenerhalt reichen würde.

Die ersten Minuten auf dem Spielfeld waren bereits absolviert, der Gästeblock hatte sich schon längst eingesungen. Woche für Woche ist es stets interessant mitzuerleben, welch starkes Stimmungsgefälle es doch gibt, betrachtet man alle 34 Spiele auf einmal. Bekommt man manchmal daheim den Mund nicht so recht auf, vermag es die Stuttgarter Fanszene doch immer wieder, auswärts lautstark auf sich aufmerksam zu machen.

Gefälliger Beginn im ersten Durchgang

1.800 Stuttgarter, hoffnungsvoll und stimmgewaltig, sahen eine durchaus gefällige Partie. Von der Verunsicherung der letzten Wochen war kaum etwas zu spüren, Huub Stevens hatte den Jungs ganz offenbar Beine gemacht. Das war immerhin Sinn der Sache, es brauchte einen Schu(u)b, um müde Geister wieder zu wecken und den Saisonendspurt für einen letzten Kraftakt zu nutzen. Wir haben genug Leid und Kummer erlebt in dieser Spielzeit, die doch eigentlich eine erfolgreiche und eine amüsante sein sollte.

Schadlos überstanden sie die ersten 20 Minuten, doch mussten wir tatenlos dabei zusehen, wie die grün-weißen Gastgeber immer stärker wurden. Nicht gut! Doch unsere Jungs kämpften und waren gewillt, dem Schicksal nicht ein weiteres Mal zu erliegen. Dass es heute wohl aber ein wenig mehr als bloß den Willen erfordern würde, sickerte mich jeder Minute mehr und mehr durch. Kämpfen Jungs, gebt heute alles, wir brauchen so dringend Punkte! An uns Fans sollte es auch heute nicht liegen, erhört haben sie uns mit Sicherheit.

Viel konnten sie sich noch nicht wirklich vorwerfen \” außer, dass die ersten Chancen, die man hatte, nicht drin waren, sei es nach Ecken oder Freistößen. Ulle war hellwach, was sich als immer wichtiger herausstellen sollte. Ein abgefälschter Schuss eines Bremers wäre um ein Haar im Netz gelandet. Das war ziemlich knapp, dessen waren wir uns bewusst. Kurz schaute ich mich um, Backen wurden aufgepustet, ein paar wenige schüttelten ganz langsam den Kopf. Trotz allem war die Stimmung richtig gut, das Dach über unseren Köpfen verstärkte den akustischen Effekt zusätzlich.

Panik am Punkt

Schon bald würde der Unparteiische zur Pause pfeifen, viele Bremer Zuschauer hatten sich bereits auf den Weg zu den Imbissständen und sanitären Anlagen begeben. Sie alle bekamen nicht mehr mit, wie Thorsten Kinhöfer zur Überraschung aller, die noch nicht ihren Platz verlassen hatten, auf den Punkt zeigte. Elfmeter für den VfB, man konnte es ja kaum glauben. Lukimya war der Schuss von Gotoku Sakai an die Hand gegangen, folglich: Strafstoß. Kann man geben, muss man aber nicht. Er gab ihn \” zu unserem Glück.

Doch, da war doch kürzlich was mit einem Elfmeter? Christian Gentner vergab eine Woche zuvor gegen die Braunschweiger das möglicherweise siegbringende 3:1. Die Freude war groß im Gästeblock, während ich nur apathisch auf die andere Seite des Stadions starrte. So richtig optimistisch war ich nicht, zu viele Elfmeter hatte der VfB bereits verschossen. Wenn es klappt, umso besser. Martin Harnik war der auserwählte Schütze.

Weit aufgerissene Augen zu meiner Linken, betend gefaltete Hände zu meiner Rechten. Wenn er das Ding macht, kann er das Spiel in die richtige Bahn lenken. So sehr würde ich es ihm gönnen, dass er zur alten Stärke zurück findet. Und dennoch war meine Sorge berechtigt. Mit Vollspann zog er ab. An den Außenpfosten. Werder jubelte. Und ich ahnte Böses. Wer solche Geschenke nicht annimmt, braucht sich nach dem Spiel nicht zu wundern, wenn man wertvolle Punkte liegen gelassen hat.

