Um 19:28 Uhr schrieb ich via WhatsApp meinem Chef, seines Zeichens ebenfalls VfB-Fan: “Ich weiß net mal, was ich sagen soll.” – “Verdient?” – “Natürlich nicht.” – “So wie immer also.” Während ich die Bilder von der Speicherkarte auf meinen Rechner kopierte, schaute ich wortlos auf den Bildschirm und beobachtete den Fortschrittsbalken im Statusfenster. So wie immer also. Besser konnte man es wohl kaum ausdrücken. Sollte man einfach nur traurig sein? Oder ist der Punkt sogar schon längst überschritten und zur Wut übergegangen? Ich kann es nicht einmal beantworten.

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Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Und vor allem weiß ich nicht, wie ich mit dieser skurrilen Krise überhaupt umgehen soll. Seit Wochen und Monaten suchte ich etwas, was mein Vertrauen in die Mannschaft, in den Verein, weiter stärken könnten, hinfort von dem zwanghaften Pessimismus, der mich umgibt. Gefunden habe ich eine Begeisterung für ein neues Spielsystem, eine neue Philosophie, ein Umbruch war zu erkennen, zum ersten Mal seit Jahren schien etwas aufgebaut zu werden, was uns so lange am Wasen gefehlt hat.

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Sieben Bundesligaspiele später sind alle Gedanken wieder hinfällig. Und so suche ich weiter nach etwas, was Hoffnung macht; das mir die Zuversicht, die ich verloren habe, zurückgeben kann. So groß die Erleichterung nach dem dringend notwendigen Sieg in Hannover war, so groß ist nun die neuerliche Ernüchterung. (Fast) jede Woche die gleiche Geschichte. Gut gespielt. Viele Chancen gehabt. Verloren. Immer und immer wieder. Es ist nicht die erste Krise des VfB Stuttgart – doch es ist die erste, in der man den gefälligsten Fußball seit Jahren spielte.

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Auf der Suche nach dem Glauben

Die Ibuprofen 400, die ich vor gut einer Stunde geschluckt habe, beginnt langsam zu wirken. Ist es das Kopfzerbrechen, das mich mürbe gemacht hat? Eine Stunde Frusttraining im Fitnessstudio brachten nicht die ausreichende Ablenkung, und zu wissen, jetzt all das auch noch niederzuschreiben, macht es gewiss nicht besser. Dabei könnte ich es mir einfach machen: Einfach nichts schreiben. Drei kurze Absätze, Bilder rein, fertig. Das hat noch nie funktioniert und wird vermutlich auch nicht funktionieren.

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Hin und wieder denke ich darüber nach, wie entspannt, sorglos und langweilig das Leben wäre, wenn ich kein Fußballfan geworden wäre. Nicht nur mein geliebter Felix wäre mir dadurch entgangen, auch all jene Sternstunden wie zuletzt Daniel Ginczeks erlösendes Tor in Paderborn, das Pokalfinale in Berlin oder jene legendäre Europapokalfahrten. Dennoch hätte ich verzichtet auf grausame Jahre des Abstiegskampfs, mehr verlorene Spiele als ich aufzählen kann und vor allem die vergangenen letzten Wochen, wo man gegen die machbarsten Gegner der Liga nur drei Punkte holte, wo es hätten 21 Punkte sein können.

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Nur zu gerne würde ich den Glauben leben, dass sich guter Fußball auf Dauer durchsetzt. Die Saison ist noch jung und wird selbst für unseren VfB noch positive Überraschungen bereit halten. Doch das mit dem Glauben ist eben so eine Sache. Fußball ist und war immer ein Ergebnissport. Ich will nicht abstreiten, dass es wesentlich mehr mit attraktivem Fußball zu tun hat als in den Jahren zuvor, doch habe ich entsetzliche Angst, dass das alleine nicht reichen wird und schlimmstenfalls ein Untergang mit wehenden Fahnen sein wird.

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Kein Spaß an der Freude

Ich lasse mich gern vom Gegenteil überzeugen, nichts würde ich mir mehr wünschen! Alles, was man fühlen kann, ist momentan Frust, Enttäuschung und Unverständnis. Wie oft in den letzten Jahren war ein entsetzlich schlechtes Spiel der Grund für Niederlagen, Lustlosigkeit im Zweikampf, Faulheit in der Offensive, ein schlechter Trainer, sie waren meist selbst schuld an ihren Niederlagen. Man konnte verstehen, warum Spiele verloren gingen. Heute versteht man es nicht. Sie sind immernoch selbst schuld an ihren Niederlagen: weil sie einfach ihre Möglichkeiten vorne nicht einmal ansatzweise ausnutzen und sich hinten durch einzelne Aussetzer immer wieder um den mehr als verdienten Lohn bringen.

