Bin ich die Einzige, die sich fragt, wo nur die ganze Zeit hin ist? Viel ist passiert in diesem Jahr und ehe wir uns versahen, ist es nun schon wieder vorbei. Heute Abend verabschieden wir uns vom Jahr 2016, das für die meisten meiner Stammleserschaft nur unter einem Stichwort zu verbuchen ist: vorbei ist jenes Jahr, in dem der VfB abgestiegen war. Uns alle hat das viel Kraft und Nerven gekostet, doch haben wir nun auch an Zuversicht und neuer Hoffnung gewonnen. Für mich persönlich gab es allerdings noch mehr: ich bin Tante geworden und habe im Alter von 30 Jahren noch meinen Führerschein gemacht.
Das Jahr 2016 hat uns fußballtechnisch Einiges abverlangt – überraschenderweise jedoch sind es die wenigsten Kilometer seit Beginn meiner (Fast-)Allesfahrerei im Sommer 2012. Ganze 38 Spiele stehen (wie bereits vergangenes Jahr) zu Buche, davon allerdings gleich zehn Spiele im Umkreis von gut 200 Kilometern oder weniger. Tränen wurden vergossen, der Abstieg bedauert, neue Hoffnung gewonnen und einige Siege bejubelt. Begann das Jahr noch mit der vagen Hoffnung, sich des Abstiegskampfs zu entledigen, endet das Jahr auf Platz drei der Tabelle und einer nicht weniger kleinen Hoffnung, nach nur einem Jahr der Zweitklassigkeit wieder aufzusteigen – dorthin, wo all die Stadien warten, die man bereits schon einmal gesehen hat. Ich blicke zurück.
Weihnachten. Diese besinnliche Zeit im Jahr, in der man nervlich herunterfährt, sich auf die schönen Dinge des Lebens besinnt und sich bewusst wird, wie wundervoll und kostbar das Leben ist. Oder wie man es beim VfB kennt: die Zeit, in der man sich kollektiv gegenseitig an die Gurgel geht, einander wüst beschimpft und sich die Fangemeinde in zwei Lager spaltet. Kochend vor Wut trennen sich hier diejenigen, die weiterhin das Positive sehen und sich auf nichts Anderes konzentrieren wollen von denjenigen, die ihre dunkelsten Befürchtungen schon frühzeitig kundgetan haben. Zurück bleibt Frust, Unverständnis dem Anderen gegenüber und mitunter zerrüttete Freundschaften. Oh du besinnliche Weihnachtszeit.
Man sollte keine Entscheidungen treffen, wenn man wütend ist. Man sollte keine Versprechungen machen, wenn man euphorisch ist. Und man sollte auch keine Spielberichte schreiben, wenn man frustriert ist. Nur wenig ist von dem Zorn der letzten 48 Stunden verflogen, was nachwievor bleibt sind Enttäuschung, Frust und Unverständnis. Dabei ist es nicht nur die Niederlage an sich, oder die Art und Weise, wie Sie zustande kam, sondern vielmehr, wie sorglos das ein Großteil der VfB-Fans einfach so hinnimmt – denn sie erinnert mich zu sehr an jene schicksalhaften Ereignisse im Februar diesen Jahres.
Meine Nase hatte ich tief in den Schal vergraben, als ich mich entspannt auf einem der noch immer von Schneereif bedeckten Wellenbrechern abstütze. Ein Mal schnaufte ich tief durch, die Gläser meiner Brille beschlugen und für einen Moment konnte ich die Leute nicht sehen, die sich an mir vorbei nach draußen drängte. Meine Füße fühlten sich komplett gefroren an, aber ein Ende war bereits in Sicht. Schon bald würde ich im warmen Auto sitzen, den Laptop auf meinem Schoß aufklappen und mich an die Arbeit machen, hunderte Bilder zu sichten. Mit einem Schmunzeln schaute ich minutenlang in den malerischen Sonnenuntergang und dachte mir: „Was für ein tolles Wochenende“.
“Komm schon, Mädchen, du hast schon Schlimmeres durchgestanden als das hier” sprach meine innere Stimme zu mir, und so presste ich meine Lippen zusammen, vergrub sie in meinem Schal und versuchte zu ignorieren, dass von meinen Füßen die Kälte nach oben stieg. Es gab schon Schlimmeres. Wer erinnert sich nicht auch an jenes Heimspiel gegen Hoffenheim vor gut sieben Jahren, als man bei -17 Grad in der Kurve stand und allenfalls das Spiel für warme Gemüter sorgte.
“Hey Ute, wie du vielleicht weißt, ist am 23. November das Kabinenfest. Hast du Bock?” – in genau diesem Augenblick wird mein Kumpel Philip schon gewusst haben, wie überflüssig diese Frage war. Natürlich hatte ich! Tausende Fans haben sich beworben oder ihr Glück über die diverse Gewinnspiele versucht, vermutlich wäre ich ohne diesen Anruf keine davon gewesen, denn beim Kabinenfest waren Felix und ich noch nie. Bis zu diesem Tag, andem mir mein weitreichendes VfB-Netzwerk ein weiteres Mal nützlich war.
Es war einfach zu wenig. Zu wenig von Vielem. Zu wenig Konsequenz. Zu wenig Durchschlagskraft. Zu wenig Wille. Zu wenig Konzentration. Zu wenig Tore. Zu wenig Punkte. Man könnte fast sagen “Luxusprobleme”. Mein Papa sagte mir am Abend, als wir auch Berlin zurückgekehrt waren: “Ganz schön weite Reise für nur einen Punkt”. Ich schaute ihn an, runzelte kurz die Stirn und entgegnete: “Wir sind schon weiter gefahren für weniger”. Bedenkt man die Vielzahl der Möglichkeiten, die sich den Eisernen am Ende der Partie noch geboten hatten, sollten wir zufrieden sein, mit einem Punkt heimzufahren. Aber wir sind es nicht.
Wenn ich euch in gut sechs Monaten danach frage, was von der (am Ende hoffentlich einzigen) Zweitligasaison des VfB übrig geblieben ist, werdet ihr alle mir sicherlich einiges zu erzählen haben. Zwar steht uns die Winterpause noch bevor, doch wer erinnert sich am Ende nicht gerne an das ausverkaufte Neckarstadion zum ersten Heimspiel gegen St. Pauli, die fast 15.000 Verrückten in Kaiserslautern und das erhabene Gefühl des Derbysiegs in Karlsruhe. Von diesem Heimspiel gegen Bielefeld wird vermutlich nicht viel hängen bleiben. Zumindest nicht bei jedem von uns.
Ich wünschte, ich hätte nur annähernd die richtigen Worte dafür. Lange sitze ich vor einem leeren Blatt und stelle mir die Frage, wie ich anfangen sollte. Mit dem erhabenen Moment, in dem uns Alexandru Maxim endgültig zum Derbysieger machte? Dem grenzdebilen Dauergrinsen, das seit gestern Nachmittag mein Gesicht ziert? Oder vielmehr darüber, wie es sich so anfühlte, kritisch beäugt inmitten von einer Heerschar an Sicherheitskräften mein erstes Derby in Karlsruhe erleben zu dürfen. Eines nach dem anderen.
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