Ist es nicht traurig, womit man heutzutage schon zufrieden sein muss? Einen Punkt hatten wir aus Mainz wieder mit nach Hause gebracht. Zwei weniger, als benötigt – einer mehr, als erwartet. Schlechter kann es in der Tabelle kaum werden, man sollte umso dankbarer sein für jeden einzelnen Punkt, den man in diesen unruhigen Zeiten ergattert. Und dennoch vermag man nicht so recht zu wissen, was man davon nun eigentlich halten sollte.

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Ein Punkt sei immer noch besser als keiner, hatte ich gestern Abend noch gesagt. Dabei wissen wir doch alle, wie schlecht es um den VfB steht und dass es wesentlich mehr bedarf als ein Pünktchen gegen angeschlagene Mainzer, die seit sechs Spielen hintereinander sieglos gewesen waren. Der Gedanke an das, was noch vor uns steht, jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Wer hätte gedacht, dass man vor chaotischen Hamburgern und vermeintlich harmlosen Aufsteigern aus Paderborn Angst haben müsste.

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Schon vor dem ersten Spieltag prophezeite ich voller Frust, dass der VfB als Tabellenletzter absteigen wird. Was ich im Moment der größten Enttäuschung sagte, nach dem Pokal-Aus in Bochum, hat sich in fast allen Punkten bestätigt. Armin Veh hatte keine Mittel gefunden, den VfB nach einem weiteren Beinahe-Abstieg wieder in die Spur zu bekommen, den Abstieg als Tabellenletzter hatte ich schon früh mit tiefschwarzer Farbe an die Wand gemalt.

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Immer mehr Gleichgültigkeit

Nur in Sachen Punkteausbeute sollte ich mich irren: nicht mehr als fünf Punkte bis zur Winterpause würden drin sein, zwölf Punkte sind es bisher. Nur die Hälfte von denen, die man gerne kurz vor Weihnachten beim Blick auf die Tabelle gesehen hätte. Wieviele Zähler noch dazu kommen, weiß ich nicht, genauso wenig wie der VfB selbst. Viele wollten in dem Sieg im Breisgau mehr sehen, als es eigentlich war – nicht mehr als ein Strohfeuer. Auch ich gehöre dazu, ich hatte neue Hoffnung geschöpft. Lange hatte sie nicht gehalten.

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Das Heimspiel gegen Schalke hatte Spuren hinterlassen. Was vor einigen Wochen noch lauter Frust gewesen war, wurde dieser Tage fast schon zur Gleichgültigkeit. „Dann steigen wir eben ab, wir können es eh nicht ändern“ – ein oft gehörtes Zitat aus dem Mund der treuesten Anhänger. Ohne Furcht und ohne Sorgen gingen wir noch vor einigen Jahren mit Optimismus in jede einzelne Partie, wie fern der Gedanke, es würde höchstwahrscheinlich nicht reichen. Aus und vorbei, bis auf unbestimmte Zeit.

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Der dritte Advent stand vor der Tür, der Einzelhandel rechnete mit dem erwartungsgemäß umsatzstärksten Wochenende vor Weihnachten, Millionen Menschen tummelten sich auf Deutschlands Weihnachtsmärkten, die allermeisten wollten dieses Wochenende wohl allenfalls für Weihnachtseinkäufe und/oder ein gemütliches Entspannen im trauten Heim verbringen. Und was machen wir? Wir fahren nach Mainz, wo es aus statistischer und sportlicher Sicht nichts zu holen gab.

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Warum tun wir uns das eigentlich an?

Warum eigentlich? Es ist eine Art „Verpflichtung“, die wir freiwillig eingegangen sind. Ich spreche von jenen, die Woche für Woche ihre Eintrittskarte für das nächste Auswärtsspiel in Händen halten. Jene, die einen jedes Wochenende begleiten und man stets in das eine oder andere bekannte Gesicht blickt. Jene, für die der VfB mehr als nur ein belangloses Hobby ist, das man hin und wieder für einen Tag genießt und sich sonst aber nicht weiter damit befasst. Jene, die die aktuelle Situation am schwersten trifft – denn wir sind jene, die am wenigsten etwas dagegen tun können.

