Die letzten Sekunden waren angebrochen, nur noch ein kurzer Augenblick. Es ist still geworden im Stadion, die Ruhe vor dem Sturm, so dachte ich. Tick. Tack. Tick. Tack. Pfeif schon ab, dann hat all das Elend und aller Schmerz, der uns diese Saison so schwer gebeutelt hatte, endlich ein Ende. Tick. Tack. Tick. Tack. Ein schriller Pfiff ertönte. Damit war der VfB gerettet und die Saison am vorletzten Spieltag schon gelaufen. Trotz allem blieb es still. Die Enttäuschung überwog, denn aus eigener Kraft haben wir es nicht geschafft.

Es ist endlich überstanden. Noch heute, am Tag darauf, kann ich es kaum glauben. Eine Rückrunde, wie sie kein Horrorfilm hätte erschreckender gestalten können. Ein halbes Jahr des verbitterten Kummers und der grenzenlosen Verzweiflung. All die Wochen, die uns die letzte Kraft und den letzten Nerv geraubt haben. Die vielen Male, als man mit den Blick auf die verstörende Tabelle richtete und es mit jedem Spiel zunehmend schwerer wurde, die Fassung zu wahren und vor allem: nicht die Hoffnung aufzugeben.

Wir wussten schon lang, dass es vermutlich bis zum Ende spannend wird, die Meisten von uns hätten darauf nur allzu gern verzichtet. Es gab nur noch Eines, was am Ende wichtig wäre: der VfB muss nach dem Spiel gegen Wolfsburg auf alle Fälle durch sein, die Alptraumvorstellung, am allerletzten Spieltag in München bei deren Übergabe der Meisterschale noch punkten oder auf die Patzer der Konkurrenz hoffen zu müssen, ließ mir seit Wochen das Blut in den Adern gefrieren.

Die Lehren aus 2011

Das Desaster hat man nun abgewendet. Für einen Abend durfte man sich durchaus freuen, ich teile die Meinung mancher Leute nicht, sich jegliches Freuen zu sparen. Am Ende war es knapp genug, ich weiß durchaus noch, wie die Tabelle vor ein oder zwei Monaten aussah, als nichts darauf hindeutete, dass der VfB über dem Strich landen würde, teilweise sogar mit blanker Furcht, sogar hinter Braunschweig noch als Tabellenletzter abzusteigen. Dass es soweit nicht kommen musste, sorgt für Erleichterung.

Trotz allem muss man sich natürlich nun fragen, warum man aus dem Abstiegskampf 2011 nicht das Geringste gelernt hat und die selben Fehler immer wieder begangen wurde. Der ewige Sparkurs des Vereins und der fehlende Wille, eine gute Mannschaft zusammenzustellen, die in der Lage ist, um die internationalen Plätze mitzuspielen, ist das selbst geschaufelte Grab unseres Vereins. Wir hatten gehofft, dass die richtigen Schlüsse gezogen werden würden, doch das blieb aus. Wie wird man in diesem Jahr damit umgehen?

Es gab Zeiten in dieser Saison, da schöpfte ich ungeahnte Hoffnung. Erst in der Hinrunde gewann der VfB mit 0:4 in Braunschweig und war plötzlich auf dem sechsten Tabellenplatz. Nachdem man sich gegen Rijeka blamiert hatte und nach einem verlorenen Hinspiel im Rückspiel in der vierten Minute der Nachspielzeit das Aus kassierte, war der Frust groß, ebenso die Sehnsucht, zumindest im folgenden Jahr einen neuen Anlauf zu wagen. Recht schnell war es wieder vorbei mit der Herrlichkeit und schon im Januar ging unser Blick eher nach unten. Der Beginn einer wahren Höllenrückrunde.

\”Was wäre, wenn…\” und andere Alptraumszenarien

Die ganze Woche lang ging es mir gut. Das Unentschieden in Hannover hatte ich verkraftet und durch die erneuten Patzer der Konkurrenz erneute Hoffnung geschöpft. Ein Punkt gegen Wolfsburg reicht, um aus einer Kraft durch zu sein, unabhängig von den Ergebnissen der Anderen. Noch drohte der Relegationsplatz, doch dazu müsste Hamburg erst einmal gegen die Bayern gewinnen, kein allzu leichtes Unterfangen für die angeknacksten Norddeutschen. Ein Sieg oder ein Remis, um eine völlig missratene Spielzeit ohne ein Desaster abzuschließen. Packen wirs an!

