Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr. Hier sitze ich nun, ein weiteres Fußballwochenende voll komplett desaströster Ergebnisse liegt hinter mir. Mit einem dicken Kloß im Hals schaue ich auf die Tabelle des 31. Spieltags. Heute morgen lag ich noch eine Stunde im Bett und starrte regungslos die Decke unseres Schlafzimmers an. Wie sollte ich mich nach so einem Spiel aufraffen, mich an den Rechner setzen und das niederschreiben, was jedem VfB-Fan so sehr schmerzt? Stunden später habe ich noch nicht einmal eine einzige Seite vollgeschrieben. Genau genommen: erst 628 Zeichen in über neun Stunden.

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Denken wir einmal drei Wochen zurück. Vor gerade einmal 21 Tagen erlöste uns der goldene Schuss von Daniel Ginczek und entledigte uns gefühlt der ärgsten Abstiegssorgen. Sportlich weiterentwickelt, mental gestärkt, der Klassenerhalt würde schon bald beschlossen sein, vor dem letzten Spieltag in Paderborn. Hier stehen wir nun, drei Wochen vor dem Ende der Bundesliga-Saison 2014/2015. Eines ist mittlerweile so gut wie sicher: Wir werden nicht in Paderborn absteigen. Sondern höchstwahrscheinlich bereits davor.

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Besser als mein Twitter-Kollege „TeeKay“ hätte ich es nicht ausdrücken können: „Punktetechnisch ist alles noch drin. Aber der Kopf entscheidets … und genau das macht mir Sorgen.“ Größer könnte der Frust am Tag danach kaum sein. Wir haben schon viel miterleben müssen in dieser Spielzeit, taumelten von einer Niederlage zur nächsten, ohne Aussicht auf Besserung. Schon früh schien der Abstieg beschlossene Sache. Doch WIE er nun wohl zustande kommen wird, ist verdammt bitter, unendlich tragisch und doch irgendwo verdient.

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Wie denn?

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, welche Worte ich dafür noch finden soll. Habe ich nicht alles getan, um euch in der Saison 2014/2015 alle Spiele des VfB möglichst nah vermitteln zu können? Habe ich nicht alles versucht, um all die Momente wiederzugeben, die die Freude und das Leid eines Fans ausmachen? Habe ich nicht alles gegeben, um mit meinen eigenen Worten das auszudrücken, was die Cannstatter Kurve im Kern vereint? Ich habe kaum noch Worte für das, was in diesem Moment mit dem VfB Stuttgart passiert.

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Fokussieren kann ich meine Gedanken an diesem verregneten Sonntag nicht. Sie sind überall, nur nicht da, wo sie hingehören: auf dem noch dürftig gefülltem digitalen Blatt Papier. Schwer liegt mir dieser Spieltag im Magen, was sich jene, die nicht bis zum Hals drinstecken, kaum vorzustellen vermögen. Wir alle sind hier, weil der VfB ein Teil unseres Lebens ist, wir alles dafür geben wollen, um am Ende des 34. Spieltages miteinander feiern zu können. Vor drei Wochen war er noch da, dieser Funke, doch der Regen, der über uns kam, hat den Funken erlöschen lassen.

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Wie solles nun weitergehen? Wie soll der VfB noch punkten? Wie soll der VfB die einzig und alleine definitiv rettenden drei Siege aus drei Spielen holen? Wann begreifen sie endlich, dass es eins vor Zwölf ist? Wie sollen wir Fans noch hoffen können? Was wird passieren, wenn der VfB nicht gegen Mainz gewinnen sollte? Viele Fragen. Viele Befürchtungen. Doch kaum eine Antwort ist dabei, die uns den Glauben daran zurückgeben kann.

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Es könnte so einfach sein

Dabei ist Fußball ein so einfacher Sport. Die Regeln sind klar, ein Spiel dauert 90 Minuten und mindestens so lange, bis der Schiedsrichter pfeift. Das Spielfeld ist zwischen 90 und 120 Meter lang und zwischen 45 und 90 Meter breit. Es spielen elf Mann, es gibt jeweils einen Kapitän und jeweils einen Torwart. Geleitet wird das Spiel von einem Schiedsrichter und seinen beiden Linienrichtern. Für Fouls gibt’s Gelb, für rüde oder wiederholte Fouls Rot. Und das wichtigste: Gewinnen tut die Mannschaft, die am Ende ein Tor mehr geschossen hat.