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Man geht halt einfach immer hin. Wir wissen, dass uns das unsere Urlaubstage, unsere Zeit, unser Geld und wohl am allermeisten unsere Nerven kostet. Die Sehnsucht nach diesem Gefühl, das wir in den Reihen unseres Vereins und deren treuer Anhänger erleben dürfen, und das sich in den Momenten des größten Glücks Bahn bricht. Die Sehnsucht ist größer als die Angst, das einem die Sorge um den geliebten Verein von innen heraus auffrisst. Und so stehen wir jede Woche hier. Um uns erneut enttäuschen zu lassen.

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Auch vor dieser Partie konnte ich nichts anderem ausgehen. Auf die Frage nach meinem Tipp antwortete ich „Okazaki wird treffen!“, bis auf einen meiner geschätzten Twitter-Kollegen wollte keiner etwas anderes behaupten. Auf diese Wette mit ihm ließ ich mich ein – nun schulde ich ihm beim letzten Heimspiel gegen Paderborn einen Glühwein. Ich sollte öfter solche Wetten machen, wenn es mir lieber ist, im Nachgang Unrecht gehabt zu haben. Hat ja schon einmal ganz gut geklappt.

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Glühwein, Dom und Currywurst

Ein entspannter Tag auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt, es war das einzige, auf das ich mich wirklich ohne Bedenken freuen konnte. In den Morgenstunden richtete ich die letzten Sachen und bereitete alles vor. Die Routine ist dabei stets die selbe, am Abend zuvor werden Batterien und Laptop-Akku geladen, morgens vor dem Spiel folgt schließlich das Vorbereiten der Bauchtäschle und das Richten des Vespers. Selbstverständlich gehört dazu, mindestens fünf Mal nachzuschauen, ob man auch ja die Eintrittskarten dabei hat, und sich nicht weniger häufig zu fragen, warum man sich das überhaupt antut.

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Auch an diesem Samstag Vormittag sollte die Tour in Weinstadt-Beutelsbach beginnen. Gerd und Ingrid saßen noch am Frühstückstisch, als wir an der Türe klingelten und für ein paar Minuten Platz nahmen. Das Ziel des heutigen touristischen Programms war bereits mit Erscheinen des Spielplans klar – der Mainzer Weihnachtsmarkt drängte sich geradezu auf. Es würde viele Tassen Glühwein brauchen, um sich das, was beim Abendspiel auf uns zukommen würde, schön zu trinken.

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Die einzigen mit dem Ausflugsziel waren wir nicht. Zwischen all den gewöhnlichen Weihnachtsmarkttouristen und den heimischen Mainzern konnte man den einen oder anderen VfBler erkennen, manche still und friedlich durch die engen Gassen zwischen den Buden voller Essen und jeglichem Nippes, manch andere laut lärmend und jenseits der fürs Stadion zugelassenen Promillegrenze.

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Gefährliche Wurfgeschosse

Mit dem Bus machten wir uns schließlich auf zur unschön ins Nirgendwo gesetzten Coface Arena im Südwesten der Stadt. Schöne Erinnerungen habe ich nicht, hier hatte der VfB bisher immer verloren, den alten Bruchweg hatte ich nicht mehr kennenlernen dürfen. Und wenn wir da schon als Tabellenletzter anreisen, warum sollte es heute anders werden? Als guter Samariter für schwächelnde Klubs hatte sich der VfB ja schon oft erweisen können.

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In der Dämmerung erreichten wir die Spielstätte, an deren Eingang ich mich einer lächerlichen Diskussion ausgesetzt war. Die Spiegelreflex-Kamera hatte ich nach einem Telefonat mit dem Mainzer Fanbetreuer am Freitag Nachmittag mitnehmen dürfen, ein feiner Zug in meinen Augen, nachdem es in Sachen Kamera in den letzten Jahren bei uns beiden immer wieder heikle Situationen und beharrliche Diskussionen gab.

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Doch wie konnte ich es wagen, gefährliche Wurfgeschosse in meinem Bauchtäschle mit ins Stadion nehmen zu wollen? Ich muss verrückt geworden sein. An der Abgabestelle mogelte ich mich zwischen der großen Masse vorbei. Größerer Ärger blieb mir erspart, ich hatte Glück gehabt. Sind schon verdammt gefährlich, diese… Hustenbonbons.