Trotzdem war ich nervös, als der Spieltag endlich gekommen war. Aus den vielen positiven Gedanken, die ich in meiner Urlaubswoche fassen konnte, wurde Stunden vor dem Spiel erneut die blanke Panik. Felix verglich mich mit einem wilden Tiger, der unruhig in seinem Käfig hin und her läuft. Ohne es zu wollen, dachte ich immer wieder an das Worst-Case-Szenario, das dann doch erst am letzten Spieltag die Entscheidung gebracht hätte. Wer glaubte, der VfB wäre durch, war schlichtweg naiv. Dazu haben wir in dieser Saison schon zu viel erlebt.

Ein hoffentlich allerletztes Mal ins Neckarstadion in dieser wahrhaft unsäglichen Saison. Keine Lust auf Relegation, was nur die Gefahr birgt, sich wie oft ein weiteres Mal zu blamieren. Statt warmen Sonnenstrahlen schickte uns Petrus kaltes und ungemütliches Wetter, in den Morgenstunden hatte es noch geregnet, mehr als zehn Grad würden es wohl auch kaum werden. Also doch noch einmal dick einpacken, und das Anfang Mai. Strumpfhose, Stiefel und mehrere Lagen von Shirts sollten mich vorm Frieren bewahren, es würde vermutlich ein langer Tag werden.

Zwischen Hoffnung und Anspannung

Die Stimmung war hoffnungsvoll und angespannt zugleich, als wir das Neckarstadion erreichten. Eine Mischung aus \”Wird schon gut gehen\” und \”Vorsicht, noch sind wir nicht durch\” waren die Antworten auf meine Frage, wie sich unsere Freunde und Bekannten denn fühlten. In einem waren wir uns seit Wochen und Monaten einig: Wir sind erleichtert, wenn es überstanden ist, je früher, desto besser. Dass sich der VfB die (Vor-)Entscheidung bis fast zum Schluss aufheben musste, war nicht gerade angenehm, aber leider zu erwarten.

Kalter Wind wehte mir um die Nase, bis zu welcher ich mich in meinem roten Halstuch vergraben hatte. Da stand ich nun, am oberen Ende der großen Treppe vor der Cannstatter Kurve, schaute wortlos in die Gesichter der Fans, die in Scharen an mir vorbei strömten, in jedem einzelnen konnte ich das Ebenbild der letzten Monate sehen, tiefe Sorgenfalten und das eine oder andere graue Haar sind das optische Ergebnis, was wir an Emotionen durchmachen mussten, wissen wir am heutigen Tage nur allzu gut.

Schließlich nahm ich meinen Platz ein, wenn alles nach Plan verläuft, zum letzten Mal bis August. Noch war reichlich Zeit bis zum Anpfiff, die Gedanken ließ ich schweifen und dachte zurück an die nun schon fast überstandene Spielzeit. Viele Höhepunkte gab es nicht, dafür gab es umso mehr Tiefpunkte. Wann immer du dachtest, es könnte nicht schlimmer kommen. Wieviele Gegentore in den letzten Minuten uns das Genick gebrochen haben, ist mit Hinblick auf zahlreiche vergebene Großchancen kaum zu ertragen.

Solange wir in der Kurve steh’n…

Ein Fluch begleitete uns über Monate hinweg und zerstörte unzählige Male unsere Hoffnungen. Welche Ironie, dass es auch gegen Wolfsburg nicht anders sein würde. Auf der anderen Seite des Stadions hat man davon Gebrauch gemacht, den Gästeblock zu verkleinern, da nicht genug Zuschauer aus Niedersachsen angereist waren. Ein paar grün gekleidete Menschen konnte man sichten, viele waren es jedoch nicht, wie in jedem Spiel. Dabei geht es für Wolfsburg noch um etwas, sie wollen in die Champions League. Eine traurige Sache, denn vor der Saison dachten wir, es wäre genau anders herum.

