Es gibt keine neuen Worte mehr, die ich finden kann. Woche für Woche ringe ich erneut, mit den Zeilen, mit den Gedanken – und nicht zuletzt mit mir selber. Woche für Woche der leere Blick, der Kloß im Hals, die Angst im Nacken. Woche für Woche sehen wir den Abgrund näher kommen. Stets erfüllt mit dem flehenden Gedanken, das Unheil müsse doch irgendwie aufzuhalten sein, doch Woche für Woche mit der ewig gleichen Frage: Ist es schon zu spät?

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Am späten Vormittag war ich aufgestanden und kämpfe seit Stunden gegen mich an. Der eine Teil von mir ist sich bewusst, dass ich die letzten verbleibenden Stunden am Sonntag für andere Dinge nutzen kann, wenn ich mich frühzeitig hinsetze und einfach diese Zeilen schreibe. Seit vielen Jahren blogge ich an dieser Stelle und berichte von all meinen Erlebnissen mit und für den VfB Stuttgart, seit nunmehr drei Jahren wohne ich jedem Spiel bei. Ich sollte doch eigentlich wissen, wie es läuft, an jedem einzelnen Wochenende mit der wenigen Zeit abseits des Stadions das meiste zu machen.

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Und doch sitze ich hier, suche nach den Worten, tippe, lösche, tippe weiter und lösche dann doch wieder ganze Sätze. Nie war es schwieriger als in diesen harten Wochen, von denen wir alle doch insgeheim wissen, dass sie noch lange nicht vorbei sind. Es ist schon so weit gekommen, dass ich mir die Frage stelle, ob ich mir diesen Kummer hätte ersparen können, wenn ich die Grenze zum tief emotional involvierten Fan gar nicht erst überschritten hätte. Mein Leben wäre vielleicht entspannter – aber deswegen auch besser?

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Der Blick zurück auf Freitagabend

Jede Niederlage des Vereins ein persönlicher Rückschlag und jedes spottende Wort eine schallende Ohrfeige – die Dinge nicht so persönlich zu nehmen, ist eines der wichtigsten Lektionen im Leben, die ich für mich aber erst lernen und verstehen muss. Den Kopf nicht hängen zu lassen wird zu schwierigsten Aufgabe, der ich mich als VfB-Fan stellen muss, und das nicht erst seit gestern, letzter Woche, sondern seit nunmehr sieben einhalb Jahren, in denen ich voller Stolz gesagt hatte, der VfB wäre mein einzig wahrer Verein, unabhängig der Konstellation, zu der wir zueinander gefunden haben.

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Die berührenden Szenen nach dem Abpfiff des Dortmund-Spiels sollten uns allen Hoffnung geben, was wir an diesem Freitagabend empfunden haben, vermag sich kaum in Worte fassen, ich hatte es zumindest versucht. Tage später hatten diese Szenen den Weg in die Weltpresse gefunden und waren stellvertretend für das einmalige Gefühl, wenn die Fans in der dunkelsten Stunde trotz allem nicht aufgeben. Es machte Mut, nicht alleine dazustehen, es schuf eine Schulterschluss, den wir nicht mehr für möglich gehalten hatten.

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Sahen manche in der Cannstatter Kurve diese Situation mit Vorsicht und Bedacht, ein Kuschelkurs und weinende Spieler würden ja nicht gerade von Hoffnung und Zuversicht zeugen, so waren wir uns alle doch in einem einig: ob und wie weit es Eindruck machte auf die Mannschaft und das Trainerteam, das konnte und sollte einzig und alleine die Partie in Hannover zeigen. Dort zu verlieren würde all das, was man sich auf dem fragilen Gerüst des Freitagabends mental aufgebaut hatte, in sich zusammen sacken lassen, vor dem Scherbenhaufen des drohenden und immer wahrscheinlicher werdenden Abstiegs.