Inhalte fürs Trainingsprogramm der nächsten Woche

Huub Stevens setzte sich auf die Trainerbank, zückte Stift und Notizzettel. Es durfte gemutmaßt werden, was er sich aufgeschrieben hatte: \”Elfmeter üben\”. Eine bessere Gelegenheit, ein Tor zu erzielen, kannst du nicht bekommen. Na wenn sich das am Ende mal nicht rächt. Kurze Zeit später war dann erst einmal Pause, welch tolle Gelegenheit es gewesen wäre, hier noch vor dem Seitenwechsel das 0:1 zu erzielen.

Wir konnten es nicht fassen. Mal wieder. Ein verschossener Elfmeter. Mal wieder. Die Angst, dass sich das nicht besonders positiv auf die Nerven der Mannschaft auswirken wird. Mal wieder. Warum nur endet dieser fortwährende Albtraum nicht endlich einmal? VfB-Fans an Fußballgott: Wir haben genug! Wenn du dich jetzt bitte mal um die anderen kümmern würdest, das wäre zu freundlich…?!

Fassungslos standen wir zwischen den Metallstangen, als sich auch im Gästeblock zahlreiche Fans aufmachten, die Pause außerhalb des Blocks zu nutzen. Ob uns das Glück im zweiten Durchgang endlich hold ist und es am Ende des Tages etwas gibt, was wir zurecht feiern können \” wer weiß das schon genau? Recht kann es uns nur sein, wir wollen da unten endlich raus. Mit drei Punkten wieder nach Hause fahren \” es gäbe nichts schöneres an diesem kühlen Samstag im März.

Die Macht der Fans

Beide Mannschaften kamen frisch wieder aus der Kabine. Auch der mitgereiste Anhang war wieder voll da und schrie die Mannschaft nach vorne. Laut meinem guten Freund Nico, der jederzeit stolz die weiß-rote Flagge in Sachsen hochhebt, hörte es sich auch im Fernsehen so an wie live vor Ort: ziemlich laut. So soll es sein und nicht anders. Gerade jetzt in diesen schicksalhaften letzten Spielen der Saison braucht uns die Mannschaft. Sie sollen wissen, dass wir immer da sind und hinter ihnen stehen, ganz nah dran in der Cannstatter Kurve oder weit oben unter dem Dach eingepfercht.

Es waren spannende Minuten zu Beginn der zweiten Halbzeit, es lag etwas in der Luft. Dass das nicht zwangsläufig gut für den VfB sein muss, wissen wir alle vermutlich mittlerweile zur Genüge. Sven Ulreich war zur Stelle, wenn es etwas zu halten gab und wirkte sehr souverän. Umso wichtiger, denn nur ein Torwart, der Ruhe ausstrahlt, kann positiven Einfluss auf seine Vorderleute haben. Sie haben es bitter nötig.

Ein jedes Mal, wenn sie sich dem Tor näherten, wurde es noch lauter, als es ohnehin schon war. Herzrasen. Laute Schreie. Die positive Energie, die sich innerhalb Sekundenbruchteilen auf die Spieler übertragen soll. Eine Art magische Kraft, die ihnen den letzten Schub geben soll, den Ball ins Tor zu befördern. Ich schrie, dass meine Atemwege noch von einer Erkältung der vergangenen Woche noch nicht ganz wieder genesen sind, ging mir völlig am Allerwertesten dabei.

Mit brachialer Gewalt

Da stand ich, schreiend und heiser, hoffend und betend, hoffnungsvoll wie eh und je. Martin Harnik rannte auf Werders Torhüter Raphael Wolf zu, doch Lukimya beförderte den Ball gerade noch so über die Latte. Es gab Eckball für den VfB. \”Was für eck Kack Eckball soll denn das sein?\” rief jemand einige Meter neben mir, als besagter Standard per Kopf von einem Fischkopp geklärt wurde. Sie standen aber gut, und so brachte Konstantin Rausch das Leder wieder rein.

Der fast schon verloren geglaubte Ball war wieder heiß und ließ jene VfBler, die nicht ohnehin schon standen, gleich wieder aufstehen. Direkt auf den Lockenkopf von Georg Niedermeier. Vor der Partie hatte ich noch daran zurück gedacht, was für wichtige Tore er schon erzielt hatte, immer dann, wenn alles Schönspielen nichts mehr brachte und es nur noch mit brachialer Gewalt ging. Knallhart, ohne B-Note. Das ist unser Schorsch.