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Wie grausam der Gedanke doch ist, dass diese Möglichkeiten, würde man sie konsequenter nutzen, für eine ganze Spielzeit reichen würden. Eine Spielzeit, entspannt und gediegen, ohne die große Angst, ohne den großen Abstiegskampf, ohne jedes Wochenende frustriert zu sein. Wer wünscht sich das nicht? Von uns wird Geduld verlangt. Doch wieviel Geduld können wir Fans haben, wenn die Situation einfach nicht besser wird?

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An das letzte Mal, dass ich ein bedingungslos gutes Gefühl vor einem VfB-Spiel hatte, kann ich mich nicht einmal mehr erinnern. Es muss sehr lange zurückliegen, denn bisher hatte ich immer ein ungutes Bauchgefühl in den zurückliegenden Spielzeiten. Manchmal überraschte mich der VfB, doch meist tat er das, was ich von ihm vermutet hatte: er verlor. Und zwar oft. Mehr als mir lieb gewesen war, denn nach all den Jahren Abstiegskampf machte mich der Frust nicht etwa abgehärtet, sondern nur frustrierter. Kein Vertrauen. Kein Glauben. Keine Hoffnung. Warum also gehe ich eigentlich noch zum Fußball? Ich weiß es nicht.

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Bazitrachten raus aus Stuttgart!

Ziellos schwirrten meine Gedanken umher, viele Stunden, bevor wir uns auf den Weg machen wollten. Ein wenig produktiv wollte ich sein, meine Wochenenden während der Saison bestehen zum Großteil ohnehin nur aus VfB, inklusive Spiel und der Nachbereitung in Wort und Bild. Geschafft habe ich es nicht, unruhig lief ich auf und ab, ziellos, auf der Suche nach Ablenkung. Mit einem weiteren ungutem Gefühl im Magen bereitete ich alles vor, von den Kameras bis zur Dauerkarte.

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Die ersten gefärbten Blätter des Herbstes säumten unseren Weg, so wie auch unzählige Wasenbesucher in Dirndl und Lederhose, eine untragbare Unsitte, welche in den letzten Jahren Überhand genommen hat. Zumeist in bayrischer Tracht gekleidet wähnen sie sich voll im Trend, ohne dabei zu wissen, dass die bayrische Tracht nicht auf den am Tag zuvor eröffneten Cannstatter Wasen gehört. Anzunehmen, dass es viele dieser Leute auch ins Stadion spült. Es bleibt dabei: Bazitrachten raus aus Stuttgart!

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Welch merkwürdige Stimmung in der Luft lag, als wir das Neckarstadion erreichten. Man spürte deutlich die Verunsicherung unter den Fans, die Angst vor einer weiteren Niederlage, die Sehnsucht nach besseren Zeiten. Kühler Wind wehte um die Nase, wenngleich die Temperaturen lau waren und den einen oder anderen zur kurzen Hose verleitet hatten. Angespannt nahm ich meinen Platz im Block ein, begrüßte die selben Gesichter wie immer, schaute mich wie immer um, und fürchtete wie immer, ein weiteres Mal in mehr als drei Stunden mit hängendem Kopf das Stadion zu verlassen.

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Alles wie immer

Es gab schon deutlich bessere Zeitpunkte, um auf die Borussia aus Mönchengladbach zu treffen. Lucien Favre war zurückgetreten und gewann zeitgleich zu unserem Auswärtssieg in Hannover gegen die Augsburger. Wehe, wenn sie losgelassen. Bisher blieben sie deutlich hinter ihrer Qualität und ihren eigenen Erwartungen zurück und hatten nun die Möglichkeit, sich zu befreien. Für mich war klar: dieses Spiel wird die erste echte Weichenstellung der Saison sein, wer gewinnt, ist erstmal aus dem Gröbsten raus, wer verliert, hat schwere Wochen vor sich.

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Keine drei Minuten waren gespielt, der erste Angriff des VfB. Nicht, dass uns das zuletzt hätte überraschen können, die Effektivität nach vorne ist das eine Problem, die Ineffektivität nach hinten das andere. Harakiri betrieben sie nicht, sie schienen ein wenig abzuwarten, was die Gladbacher so machen. Die Stimmung war gut, es war laut in der Kurve, selbst zu dem eher stimmungsfreien Block 33 schwappte der Support für die Mannschaft mit. Der zweite Sieg in Folge und man hätte wieder genug Selbstvertrauen, bis die wirklich schweren Gegner kommen würden.