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Neue Hoffnung

Es war das Einzige, was einem Hoffnung für die Partie in Niedersachsen machen konnte – denn sehr viel mehr hatten wir ja nicht! Zu sehen, dass es ihnen nicht völlig egal ist, musste uns fürs erste ausreichen. Wenn die sportliche Qualität schon fehlt und die vermeintlichen Stürmer nichts mehr treffen (sofern sie denn spielen dürfen in einem System der Defensivtaktik), dann ginge vielleicht etwas über den Kampf. Eine Schlüsselszene, die jedoch erst noch zur Entfaltung kommen sollte.

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In Hannover könnte was gehen, dessen war ich mir ziemlich sicher. Bereits vor Wochen hatten wir uns für die Fahrt im Bus angemeldet, nicht die erste und auch sicher nicht die letzte Fahrt mit den Jungs und Mädels vom Schwabensturm. Man bräuchte aus den beiden Spielen gegen die Niedersachsen und im Heimspiel gegen die Hertha mindestens vier Punkte, sonst ist die Luft raus, nicht nur bei Huub Stevens und seinem Trainerteam, sondern auch die Hoffnung einer ganzen Fangemeinde.

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Welche Rolle der Trainer spielen würde, war fraglich, spannend und gleichzeitig verängstigend. Schon die Aufstellung würde Aufschluss geben, ob sich weite Anreise gelohnt haben dürfte, ob er es zur Abwechslung einfach einmal mit mehr Offensive probiert oder ob er stur seinem Credo treu bleibt, nach hinten abzusichern und dann doch den einen tödlichen Pass zuzulassen. Hoffnung war entstanden, wo Wochen zuvor keine gewesen war, das alles nur wegen der berührenden Szenen nach einem weiteren verlorenen Spiel.

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2.000 Schlachtenbummler

Trotz allem bleibt die Frage, ob all das, was wir Freitagabend erlebt haben, ausreicht, um die so dringend notwendigen Punkte einzufahren. Unzählige Gedanken schwirrten in meinem Kopf, die meisten von ihnen begannen mit „Was wäre, wenn…?“, wohl wissend, dass wir als Fans ohnehin nur begrenzten Einfluss auf die Leistung unserer Mannschaft haben. Beziehungsweise: gar keinen. Gut 2.000 Stuttgarter hatten sich für das Auswärtsspiel angemeldet, in der aktuellen Situation ein bemerkenswert guter Schnitt.

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Viele von ihnen hatten sich gefragt, wofür sie das eigentlich auf sich nehmen. Halb vier nachts war die kurze Nachtruhe nach einem innerlich aufgewühlten Freitagabend zu Ende, die letzten Vorbereitungen für das unheimlich wichtige Auswärtsspiel. Am Treffpunkt angekommen blickte ich unzählige müde Gesichter. Was es auch ist, was uns dazu bewegt, es hat offenbar doch etwas mit Liebe und Hoffnung zu tun, und dem unbedingten Willen, alles für den Verein zu geben.

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Allemann einsteigen, kurz nach halb sechs setzte sich der Tross aus vier Bussen in Bewegung, ein Großteil unseres Busses tat das, was die meisten von uns ohnehin bitter nötig hatten: eine Runde Schlaf nachzuholen. Bis zur ersten Pause schlief beinahe der komplette Bus, eine entspannte Ruhe war eingekehrt. Manchmal hat man eben Glück. Die Sonne zeigte sich von ihrer besten Seite, die Stimmung im Bus war bestens, die Hoffnung hatten wir ebenfalls mit an Bord.

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Kollektiver Optimismus

Was sprach denn dagegen, auch bei der Rückfahrt eine feucht-fröhliche Feier zu genießen? Doch diese Rechnung hatten wir ohne den VfB gemacht. Kurz nach Eins erreichten wir die niedersächsische Hauptstadt an der Leine, die Sonne strahlte bei verhältnismäßig frühlingshaften Temperaturen. Felix holte sich noch eine Unterrangkarte, um bessere Fotos zu machen, für mich stand außerdem ein Treffen mit zwei Bekannten auf dem Plan.