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Klingt doch eigentlich ganz einfach, ist es vielleicht in der Regel auch – nur eben nicht beim VfB Stuttgart, wo der Fußball eben das hässlichste und grausamste Gesicht zu zeigen vermag. Fußball könnte so schön sein, und wenn man Glück hat, ist ein nur ein kleiner Teilbereich des Lebens, der unwichtig wird, wenn man sich auf viele andere Dinge in seinem Leben konzentrieren kann: Gesundheit, Beruf, Familie, Freunde und Hobbies. Und wenn man Pech hat, ist man eben VfB-Fan und leidet von Woche für Woche so sehr, dass so Manches auf einmal unwichtig wird.

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Ich wünschte ja, es wäre nicht so. Ich wünschte so sehr, ich könnte nach einem durchweg bescheiden gelaufenem Fußballwochenende wieder aufstehen, meinen Brustring richten und das Licht in der Dunkelheit sehen, mich auf meine Arbeit und auf Felix konzentrieren, vielleicht unter der Woche ein paar Freunde treffen und für ganze fünf Tage mich nicht von den Geschehnissen bei unserem Verein herunterziehen lassen. Die Realität sieht allerdings anders aus.

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Im Tal der Tränen

Der VfB ist überall, er verfolgt in jeden meiner Alpträume, raubt mir meine ganze Kraft und zehrt und zerrt an mir, ohne Rücksicht auf Verluste. Wie vieles in unserem Leben kann und soll jeder selbst entscheiden können, von welchen Dingen er sich herunterziehen lässt, worüber er sich aufregt und in welchem Maße er zulässt, dass die Gedanken einem die Lebenslust aussaugen. Auf der Suche nach dem richtigen Maß der Dinge habe ich mich in einem Labyrinth aus Kummer und Sorgen verlaufen. Wie soll ich denn dann erst einen Abstieg verkraften können?

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Ich werde ihn verkraften müssen. An dem Tag, an dem alle Hoffnung vergebens, das letzte Spiel gespielt und der letzte Punkt verloren ist, werden wir alle eine Antwort auf die Frage geben müssen, wie jeder einzelne von uns damit umgehen wird. Es dürfte keinen VfB-Fan mehr geben, der sich in den letzten vier Jahren noch nie große Sorgen um seinen Herzensverein gemacht hat, mit mehr Glück als Verstand hatte man das ganz große Unheil bisher immer abwenden können. Doch wir alle wissen, dass dieser Tag kommen wird. Wenn nicht in dieser Saison, dann in der nächsten oder übernächsten.

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Paderborn hat gewonnen, Hamburg hat gewonnen und selbst Hannover hat nach einem unlösbaren 0:2-Rückstand noch ein Remis geholt. Und der VfB tat das, was er in den letzten Jahren am allerbesten konnte: Geschenke liegen lassen, das eigene Werk mit dem Hintern einreißen und zu guter letzt im denkbar ungünstigsten Moment den klassischen Aufbaugegner spielen. Über so viel Slapstick könnte man beinahe lachen, wenn es einen nicht die Tränen der Trauer die Wangen herunterkullern lassen würde.

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Nichts zu lachen

Wenn mich diese grausame Spielzeit, oder vielmehr die letzten zwei, eines gelehrt haben, dann das keine Führung ewig währt. Schon nach dem in den letzten fünf Minuten verschenktem Sieg gegen die Freiburger, wusste ich, dass es lange dauern würde, mein Vertrauen in den Verein wieder herzustellen. Ob es nun diese Spieler sind oder andere, wie hoch muss der VfB denn fünf Minuten vor Schluss denn führen, um noch die Punkte mitzunehmen? Ist denn nur ein 5:0 in der 92. Minute ausreichend?

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Der Frust ist riesengroß, ohne jeden Zweifel. Bei mir, bei uns allen, womöglich auch bei den Spielern. Nicht wenige haben seit spätestens heute mit dem Ziel Klassenerhalt abgeschlossen. Ob die Hoffnung doch noch einmal wie durch ein Wunder zurückkehrt, darf – Stand jetzt – getrost bezweifelt werden, zu viele Monate lang hatte man es versäumt, im richtigen Moment die Zähler mitzubringen. Was in einem Großteil der Saison allenfalls dämlich und unfähig war, nimmt nun jedoch tatsächlich tragische Gesichtszüge an.

