Man möchte meinen, an solchen Tagen fällt das Schreiben so viel leichter. Das stimmt nicht so ganz, der Sonntagnachmittag ist bereits vorangeschritten, hinter mir scheint die Sonne durchs Fenster, fast so, als würde sie für meine aktuelle Stimmungslage stehen. Vergangene Woche regnete es unablässig, als ich jene bitteren Zeilen niederschreiben musste am Tag nach dem gefühlten Abstieg auf Schalke. Wie nah Ernüchterung und Wahnsinn beieinander liegen, beweist uns der VfB immer wieder aufs Neue – ob wir das nun wollen oder nicht.

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Die Zuversicht ist ins Ländle zurückgekehrt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. 114,5 Dezibel. Mit diesem Wert wurde Filip Kostics erlösendes 2:0 gute zehn Minuten vor dem Ende gemessen. Nur eine Zahl, genau wie die dringend benötigten drei Punkte, mit denen noch gar nichts erreicht ist, stellvertretend für all den Druck, der für einen Moment von unseren Schultern abfiel und uns ein selten dagewesenen Glücksgefühl bescherte.

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Dieser Tag war Schwerstarbeit für meinen Körper. Meine Füße schmerzten, meine Knie waren weich, mein Herz raste, eine Achterbahn der Gefühle, die mich verrückt machte. Es wird mit Sicherheit jedem VfB-Fan so ergangen sein. Es nach so einer Saison immernoch in der eigenen Hand zu haben, entbehrt fast jeglicher Logik, und man neigt zur Annahme, dass für den zuletzt stark aufspielenden (und doch am Ende oft nachlässigen) VfB das Saisonende gut drei Wochen zu früh kommt. Das erste von drei Endspielen haben wir für uns entschieden. Die nächsten Schlachten werden nicht einfacher.

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Unruhige Gedanken

Kaum einen klaren Gedanken konnte ich fassen, die Nervosität hatte mich schon seit Tagen im Griff. Wie oft ich in dieser zähen Spielzeit zwischen Resignation und Zuversicht hin- und hergeschwankt war, kann ich euch nicht sagen. Immer dann, wenn ein vermeintliches Endspiel anstand, das Verlieren zum Verbot ernannt wurde und man stets las und hörte, es wäre vorbei, würde man diese Partie verlieren, ja, immer dann gewann der VfB. Gegen Frankfurt. Gegen Bremen. Gegen Mainz. Zwei Kraftakte braucht es noch und wir haben es überstanden. Wie es enden wird, kann heute noch keiner sagen.

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Unruhig lief ich in unserer Wohnung auf und ab, wanderte ziellos umher und suchte verzweifelt nach Ablenkung. Die Angst vor einer möglichen Reaktion der Fans im Falle einer schlimmstenfalls ähnlich tragischen Niederlage lähmte mich, Zeit meines Lebens will ich diesen Moment nicht mit ansehen müssen. Was haben wir nicht alles hinnehmen müssen, von deutlichen Niederlagen bis hin zu tragischen Punktverlusten, immer wieder nährte der eine oder andere unerwartete Punktgewinn unsere Hoffnungen, es würde nicht alles auf den letzten Spieltag bei den Aufsteigern aus Paderborn hinauslaufen.

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Wie sehr hadern wir nun mit den verlorenen Punkten gegen AugsburgSchalke und Freiburg. Man könnte schon durch sein, hätte man es cleverer angestellt. Man könnte so vieles sein, nur nicht da, wo man jetzt gerade ist. Von all den mutmachenden neutralen Aussagen, man spiele seit Wochen nicht wie ein Absteiger, wir würden uns davon nur allzugern die zusätzlichen Punkte kaufen. Chancen hatte der VfB genug, er ließ so viele davon ungenutzt. Kein Wunder also, dass es Vielen am Glauben mangelte. Ja, auch mir.

