Wie schnell sich der Gästeblock wirklich geleert hat, habe ich nicht einmal mitbekommen. Mit weit aufgerissenen Augen stand ich da, frierend ob des doch recht frischen Windes, der uns um die Nase wehte, mit Rückenschmerzen, Magengrummeln, dickem Kopf und der letztendlichen Gewissheit, dass jetzt alles vorbei ist. Vorbei ist sie, die Saison voller Tiefen und auch einigen Höhen. Vorbei ist sie, eine erneute Niederlage, die sich nahtlos in all das einreihte, dass ich seit acht Jahren in Wolfsburg hinnehmen musste. Vorbei ist sie, die wunderbare Zeit in der ersten Liga. Der VfB ist abgestiegen. Und zwar mit Ansage.

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Es mag sportlich gesehen überaus verdient sein, nachdem man jahrelang den Kopf kurz vor Schluss aus der Schlinge gezogen hatte und sich immer wieder irgendwie hindurch mogelte. Ist es nicht fast schon bezeichnend, dass man so viel Zeit hatte, sich mental darauf einzurichten, dass nicht einmal viele Tränen vergossen worden waren? So groß der Schmerz in diesen Tagen auch sein mag, er kommt alles andere als unerwartet. Das macht es zwar nicht weniger bitter, doch es hilft ungemein beim nun dringend benötigten Neuaufbau, der für uns die wohl größte Chance darstellen sollte.

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Viele haben mir bereits jetzt schon ihren Respekt ausgesprochen, dass ich mich auch in der bittersten Stunde der jüngeren Vereinsgeschichte an die Tastatur setze und versuche, darüber zu schreiben, manch andere könnten das vielleicht nicht. Euch allen, die ihr mit traurigem Schwermut und geplagter Seele diese Zeilen lest, will ich versuchen, ein wenig Trost zu spenden. Vor einigen Wochen noch wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte, wenn mein geliebter VfB absteigt, die Angst wurde größer und Tränen wurden vergossen. Nun ist es passiert und ich muss die wohl größte Erkenntnis meiner letzten Jahre als VfB-Fan begreifen: dass das Leben weiter geht.

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Hilfe, Wölfe!

Ihr alle kennt die Geschichte von dem kleinen Jungen, der immer „Hilfe, Wölfe!“ gerufen hatte und damit viele Menschen vor den Kopf stieß. Das tat er so oft, bis eines Tages keiner mehr auf ihn hörte und als ein Wolf auftauchte, niemand bereit war, ihm Glauben zu schenken. Auch ich warnte immer wieder vor den Gefahren eines drohenden Abstiegs, oft war alles, was ich gesagt bekam „Nur Geduld, die restlichen Punkte kommen schon noch“. Dass wir ausgerechnet am letzten Spieltag zu den Wölfen mussten, war an Ironie kaum zu überbieten. Wochenlang rief ich „Hilfe, Wölfe!“ und nun haben sie uns doch erwischt.

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Wen immer ich auch gefragt habe, für niemanden kam es überraschend, den bitteren Gang in die zweiten Liga antreten zu müssen. Kaum ein Verein hatte auf diese Weise so wiederholt darum „gebeten“, absteigen zu müssen, wie unser Verein mit dem roten Brustring. Man könnte fast sagen, dass wir nicht in dieser Saison abgestiegen sind, sondern in der Gesamtheit betrachtet in den letzten vier Jahren. Unheimlich viel Kraft und Nerven hat es mich gekostet, dieser gefühlt nie enden wollende Überlebenskampf unseres Clubs, dessen Abstieg für mich undenkbar gewesen war, bis zu dem Moment, als er fast schon unausweichlich schien.