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(K)eine Gemeinschaft an Einzelspielern

Freie Platzwahl – zum ersten Mal seit meinen Besuchen in Mainz. Oft kamen wir so spät an, dass man mit dem Vorlieb nehmen musste, wo man gerade noch Luft zum Atmen hatte. Doch wie ich es auch drehe und wende: mit 1,59 Metern Körpergröße habe ich einfach immer das Problem, nur das sehen können, was meine Vorderleute mir zugestehen. Felix suchte sich im Oberen Bereich einen Platz. Er kennt diese Sorgen nicht – mit fast 2 Metern Körpergröße sieht er schließlich über fast alle hinweg.

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Gut anderthalb Stunden wollten nur sehr langsam vergehen. Die vielen Stunden auf den Beinen machten sich schon bemerkbar, als sich immer mehr an mir vorbei drückten und der Block immer voller und voller wurde. Hinter mir platzierten sich schließlich noch zwei junge Herren, die den kompletten Umkreis um mich herum besonders in der zweiten Halbzeit lautstark unterhalten hatten. Und das meine ich keinesfalls im positiven Sinne.

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Es war angerichet für eine weitere Partie in Mainz, die hoffentlich so schnell wie nur irgendwie möglich vorbei sein würde. Die hirnlosen Klatschpappen-Spezis auf der Gegentribüne gingen uns schon frühzeitig auf die Nerven, keiner von uns wollte diese länger ertragen als unbedingt notwendig. Vor 29.279 Zuschauern liefen die 22 Spieler schließlich ein. Auf einen Spielerkreis hatte der VfB im Gegensatz zu den Gastgebern vor dem Anstoß verzichtet, welch bezeichnende Geste für das zerrüttete Mannschaftsgefüge.

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Im Sturzflug nach unten

Der Ball rollte. Viel positives vermochte man der Partie zunächst nicht abzugewinnen. Sie standen zwar defensiv gut gestaffelt und machten es den Mainzern ziemlich schwer, wenn da nur die eine Schwäche wäre: die vielen kleinen und großen) Patzer im falschen Moment. Ein einziger Moment der Unachtsamkeit und schon fängt man sich die Gegentore, von denen es in dieser Bundesliga-Saison schon 31 Stück gab.

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Dass man beim VfB trotz der erkennbaren Schwäche in der Verteidigung keinen Anlass sieht, in der Winterpause auf dem Transfermarkt tätig zu werden, sagt ja schon viel aus über die Marschrichtung, die der Verein vorgibt: im Sturzflug in Liga Zwei. Nicht immer lassen sich so viele Gegentore durch ebenso viele oder noch mehr eigene Tore ausmerzen, wie einst in Frankfurt.

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Mehr und mehr riss der Gastgeber das Spiel an sich, mehr Ballbesitz für die Mainzer, die dem Führungstreffer näher kamen. Nur eine Frage der Zeit, bis sich eine Lücke in der Abwehr auftut. Schließlich war ich mir ja bereits vor der Partie sicher, dass Shinji Okazaki es schon richten würde, zum Leidwesen der gut 3.500 mitgereisten Fans, die ihn sich allesamt beim VfB in einer solchen Form erwünscht hätten.

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Blindlinks ins Eck

Eine halbe Stunde war gespielt und eines musste man leider ein weiteres Mal feststellen: wirkliche Anstalten, das Spiel unbedingt gewinnen zu wollen, ließ unsere Mannschaft – auch bekannt als mehr oder weniger zufällige Aufstellung an Einzelspielern – leider vermissen. Einer der wenigen Hoffnungsschimmer zuletzt ist der junge Timo Baumgartl, der nach 35 Minuten einen gefährlichen Freistoß verursachte. Johannes Geis stand bereit, der etatmäßige Standardschütze der Null-Fünfer.

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Schiedsrichter Bastian Dankert sprühte um den Ball eine Linie aus Schaum, während mir ruckartig das Herz in die Hose rutschte und ich ein ernsthaft schlechtes Gefühl bekam. Ulle konnte nichts mehr sehen, als sich vor ihm die Mauer postiert hatte, größenmäßig sortiert von klein über groß nach klein: Florian Klein, Adam Hlousek, Daniel Ginczek, Christian Gentner und Timo Werner. Alles, was sie tun mussten: den Ball vom Tor abhalten. Das war nun wirklich nicht viel. Und doch scheiterten sie.