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Jeder ist der 12. Mann

Das absolute Horrorszenario konnte noch nicht eintreten. Hätte es einen Sieger aus der Partie der Hamburger gegen Freiburg gegeben, hätten auch Hannover und Paderborn gewonnen, sowie der VfB verloren, wer weiß, welch grausame Szenen wir an diesem sonnigen Samstagabend gestern noch zu Gesicht bekommen hätten. Ich will es mir nicht ausmalen, und doch kann sich mein Kopf des Gedankens nicht verwehren, wenn alle rechnerischen Chancen vorbei sind und die beinahe unerschöpfliche Geduld der Stuttgarter Fans ein Ende hat.

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Die Mannschaft muss da sein, wenn es nun darauf ankommt. Das gilt auch für die Cannstatter Kurve, die schon die ganze Saison dagewesen ist, der Mannschaft Mut zugesprochen hat, sie auf allen Wegen begleitet hat und oft nichts als Frust zurückbekommen hat. Wir haben Grund genug, in Frage zu stellen, wie es erneut soweit kommen konnte, doch dieser Tag wird erst noch kommen. Jetzt gilt es, noch einmal alles zu geben. Die Mannschaft braucht uns, und sie hört uns, wie die zurückliegende Partie gegen Mainz eindrucksvoll bewiesen hat.

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Jeder einzelne ist der 12. Mann – ein großes Spruchband hing über der Haupttreppe vor der Eingang zur Cannstatter Kurve, gut lesbar für Jene, die heute hier stehen würden, um den VfB nach vorne zu peitschen. In diesen Zeiten sollte sich jeder dessen bewusst sein, dass es nun nur gemeinsam geht. Wenn wir unsere Leistung auf den Rängen liefern und die Mannschaft ihre Leistung auf dem Platz, werden wir am Ende die Klasse halten. So und nicht anders.

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Die Glücksbringer aus Berlin

Auf dem Weg die Treppenstufen hinunter zu meinem Platz wurde ich von mehreren Freunden abgefangen. Wie denn so mein Gefühl wäre, wurde ich gefragt. Nervös und aufgekratzt wusste ich nur eine Antwort zu geben, dass mein Gefühl sich allenfalls auf massive Angst beschränkt. Ich schaute in viele Gesichter, als sich die Kurve langsam füllte, meinen Blick ließ ich schweifen und erblickte doch nahezu überall die Sorgenfalten auf der Stirn unzähliger besorgter, aber nicht hoffnungsloser Fans. Die Uhr tickte.

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Gegen Bremen hatten sie uns Glück gebracht, und so trat die Band „Die Fraktion“ kurzerhand ein weiteres Mal auf, mit nicht verkabelten E-Gitarren und einem Fake-Schlagzeug, doch wenn es Glück bringt, ist jedes Mittel recht. Meine Atmung wurde minütlich schwerer, die warmen Temperaturen taten ihr übriges und machten mich schon vor Anpfiff zu einem Fall für die Sanitäter. Wie soll ich da erst das Spiel überstehen?

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Was sollte man nur von den Gästen aus Mainz erwarten? Für sie geht es um nichts mehr, der eine Punkt, der zum rechnerischen Klassenerhalt noch fehlt, ist rein hypothetischer Natur, sowohl nach vorne als auch nach hinten geht es um nichts. Ob das jetzt gut oder schlecht für uns ist, vermochte niemand von uns zweifelsfrei einzuschätzen. Sicher waren wir uns nur, dass einer auf dem Feld stehen würde, den jeder VfB-Fan mittlerweile fürchtete. Das erste Tor von Klaas-Jan Huntelaar nach langer Zeit hatte man vergangene Woche bereits voraussagen können. Beschreien wir es dieses Mal lieber nicht.

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Die Gedanken sind drei

Noch drei Mal zusammenreißen. Noch drei Mal siegen. Noch drei Mal kämpfen bis zum umfallen. Noch drei Mal zittern. Noch dreimal bangen. Noch drei Mal alles geben. Es war soweit, der Unparteiische Michael Weiner führte beide Mannschaften aufs Feld, die Gäste liefen alle im gleichen Trikot auf: Soto mit der Nummer 19, der sich eine Woche zuvor so schwer verletzte, dass er vermutlich nie wieder im Profifußball aktiv sein wird, eine gemeinsame Spruchband-Aktion mit dem gut gefüllten Gästeblock sowie Solidarität aus unseren eigenen Reihen machten es zu einer tollen Geste.