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Viel zu makaber erschien die Vorstellung, künftig nicht gegen Bayern, Dortmund und Schalke zu spielen, sondern gegen Sandhausen, Heidenheim und Aue. Wo manch anderer Verein die Zeichen der Zeit erkannt hatte, entsprechende Maßnahmen ergriff und aus einer möglicherweise nur knappen Rettung seine Lehren zog, war der VfB dazu vielleicht sogar schon dazu verdammt, die Fehler der Vergangenheit in jeder Spielzeit aufs Neue zu wiederholen. Statt es einfach im kommenden Jahr besser zu machen, wurde es sogar nur schlimmer. Dass man eines Tages auf besonders bittere Weise dafür bezahlen müsste, war uns allen klar, nur der Vereinsführung scheinbar nicht.

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Unausweichlich

Zahlreiche Stammleser, die diesen Blog hier schon seit Jahren verfolgen, werden auch diese Zeilen lesen. Manche aus Neugierde, wie es sich angefühlt hatte, ein letztes Mal als Erstligist im Wolfsburger Gästeblock zu stehen, andere mit der Intention, ein wenig seelischen Beistand zu finden, wenn die eigene Kraft alleine nicht ausreicht. Ich kann euch nicht sagen, wieviele Stunden ich in dieser Saison damit zugebracht habe, Wort um Wort für meine Spielberichte zu schreiben. Jedes Wort möchte genau überlegt sein, um keinen Zweifel daran erwachsen zu lassen, dass der VfB mir so sehr am Herzen liegt, dass es mitunter nicht mehr gesund ist.

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Vor nichts Anderem hatte ich mehr Angst als vor diesem Tag, an dem klar ist, dass wir abgestiegen sind. Ich hatte geglaubt, ich könnte das nicht noch einmal, dieses Herzschlagfinale bis zum allerletzten Spieltag, diese Ungewissheit und Anspannung, diese kaum in Worte zu fassende Angst vor der zweiten Liga, die nie nie nie nie unter keinen Umständen Realität werden durfte. Dass das alles nicht wirklich schlimm ist, werde ich nicht sagen. Aber ich hatte es mir schlimmer vorgestellt, dass mich die Trauer mit voller Breitseite erwischt und mich für Tage und gar Wochen nach unten zieht.

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Dem war aber nicht so, was mich ebenso irritiert wie zahlreiche Weggefährten, die mich nach mancher Niederlage inmitten der Saison frustrierter erlebt hatten als mit der Gewissheit des Abstiegs. Vielen dürfte es so gehen, ohne es schönreden zu können, wollen oder dürfen. Zwar blickte ich in glasige Augen und ein paar Tränen, die über die Wangen rollten, doch fand ich meine eigenen Emotionen in den Augen so vieler leidgeplagter VfB-Fans: das vielsagende Achselzucken, gefolgt von einem leichten Kopfschütteln und einem Blick in den Augen, der sagte: „Haja, was willst du machen, es hat sich ja angedeutet“.

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Jahrelang ins Verderben gerannt

Machtlos mit ansehen zu müssen, dass die selben Fehler einfach immer wiederholt wurden, war mit Abstand das Schlimmste. Fast so, als wäre man zum Zuschauen verdammt, während sich der Herzensclub immer weiter der Klippe nähert, von der er glaubte, nie herunterstürzen zu müssen. Ohne Sicherungsseil, ohne Netz und ohne doppelten Boden, die Verantwortlichen schienen sich all die Jahre viel zu sicher zu sein, dass der Abstieg nur etwas für Andere ist, nicht jedoch für den VfB. Als Traditionsverein steigt man schließlich nicht ab, nicht wahr?

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Dass es in diesem Jahr keine drei Dümmeren Vereine gab, ist wohl die einzige Sprache, die der Verein versteht. Es ist Quittung für jahrelanges Missmanagement, konsequent falsch getroffene Entscheidungen, wiederholt missratene Transferpolitik und versäumte Entscheidungen, die den Absturz hätten mit einfachen Mitteln verhindern können. Jahrelang behauptete der VfB, er habe nur einen geringen Etat zur Verfügung, eine Aussage, über die man zum Beispiel in Darmstadt laut lachen wird. Cleveres Arbeiten hat nicht immer etwas mit viel Geld zu tun.