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Wenige Minuten waren vergangen und eines stand schon jetzt fest: das war nicht mehr die Borussia, die bis Mittwoch ebenso wie wir keinen einzigen Punkt holen konnte. Den Effekt des neuen Trainers, sie haben ihn genutzt und wirkten auch nicht mehr so unruhig wie noch vor einigen Wochen. Und der VfB? Der machte es wie immer. Eine tolle Flanke von Timo Werner verfehlte zuerst Daniel Ginczek und auf der zweiten Station auch Daniel Didavi. Alles beim Alten beim Meister des Verballerns.

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Spürbare Unsicherheit

Ich wusste schon, warum ich so ein komisches Gefühl im Bauch hatte. Bisher rächte es sich immer, wenn man sich nicht selbst belohnt. Es ist skurril und treibt einen in den Wahnsinn, wenn man sich Woche für Woche den nahezu gleichen Spielverlauf anschauen muss. Darüber zu schreiben ist dann umso schwerer. Welche Wohltat es am Donnerstag war, die Worte der Erleichterung niederzuschreiben, könnt ihr euch sicher leibhaft vorstellen. Sehnsüchtig harren wir der Dinge, die da kommen, doch kommt nahezu nicht mehr als Enttäuschungen.

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Die Abwehrböcke in Hannover haben mir Sorgen bereitet und mich bis zu Alexandru Maxims erlösendem Treffer in der Nachspielzeit meiner Fingernägel herunter kauen lassen, solche dürfte man sich gegen stark konternde Gladbacher nicht erlauben. Sie waren schneller, cleverer und effektiver als wir und unsere Viererkette konnte dem nicht standhalten. Ein Freistoß, eine Viertelstunde im Spiel, schürte den ersten richtigen Frust.

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Raffael war angetreten. Meine Knie schlotterten jetzt schon, noch bevor er Anlauf nahm. Ein langer Ball, der immer länger wurde, je näher er in Richtung Przemyslaw Tyton flog. Was machte unser Torwart da? Eine Fahne verdeckte meine Sicht, erst am Samstagabend sah ich, was vorgefallen war. Einen Schritt vor, dann wieder einen zurück, unsicher, was er denn tun soll. Granit Xhaka brauchte nur noch seinen Kopf hinhalten und sorgte für das schon früh für die Durchsage „Tor für die Gäste“, als wären wir dieses Spruchs nicht schon längst überdrüssig.

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Viel zu schnell, viel zu einfach

Kurz geschüttelt, weiter geht es. Wieder im Rückstand, doch was sollten wir Fans denn jetzt stattdessen tun? Pfeifen? Den Support versagen? Alles andere als hilfreich. Auch in Hannover lagen wir zurück, warum also schon jetzt die Flinte ins Korn werfen? Alles leichter gesagt als getan. Wenige Minuten nach dem Rückstand, der erneute Angriff der Borussia, das meiste lief über links, wo die Abwehr völlig überfordert schien mit dem Abfangen von Oscar Wendt, der immer wieder gefährliche Flanken schlug. Eine davon landete auf dem Kopf von Patrick Herrmann.

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Christian Gentner, der sein 200. Spiel für den VfB machte, wollte noch in höchster Not zur Ecke klären – und traf ins eigene Tor. Solche Tore passieren dir komischerweise nie beim Gegner, wenn du schon einmal die Scheiße am Fuß hast. Das muss ein schlechter Traum sein. Zwei Gegentore in vier Minuten, eine vogelwilde Abwehr und geschockte Blicke in der Cannstatter Kurve. Gegen Augsburg hatte Gladbach nach 20 Minuten bereits mit 4:0 geführt, der VfB hätte es schlichtweg besser wissen müssen, wie gefährlich sie in der Anfangsphase sein können.

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Es wurde laut im Gästeblock, sie wähnten sich aus dem Schlamassel heraus, offensichtlich zurecht. Sie haben begriffen, wie man sich aus einer misslichen Lage befreit. Im Gegensatz zu unserer Mannschaft, die nicht wusste, wie ihr geschah. Fassungslos stand ich da, zitterte am ganzen Körper, bekam schlecht Luft und wollte lieber ganz woanders sein, weit weg von diesem Gefühl, das stets so schmerzhaft daher kommt.