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Vielleicht wäre es besser gewesen, auf Schalke hoch zu verlieren, ungeachtet des ohnehin schon bescheidenen Torverhältnisses. Grausame Niederlagen gab es schon zu oft, und auch diese Partie reiht sich ein in eine nicht enden wollende Liste des Kummers. Not getan hat das nicht. Das hat es im Grunde nie. Was soll man als Fan aber auch anderes sagen? Selten hatten wir so wenig zu lachen wie in dieser Saison, von 31 Spieltagen verbrachte der VfB nur den allerersten nicht unter den letzten fünf, die in dieser Saison an den letzten drei Spieltagen den Abstieg unter sich ausmachen.

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Was schief gehen kann, geht auch schief

Jeder von uns kennt Murphys Gesetz, denn was schief gehen kann, geht bekanntlich auch schief. So musste wie schon befürchtet die Torflaute des Beinahe-Stuttgarters Klaas-Jan Huntelaar ein jähes Ende haben, so musste das eine Tor noch fallen, um das der VfB gebettelt hatte, und so mussten die Konkurrenten natürlich punkten. Was schief gehen konnte, ging schief. Dass einem die Welt so unglaublich ungerecht vorkommt, das Gefühl kennt derzeit wohl jeder, der den Brustring auf dem Trikot und im Herzen trägt.

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Das Wochenende würde weh tun, auf die eine oder andere Weise. Wäre es nicht der VfB, so wäre es das Feiertagskonzert von Frei.Wild in der Schleyerhalle gewesen, das meine Standhaftigkeit einforderte. Es hatte Spaß gemacht, sie nach 2011 mal wieder live zu sehen, und doch waren die Gedanken bereits auf dem Weg nach Gelsenkirchen. Gut vier Stunden nachdem wir die Halle verlassen hatten, klingelte bereits der Wecker. Grausam, doch man nimmt es in Kauf in der kleinen Resthoffnung, am Ende des Tages mit einem Lächeln heimzukehren.

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Ein zunächst entspannter Tag mit touristischem Programm am Biggesee und in Attendorn im Sauerland nahm seinen Lauf, bei perfektem Fußballwetter und strahlendem Sonnenschein brauchten nur noch die Punkte mitgenommen zu werden. Was viele so selbstverständlich ausgesprochen hatten, schien mir so weit entfernt. Punkten würden wir nicht, damit hatte ich gerechnet, doch wie schmerzhaft es wirklich werden würde, hatte ich mir nicht ausmalen können.

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Farbenfrohe Choreographien

4.300 Stuttgarter hatten sich auf den Weg gemacht, manche mehr, manche weniger hoffnungsvoll. Den Support würden wir durchziehen, so die Marschroute der aktiven Fanszene. Solange es rechnerisch noch möglich ist, solange würden wir nicht aufgeben. Und selbst, wenn es auf Schalke nicht reicht – so würden wir sie in den letzten drei Spielen trotzdem unterstützen. So dachten wir zumindest. Im Block wurden farbige Wendetafeln aus Pappe verteilt, aufgrund des voller werdenden Blocks kein einfaches Unterfangen für die freiwilligen Choreo-Helfer.

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Vom Einlauf der Mannschaften bekamen weder ich, noch Felix, noch hunderte andere im Block nichts mit. Vor unseren Gesichtern waren die Farbtafeln ausgebreitet, eine kleine Wendechoreographie mit einer Botschaft in Richtung Vereinsführung. Auch die Schalker hatten etwas vorbereitet und formulierten ihre Liebe zu Blau-Weiß. Etwas merkwürdig, zeigten sie sich in letzter Zeit doch massiv unzufrieden mit ihrer Mannschaft, die zuerst die Champions League verspielte und nun sogar noch um den Europapokal zittern musste.

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Es war angerichtet für die nächste Möglichkeit, die direkten Abstiegsplätze zu verlassen. Niemals sollte es uns liegen, soviel war sicher, und so überzeugte der Auftritt des Gästeblocks von Beginn an. Die Mannschaft konnte diesem Beispiel leider nicht folgen und lag nach neun Minuten bereits zurück. Torschütze: Klaas-Jan Huntelaar. Nach 1.197 torlosen Minuten. Die Worte „Ich habs gewusst!“ hörte ich nicht nur einmal um mich herum. Man könnte fast meinen, der Fußballgott spielt ein ganz übles Spiel mit uns.