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Mit viel Geld vermochte man nicht richtig umzugehen, ein beklemmender Gedanke, was nun passieren wird, wenn noch weniger Geld zur Verfügung steht. Weniger TV-Gelder, weniger Ticketerlöse, weniger Sponsorengelder, das alles war dem VfB möglicherweise zwar bewusst, doch reichte es nicht aus, um entsprechende Lehren daraus zu ziehen. „Absteigen tun immer nur die Anderen“ – Ein Trugschluss, der den einzig Unschuldigen an der Misere den größten Kummer bereitet. Niemandem sonst scheint es so nahe zu gehen wie den Fans – dabei können wir am Allerwenigsten etwas dafür.

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Einfach (Un)Nötig

Das wirklich Bittere ist, dass dieser Abstieg im Grunde beides ist: nötig und unnötig. Unnötig, wenn man sich nur drei Monate zurück erinnert, als in den Augen vieler Europa näher schien als der Tabellenkeller, als die Stimmung gut war und wir keinen Zweifel daran verspüren konnten, man hätte endlich den richtigen Weg eingeschlagen. Doch vielleicht war es nötig? Das klingt hart und auch seltsam, war ich selbst doch diejenige, die immer predigte, ein Abstieg habe ein viel zu großes Risiko der sportlichen Bedeutungslosigkeit inne.

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Anders als noch vor vielleicht einem Jahr bin ich mir sicher, es kann und muss sogar nur eine Konsequenz daraus geben: die letzte Chance zum Neuaufbau. Da stehen wir nun, vor der Asche des Abstiegs. Alles ist verloren, alles ist scheiße, alles ist hoffnungslos. Nicht ganz. Mögen wir es uns auch nicht vorstellen zu können, wir wissen nicht, ob aus dieser Asche nicht eines Tages etwas Schönes wachsen kann, denn sie ist immerhin ein guter Nährboden.

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Vielleicht braucht es länger als ein Jahr der Zweitklassigkeit, um neue Pflanzen auszusäen, doch ist es nicht Vielen von uns lieber, das Ende mit Schrecken zu ertragen, als einen Schrecken ohne Ende Jahr für Jahr durchleiden zu müssen? Das muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden, doch hilft es zumindest ein wenig bei der Verarbeitung, sich vor Augen zu führen, dass dieser Abstieg auch eine große Chance in sich trägt.

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Angstgegner aus der Hölle

So viele schlimme Erinnerungen an die Autostadt in Niedersachsen, nichts wäre mir Lieber gewesen, als den Klassenerhalt rechtzeitig klar zu machen, damit es hier um nichts mehr geht und der Tag allenfalls Gelegenheit bietet, sich von den vielen Weggefährten vor der Sommerpause zu verabschieden und sich eine schöne und vor allem entspannte bundesligafreie Zeit zu wünschen. Die Mannschaft muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die vielen Chancen auf dem Weg zum Klassenerhalt nicht genutzt zu haben, die schweren Spiele gegen Bayern, Dortmund und Leverkusen durften keine Ausrede sein, die Punkte nicht gegen Augsburg, Bremen und Mainz zu holen.

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Wir sind nicht in diesem Spiel abgestiegen, sondern in den vergangenen sechs Wochen. Selbst retten konnten wir uns nicht mehr, nur der Relegationsplatz war noch drin. Alles andere als rosige Aussichten, dazu noch die Abhängigkeit von einem Frankfurter Sieg in Bremen und selbst dann musste der VfB noch seine eigenen Hausaufgaben machen – ausgerechnet dort, wo man seit acht Jahren nichts als bittere Klatschen, knappe Niederlagen und schallende Ohrfeigen kassiert hat.