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Der Ball rollte, die Fans waren da und die Jungs auf dem Platz demonstrierten sogleich ihren Plan für den heutigen Tag: Vollgas. Nach gut 30 Sekunden bereits der erste Angriff über Filip Kostic und Daniel Ginczek, zwei der vier Hoffnungsträger im Abstiegskampf. Und auch Daniel Didavi, der nach einer gefühlt ewig langen Leidenszeit wieder mit an Bord ist, zeigte sich gefährlich, da waren noch keine fünf Minuten vorüber.

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Die Mannschaft lebt und gibt alles, selbst dann, wenn eben nicht jeder Angriff im Tor endet, das muss man ihnen zu Gute halten. Bringen jene Gedanken zwar nichts, aber man stelle sich nur vor, man hätte das magische Viereck schon viel, viel früher in dieser Saison für sich entdeckt. So weinen wir still in uns hinein und werden uns immer fragen, was hätte drin sein können. Am Ende der Saison werden wir es wissen.

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Jubelschrei auf den Lippen

Nie im Leben könnte man annehmen, hier hätte der Tabellenletzte ein Heimspiel. Das gleiche Stadion, die gleiche Mannschaft, die gleichen Fans in der gleichen Kurve, aber trotzdem war es irgendwie anders. Wie diese Kurve immer wieder Kraft schöpft, um eine solche Darbietung auf den Rängen zu zeigen, das erstaunt und fasziniert mich doch immer wieder. Eine Viertelstunde war rum, der VfB kannte nur den Weg nach vorne. Lediglich das Tor fehlte, doch das Gefühl kennen wir von so manch anderen Spielen, in denen uns besagtes Tor verwehrt geblieben war.

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Blitzschnelle Ballgewinne, energische Zweikämpfe, engangierte Angriffe nach vorne – wo war das alles nur in den vielen Spielen mit gefühlt zehn acht Verteidigern auf dem Platz?! Sie ließen nicht locker und versuchten immer wieder, die disziplinierte Abwehr der Nullfünfer zu durchbrechen, bisher erfolglos. Wenn sie so weitermachen, ist es nur eine Frage der Zeit. Doch haben wir die Zeit denn wirklich? Hamburg und Hannover holten einen Punkt, das wussten die Spieler bereits zum Zeitpunkt des Anpfiffs, der Druck war groß.

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Viele hatten den Jubelschrei bereits auf den Lippen, als Daniel Didavi kurz vor der Strafraumgrenze gut elf Minuten vor der Pause beherzt abzog. Immer weiter flog der Ball in unsere Richtung, der Mainzer Keeper Loris Karius, der in seiner Jugend selbst das VfB-Trikot getragen hatte, kam nicht mehr heran. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf das Tor vor der Cannstatter Kurve, im Augenwinkel sah ich, wie sich die Haupttribüne von ihren Plätzen erhoben hatte.

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Das Warten auf das Tor

Ohne jeden Zweifel wäre es ein Treffer der Marke „Tor des Monats“ geworden. „Dong!“ machte es, der Ball schlug gegen den Pfosten und schließlich zurück ins Spielfeld. Was für eine unfassbare Gelegenheit! Der Nachschuss endete im Eckball, energisch peitschte die Kurve die Mannschaft an, als ginge es um die Meisterschaft, immer weiter, immer wieder, immer mehr. Es geht um so verdammt viel, reißt euch drei Mal zusammen und macht macht alles, was in dieser Saison passiert ist, ein bisschen weniger schmerzhaft.

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Vieles funktionierte besser in den letzten Wochen, selbst Sven Ulreich scheint dazu gelernt zu haben und änderte seine Strategie beim einen oder anderen Abstoß. Wo sonst der Abschlag immer weit ins Feld geschlagen wurde, wo der liebe Gott zwar helfen sollte, der Ball aber stets beim Gegner landete, sah man hier schnelle Abwürfe in den Lauf der Abwehrspieler. Auch das Aufbauspiel hat sich gebessert in den vergangenen Spieltagen. Umso unglaublicher, dass wir immernoch da unten stehen und bis zum letzten Spieltag fürchten müssen.