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In einem Bogen flog er über die Mauer und schlug links oben im Netz ein. Nichts zu machen, nahtlos musste man anerkennen, wie gut dieser Ball geschossen war. Und um uns herum erklangen ein weiteres Mal die Klatschpappen. Hatte man wirklich etwas anderes erwartet, als dass der VfB hier angeschlagenen Mainzern wieder auf die Beine hilft? Fast so, als würde man die Punkte nicht einmal selbst gut gebrauchen.

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Mainz bleibt Mainz bleibt scheiße

Was jetzt? Nach ein paar Sekunden des Schocks schüttelte sich der Anhang und stimmte wieder ein. Wie schwer es ist, in diesen Momenten im wahrsten Sinne des Wortes gute Mine zum bösen Spiel zu machen, konnte man deutlich spüren. Viele Reihen vermochte der aktive Kern der Fanszene nicht mitzureißen. Gezeichnet von den Niederlagen der letzten Wochen und Monate ahnten schon die meisten, wo dieser Weg enden würde. Heute wohlmöglich mit einer weiteren Niederlage auf Mainzer Boden, im Mai mit den unausweichlichen Konsequenzen einer jahrelangen Fehlerkette.

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Schon lange, bevor Bastian Dankert zur Pause gepfiffen hatte, war wieder Bewegung im Block. Der zähe, dickflüssige Strom aus Fans versuchte sich auf den glitschigen Treppenstufen fortzubewegen, es gelang nur mit Mühe. Währenddessen vermochte ich nicht einzuschätzen, wie denn die zweite Hälfte aussehen würde. Ob der VfB sich dessen bewusst ist, dass er mehr tun muss? Sicherlich. Ob er es umsetzt, ist jedoch eine ganz andere Sache.

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Sie gaben sich zumindest Mühe, aus der eigenen Deckung zu kommen und offensiver nach vorne zu spielen. Wohlwollend registriert von den meisten des mitgereisten Anhangs, unterstützt von dem einen oder anderen Lauterer, drei von ihnen hatten während der Partie neben mir gestanden. Nur den beiden eingangs erwähnten Herren hinter mir konnte man es keinesfalls recht machen. Von „Arschlöcher“ bis „dumme Wichser“ waren so ziemlich alle lautstarken Beleidigungen dabei. Gemeint war übrigens die eigene Mannschaft. Ohne Worte.

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Nichts zu Verlieren – oder doch?

Warum nur schießt Daniel Ginczek nach gut 50 Minuten in bester Schussposition ausgerechnet den Torwart an? Warum ist dieses Kalenderjahr nur so verseucht? Warum ist Fußball im einen Moment noch die schönste Sache der Welt, und im nächsten Moment wieder die schwerste Bürde auf unseren Schultern? Ich weiß es nicht. Zum Zuschauen verdammt standen wir da, ein paar wenige sangen ab Mitte des Gästeblocks noch mit, die Hoffnung schien brach zu liegen.

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Die Minuten vergingen. Nach der anfänglichen Trotzreaktion zu Beginn des zweiten Durchgangs waren die Gastgeber wieder am Drücker. Nach einem VfB-Tor sah es hier zunächst nicht aus, es bedurfte dringend der Belebung des Offensivspiels. Huub Stevens reagierte und brachte schließlich den leider abwanderungswilligen Alexandru Maxim und den torlosen Neuzugang Filip Kostic für Oriol Romeu und Florian Klein. Wer ohnehin schon hinten liegt, hat ja vermeintlich nichts mehr zu verlieren.

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Mir war kalt. Meine Füße taten weh. Ich wollte nach Hause. Einer der völligen Anti-Tage für das Beiwohnen eines unattraktiven Fußballspiels. Im verflixten siebten Jahr mit dem VfB tue ich mich schwer, mir einzugestehen, dass es für viel mehr offenbar nicht ausreicht. Niemand hatte das vorhersagen können, wer weiß, wie ich mich einst so jung und naiv entschieden hätte, wenn man mir schon damals gesagt gesagt hätte, welch schwere Jahre noch vor mir liegen würden.