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Wie (un)erwartet

Dass es nach zwanzig Minuten nicht bereits 3:0 für die Schalker stand, verwunderte selbst die neutralen Zuschauer. Nichts, aber auch wirklich gar nichts deutete darauf hin, dass der VfB hier noch einmal zurückkommen würde, zu dominant die Schalker, zu groß unsere eigene Unsicherheit. Der Stimmung im Gästeblock tat das keinen Abbruch, wir klatschten, sangen und hüpften weiter, bemerkenswert nach all dem, was wir bereits erlebt haben.

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Die Erinnerungen ans Hinspiel sind noch nicht ganz verblasst, in der ersten Minute lagen wir zurück, drei weitere Schalker Tore folgte. Damals war es verschmerzbar. Aber heute? Vielleicht auch heute. Aber war das unbedingt nötig? Manchmal kommt man sich schon vor wie in einem falschen Film, und du fragst dich, was du in deinem Leben verbrochen hast, warum dir so viel Frust zuteil wird. Nüchtern betracht werden nicht wir Fans bestraft. Der Verein wird bestraft, für jahrelange Misswirtschaft und Fehleinschätzungen. Wem es mehr schmerzt, wissen wir.

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Mit dem Fall am Fuß in der eigenen Hälfte, Martin Harnik passte auf Daniel Schwaab. Kein Grund zur Aufregung, weder bei den Schalkern, noch bei uns – was folgen würde, hatte wohl keiner auf dem Schirm. Per Hacke gab Filip Kostic den Ball weiter auf den durchgebrochenen Martin Harnik, der die Strecke aus der eigenen Hälfte schon zurückgelegt hatte. Ralf Fährmann verließ sein Tor und nach einem Lupfer war der Ball im Netz und der Gästeblock stand Kopf. Fußball kann manchmal doch ganz einfach sein. Aber eben nur manchmal.

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Offener Schlagabtausch

Sekunden später fiel beinahe das 1:2, Filip Kostic fand seinen Meister in Weltmeister Benedikt Höwedes. Was ist denn hier nur los? Mit dem verdienten Applaus verabschiedeten wir sie in die Pause, wohlwissend, dass wir hier Glück hatten, nicht schon zu Beginn uneinholbar hoch zurück zu liegen. Noch war alles offen, ein Gefühl des vorsichtigen Optimismus lag in der Luft, doch auch die Angst, der VfB würde erneut an diesem Druck und an sich selbst scheitern. Von ungefähr kam diese Befürchtung immerhin auch nicht.

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Kaum war die zweite Hälfte angepfiffen, so ergab sich ein weiterer Regen aus Bier. Ob es die überschäumende Freude von 4.300 leidgeprüften Stuttgartern war oder der Frust der Schalker Fans im Oberrang über dem Gästeblock, wird nicht ganz aufgeklärt werden können, doch war es ohnehin nicht von Belang. Viele Schwenkfahnen versperrten die Sicht, nur Fragmente konnte ich erkennen. Gerade war noch Serey Dié am Ball, dann auf einmal Daniel Ginczek, bevor er zu Filip Kostic kam. Und dann war der Ball drin.

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Das ganze Spiel anschauen kann und möchte ich nicht, nach all den gedankenverwirrten Stunden an diesem Sonntag fehlt mir nun die Zeit und auch die Kraft. Doch was ich sehe, bricht mir nicht weniger das Herz. So oft haben wir uns gefragt, wie ein Spiel wohl hätte ausgehen können, wenn man im rechten Moment einfach das zweite oder gar das dritte Tor gemacht hätte. Seit Wochen fragen wir uns nichts anderes, dabei ist uns doch allen klar, dass es nichts gibt, was uns diese verschenkten Möglichkeiten zurückbringt.