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Bis zur letzten Minute der ersten Halbzeit war die ungebrochene Unterstützung der Fans der Mannschaft zuteil geworden, die wir mit wohlwollendem Applaus in die Kabine verabschiedeten. Soweit eigentlich alles gut, sie spielten das diszipliniert, erarbeiteten sich ihre Chancen und legten den unbedingten Willen an den Tag, der noch vor gut zwei Monaten nirgendwo erkennbar war. Nur das Tor, das fehlte noch. Ob das am Ende trotzdem gut geht, man konnte es nur hoffen. Die Ansätze waren definitiv da, aber das alleine war beim VfB schon lange kein Erfolgsgarant mehr.

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Der neue Flügelflitzer aus Serbien

Wer hätte das für möglich gehalten, dass der schnell als Fehleinkauf verschrieene Filip Kostic es doch noch schaffen würde, in der Bundesliga anzukommen. Längst ist Ibrahima Traoré vergessen, der seine Schuhe mittlerweile für die Gladbacher schnürt, mit dem jungen Serben haben wir einen neuen Flügelflitzer gefunden. Einer, mit dem man etwas aufbauen kann, unabhängig von der Ligazugehörigkeit in der nächsten Saison.

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Mit brachialer Lautstärke schmetterte die Kurve ein Lied nach dem anderen und vermochte sogar das zu schaffen, was selbst in stets erfolgreichen Zeiten nur selten gelingen konnte: das Mitreißen der Hauptribüne. Wann konnte man zuletzt die dortigen Sitzplätze zum Aufstehen bewegen, wenn man sie darum gebeten hatte? Das Publikum war da, nur dieses vermaledeite Tor, es wollte einfach nicht fallen. Noch nicht. Als hätte es gewusst, mit wievielen Qualen man die Geduld der Fans auf die Probe stellen könnte.

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Immer wieder die tollen Flanken, immer wieder die aussichtsreichen Schusspositionen, immer wieder scheiterte man, mal mehr, mal weniger knapp. Spielen hier etwa schon die Nerven mit? Es muss doch endlich mal gelingen! Die Frage, wieviele Chancen man braucht, haben wir uns schon einige Male stellen müssen, um nicht zu sagen unzählige Male, wann immer der letzte Schritt gefehlt hatte. Daniel Didavi hatte es satt, den Ball nicht im Netz zu sehen.

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Zurück im Geschäft

34 Meter trennten den Sohn einer deutschen Mutter und eines Vaters aus dem Benin vom gegnerischen Tor vor der Untertürkheimer Kurve. Die Sonne senkte sich hinter dem Neckarstadion und fiel im spitzen Winkel in die Spielstätte hinein. Nach über einer Stunde hatte der VfB schon zahlreiche Gelegenheiten, das längst überfällige Tor zu erzielen, es waren weitaus hochkarätigere Chancen dabei. Da fasste er sich ein Herz, das er nach langer Leidenszeit ohnehin am rechten Fleck trägt und zog ab. Loris Karius war zur Stelle, der Ball kam direkt auf ihn zu.

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„Ach schade!“ dachte ich mir noch. Doch was war das? Da zappelte der Ball auf einmal im Netz, alles um mich herum sprang wild durch die Gegend, doch mein erster Blick ging zum Linienrichter, dann zum Schiedsrichter und dann erst wandte ich meinen Blick nach links, vor meinen Augen offenbarte sich der mehr als verdiente Jubel einer hervorragend aufgelegten Cannstatter Kurve, der die Erleichterung spürbar anzumerken war.