Einen Überraschungsgast gab es auch, Thomas Hitzlsperger war zu Besuch und wurde laut gefeiert, nicht nur von der Cannstatter Kurve. Es gab Zeiten, da war das anders, da gab es Pfiffe und Beschimpfungen, er verlor die Kapitänsbinde und flüchtete schließlich aus Stuttgart. Nun hatte er seine Karriere beendet, sein Coming-Out gegeben und stand nun an der Seite von Holger Laser vor der Eckfahne zwischen Kurve und Haupttribüne. Die meisten Fans werden ihm ewig dankbar sein für sein für sein Tor gegen Cottbus, das den Weg zur Meisterschaft 2007 ebnete.

Nur noch wenige Minuten bis zum Anpfiff. Ein letztes Mal sollte die Kurve hell erstrahlen in weiß und rot, zahlreiche Fahnen wurden verteilt, alles Material wurde aus dem Fahnenraum in die Kurve hinein getragen: Fahnen, große Schwenker, Doppelhalter und dazu unzählige Schals bildeten den Rahmen für ein weiteres tolles Intro. Vor der Kurve wurde noch ein langes rotes Transparent entrollt: \”Solange wir in der Kurve steh’n, wird auch deine Fahne weiter weh’n!\”, treffender könnte man es nicht beschreiben.

…wird auch deine Fahne weiter weh’n!

Verdeckt von dem roten Transparent konnte ich nicht mit eigenen Augen sehen, wie die Mannschaften einliefen, doch konnte ich es auf dem Bildschirm über der Untertürkheimer Kurve verfolgen und einen Blick erhaschen auf das prächtige Fahnenintro, was die Cannstatter Kurve hier geboten hatte. Seit Jahren präsentieren sich die Fans auf Champions League Niveau, nicht allzu oft bekam man es von der Mannschaft zurück gezahlt.

Man war zusammen gerückt in den letzten Wochen, das tat nicht nur uns gut, sondern dem ganzen Verein, sei der Anlass auch weit weniger erfreulich. Sie legte gut los, die Kurve, die mir trotz der letzten harten Monate in der Sommerpause durchaus fehlen wird. Das eigene Spiel gewinnen oder zumindest einen Punkt holen, man wäre von allen anderen unabhängig. Wie schwer das werden würde, machte sich dann aber doch recht schnell bemerkbar.

Welch großer sportlicher Unterschied derzeit zwischen den Roten und den Grünen besteht, sah man bereits nach kurzer Zeit, der VfL machte das durchaus geschickt und klärte alles, was sich Diego Benaglio näherte. Abwarten, niemand weiß, was passieren wird. Gegen Schalke rechnete schließlich auch keiner mit einem Sieg, aller wenigsten der VfB selber, abgezeichnet hatte es sich zumindest nicht wirklich.

Mit einem Auge nach Hamburg geschielt

Keine Viertelstunde war erst gespielt, da wurde es zunehmend stiller und die Aufregung wuchs. Wie stehts in Hamburg? Verdammt. Nach dem ersten Eckball der Partie traf Kevin de Bruyne zum 0:1 für die Gäste. Laute und lang anhaltende Pfiffe von der Tribüne, weil der Treffer nicht wegen eines Doppelfouls abgepfiffen wurde. Da mussten wir plötzlich dann doch ganz stark sein. In Hamburg stand es zu diesem Zeitpunkt noch 0:0.

Ich selber wusste den Zwischenstand aus Hamburg nicht, da das Netz im Stadion für den Internetzugriff schlichtweg ungeeignet ist und man weder Zugriff auf Facebook oder die Kicker-App hatte. Ich wurde immer nervöser. Würde der VfB es auf der Anzeigetafel verlauten lassen, wenn der HSV gegen die Bayern zurück liegt? Wir konnten nichts als warten und hoffen. Schlagartig ging die Stimmungskurve nach unten, es war zu erwarten, wenn die Partie nicht den gewünschten Verlauf nehmen würde.