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Sowohl Twitter-Kollege und Initiator des VfB-Fanclubs „VfB im Bundestag“, Sven, sowie das Wiedersehen mit Eric aus Sachsen-Anhalt, mit dem ich nur ein paar wenige Minuten in Köln geschwätzt hatte. Auf beide freute ich mich sehr! Sven fing mich bereits kurz hinter dem Eingangsbereich ab, ein kurzes Schwätzchen zur aktuellen Lage und zum Stimmungsbarometer, vor dem Imbissstand wollten wir uns wieder treffen, verloren uns jedoch aus den Augen.

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Eric sah ich erstmals wieder seit den frustrierenden Schlussminuten in Köln. Er erinnert mich ein wenig an mich selbst: fernab von Stuttgart in der ostdeutschen Heimat die Flagge hochzuhalten, zu so vielen VfB-Spielen wie möglich zu fahren und die nahe gelegenen Auswärtsspiele mitzunehmen ist etwas, was auch ich nur zu gut aus eigener Erfahrung kenne. Noch waren wir optimistisch, dass die Jungs hier endlich den ersehnten Dreier holen.

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Immer wieder „Heute zählts!“

Der untere Bereich des Gästeblocks im Oberrang füllte sich, gedankenverloren und angespannt stand ich an der Treppe und war nur zu neugierig, welche Reaktion von Fans und Mannschaft kommen würde, wenn sie zum Aufwärmen kommen. Die Minuten zogen sich ewig hin, die Stadionshow der Gastgeber bekam ich nur beiläufig mit, alle meine Gedanken drehten sich um die Frage, ob es heute reichen würde, und wenn, wir es sein würde, nach so langer Zeit endlich mal wieder einen Sieg zu feiern, der symptomatisch für den umgestoßenen Bock stehen würde.

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Seit Wochen sagen wir „Heute zählts!“, das galt aber selten so sehr wie gegen Hannover und gegen Berlin. Endlich kamen sie heraus, wohlwollender und lauter Applaus aus unseren Reihen, die geballte Faust und die Gestik von 2.000 mitgereisten Abstiegskämpfern war klar: „Macht was draus!“. Mein Herz schlug immer schneller, die Nervosität hatte mich komplett im Griff. Eine Szene mit Charakter: nach dem Aufwärmen sammelten sie sich zunächst, und liefen schließlich in einer Reihe zu uns. Arm in Arm. Gänsehaut. Applaus. Hoffnung. Glaube. Zuversicht.

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Meinen Platz suchte ich mir im unteren Bereich auf der rechten Seite, mit gutem Blick auf Spielfeld und Gästeblock, seien die Lichtverhältnisse doch aber auch bei frühlingshaftem Wetter nicht die besten. Schon beim Aufwärmen zeichnete sich anhand der Hosenbekleidung ab, wer von Beginn an spielen würde und wer nicht. Hoffnung keimte auch, denn sowohl Alexandru Maxim und Daniel Ginczek durften von Beginn an ran. Ein deutliches Zeichen für mehr Offensive, ob dass das Allheilmittel ist, wird man abwarten.

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Die Sehnsucht nach Punkten

Der Ball rollte in dem Stadion, in dem ich einst vor gut sechs Jahren einen überaus emotionalen Valentinstag verbracht hatte. Mein Fotografenkollege Franky meinte vor einigen Tagen, man würde bereits in den ersten zehn Minuten sehen, wo die Reise hingehen würde: Ob sie Gas geben oder eben nicht, würde maßgeblichen zur Gestaltung der Partie beitragen. Dass Sven Ulreich bereits nach wenigen Minuten eingreifen musste, konnte mir folglich nicht wirklich gefallen.

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Die Eigenwilligkeiten des Martin Kind haben die Hannoveraner Nordkurve leer gespült, die aktiven Fans und Ultras haben das Stadion verlassen und zeigen auf ihre Art und Weise ihren Protest gegen seine Machenschaften im Verein, viel Stimmung kam daher nicht auf. Umso lauter waren wir mitgereisten VfBler, die wir eisern hier standen, die Faust erhoben und mit allem dabei waren, was uns einst zu Brustringträgern gemacht hatte.