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Skurriles aus dem Kuriositätenkabinett

Zwanzig Minuten noch. Zwar konnten die beiden Neuen das Spiel ein wenig beleben, doch viel vermochte dabei bisher nicht heraus zu springen. Die Worte von Armin Veh waren mir noch nicht aus dem Sinn gewichen, man hätte so oft kein Glück gehabt. Vielleicht ist es das, was wir brauchen: Glück. Wenn es schon nicht das eigene spielerische Vermögen ist?! Viele Unterbrechungen prägte das letzte Drittel des Spiels, es gab zahlreiche Freistöße auf beiden Seiten.

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Davon ein weiterer, der es in sich hatte. So schnell konnte man nicht schauen, gerade noch hatte Bastian Dankert einen Freistoß im Halbfeld für den VfB gepfiffen, eine nahezu unmögliche Entfernung, nicht der Rede wert. Wer sich nicht schon mit der kommenden Niederlage abgefunden hatte, geriet auch bei dieser zaghaften Möglichkeiten nicht in Erregung.

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Es war ein schnell ausgeführer Freistoß von Alexandru Maxim, der als Gefoulter selbst geschossen hatte. Filip Kostic war währenddessen auf der rechten Seite weiter gelaufen, nahm Maß und schoss in Richtung Tor. Was sollte das werden, eine halbhohe Flanke auf Adam Hlousek, der von vielen Mainzern zugestellt war? Was soll das für eine Sch… JAAAAAAAAAAA! Okay, ich nehms zurück. War wohl doch nicht ganz so doof.

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Und wenn die ganze Kurve tobt

Bedanken dürfen wir uns hier bei den Mainzern, die für einen Moment nicht aufgepasst hatten. Und bei Alexandru Maxim, der schnell geschalten und nach einem kurzen Festhalten des Balles auf dem Rasen den Freistoß schon ausgeführt hatte. Es ist eine teuflisch lange Zeit her, dass aus einem solchen schnell ausgeführten Freistoß ein Tor wurde: es war der Freistoß zum 1:0 gegen Hoffenheim, vor 66 Wochen und 6 Tagen.

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Kein einziger Mainzer war mehr dran gewesen, vorbei an Freund und Feind segelte er ins Netz. Wenn es eine Situation gibt, für die das Sprichwort „Aus dem Nichts“ erfunden wurde, dann war es dieser Moment. Es wurde still auf Mainzer Seite, der Gästeblock übernahm die akustische Stimmgewalt und schmetterte verzweifelt ein lautes „Und wenn die ganze Kurve tobt“ in den verregneten Mainzer Abendhimmel.

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Wirklich freuen wollte ich mich nicht. Dafür kenne ich meinen Verein leider zu gut. Über eine Viertelstunde war noch zu absolvieren, welch schlimme Erinnerungen wir noch von der vergangenen Saison haben, als in dieser Zeit so unheimlich viele bittere Tore gefallen waren, die uns am Ende beinahe die Klasse gekostet hatten. Diese Zeit galt es nun zu überstehen. Und gerade dann wollen die Minuten bekanntlich einfach nicht vergehen.

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Herzrasen

Der Lauterer neben mir zog sich seinen Mantel aus und trug oben herum nicht mehr als dunkelrotes T-Shirt und einen schwarzen Schal. Sollte der VfB das Spiel noch verlieren, sagte er leicht angetrunken zu mir, würde er runtergehen und den Flitzer machen. Dabei zuzusehen oder einen Punkt mit heimnehmen? Ich gebe zu, ich musste ein paar Millisekunden ernsthaft darüber nachdenken. Der Punkt wäre mir dann doch definitiv lieber gewesen.

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Doch noch war es nicht vorbei. Filip Kostic hatte Blut geleckt nach seinem ersten Bundesliga-Tor, gut vier Minuten vor dem regulären Ende musste sich Loris Karius ganz lang machen, um das 1:2 aus Mainzer Sicht zu vermeiden. Mein Puls raste, kaum ein Wort brachte ich mehr heraus, bewegungsunfähig, unterkühlt, schmerzverzerrt. Das einzige und letzte, was ich in den fünf Schlussminuten herausbrachte: „NEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIN“, kurz bevor Christian Gentner mit seinem Kopf auf der Linie klären konnte. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.