Sich mit einem Sieg im Neckarstadion verabschieden, nicht zu viel verlangt nach nur lediglich sechs Heimsiegen in den zurückliegenden 16 Heimspielen. Auf der anderen Seite stehen sieben Niederlagen und vier Remis, von denen sich aber jedes einzelne wie eine weitere Niederlage angefühlt hatte. Die lange und vergebliche Suche nach Konstanz, all die Fragen, die unbeantwortet geblieben sind. Hier standen wir nun und mussten zittern \” obwohl es noch im letzten Sommer ganz anders geplant war.

Kein Stich gegen solide Wolfsburger

Man sah nicht vieles, was einen hoffen lassen konnte, dass der VfB hier noch zu siegbringenden Toren kommen würde. Eine solide Leistung der Wolfsburger Abwehr, da konnten sich unsere Jungs abmühen wie sie nur wollten, es brachte alles nichts. Schön war das Spiel nicht anzusehen, doch das war es vor zwei Jahren zunächst auch nicht, als wir an selber Stelle 0:2 zurücklagen und noch innerhalb von sechs Minuten mit 3:2 gewannen. Am 5. Mai 2012 tanzten wir freudig durch den Regen und feierten, dass die Stuttgarter an Stelle der Wolfsburger in den Europapokal einzogen.

Ich erinnere mich gerne daran, es war eine legendäre Rückrunde, die viel Freude bereitet hatte. Sieben Minuten später hätten wir es beinahe feiern dürfen, das Ausgleichstor, was uns somit aus eigener Kraft aus der Misere geholfen hätte. Der Fuß von Diego Benaglio war noch dazwischen, es sollte eine der wenigen Chancen gewesen sein, die sich den Gastgebern in der gesamten Partie überhaupt geboten hatten.

Da fehlte nicht viel für Cacau, der heute sein letztes Heimspiel für den VfB bestreiten würde. Für viele unverständlich, dass man dieses Urgestein nicht halten möchte. \”Kämpfen, Stuttgart, Kämpfen!\” – anders funktioniert es nicht. Welchen Knick das Gegentor hinterlassen hat, war spürbar. Erst als nach über einer halben Stunde langsam die Runde machte, dass die Bayern in Hamburg in Führung gegangen sind, wurde die Stimmung ein kleines bisschen besser. Doch was bringt da die Freude, wenn es der VfB nicht aus eigener Kraft schafft?

Die Sehnsucht nach dem Sieg

Es wäre für uns Fans unheimlich wichtig gewesen, sich daheim mit einem Punktgewinn zu verabschieden und ein wenig von dem zurück zu geben, was wir seit Wochen, Monaten und Jahren tagtäglich investieren, sowohl finanziell, zeitlich und auch nervlich. Sie wurden zwar etwas besser auf dem Feld, doch die Abwehr der Gäste zeigte sich kaum beeindruckt und ließ wenig Raum für jegliche Siegesträume.

Mit etwas Argwohn beobachtete ich nebenher, was Christian Träsch auf dem Spielfeld so trieb. Die großen Pfiffe blieben aus, doch dürfte den Meisten sauer aufgestoßen sein, dass er einst \”wegen der sportlichen Perspektive\” in die Autostadt wechselte. Für ihn wird es eine Bestätigung gewesen sein, dass er dann doch irgendwo etwas richtig gemacht hat. Und ja, es ist traurig, das zugeben zu müssen.

Allmählich wachte die Kurve wieder auf, die Vorschreier gaben den Zwischenstand aus Norddeutschland weiter und weckten damit frische Geister. Trotzdem muss eine Niederlage zum Abschluss nicht sein. Der Zuspruch der Zuschauer war in den letzten Wochen weiter angewachsen, was eine vollere Kurve und damit eine schlechtere Sicht für zu kurz geratene Fotografen zur Folge hatte. Da hat es Felix dann meist doch besser, der für gewöhnlich ohnehin alle anderen locker überragt.

Wie konnte es soweit kommen?