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Vielleicht war es ja vermessen zu glauben, dass man es ihnen tatsächlich schon in den ersten zehn Minuten anmerken würde. In den ersten zehn Minuten ging wahrlich nicht viel, doch man konnte ihnen schon etwas attestieren: sie waren energischer und engagierter als in den Anfangsphasen der letzten Partien. Sie sollen kämpfen, beißen, kratzen, bis zum Umfallen alles Geben. Ich wünschte, ich könnte sagen, mehr wollten wir ja gar nicht. Doch wir wollen mehr: Punkte. Und zwar reichlich davon. Gern mehr, aber bitte nicht weniger.

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Tore dringend benötigt

Ungeachtet der emotionalen Szenen am vergangenen Freitag, so ist es doch deutlich zu erkennen, an wie vielen Stellen es in der Mannschaft krankt. Und doch mühten sie sich, gerade die Hereinnahme von Alexandru Maxim tat dem Spiel gut, auch wenn hier keine schöne Fußballkost zu sehen bekommen hatten. Beinahe Christian Gentner mit dem 0:1 aus Hannoveraner Sicht, aber der ewige Christian Schulz, seit acht Jahren bei 96, fälschte das Leder ab. Nur wenige Zentimeter schoss der Ball an Ron-Robert Zielers Pfosten vorbei. Was wäre das für eine Befreiung gewesen.

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Eine engagierte Vorstellung, weit weg von erfolgreicheren Zeiten, aber dennoch hoffnungsvoll. Die Verunsicherung war der Mannschaft anzumerken, das spürten auch die 2.000 VfB-Fans, die im Oberrang eine tolle Stimmung machten. Natürlich hat die Cannstatter Kurve auch auswärts schon bessere Auftritte hingelegt, doch was will man erwarte nach schweren Jahren des fast andauernden Abstiegskampfes?

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Man kann viel diskutieren über mutige Szenen auf dem Feld, wenn die dringend notwendigen und lange vermissten Tore nicht fallen, haben wir recht schnell ein Problem. Stattdessen kamen immer wieder die Gastgeber aus dem Nichts zu Gelegenheiten, die man zwar noch entschärfen konnte, doch wirklich wohl war mir beim Zusehen nicht. Wer es gegen eine solch schwache Mannschaft wie Hannover nicht schafft, die Tore zu schießen, gegen wen vermag man dann zu gewinnen?

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Schuss ins Glück

Warum sie wieder einen Gang zurückgeschalten haben, bleibt wohl einzig und allein ihr Geheimnis. Ohne jeglichen Grund ließen sie sich mit zunehmender Dauer in der ersten Halbzeit die Butter vom Brot nehmen. In Zeiten des Abstiegskampfs ist der Kopf blockiert und die Schultern schwer, das wissen wir – doch ohne Not den schwachen Gegner ins Spiel kommen lassen kann und will mir einfach nicht in den Kopf. Die Abwehr schwamm, da kam die Halbzeitpause gerade recht.

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Viele Bekannte liefen in der Pause an mir vorbei, allesamt mit einem „Die müssten eine Schippe drauflegen“-Blick, da wird jedes Wort überflüssig. Es musste auf alle Fälle noch mehr nach vorne gehen, doch was wir bisher sahen, stimmte zumindest in Sachen Offensive vorsichtig optimistisch. Dass es beim Spielaufbau und in der Abwehr ein weiteres Mal zu eklatanten Fehlern kam, ich glaube, darüber brauch man nicht großartig diskutieren.

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Wie sehnsüchtig wir Fans nun schon auf einen Sieg warten, wir verzehren uns geradezu danach. Man konnte seinen Augen kaum trauen, zu Beginn der zweiten Halbzeit war es soweit, der laute Jubel einer leidgeprüften Fangemeinschaft. Christian Gentner legte sich im Kopfballduell die Kugel selbst vor, um dann schließlich flach und humorlos zum 0:1 zu vollenden. Der Jubelschrei hallte womöglich noch bis nach Stuttgart.