Der Torwart der Gastgeber konnte nur lasch nach vorne abklatschen. Da war der Schlappen des Innenverteidigers da. Da drosch der das Ding unter die Latte, so heftig, dass er das Netz hätte durchschlagen können. Der aufgestaute Frust von unzähligen Wochen, er entlud sich in einer völligen Eskalation des Jubels. Er rannte zu uns, gemeinsam mit seinen Kollegen. Und wenn ich am Montag keine Stimme mehr habe, ist ja jetzt auch egal… \”JAAAAAAAAAAA!\”.

Im Jubel untergegangen

Ich verlor den Halt, wankte hin und her, herzte alle, die mir gewollt oder ungewollt entgegen gekommen sind. Als wäre es das Siegtor in letzter Minute gewesen, so unheimlich wichtig, so unheimlich geil, so unheimlich befreiend. Für einen Moment waren wir glücklich und vergaßen die Tatsache, dass jedes Spiel ein Ende hat, und folglich: auch die letzten zehn Minuten beinhaltet. Das alles war für einen Moment vergessen.

Nur langsam beruhigte es sich wieder ein wenig im Gästeblock. Die Heimkurve der Werder-Fans war verstummt. Ungläubig schaute ich auf die Anzeigetafel. Da stand tatsächlich ein großes 0:1 in weißer Schrift auf grünem Grund. Es wird am Ende nicht reichen, das wusste ich sofort. Zu oft ist es passiert, dass uns in der Schlussphase die Punkte aus der Hand gerissen wurden und man am Ende ohne jeglichen Zähler dastand.

Sie müssen unbedingt nachlegen, sonst rächt sich vermutlich auf kurz oder lang Martin Harniks verschossener Elfmeter. Das wollten sie auch, es war ihnen anzumerken. Ein deutlicher Schub ging durch das Team, unter Neu-Trainer Huub Stevens konnte man bereits Fortschritte erkennen. Ob das alleine am Ende zum Sieg reicht, blieb abzuwarten. Und jenes Warten wird so unerträglich, besonders, wenn du weißt, was für gewöhnlich passiert.

Die Krux mit dem vermaledeiten zweiten Tor

Ibrahima Traoré, dessen Weg beim VfB nach dieser Saison aller Voraussicht nach beendet ist und den es wohl nach Gladbach ziehen wird, verfehlte das zweite Tor nur knapp. Wenige Minuten später tauchten unsere Jungs schon wieder vor dem Tor auf, was uns nur recht sein konnte. Wieder diese angespannte Nervosität, dieses Kribbeln, dieser Nervenkitzel, als könntest du in einer Sekunde die Gedanken von 1.800 Stuttgartern hören: \”Schieeeeß!\”

Wie er den nicht machen konnte, wird sein Geheimnis bleiben. Ausgerechnet er, der die Tore eigentlich verhindern sollte und ihm dies zuletzt weitaus seltener geglückt ist als zu seiner Anfangszeit mit dem Brustring auf dem Trikot. Gotoku Sakai erkämpfte den Ball, durchschlug die Bremer Abwehr und stand auf einmal alleine vor Raphael Wolf da. Junge, schieß doch. Oh nein. Ein Gomez. Zehn Meter vor dem Tor schoss er zehn Meter darüber.

Ob man ihm da wirklich einen Vorwurf machen kann? Er ist kein Stürmer. Aber er hätte ihn machen müssen. Wieder haderten wir mit dem zweiten Tor, was einfach nicht fallen wollte. Es wollte in Frankfurt nicht fallen, und es wollte hier nicht fallen. Beide Male hatte man es auf dem Fuß, beide Mal vergab man aus bester Distanz eine Hundert- nein, Tausendprozentige. Mir schwant Böses.

Durch ein Loch in der Mauer flutschte der Sieg

Werder wackelte. Der VfB drückte. Der VfB kämpfte. Der VfB rannte. Aber wie es nunmal immer so ist, wenn du ein Tor am nötigsten hast: dann fällt es nämlich nicht und das Tor ist wie vernagelt. Da kannst du machen was du willst. Und als Fan? Dann kannst du schimpfen und bruddeln und hoffen und bangen und dich im Kreise drehen und im Viereck hüpfen \” es bringt alles nichts. Nur schreien kannst du, und sie unterstützen bis zum Ende, bis dich alle Kräfte verlassen und du hoffentlich mit Punkten die Heimreise antrittst.