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Hätte, Wenn und Aber

Hätte Daniel Ginczek gegen Augsburg das zweite Tor gemacht, wäre unser Frust um einiges geringer. Hätte Martin Harnik das dritte Tor gegen Freiburg gemacht, würden wir nicht in im Tal der Tränen feststecken. Hätte Filip Kostic gegen Schalke auf Martin Harnik gepasst, wir würden nicht hiersitzen und sagen, dass dieses Wochenende in seiner Gesamtheit höchstwahrscheinlich für den VfB den Abstieg bedeuten würde. So viel „Hätte“, so viel „Was wäre, wenn“ – wir können nicht wirklich wissen, was passiert wäre. Aber wir hätten mit Sicherheit einige Sorgen weniger.

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Huub Stevens hatte nach dem Spiel gesagt, er sieht Woche für Woche die gleichen Fehler. Die spielerisch beste Mannschaft unter den letzten fünf ist trotz allem Tabellenletzter, eben weil in diesen vielen kleinen entscheidenden Momenten die Konzentration fehlt oder der letzte Schritt eben nicht gemacht wird. Zwölf Minuten vor Schluss, wieder patzte die Abwehr, wieder traf Klaas-Jan Huntelaar. So laut man uns im Fernsehen augenscheinlich gehört hat, so sehr traf uns dieses Tor ins Herz.

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Kurze Zeit später flimmerten die Zwischenergebnisse über die Anzeigetafel unter dem geöffneten Stadiondach. Hannover hatte ausgeglichen und die Paderborner führten nach einem Rückstand. Würde es auch nicht wahnsinnig viel bringen, so konnte man nur hoffen, der VfB nimmt zumindest den einen Punkt mit. Wenn schon nicht drei, dann eben den einen, wer weiß schon, wozu er am Ende gut ist. Doch der Fußball ist eben grausam, wenn du unten stehst.

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Selbst besiegt

Es gibt Szenen, die kann man sich gar nicht oft genug anschauen, wie Daniel Ginczeks Tor zum 3:2 gegen Bremen. Und es Szenen, in denen selbst eine Wiederholung schon zu viel ist. Zitternd und flehend standen wir da, der Support war in den letzten Minuten seit dem Ausgleich abgeflaut. Sie wackelten bedächtig. Kommt schon, wenigstens noch die paar wenigen Minuten überstehen, kaum mehr als zwei Minuten waren regulär noch zu spielen. Doch wir kennen ja unseren VfB. Dann haust du dir die Dinger eben auch selber rein.

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Regungslos. Fassungslos. Hoffnungslos. Vor zehn Minuten noch auf dem Weg zum gleichermaßen unerwarteten wie dringend notwendigen Auswärtssieg auf Platz 15 der Tabelle, nun erneut hart aufgeschlagen auf dem Boden der traurigen Realität. Kevin-Prince Boateng zog beherzt ab, meterweit wäre der Ball am Tor von Sven Ulreich vorbeigesegelt. Absicht will ich Florian Klein nicht unterstellen, er wollte unbedingt klären, eine Reflexhandlung mit bitteren Folgen. Den Fuß wegzulassen, wäre die weitaus bessere Entscheidung gewesen. Das wusste er dann auch.

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Der Prince ließ sich mit einem ohrenbetäubenden Getöse von dem Publikum feiern, das die Mannschaft noch wenige Minuten zuvor übel ausgepfiffen und ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Doch in den Spielberichtsbögen der Nation erschien nicht er als Torschütze, sondern Florian Klein. Er hätte doch den Ball am Tor vorbeisegeln lassen müssen. Doch so ist das nochmal, wenn man oft das Wort „hätte“ bemühen muss.

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Die große Fassungslosigkeit

Von diesem Schock erholten sie sich nicht, die Moral des VfB war gebrochen, genau wie die Hoffnungen des Gästeblocks, der schlagartig verstummte. Um mich herum sah ich zahlreiche leere Gesichter, Tränen in den Augen, Wut, Verzweiflung und die Angst vor dem, was sich kaum aufhalten lassen wird. Der zweite Abstieg der Vereinsgeschichte, innerhalb von zehn Minuten so weit weg und dann doch so nah. Alle Partien waren angepfiffen, Hannover und Paderborn punkteten. Bei unserem Glück würde selbst der HSV gewinnen, was am heutigen Sonntag tatsächlich so eintrat.