Eine schwache erste Halbzeit neigte sich dem Ende, in der lediglich der Nebenkriegsschauplatz in Hamburg für Hoffnung und so etwas ähnliches wie Freude sorgte. Entsprechend angespannt waren auch die Gesichter um mich herum, als ich ein weiteres Mal meine Capri Sonne trank. Egal wie, aber heute muss es unbedingt vorbei sein. Noch eine weitere Woche zu warten ertragen unsere geschundenen Nerven nicht. Eine leidenschaftliche Ansprache von Huub Stevens, garniert mit dem sympathischen niederländischen Ausruf \”Pas op!\”

Das Beste hoffen, und trotz allem das Schlimmste erwarten, das ist das, was uns diese Katastrophensaison voller Niederlagen und Enttäuschungen gelehrt hat. Der Ball rollte wieder, die Kurve hüpfte und die Hoffnung lebte, dem Abstieg gerade noch so von der Schippe zu springen. Natürlich werden viele Fragen gestellt werden, alles gehört auf den Prüfstand.

Was ist nur schief gegangen in dieser Saison, die so verheißungsvoll mit einer emotionalen Mitgliederversammlung voller Aufbruchsstimmung begonnen hatte? Es wurden Ansprüche gestellt, international zu spielen, der Kader wurde für drei Wettbewerbe aufgebläht, aus denen man früh wieder ausschied, dazu zwei Trainerwechsel in einer Saison. Nicht gerade das, was wir uns erhofft hatten.

Hamburger Nebenkriegsschauplätze

Auch im zweiten Durchgang änderte sich nicht viel am gewohnten Bild auf dem Spielfeld: Wolfsburg stand defensiv so gut, dass für den VfB kaum ein Durchkommen war. Und wenn sie doch mal durch waren, tja, das selbe Dilemma wie immer: dann machen sie nichts aus den Chancen. Wie immer wieder Saison, so viele Punkte schenkte man am Ende her, die durch zuvor nicht genutzte Chancen umso schwerer wogen.

Das zweite Tor der Bayern machte die Runde, noch immer schwieg die Anzeigetafel und zeigte uns lediglich die Ergebnisse in Hannover, Dortmund und Gladbach. Ein taktischer Schachzug des Vereins, den Zwischenstand in Hamburg nur dann anzuzeigen, wenn der VfB auf ein Remis oder auf Sieg spielt. Im Zeitalter von Handys und MP3-Playern mit Radioempfang kein leichtes Unterfangen, das Ergebnis vor den Zuschauern zu verbergen.

Immer weiter hellte sich die Stimmung auf, abgesehen vom eigenen Spiel wär man in jedem Fall gerettet. Stolz darauf sein muss und darf man natürlich nicht, man kann nur von Glück sprechen, dass es mit Hamburg, Nürnberg und Braunschweig gleich drei Mannschaften gibt, die den Abstieg offenbar alleine unter sich klären wollten.

Der eine rettende Punkt

Allmählich lief die Zeit davon. Eine Stunde war bereits gespielt, und immernoch im Rückstand. Würde es in Hamburg bei einer Niederlage der Hausherren bleiben, hat auch unser Spiel keinen Einfluss mehr auf den Relegationsplatz, trotz allem wollten wir mit einem positiven Erlebnis die Heimspielsaison beenden. Alexandru Maxim war gerade für Daniel Didavi gekommen, ein wenig frischer Wind kann der zähen Partie sicherlich nicht schaden.

Mit einem Einwurf von Daniel Schwaab begann der nächste Angriff, da ging es plötzlich ganz schnell, Wolfsburg zu langsam für den Kapitän Christian Gentner, trocken abgezogen, wunderbar zum womöglichen Klassenerhalt. Da war er, der eine Punkt, der uns aus eigener Kraft zur Rettung gereicht hätte. Jetzt bloß nicht nachlassen, konzentriert bleiben, weiter machen, nachlegen! So und nicht anders! Darauf ausruhen? Bloß nicht!

Kurz darauf erhöhten parallel die Bayern auf 0:3, die Wahrscheinlichkeit, der HSV würde das noch umbiegen können, entschwand ins Niemandsland. All der Frust fiel von uns ab, die Minen erhellten sich und es wurde wieder langsam lauter in der Cannstatter Kurve, auch die Pfiffe auf der Haupttribüne, die stets jeden Rückpass und jeden Ballverlust begleitet hatten, verstummten. Nach allem, was wir erleben mussten, wäre es doch ein zumindest versöhnliches Ende.