Je länger sie anrannten, desto unruhiger wurden wir. Wurde ich. Mein Blick ging immer wieder zur Anzeigetafel. Der Angstschweiß rannte mir den Rücken hinunter. Oh Shit, oh Shit, oh Shit. Die 80. Minute war schon fast da. Jene ominöse 80. Minute, die uns so viele Punkte gekostet hat, in denen die Nerven brach liegen. Ein weiteres Mal trauerte ich den vergebenen Möglichkeiten hinter her, dem Elfmeter oder der Chance durch unseren Japaner.

Es gab einen Freistoß für die Bremer, Sven Ulreich stellte die Mauer auf, so, wie er es ein jedes Mal tut. Dazwischen stellten sich ein paar Bremer, soweit eigentlich nichts Beunruhigendes. Das Ding irgendwie wegschlagen, an der Mauer abprallen lassen, auf die Tribüne bolzen oder irgendwas. Alles, nur das nicht, was folgte. Lukimya riss ein Loch in die Mauer und die Jungs sprangen nicht hoch genug, als Kapitän Aaron Hunt den Freistoß schoss. Durch dieses Loch entglitt uns der Sieg, denn auch Sven Ulreich konnte nichts mehr machen.

Die große Angst vor dem drohenden Schicksal

Der Ausgleich, kurz vor der furchteinflößenden 80. Minute. Ich hoffte so sehr, das Schiffshupen nicht hören zu müssen, das nun durch die Lautsprecher des Weserstadions dröhnte, was mit 41.500 ausverkauft gewesen war. Sachen gibts, die gibts eigentlich gar nicht. Ein weiteres Mal brachte sich der VfB um den wirklich so verdienten Lohn. Das Schema ist seit Monaten das gleiche. Ob man in Führung geht oder selbst einen Rückstand ausgleicht, woran es fehlt ist definitiv: das Nachlegen.

Aus besten Möglichkeiten macht man nichts und wundert sich dann, wo denn nur die Punkte abgeblieben sind. Ungläubig schüttelten wir unsere Köpfe. Jetzt waren wir diejenigen, die verstummten. Ist das bitter, so unheimlich bitter. Für die Jungs, aber auch für uns Fans, denen der Verein ziemlich wahrscheinlich um einiges mehr bedeutet als den Spielern auf dem Rasen.

Es ist noch nicht zu spät, pflegt man in so einer Situation zu sagen. Doch die Grenze zur 80. Minute war bereits überquert. Und die Panik war zurück gekehrt. Gibts jetzt etwa noch das 2:1 für Werder? Hilfe, Paaaanik! Ich kann da nicht hingucken! Ich kann da nicht weggucken! Am Rande des Nervenzusammenbruchs. Bitte lass es nicht wieder genau so laufen wie die letzten Wochen. Bitte nicht. Die Minuten krochen dahin, langsam wie eine Schnecke.

Am Ende doch nur ein einziger Punkt

Sie bemühten sich noch einmal nach vorne. Das wäre ja tatsächlich mal etwas erfreulich Neues, wenn dem VfB statt der späten Niederlage auch mal ein später Sieg in den letzten zehn Minuten gelingen würde? Das wussten wir auch und gaben noch einmal alles. Doch die Angriffe, zu uninspiriert, nicht zu Ende gedacht, nicht gescheit ausgeführt. Die Uhr tickte gnadenlos. Völlig egal, wer den Ball über die Linie drückt, von mir aus machts Ulle selbst in der zweiminütigen Nachspielzeit.

Am Ende nützte alles Schreien nichts. Um etwa 17:22 Uhr pfiff Thorsten Kinhöfer die Partie des 25. Spieltags ab. Fotografen-Kollege Soke nannte es später \”Weder Fleisch noch Fisch \” oder doch mehr Fisch?\”. So wirklich half es keinem, doch tendenziell den Bremern mehr als uns. Denn brauchten dringend einen Sieg, in erster Linie, um die Köpfe wieder frei zu bekommen und die Geister wieder zu wecken, auf dass die Mannschaft das lang ersehnte Erfolgserlebnis hat, diesen \”Aha-Effekt\”, dass sie es doch noch können.