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„Es wundert mich, dass ihr überhaupt noch hinfahrt“ – die verwunderten Worte meines Vaters, als wir am Freitag spät abends in der Wohnung meiner Eltern angekommen waren. Auf dem Wohnzimmertisch lag eine Zeitung, die mit einem großen Titelbild den Aufstieg von RB Leipzig bekanntgab. Ich ging zum Fenster und schaute hinaus auf eine Stadt, die künftig unseren Platz in der Bundesliga einnehmen wird. Einen tiefen Seufzer später setzte ich mich wieder auf die Couch, trank ein Bier mit meinem Vater und sinnierte darüber, was am nächsten Tag passieren würde.

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Die Ruhe vor dem Sturm

Was passieren würde, hatte ich schon seit längerem geahnt, doch wollte auch ich zu gerne das Wunder von Wolfsburg miterleben. Kein bisschen habe ich seit jeher von den Emotionen vergessen können an jenem 23. Mai 2015. Tränenüberströmt lag ich mir mit Freunden und Fremden in den Armen, als Daniel Ginczek das Tor zum 2:1 und dem Klassenerhalt machte. Wer vermochte schon damals daran zu glauben, dass der VfB am Boden liegend drei Mal gewinnen würde? Viele sagten mir damals, sie wären sich sicher gewesen, dass der VfB es schafft, erst recht, als man nach nur vier Minuten mit 0:1 zurücklag.

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In Wolfsburg fühlte sich das alles schon so viel anders an. Die Stimmung war angespannt, doch nicht verzweifelt, noch einmal wollte man alles geben, gebunden an unser eigenes ehrliches Versprechen: die Mannschaft so lange zu unterstützen, bis es vorüber ist. Haben wir nicht stets alles gegeben, was wir konnten? Waren wir nicht stets zahlreich erschienen, um unsere Farben zu vertreten? Sind wir nicht immer der Rückhalt gewesen, der eines Erstligavereins würdig war? Mit Sicherheit wird das alles zutreffen, doch würdigten die Spieler dies nur unzureichend.

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Am Vormittag waren wir in Leipzig aufgebrochen in Richtung Wolfsburg und erreichten die Spielstätte an der Aller, als noch fast nichts los war. Die Sicherheitskräfte und Ordnungsdienste bereiteten sich erst ganz gemütlich auf ihren Arbeitstag vor, viele Imbissstände feuerten erst den Grill an und zapften das erste Fass Bier an. Dicke Wolken wechselten sich ab mit Sonnenschein, begleitet von einem steifen Wind, der uns weitgehend frösteln ließ.

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Fremdbestimmt

Auch unser Kumpel Andi war vor Ort und begrüßte mich mit den Worten, er habe letztes Jahr gesagt, nochmal so eine Anspannung am letzten Spieltag überlebe er nicht. Seine Worte kamen mir nur allzu bekannt vor, da schaute ich ihn an, lächelte milde und meinte nur: „Und trotzem stehen wir hier“, wie so viele, die sich tief in ihrem Inneren schon mit dem Gedanken befasst haben, es könnte vorerst das letzte Erstligaspiel sein. Die Hoffnung war nicht grundsätzlich aufgegeben, aber man befasste sich bereits seit Wochen mit dem Szenario.

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Die Chancen, sich selbst zu retten, schlug der VfB ja leider aus, ließ sich in Bremen bezeichnenderweise deklassieren, verlor vor heimischer Kulisse gegen Mainz die meisten seiner letzten Fürsprecher und musste nun damit leben, es nicht selbst in der Hand zu haben. Es schien unwahrscheinlich, dem Teufel wieder von der Schippe zu springen und dennoch machten sich gut 3.000 VfB-Fans von nah und fern auf den Weg, um ein letztes Mal alles zu geben. Kann man sich eine größere Liebe zum Verein in den schwersten Stunden überhaupt vorstellen?

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Die großen Kameras im Schlepptau standen wir lange am oberen Ende der Treppe und blickten hinab auf die Eingangskontrollen für den Gästebereich. Viele bekannte Gesichter kamen uns entgegen, man würde manche von ihnen das letzte Mal bis zum Beginn der neuen Saison sehen. Ob man sich erst Ende August oder bereits zu Beginn des Monats wieder sieht, das sollte der heutige Tag zeigen. Nie war ich wirklich gerne hier an Daniel Didavis künftiger Spielstätte, doch nie fühlte es sich so seltsam und endgültig an wie heute.