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Jubel, Trubel, Heiterkeit

Ein heilloses Durcheinander im Gästeblock, ohrenbetäubender Lärm, feucht-fröhliche Bierduschen. Schreiend stand ich auf der fest verankerten Metallkonstruktion, ungeachtet der Schmerzen in meiner Achillessehne, hielt in der rechten Hand die Kamera fest und streckte einfach nur beide Arme nach oben und schrie, bis mir die Luft weg blieb. Wichtig, wichtig, WICHTIG! Er war wieder da, der VfB Stuttgart, und sie war ebenfalls wieder da, die Stimmung aus beinahe vergessenen Zeiten. Heimspiel in Hannover.

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„Und wenn die ganze Kurve tobt“ skandierte der Gästeblock und haute in den darauffolgenden Minuten alles raus, als hätte es niemals den aktuellen Tabellenplatz gegeben. Wie ein solches Tor beflügeln kann, sah man uns allen an, sowohl der Mannschaft als auch uns selbst. Doch wir kennen ja die Krux mit den knappen Führungen. Sind sie dann nah dran um zweiten Tor und schießen es nicht, hat es nur allzu oft ein übles Ende gegeben, wie so häufig in den vergangenen Wochen, Monaten – und sogar Jahren.

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Statt das zweite Tor zu machen, ließen sie sich den Schneid abkaufen. Wirklich wahr haben wollten wir das nicht und sangen ein ums andere Mal die Lieder, die man schon seit langer Zeit nicht mehr gesungen hatte. Voller Hoffnung und Zuversicht, endlich einen Sieg mit nach Hause nehmen zu können, als Dank und als Entschädigung für all die Strapazen, die wir Woche für Woche auf uns nehmen, auch wenn wir uns dieses Schicksal selbst erwählt haben, in dem Moment, in dem wir dem VfB unser Herz geschenkt haben.

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Die Angst vor dem Gegentor

Die Gastgeber wurden wieder aktiver, wollten sich nicht einfach geschlagen geben. Wie unheimlich wichtig hier das 0:2 gewesen wäre, zu dem man bereits mehrmals die Chance hatte. Was tun, Huub Stevens? Vielleicht mit Filip Kostic noch einen Offensiven bringen? Noch ließ er sich Zeit mit dem ersten Wechsel, doch konnte ich nicht erkennen, wen er zwischenzeitlich zum Aufwärmen geschickt hatte.

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Mit zunehmender Dauer des Spiels wurde mir dann doch unfreiwillig mulmig. In Hamburg wurde der knappe 1:0-Vorsprung bis zum Ende ein Nervenkrieg, noch viel mehr packt mein Herz vielleicht nicht. Das zweite Tor muss her, sonst reicht ein individueller Fehler zum Ausgleich. Kaum hatte ich den Gedanken vertrieben, sprangen die bisher so leise gewesenen Heimfans der 96er von ihren Plätzen auf.

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Niemand hatte ihn gedeckt, den Lars Stindl, der da völlig unbedrängt nach einem verlorenen Kopfballduell von Daniel Schwaab zum Ausgleich einschießen konnte, ohne jegliche Chance für den geschlagenen Sven Ulreich. Es hatte sich ein wenig angedeutet, und wirklich unverdient war das gemessen an den letzten Minuten auch nicht. Der Schock saß dennoch tief, denn wie immer war es das entscheidende zweite Tor, das der VfB versäumt hatte zu schießen, um den Gastgebern den Garaus zu machen.

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Geläutert

Stille im Gästeblock. Es war einfach nicht zu glauben, ein weiteres Mal drohten wir mit leeren Händen heimzufahren. Mir schwante schon wieder Böses. Würden wir jetzt unbeeindruckt anrennen und das zweite Tor doch noch irgendwie erzwingen? Oder ist es nicht sogar möglich, dass es läuft wie immer? Dass der Gegner kurz vor Schluss sogar noch die Partie dreht und uns ins Tal der Tränen stürzt? Ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich denken, sagen oder fühlen sollte. Meine langen Fingernägel wollte ich nur zu gern komplett abkauen.