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Felix erzählte mir erst am Sonntagnachmittag, wie er das Tor gesehen hatte: „Warum schießt der Idiot von so weit… JAAAAAAAAAAAAAA“. Dass Loris Karius hier fleißig mitgeholfen hatte, kann und will ich an dieser Stelle jedoch nicht verschweigen. Der Ball kam vor ihm noch einmal auf, der Keeper griff komplett daneben. Viele Kommentatoren, Journalisten und andere selbsternannte Experten nennen so etwas „heimtückisch“, aber bedenkt man den Lattentreffer in der 34. Minute nennen wir es jetzt ganz einfach mal „hochverdient“. Das lässt sich auch ohne VfB-Brille sagen.

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Zittern, Bangen und Hoffen

Das erste Tor war gefallen, endlich, endlich, endlich! Gut 25 Minuten hatten wir nun zu überstehen, Zeit genug, um entweder ein zweites zu schießen – oder eben auch, um eines zu kassieren. Die Spiele gegen Freiburg und Schalke haben bereits bewiesen, wie schnell es gehen kann, wenn man mal einen kurzen Augenblick den Gegner aus den Augen verliert. Beim Stand von 1:0 ging es mir nun fast noch schlechter als beim Stand von 0:0, denn nun begann das große Zittern.

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Eine Viertelstunde vor dem Schlusspfiff war der Arbeitstag von Daniel Didavi zu Ende. Der wichtigste Mann auf dem Platz, Dreh- und Angelpunkt im Angriffsspiel, unablässiger und fleißiger Arbeiter und nicht zuletzt Torschütze zum wichtigen 1:0 – zurecht stehende Ovationen für Einen, der schon zu viel Leid in seinem Leben erfahren musste. Von der Kurve schallte es immer wieder „Didavi, Didavi, Didavi“, für ihn kam Alexandru Maxim, der in den letzten Wochen nicht weniger wichtig geworden ist.

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Die Unterstützung von den Rängen ebbte nicht ab, in der ungebrochenen Hoffnung, die Jungs da unten auf dem Spielfeld würden jene Leidenschaft spüren, die wir hier an den Tag gelegt hatten, und es uns gleich machen. Den gleichen Fehler wie gegen Freiburg würden sie nicht begehen, das konnte man nur hoffen. Doch die Anspannung blieb, denn solange Shinji Okazaki noch auf dem Feld stehen würde, solange würde ich die Angst davor haben, dass der Ball in einer einzigen Mainzer Offensivaktion an Sven Ulreich vorbei über die Linie drücken würde. Es wäre an tragischer Ironie wohl kaum zu überbieten.

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Mit 100 km/h hinein ins Glück

Mir war furchtbar schlecht. Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt, es würde Stunden oder gar Tage dauern, wieder auf ein normales Level herunterzufahren. „Jetzt bloß keinen Scheiß machen“ murmelte ich immer wieder in mich hinein. Beinahe zwölf Minuten galt es noch zu überstehen, Hauptsache am Ende drei Punkte, das „Wie“ ist dabei völlig irrelevant. Immer wieder nach vorne, diesmal war es Daniel Ginczek, der den Ball an der Strafraumgrenze behaupten musste. Und dann ging es doch ganz schnell.

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Mit dem Rücken zum Tor spitzelte er den Ball auf den durchgebrochenen Martin Harnik, der nun alleine auf Loris Karius zurannte und uneigennützig dann doch noch einmal in den Strafraum zurückpasste. Daniel Ginczek war inzwischen wieder herbeigeeilt, doch er zog im letzten Moment die Bremse an und überließ für den mit gewaltigem Tempo herangezischten Filip Kostic. Mit über 100 km/h schlug der Ball unter der Latte ins Tor hinein. In diesem Moment wurde ein neuer Dezibel-Höchstwert in den deutschen Stadien gemessen.

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Wer diesen Moment nicht miterleben konnte, der tut mir leid. Wie kann ich nur das wiedergeben, was sich in diesem Augenblick abspielte? Es brach ein weiteres Mal aus uns heraus, lauter und leidenschaftlicher als je zuvor. Das erlösende Tor war gefallen, den beinahe unmotivierten Mainzern würde es nun wohl nicht mehr gelingen, das aufzuholen. Am nächsten Tag keine Stimme mehr zu haben, nahm jeder von uns wissentlich in Kauf. Das würde es definitiv wert sein.