\”Cacauuuu, ohooooo\”

Kommt schon Jungs, schenkt uns den Sieg, ein allerletztes Mal, das seid ihr uns schuldig! Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen, als Ibrahima Traoré, der im Sommer ablösefrei nach Gladbach wechseln wird, nur das Lattenkreuz traf. Wie schon beim Spiel in Gladbach wäre dies womöglich der Sieg gewesen. Was für ein wunderschönes Tor das doch gewesen wäre. Wie so oft fehlte es am Ende auch ein wenig am Glück.

Eine Viertelstunde vor Schluss erhob sich das Publikum schließlich vollends von ihren Plätzen: der vierte Offizielle zeigte den zweiten Wechsel der Partie an. Für Cacau war seine Zeit im Neckarstadion nun vorbei, sein letztes Heimspiel im Dienste des Brustrings. Seien Mitspieler herzten ihn, viel Applaus von allen Seiten.

Emotionale Szenen, als er den Platz verließ und den Weg frei machte für die Zukunft. Für ihn kam Timo Werner, der hoffentlich ebenso erfolgreich sein wird in hoffentlich ebenso langer Tradition. Minutenlang hallte es \”Cacauuuu, ohooooo\” durchs Stadion. Er wird niemals vergessen werden im Ländle und wird nach Ende seiner aktiven Karriere mit offenen Armen im Kreise des VfB empfangen. Danke für alles, Helmut!

Konstruktive Kurven-Kritik

Den sportlichen und wirtschaftlichen Totalschaden abgewendet, trotzdem ist der Frust und die Enttäuschung über die Saison groß. Das zeigte man mit mehreren Spruchbändern, unter anderem mit \”Von CL geträumt, die Realität versäumt\” sowie \”Danke Fredi & Bernd für die geile Saison!\”. Wollen wir hoffen, dass es Gehör findet und vor allem Bernd Wahler die richtigen Schlüsse daraus ziehen wird. Er hat uns allen sicherlich aber auch keinen Gefallen damit getan, im Zuge des zweiten Trainerwechsels bereits von der Champions League zu sprechen.

Noch lief das Spiel, man konnte sich bereits jetzt festlegen, dass man es geschafft hat. Zehn Minuten noch, dann wäre das auch abgehakt. Daniel Schwaab konnte nicht mehr weitermachen, er verletzte sich bei einem geglückten Rettungsversuch. Somit durfte sich auch Arthur Boka verabschieden, auch sein Vertrag wird nicht verlängert, er geht nach der Saison nach Malaga und lässt dort vermutlich seine Karriere ausklingen, die im Alter von 31 Jahren schon auf ihr Ende zugeht.

Auf dem Oberrang versuchte man mehrmals verzweifelt, eine Laola-Welle zu starten. Ich kann nachvollziehen, weshalb das bei manchen auf Ablehnung stieß, doch wage ich zu sagen: es ist eine Erleichterung, es überstanden zu haben, darauf darf zumindest am heutigen Abend auch mal anstoßen. Es dauerte eine Weile, bis die Welle weiterschwappte und schließlich nach zwei Runden wieder versank.

Der Fluch der Schlussphase

Die Nachspielzeit wurde angezeigt, vier Minuten Nachschlag. Uns bleibt offenbar nichts erspart, bis wir es endlich überstanden haben. Kaum hatte ich es gesagt und mich lächelnd mit dem 1:1 arrangiert, da schlug Arthur Boka zur Verabschiedung noch ein Luftloch, Ivica Olic war da und schob zum 1:2 ein, nach 91 Minuten. Ein Spiegelbild der gesamten Saison, wirklich wundern durfte es einen nicht, gehört es doch zum Standard-Repertoire des VfB Stuttgart.

Unnötig, einfach nur unnötig. Zwar hat in dieser Partie jeder letztendlich das erreicht, was man wollte \” der VfB den Klassenerhalt, der VfL die Hoffnung auf die Champions League \” doch musste es wirklich nicht noch einmal sein. Pfiffe hallten durch die Ränge, die Kurve konterte mit leisem, aber stetem Gesang. Meine Kamera richtete ich auf die Kurve, alles Stand, alles schaute, alles hoffte und sehnte sich nach dem erlösenden Abpfiff.