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Es dauerte lange, bis sich alle Reihen im Gästeblock gelichtet hatten. Auf dem Boden lagen all die zerknüllten Papptafeln, zertretene Pappbecher und das letzte bisschen Hoffnung, das wir VfB-Fans noch hatte. Zertrampelt unter unseren Füßen, ohne das wir das so gewollt hatten. Minutenlang stand ich da, blickte wortlos umher und wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Das dürfte es gewesen sein. Nur mit viel Mühe konnte mich Felix zum Gehen bewegen.

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Ich schaute mich nicht um, zu schmerzhaft war es für mich, ich konnte nicht begreifen, wie eine Mannschaft, die sich seit Wochen couragierte Leistungen attestieren lässt, einfach nicht in der Lage ist, daraus Kapital zu schlagen. Eine bittere Kombination aus eigenem Unvermögen und auch aus fehlendem Glück, das uns Fans mit einem Gefühl der Verzweiflung zurücklässt und dem Unwissen, ob wir künftig unsere Arbeitgeber um den einen oder anderen freien Montag bitten werden müssen.

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Die Frage nach Wert und Wichtigkeit

Wir suchten das Weite, ich begann schon sogleich mit der Bearbeitung der Bilder, sowie wir am Auto eingetroffen waren. Nach und nach leerte sich der Parkplatz, bevor auch wir die Heimreise antraten. Mit leeren Händen, wie schon so oft, viel zu oft. Und ein weiteres Mal war nicht die Niederlage selbst die bitterste Pille von allen sondern die Frage nach dem Wie. Sie reiben es dir unter die Nase, lassen dich daran schnuppern, lassen dich sogar mal ganz kurz anfassen – und dann schlagen sie dir die Tür vor der Nase zu.

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Lange hatte auf der Heimfahrt still an meinem Laptop gearbeitet, bis ich auf etwa halber Strecke mein Schweigen brach und eine große Diskussion vom Zaun brach, über das Recht und Unrecht des Frusts nach einer derart schmerzhaften und folgenreichen Niederlage und nicht zuletzt über den Wert und die Wichtigkeit des VfB in unserem Leben. Spätestens bei der ersten und einzigen Pause beim Kult-Rasthof Wunnenstein war die Stimmung am Tiefpunkt angekommen, stellvertretend für den Verein, der hier die große Chance verspielte, noch einmal tief Luft zu holen für die letzten drei entscheidenen Spiele.

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Wie ich noch hoffen soll, ist mir schleierhaft. Wie der VfB es noch schaffen soll, ist mir schleierhaft. Wie die Fans wohl mit den nächsten Wochen umgehen, ist mir schleierhaft. Es sind noch drei Spiele und damit die rechnerische Möglichkeit von neun Punkten und dem direkten Klassenerhalt. Die Köpfe hängen schwer, während alle anderen mentalen und sportlichen Erfolg verbuchen, hadern wir mit uns selbst.

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Mit anderthalb Beinen in Liga Zwei

Nie war die Angst größer. Sie wird realer mit jedem einzelnen Spieltag, beißt sich in unserem Nacken fest und zieht uns herunter wie ein kalter schwerer Stein, der uns am Bein hängt und uns in den Abgrund reißt. Nur noch wenige vertrauen darauf, dass der VfB punkten wird, während die Konkurrenz schwächelt. Auf die anderen wollten wir nicht schauen, müssen es aber trotzdem. Wir haben einiges gewollt für diese Saison, eingetroffen ist davon so gut wie nichts.

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Am Freitagabend stand Frei.Wild auf der Bühne der Schleyerhalle und sang: „Sie gießt Salz in deine Wunden, die Story hat nicht jemand anderes erfunden, Tränen laufen deine Wangen herunter und dein Ich ertrinkt darunter […] Sie hat dir nen Arschtritt gegeben!“ Wenn ein Song in deinem Leben auf einmal vollkommenen Sinn macht, bist du entweder frisch verliebt – oder dir wurde das Herz gebrochen.

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Mittlerweile dürfte sich jeder schon mit dem Gedanken auseinander gesetzt haben, dass unsere Gegner in der nächsten Saison nicht FC Bayern München, FC Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach heißen, sondern eben SV Sandhausen, Fortuna Düsseldorf und der FSV Frankfurt. Wie dieser Kelch nur an uns vorbei gehen soll…? Man vermag es sich nach diesem Wochenende einfach nicht mehr vorzustellen.

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