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Die Rückkehr der Hoffnungen

Da war es wieder, das „So spielt doch kein Absteiger!“, doch noch hatten wir gar nichts erreicht. Nicht einmal mit diesem Sieg konnten wir die Abstiegsränge verlassen, doch es war der letzte Strohhalm, den wir noch greifen konnten. Gegen Mainz zu verlieren und die Chancen auf den Klassenerhalt wären dahin gewesen. Nun stand es wenige Minuten vor Schluss 2:0, nun haderte man fast schon damit, dass Martin Harnik und Alexandru Maxim das 3:0 auf dem Fuße hatten und diese Möglichkeit ungenutzt ließen. Doch im Gegensatz zu zahlreichen anderen Spielen konnte man ihnen das nicht übel nehmen.

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Lauter Jubel von allen Seiten, bis zum letzten Atemzug. Tick tack tick tack. Die Uhr lief langsam herunter, zum ersten Mal nach langer Zeit mit dem Gefühl der Erleichterung und der wieder aufgekeimten Hoffnung. Ich gebe zu, ich hatte nach dem Spiel auf Schalke schon beinahe damit abgeschlossen, dass es doch noch was werden kann mit dem Klassenerhalt, zu sehr frustrierten mich die erneuten Nachlässigkeiten in der Abwehr. Heute stand die Null, ein psychologisch enorm wichtiger Fakt für die letzten beiden ausstehenden Spiele gegen Hamburg und Paderborn.

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Die Nachspielzeit wird auf der Anzeigetafel nicht angezeigt, alles geht nach Gefühl, und bis die drei Minuten vorüber waren, verging eine gefühlte Ewigkeit. Die Auswechselspieler standen vor der Bank, wollten das Feld stürmen im Moment des Abpfiffs, als hätte man hier den Pokal gewonnen. Vielleicht hatte Robin Dutt ja doch recht, als er einen Pokalmodus ausrief und das Heimspiel gegen Mainz kurzerhand zum Viertelfinale machte. Um ca. 20:18 Uhr war es dann endlich soweit: der VfB stand im Halbfinale.

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Die Show muss weitergehen

Meinen Blick hatte ich die ganze Zeit auf die Kurve gerichtet, genau wie meine Kamera, mit der ich diesen wichtigen Moment festhalten wollte. Die Reaktionen Aller, die dem beinwohnen durften, waren stets die selben: beide Hände nach oben, den Kopf in den Nacken und ein befreites „JAAAAA!“ in den Stuttgarter Abendhimmel schreien. Ein weiteres Spiel, in dem es ums Überleben ging, dass der VfB gewann, der letzte Strohhalm, den es zu ergreifen galt. Uns ist bewusst, dass es erst der Anfang war.

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Die Aussichten könnten weitaus düsterer sein, als mit so einer Energieleistung im Gepäck und nicht zuvergessen: mit einer sensationellen Cannstatter Kurve im Rücken. Bevor sie in unsere Richtung liefen, sammelten sie sich in der Mitte in einem Kreis, Stammspieler, Ersatzspieler, Betreuer, Maskottchen und auch Huub Stevens, der eine kurze Ansprache an seine Jungs gehalten hatte. Mit lautem Getöse und der fest geballten Siegerfaust empfingen wir sie schließlich vor den Rängen der Kurve.

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Die meisten hatten ihre Backen aufgepustet, wohlwissend, dass hier drei Punkte dringend notwendig, aber keinesfalls selbstverständlich waren. Das ließen wir die Jungs auch wissen, die Welle mit den Fans (es wäre die erste in dieser Saison) sollten sie sich aufsparen bis zum letzten Spieltag in Paderborn, wenn alles überstanden ist und wir über dem Strich stehen. Bis es soweit ist, liegt noch viel Arbeit vor uns. Noch zwei Endspiele. Alle in Weiß zum Heimspiel gegen den HSV! Mit dieser geschlossenen Leistung von Mannschaft und Kurve können wir es schaffen.

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