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Das war so nicht geplant

„Kämpfen und siegen, niemals aufgeben!“ – eine andere Wahl hatten wir nicht. Für viele war das Spiel schon jetzt verloren, zu viele Fehler, zu einfache Fehler, es stimmte rein gar nichts in der Abwehr. Zu Beginn dieser Spielzeit noch mit Pauken und Tropeten gestartet, wähnte man sich nun in einem ganz persönlichen Alptraum. Vorne keine Tore, dafür hinten umso mehr – so war das sicherlich nicht geplant!

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Was das wohl für ein Gefühl sein muss? Nach einer fünf Spiele andauernden Pleitenserie im zweiten Spiel in Folge deutlich führen und den Sieg schon halb in der Tasche zu haben? Ich weiß schon gar nicht mehr, wie sich das anfühlt, die Gäste werden ihre helle Freude gehabt haben, während unser VfB uns fast nichts als Kummer bereitet. Bin ich neidisch auf eine Mannschaft, die ihre ganz eigenen Probleme hat? Ein bisschen schon – auf jede Mannschaft, die sich einfach cleverer anstellt als wir das tun.

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Erneut rannten sie nur hinterher, wie zu oft in dieser Spielzeit, die noch so jung ist. Nur langsam fand die Cannstatter Kurve zum Support zurück, es blieb verhalten, der Schmerz des erschreckenden Rückstands war doch sehr groß. Das Bemühen konnte man ihnen nicht absprechen, abgesehen von der zweiten Halbzeit in Berlin konnte man das bisher noch nie. Doch es reichte eben nicht. Bisher zumindest. Ein langer Ball erreichte Daniel Didavi, der den Sprint startete und an der Strafraumgrenze abschloss. Latte! Ein Raunen ging durch die Menge, gefolgt von sanftem Jubel. Elfmeter.

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Vom Punkt zurück ins Spiel

Havard Nordtveit hatte die Nummer Zehn abgeräumt, nachdem dieser die weiße Linie schon passiert hatte. Freude um mich herum, Versteinerung in meinem Blick. „Ich juble erst, wenn das Ding drin ist!“ sagte ich noch. Bei Twitter wurde am Tag zuvor noch gefragt, wer denn unser etatmäßiger Elfmeterschütze sei. Eigentlich Daniel Didavi? Oder doch Florian Klein? Oder gar Christian Gentner? Es war Daniel Ginczek, der sich den Ball hinlegte. Noch nie hatte er in der Bundesliga einen Elfmeter geschossen. Bis zu diesem Augenblick. Eiskalt und mit einem Hauch von Arroganz, knallhart in die Mitte.

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Der VfB war wieder da! Die Cannstatter Kurve war wieder da! Zurück im Spiel gab uns dieser doch eher unerwartete Treffer Aufwind und den Glauben zurück, das Spiel noch zu drehen, so wie wir es in Hannover getan haben, oder letzte Saison in der Schlussphase der Spielzeit gegen Frankfurt, Hamburg und vor allem Paderborn. Es war noch nicht vorbei, doch es würde viel Kraft und Geduld brauchen, um hier doch noch zu punkten. Ich denke immer wieder gerne an jenes Heimspiel gegen Leverkusen, als man nach einem 0:3-Halbzeitrückstand noch den Ausgleich schaffte.

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Nervös umklammerte ich mein Trinkpäckchen und konnte nur hoffen, dass die Halbzeitansprache von Alexander Zorniger fruchten würde. Die Abwehr in den Griff bekommen, und zwar schnellstmöglich. Aber wie soll in der zweiten Halbzeit etwas besser werden, was schon seit über sieben Wochen unser offensichtlichstes Problem ist? Für die Gegner wird es immer einfacher uns zu durchschauen, zu hoch steht die Abwehr, zu einfach kann man uns durch einfache Konter außer Gefecht setzen.

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Hoffnung auf mehr

Immer wieder rannten sie an, sie wollten das Tor erzwingen, wussten aber selbst nicht so recht, wie. Viele Ecken und noch mehr Versuche aus dem Spiel heraus, immer wieder war ein Gladbacher Fuß dazwischen, immer wieder rannte man in einen Konter, wenngleich man Mitte der zweiten Hälfte ein klares Chancenplus verzeichnen konnte. Wenn man es nicht selbst jede Woche erleben würde, man würde verzweifeln, was der VfB seinen Fans antut.