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Die Minuten vergingen, die Stimmung im Gästeblock hatte durch den unnötigen Ausgleich deutlich gelitten, wie auch mein Nervenkostüm. Die Angst vor dem späten Knock-Out wurde größer als die Hoffnung, doch noch das zweite Tor zu schießen. Manchmal treibt mich dieser Verein in den Wahnsinn, und doch würde ich mich nicht anders entscheiden. Ein letztes vergebliches, aber genauso blindes Anrennen.

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Ich flehte zum Fußballgott, der Ball solle doch bitte nur noch ein einziges Mal an Ron-Robert Zieler vorbei über die Linie gehen. Es war zu befürchten, dass dieser Wunsch nicht erfüllt werden würde, doch weiß ich nicht, was wir VfB-Fans so schlimmes verbrochen haben, um jetzt so abgestraft zu werden. Die letzten offiziellen Minuten waren angebrochen. Und Huub Stevens, man mag es kaum glauben, machte auch endlich von seinem Wechselrecht Gebrauch und brachte Filip Kostic für Timo Werner.

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Tumult in der Schlussphase

Nur noch wenige Sekunden, die Länge der Nachspielzeit war noch nicht angezeigt worden. Da wurde es unruhig vor der Trainerbank, Martin Harnik und Lars Stindl gerieten aneinander. Rudelbildung. Pfiffe. Chaos. Was war da nur vorgefallen? Alle Spieler eilten herbei, auch Ron-Robert Zieler und Huub Stevens waren auf einmal mittendrin. Die Frage war nur, wie entscheidet der Unparteiische Wolfgang Stark? Bange Sekunden, ich fürchtete das Schlimmste.

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Die beiden Streithähne nahm er sich zur Seite und zeigte Lars Stindl schließlich wenige Sekunden nach seiner Gelb-Verwarnung die Ampelkarte, der Gästeblock feierte. Für Martin Harnik würde es wohl gelb geben, dachte man. Glatt rot hielt er dem Österreicher unter die Nase. Was zum…? Direkt vor der Nase des Schiedsrichters war es passiert, ohne Einfluss der Beschwerden anderer, so entglitt ihm dieses Spiel in den letzten Sekunden vollends.

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Ohne jede Frage hätte es die rote Karte nicht geben dürften, gelb wäre für den Rempler angemessen gewesen, wenn überhaupt. Es gibt Dinge, die entziehen sich komplett meinem Verständnis, diese Aktion gehört mit Sicherheit dazu. Die offizielle Spielzeit war abgelaufen, doch auch in den drei letzten Minuten Nachspielzeit im Zehn gegen Zehn vermochte kein weiterer Treffer mehr zu fallen.

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Auf der Stelle treten

Vor 40.200 Zuschauern endete schließlich die Partie mit dem unrühmlichen Ende, laute Pfiffe von allen Seiten, enttäuschte Blicke jedoch in erster Linie aus dem Gästeblock. Ich hätte ja eigentlich damit rechnen müssen, denn in Hannover sah ich noch nie etwas anderes als ein Unentschieden. Was soll man nur mit diesem Punkt anfangen? Sich einreden, er sei besser als nichts? Sich flüchten in dem Gedanken, man hätte gute Ansätze gesehen? Sich aufs Spiel gegen die Hertha verlassen, gegen die man nun zum Siegen verdammt ist? Ich weiß es nicht.

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Ein weiteres Mal musste die Mannschaft den Gang in die Kurve antreten, mit den gleichen sorgenvollen und enttäuschten Minen, mit denen wir sie noch eine Woche zuvor getröstet und wieder aufgerichtet hatten. Die Reaktion heute war weitaus weniger liebevoll. Während ein Teil des Gästeblocks vorsichtig und dezent die engagierte Leistung honorierte, schwieg ein anderer Teil mit Schulterzucken, ein weiterer Teil zeigte mit der Hand nur drei Finger in Richtung der Spieler. Das hätten drei Punkte sein können, sogar müssen.