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Timo Werner ließ sich Zeit. Unter den Pfiffen des heimischen Publikums verließ er für Konstantin Rausch das Feld, wohlwissend, dass hier bestenfalls nichts mehr anbrennt. Danach war es überstanden, Bastian Dankert pfiff endlich ab nach 92 meist enttäuschenden Minuten ab. Wut auf der Mainzer Seite, sie fühlten sich verpfiffen. Verhaltene Freude im Gästeblock. Mit mehr Mut und Vertrauen wäre hier wesentlich mehr gegen schwache Mainzer drin gewesen, dass es einen glücklichen Zufall gebraucht hatte, um hier noch einen Zähler mitzunehmen, lässt uns natürlich mit Ungemach zurück.

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Kein Fisch, kein Fleisch

Sie erhielten Applaus, als sie sich beim mitgereisten Anhang für die Unterstützung bedanken wollten. Einige meinten es ernst und sind zufrieden mit dem Punkt. Andere waren enttäuscht und schwiegen. Doch bin ich mir sicher, wie es in den Köpfen der Meisten ausgesehen haben musste: „Schön wars nicht, aber jetzt zählt eben jeder mickrige Punkt“. Ja, es wäre mehr drin gewesen. Ja, es war ein mehr als dürftiges Spiel.

Ja, wir sind weiterhin (zu Recht) Tabellenletzter. Aber: Die Mannschaft permanent zu zerfleischen halte ich für die denkbar schlechteste Lösung. Es muss anders gehen, die Saison ist (leider?) noch lang und wir werden noch manche frustrierende Momente durchleben. Wir müssen der Tatsache ins Auge blicken, das neben den persönlichen Befindlichkeiten und Charakterschwächen des einen oder anderen Spielers auch die allgemeine Situation betrachten, dass sie es vielleicht nicht sehr viel besser können. Zumindest im Moment nicht.

Schnell leerte sich der Block, vor dem Gästeblock warteten bereits die Busse. Unser eigener Bus wartete auch, ohne uns würde er jedoch nicht losfahren. Wie leergefegt war das Stadion, als welche der Letzten machten wir uns auf den Heimweg. Es gibt Traditionen, die man eben nie so recht ablegen kann. Es nieselte ein wenig, für eine ganztägig angesagte Regelwahrscheinlichkeit von 90% waren wir mit den paar wenigen Tropfen jedoch gut bedient gewesen.

Ein Blick auf die Weihnachtswunschliste

Es war schon viertel zehn, als sich unsere Fahrgemeinschaft aus fünf Leuten in Bewegung setzte. Keiner wollte so recht ein Wort verlieren, ob man nun zufrieden sei oder nicht. Was spielte das auch für eine Rolle, wenn es doch sowieso alles ist, was man bekommt – ob man gefragt wird oder nicht. Still bearbeitete ich die Bilder und kämpfte nicht nur gegen meinen eigenen Frust sondern auch gegen die stetig steigende Müdigkeit an. Nach der erste Hälfte der Bilder war Schicht im Schacht, kurz vor Marbach am Neckar klappte ich zuerst meinen Laptop und dann meine Augen zu.

Ungewiss, was nun in den letzten beiden Partien gegen Hamburg und Paderborn passieren wird. Die Wunschliste für Weihnachten ist dabei klar, zwei Siege und in der Winterpause ein neuer, zuverlässiger Verteidiger. Nachdem uns der Nikolaus aber gewaltig in den Stiefel geschissen hat, darf bezweifelt werden, dass es der Weihnachtsmann in diesem Jahr gnädig mit uns meinen wird. Der VfB ist eben dieses Jahr alles andere als brav gewesen.

Das dritte Adventswochenende ist vorüber, jetzt, wo ich diese Zeilen zu Ende geschrieben habe. Eine zerstückelte Woche liegt vor uns, nach einem Arbeitstag morgen werden wir am Dienstag nach Hamburg aufbrechen, mit jener Selbstverständlichkeit, als wäre es das normalste der Welt, innerhalb von 24 Stunden 1.300 Kilometer unterwegs zu sein. Sehr viele Optimisten werden wir nicht an Bord haben. Auf ein neues in Hamburg. Das Beste hoffen. Das Schlimmste erwarten.

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