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Noch eine knappe halbe Stunde hatte der VfB Zeit, zumindest noch das eine Tor zu erzielen, das uns einen mehr als verdienten Punkt hätte retten können. Serey Dié, der in bisher jeder Partie sein Kämpferherz zeigte, sah Gelb. Kuriose Szene: beinahe unbeobachtet sämtlicher Berichterstattungen nahm Schiedsrichter Günter Perl die Verwarnung zurück und gab sie stattdessen Toni Sunjic, der nahezu zeitgleich am Ball war.

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Wie schon in Hannover kam nach einer Stunde Alexandru Maxim für Daniel Didavi ins Spiel. Wenn er wieder in der Nachspielzeit das eine Tor macht, es soll uns recht sein. Sie schienen nah dran am Ausgleich, das eine Tor vom Punkt hatte neue Energie gegebenen, auch bei uns in der Cannstatter Kurve. Hoffnung war zu spüren, Aufbruch, Selbstvertrauen. Ein Hauch von „Das schaffen wir noch!“ war zu spüren.

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Sehenden Auges in den Abgrund

Die Zeit rannte langsam davon. In der Folge gab es weitere hochkarätige Chancen, wie könnte es auch anders sein. Wir kennen das Problem ja nur allzu gut, wenn man vorne die Tore nicht macht. Schon im ersten Bundesligaspiel sahen wir uns konfrontiert mit der ältesten aller Fußballweisheiten, eine Seuche, die wir bis heute nicht erfolgreich behandeln konnten, abgesehen von dem kurzen Strohfeuer unter der Woche. Mehr war es nicht, wie wir nun leider feststellen mussten.

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Nur noch ein einziges Mal. Ein einziges Mal die Abwehr durchbrechen, ein einziges Mal die Nerven bewahren. Nur noch ein einziges Mal, flehentlich faltete ich die Hände und betete zum Fußballgott, er soll uns doch gewogen sein, wir hatten schon genug durchgemacht. Es war ihm egal. Martin Harnik stand bereit – ich würde ihm so dieses eine Tor gönnen, nach all den unglücklich und teils fahrlässig vergebenen Möglichkeiten, es wäre ihm zu wünschen, dass der Knoten platzt.

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Die Uhr tickte, die Nachspielzeit begann. Drei Minuten sollten es sein, der vierte Offizielle hatte es gerade noch angezeigt. Kommt schon, Jungs! Ihr habt uns in Hannover gezeigt, wie es gehen kann. Es gab Einwurf in der Hälfte des VfB, eine Kopfballverlängerung fiel genau in den Lauf von Raffael, Toni Sunjic kam nicht hinterher. Es war vorbei. Mit weit ausgebreiteten Armen rannte er zu einem euphorischen Gästeblock. Binnen Sekundenbruchteilen herrschte Stille in der Kurve.

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Am Boden

Ich kenne dieses Gefühl schon zu gut. Diese Fassungslosigkeit, mit der man nach Abpfiff im Block steht. Dieser Schmerz, zu wissen, dass es trotz größter Bemühungen wieder einmal nicht gereicht hat. Diese Verzweiflung, nicht zu wissen, ob und wie es denn weitergehen soll. Dieses Unbehagen, zu wissen, dass man den Rest des Wochenendes mit der Aufbereitung eines solchen Spiels widmen wird. Diese Ungeduld, beim Blick auf der Tabelle nicht mehr als drei mickrige Punkte zu sehen.

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Nichts von alledem hatte ich gehofft, so häufig wieder erleben zu müssen. Eine ruhige Saison ohne Angst, sie scheint schon jetzt ganze weit entfernt. Nicht einmal die Optimisten fanden noch positive Worte. Wer sich selbst im Griff hatte, biss sich auf die Lippe und schwieg. Worte des Frusts, der Ernüchterung, der Verzweiflung, wohin man auch lauschte, leere und hoffnungslose Blicke, wohin man auch schaute.

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Mit hängenden Köpfen schlurften sie in die Kurve. Kein Klatschen. Wenig Pfeifen. Nur noch Fassungslosigkeit, geäußert durch weit ausgebreitete Arme, die die Mannschaft förmlich fragten, warum man wieder einmal mit leeren Händen vom Platz geht. So viel Slapstick wäre beinahe zum Lachen, wenn einem nicht zum Heulen zumute wäre. Nichts vermochte mich an diesem Abend noch zu trösten, auch wenn die Saison noch lang ist, die Angst wird größer. Unruhig schlief ich, hatte neuerliche Alpträume vom zermürbenden Abstiegskampf und einer Million vergebener Chancen. Am nächsten Morgen sprang das Radio an: „I got you babe!“.

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