Wirklich viel konnte man von Freude über den Klassenerhalt nicht spüren, sehen oder hören. Eine wirklich seltsame Stimmung, die sich hier breit machte. Es war der Frust, wieder einmal so kurz vor Schluss noch Punkte gelassen zu haben, ob sie am Ende nun wichtig waren oder nicht. Sie waren es nicht, denn der HSV unterlag mit 1:4 und egalisierte damit unsere eigene Niederlage. Doch wer möchte sich schon gerne auf die Fahnen schreiben, er sei erstklassig geblieben, ohne es aus eigener Kraft zu schaffen?

Danke fürs Zusammenhalten!

Lange blieben sie nahe am Mittelkreis stehen. Viele verließen das Stadion gleich, um schnell zur Bahn oder zum Parkplatz zu kommen, die meisten jedoch warteten auf das, was noch folgen würde. An der Seitenlinie streiften sie sich schließlich noch weiße \”Zusammenhalten\”-Shirts über mit dem Slogan der Kampagne, die der VfB in den letzten Monaten ausgerollt hatte. Langsam liefen sie in Richtung Kurve, erneut riefen wir \”Cacauuuu, ohooooo\”, in einer emotionalen Rede verabschiedete er sich schließlich von den VfB-Fans.

Auch Arthur Boka und Ibrahima Traoré sagten noch ein paar abschließende Worte, bevor sie sich aufmachten zu einer langen und ausgedehnten Ehrenrunde. Ich habe schon längst aufgegeben, mich bei einer Ehrenrunde nach unten zu stellen, meine Arme sind zu kurz zum Abklatschen. Entspannt beobachtete ich alles von einigen Metern Entfernung und spürte nichts als Erleichterung, dass es endlich überstanden war.

Wie so oft bedurfte es den Rausschmeißtrupp des Ordnungsdienstes, uns zum Gehen zu bewegen. Immer wieder die gleichen Kandidaten, alle zwei Wochen das gleiche Spiel. Was zu Beginn noch sehr nervtötend war, mittlerweile begegnen wir der fast schon lieb gewonnenen Tradition mit einem Lächeln und verstehen uns gut mit den Ordnern, die gerne frühstmöglich Feierabend machen möchten.

Gemütlicher Abschluss einer katastrophalen Spielzeit

Vor dem Stadion wurden bereits die Bierbänke aufgebaut und die Grills angeworfen, Brötchen wurden geteilt, Servietten ausgelegt und Bierkisten gestapelt. Es war angerichtet zum entspannten Saisonabschluss vor den Toren des Stadions. Eine gemütliche Atmosphäre im Kreise von Freunden und Bekannten, mit gutem Essen und endlich Felix’ lang ersehntem Klassenerhalts-Bier. Er verzichtete auf Bier, solange, bis der VfB sicher durch wäre \” das sagte er im Januar.

Dem erleichterten \”Aaaaaah!\” entnehme ich, dass ihm das erste Bier seit vier Monaten ganz gut geschmeckt hat. Viel zu tun gab es für die Herrschaften an den Grill- und Bierstationen, viele Rote, zahlreiche Steaks und noch viel mehr Bier ging über den Tisch. Man saß gemütlich beisammen und stieß lediglich darauf an, dass man das Minimalziel, es vor dem Spiel in München schon hinter sich zu haben, gerade noch so erreicht hatte, wenn auch mit Schützenhilfe.

Vor zwei Jahren Europapokal, heute der Klassenerhalt. Was aus unserem stolzen Traditionsverein geworden ist, und welche Schlüsse es zu ziehen gilt, wird man in den kommenden Wochen und Monaten spüren. Zumindest darf man das hoffen. Sehr viel später als sonst stellte ich noch die Bilder ins Netz und fiel hundemüde ins Bett, zum ersten Mal seit Monaten ohne die immer wiederkehrenden Alpträume vom Abstieg. Es ist übstanden. Zumindest fürs erste. Ob und welche Lehren daraus gezogen werden, wird sich zeigen.

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