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„Das ist zu wenig“ sagte ich verzweifelt, als ich den traurigen Gang nach Draußen antrat. Zurück am Bus angekommen war die Stimmung gedrückt, die Köpfe hingen tief. Da konnten selbst die wohlwollenden Worte eines Mädels nichts dran ändern. Wir sollten den Kopf nicht hängen lassen, der VfB würde es wie in jedem Jahr eben spannend machen und keinesfalls absteigen. Ersteres definitiv, doch was die Sache mit dem Klassenerhalt angeht, bin ich mir nicht ganz so sicher. Das ist wohl keiner von uns.

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Ein selbst erwähltes Schicksal

Ein letztes Mal drehte ich mich um und warf einen Blick auf das Stadion, hinter dem die Sonne gerade unterging. Wer weiß, ob das nicht sogar unser letztes Auswärtsspiel in Hannover gewesen sein mag. Das Bier floss, zu gerne hätte ich mit Freunden und Bekannten angestoßen, doch nicht unter diesen Voraussetzungen. Der hintere Teil des Busses trank sich fortan den Punkt schön, ein kleiner Teil des vorderen Bereichs beobachtete mich bei meiner gewohnten Arbeit, dem Bearbeiten der Bilder.

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Ein vollgeladener Akku reichte nicht aus, um fertig zu werden, der zweite Akku musste herhalten. Online gehen konnte ich noch nicht, musste ich doch noch auf den Fotografenkollegen Markus warten, der ebenfalls vor Ort war. Um Mitternacht herum klappte ich das Arbeitsgerät schließlich zu, genauso wie meine Augen. Ignorierte ich bis dahin die Schmerzen in meinen Beinen, wurden sie dann doch so groß, dass ich keine wirkliche Ruhe fand.

Gegen zwei Uhr nachts erreichten wir unser Ziel, das Neckarstadion, wo wir gut 19 Stunden zuvor aufgebrochenen waren zu einem unerschrockenen Feldzug im Kampf um drei wichtige Punkte. Zurück brachten wir nur einen einzigen Punkt, der uns kaum ein bisschen weiterhelfen kann. Die Enttäuschung über zwei fahrlässig und unnötig liegen gelassene Punkte wog am Ende doch sehr viel größer als die Freude über ein nicht verlorenes Spiel und die Zuversicht, es sei ja nicht alles so entsetzlich schlecht gewesen, wie es das leider zuletzt oft war.

Dieser Weg wird kein leichter sein

Beim Kisten schleppen packte ich schließlich noch beherzt mit an, unterschätzte aber leichtfertig das Gewicht einer vollen Getränkekiste. Ein paar Verabschiedungen später setzten wir uns ins Auto und fuhren in unser wenige Minuten entferntes Heim, wo mich das Aufbereiten der Fotos vom Kollegen noch eine weitere Dreiviertelstunde wach hielt. Nun war auch bei mir jegliche Kraft und Motivation aufgebraucht.

Wenige Minuten später war ich ins Land der Träume entschwunden und flüchtete mich dort in jene wunderbaren Erinnerungen, in denen drei Punkte beinahe Gewohnheit waren und man das Wort „Abstiegskampf“ nur beiläufig in der Sportschau vernommen hatte. Der tägliche Alptraum sieht doch aber sehr viel bitterer aus. Wir alle wissen, was passieren könnte, sollte es gegen Berlin keine drei Punkte geben. Der verängstigte Blick richtet sich nun auf die nächste Partie am Freitag.

Welchen Weg wird die Cannstatter Kurve einschlagen und welche Rolle werden wir Fans spielen in den nächsten harten Wochen? Jetzt all unseren Frust an der Mannschaft auszulassen, ist der denkbar falsche Weg. Aber ob wir die Zeit und die Geduld haben? Mein Stamm-Auswärtsfahrer Gerd sagt immer, man solle den Kopf nicht hängen lassen, auch dann nicht, wenn der Hals dreckig ist. Es atmet sich jedoch schwer mit einer Schlinge um den Hals. Kumpel Marcel ergänzt, es sei doch aber besser, als ganz das Atmen ganz einzustellen. Gemeinsam zum Klassenerhalt – das soll und muss unser Ziel sein.

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