Wenigstens nicht verloren. Das dachten sich wahrscheinlich die Meisten. Ich war alles andere als am Boden zerstört. Wirklich glücklich wäre ich aber auch nur dann gewesen, hätte der VfB ein Tor mehr erzielt als die norddeutschen Gastgeber von der Weser. Die Blockfahnen wurden eingesammelt, es wurde sich verabschiedet und der Block leerte sich langsam. Zeit, die Heimreise anzutreten.

Der perfekte Arbeitsplatz

Felix und ich liefen schon vor, wollten wir doch in erster Linie potenziellem Ärger entgehen, wenn der angereiste Gästeanhang mitten hindurch laufen muss durch zahlreiche Werder-Fans, jedes Jahr Schauplatz für diverse Auseinandersetzungen. Die Busse standen bereit, von den Busfahrern war jedoch noch keine Spur. Gut eine Stunde dauerte es, bis sich der Tross in Bewegung setzen durfte. Es war ein angespanntes Warten, beobachtet von zahlreichen Ordnungshütern, deren Ausrüstung auch für einen Krieg ausreichen würde. Es gibt ein Wort dafür: Provokation.

Kaum eingestiegen, schon konnte mit der Arbeit begonnen werden. An einem der Tische machte ich es mir bequem, ein seltener Luxus, den ich hier in dem silbernen Doppeldecker erfahren durfte. Bin ich doch für gewöhnlich zwischen den Sitzreihen eingequetscht und muss auf engstem Raum den Laptop bedienen, hatte ich hier jede Menge Platz. Gut 400 Fotos galt es zu sichten und zu bearbeiten.

Schnell scharrte ich eine Gruppe von interessierten Schaulustigen um mich herum, die sich die Fotos anschauten und mir zahlreiche Fragen zur Bearbeitung und zur Onlinestellung des Materials stellten, welches \” wenn es gut läuft \” noch von unterwegs aus via Surfstick veröffentlicht werden sollte. Der Plan ging auf, in der ersten Pause der Rückfahrt luden die letzten Fotos auf den Server hoch und meine Arbeit an diesem Tag war getan.

‘Sch hab Rücken!

Den Rest der Fahrt ließ ich es gemächlicher angehen. Nette Gespräche, Erinnerungen an vergangene Spiele und natürlich Mutmaßungen über den Wert, den dieser Punkt für den VfB haben würde. Wieder wurde es langsam still um mich, auch ich gehörte bald zu jenen, die die Rückfahrt zum Schlafen genutzt hatten, während im Obergeschoss des Doppeldeckers die Party weiterging. Immer wieder wachte ich auf, drehte den Kopf und spürte die wachsenden Verspannungen in meinem Rücken.

Wirklich bequem war die Rückfahrt nicht. Sei es drum. Solange der VfB nicht verliert, ist mir fast alles recht. Das Opfer nehme ich auf mich, bin ich doch recht froh, dass wir nicht wieder dabei zusehen mussten, wie der VfB zuerst alles hat und dann innerhalb von Minuten alles wieder verliert. Gegen vier Uhr nachts erreichten wir die Landeshauptstadt. Wie sehr ich mein kuschliges gemütliches Bettchen doch vermisst hatte.

Wie blöd ich im Bus geschlafen haben muss, ließ mich mein sonst doch recht entspannter und unproblematischer Rücken am nächsten Morgen, oder vielmehr Mittag erfahren. Oh, diese Schmerzen. Egal. Die Arbeit ruft. Die ersten Zeilen dieses Spielberichts waren schnell geschrieben, mit einem dezenten Lächeln auf den Lippen. Die Hoffnung war wieder zurück. Und doch beschäftigte mich ein Gedanke, der das fleißige Tippen schließlich zum Erliegen brachte.

Die Konkurrenz schläft nicht

Es war mittlerweile 15:30 Uhr am Sonntag. Die direkten Konkurrenten spielten, Hamburg gegen Nürnberg sowie Frankfurt gegen Freiburg. Wunschdenken? Ein Remis beim ersten Sonntagsspiel, ein Frankfurter Sieg würde das Wochenende abrunden. Am Ende kam alles anders. Die Hanseaten machten es so spannend, dass ich nicht vom Live-Ticker lassen konnte. Hoffen und Bange bis zum Ende, am Ende doch der Sieg für die Hamburger. Der VfB stand auf dem Relegationsplatz.

Man durfte zumindest auf die Frankfurter hoffen, welche bestenfalls die Freiburger hinter uns lassen. Seit einigen Wochen hatten wir unverschämt großes Glück, nicht schon früher unter den Strich zu rutschen, es war nur eine Frage der Zeit, bis wir zum ersten Mal in dieser unsäglichen Saison auf einem der Abstiegsplätze landen würden. Die Partie begann vielversprechend mit zahlreichen Chancen der Eintracht. Ein paar Zeilen schrieb ich weiter an meinem Spielbericht, bis ich vollständig abbrechen musste.

Plötzlich führte Freiburg. Aus dem Nichts. Durch den ehemaligen Stuttgarter Julian Schuster. Es folgte das zweite Tor, das dritte und das vierte. Dann war es vorbei. Das Worst-Case-Szenario, was so keiner für möglich gehalten hatte, war nun eingetreten. Nachdem sich die Hamburger an uns vorbei auf einen Nichtabstiegsplatz gedrückt haben, pressten sich nun auch noch mit aller Gewalt die ungeliebten Badenser. Der VfB war nun vorletzter.

Einen Punkt gewonnen, aber zwei Plätze verloren

Wer jetzt noch keine Panik hatte, bekam sie spätestens jetzt. Ich war wirklich geneigt, mich mit dem 1:1 des VfB abzufinden, mich darüber verhalten zu freuen und es als das wahrzunehmen, was es war: endlich mal keine Niederlage gegen eine Mannschaft, die zuletzt durchaus erfolgreich war. Das Lächeln verschwand und machte Platz für tiefe Sorgenfalten, die auch heute noch nicht verschwunden sind. Nun steckten wir drin im Schlamassel.

Was macht nun also Hoffnung? Dass das Spiel weitaus weniger inakzeptabel war, im Vergleich zu den letzten Darbietungen, das tröstet nur wenig. Der Blick aufs Restprogramm und vor allem jener banger Blick auf die Tabelle. In diesem Moment sind bei vielen die letzten Hoffnungen verpufft. \”Das wars\”, ich bin mir sicher, dass es Viele da draußen gibt, die den VfB nun abgeschrieben haben. Erinnere ich mich zurück ans Heimspiel gegen die Hertha, hatte auch ich eigentlich schon abgeschlossen.

Doch wie schwer es ist, sich mit einem durchaus möglichen Abstieg zu arrangieren, dann aber dennoch weiterhin ins Stadion zu gehen und die Stimme für den Verein zu erheben, dem man seit Jahren voller Liebe und Hingabe erlegen ist…? Solange es rechnerisch nicht mehr möglich ist, solange sollten wir uns die Hoffnung bewahren. Sie ist kleiner geworden, aber sie ist immernoch da.

Das Restprogramm hats in sich

Mittlerweile haben wir Dienstag Nacht. Ursprünglich wollte ich noch am Sonntag Abend fertig werden, war der Punkt doch ursprünglich Grund zur Freude. So lange hat es schon keinen Spaß mehr gemacht, über meine Erlebnisse rund um den Brustring zur schreiben. Die Spiele der Konkurrenz durchkreuzten meine Pläne und ließen mich ein weiteres Mal frustriert zurück. Was wird passieren in den nächsten Wochen?

Keiner von uns ist Hellseher. Vermutlich tun wir gut daran, uns zumindest schon einmal gedanklich darauf vorzubereiten, was passieren wird, wenn es dem VfB am nächsten Wochenende nicht gelingen sollte, die Hamburger zu besiegen. Wir brauchen einen Sieg, um weiter hoffen zu können. Gelingt es der Mannschaft nicht… Tja, ich denke, wir wissen alle, was dann passiert. Dann erlischt in vielen der letzte Funken Hoffnung und alles weitere als den Relegationsplatz durch ein großes Wunder zu erreichen, rückt in weite Ferne.

Mit großer Sorge blicke ich auf das Restprogramm. Hamburger daheim, Nürnberg auswärts, Dortmund daheim, Freiburg daheim, Gladbach auswärts, Schalke daheim, Hannover auswärts, Wolfsburg daheim und schließlich zum Abschluss die Bayern auswärts. Neun Spiele, von denen nur acht wirklich zu zählen sind. Als Atheist sage ich: Gnade uns Gott, wenn wir bis zum 33. Spieltag noch nicht durch sein sollten. Die Frage, ob die Hoffnung noch lebt, beantworte ich jetzt nicht. Fragt mich nach dem Spiel gegen Hamburg nochmal.

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