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Und sei es unser letzter Tanz

Die Reihen füllten sich ein vorerst letztes Mal. Wieder dachte ich an all die Erlebnisse, die sich hier in mein Gedächtnis gebrannt hatten, war gedanklich aber schnell wieder bei jenem Wunder, das uns einst in Paderborn zuteil wurde. Noch war es möglich, die Relegation zu erreichen, sei es auch mit Nürnberg der Angstgegner. Gefühlt war es heute sehr viel enger im Gästeblock als in den letzten Jahren und als die Mannschaft das Feld betrat, um sich ein vorerst letztes Mal in einem Erstligastadion warm zu machen, ließ der mitgereiste Anhang keinerlei Zweifel daran aufkommen, nicht noch einmal alles für das Wunder geben zu wollen.

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Ein letztes Mal kämpfen, ein letztes Mal alles geben, ein letztes Mal mit aller Leidenschaft und Inbrunst alle Kräfte freilegen, die man noch hat. Was für uns gilt, sollte erst recht für die Spieler gelten, die uns diese Suppe erst eingebrockt haben. Viele von ihnen werden sie in der kommenden Saison nicht mehr auslöffeln müssen, mancher ist bereits jetzt schon in Gedanken bei seinem neuen Club oder jenen, die Interesse bekundet hatten. Das merkt man den Spielern auch an, sind sie doch nicht ganz bei der Sache und machen einen verkrampften, manchmal sogar desinteressierten und emotionslosen Eindruck. Und das im Abstiegskampf, das vermag man sich kaum vorzustellen.

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Was haben wir nicht laut gesungen und geschrien, gehüpft und geklatscht, als der Ball endlich rollte. Die womöglich vorerst letzten 90 Bundesliga-Minuten des VfB für unbestimmte Zeit waren angebrochen, angepeitscht von den Auswärtsfahrern, von denen nicht wenige die meisten oder gar alle Auswärtsspiele mitgemacht haben. Die eigenen Hausaufgaben zu machen, war das zunächst wichtigste, bevor man auf die parallele mitentscheidende Partie in Bremen schaut. Dass es um alles ging, schien der Mannschaft vielleicht nur nicht so ganz klar gewesen zu sein.

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Schießbude der Liga

Und das soll Abstiegskampf sein? Meinen Augen wollte ich nicht trauen, was ich da auf dem Feld sah, nicht einmal gegen den VfL, für den es um nichts mehr ging, wollte nicht einmal ansatzweise eine entsprechende Leistung abgerufen werden, die einer Mannschaft würdig ist, die sich zumindest ein wenig dagegen wehrt, abzusteigen. Von Anpfiff an spielte man so, wie es ein Großteil der neutralen Zuschauer eingeschätzt hatte: eben wie ein Absteiger.

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Von ungefähr kommt es nicht, dass der VfB mit bisher 72 Gegentoren die mit Abstand größte Schießbude der Liga ist. Die Abwehr ist das allergrößte Problem der letzten Jahre, vergebens warten wir darauf, dass die Lücken endlich geschlossen werden, was bisher nie so recht gelingen wollte. Nach nur elf Minuten zeigte sich ein weiteres Mal, was unser Sargnagel sein würde, die schlicht und ergreifend viel zu einfach auszuhebelnde Defensive unseres Herzensvereins. Ein einfacher Einwurf reichte aus, ein Doppelpass, eine Flanke und schon war der Ball im Netz.

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Schockzustand im Gästeblock. Hände wurden über den Köpfen zusammengeschlagen, einige sanken kraftlos zu Boden und kämpften mit den Tränen. Elf Minuten reichten aus um aus der vagen Hoffnung auf ein Wunder eine fast schon bittere Erkenntnis reifen zu lassen. Schon alleine, dass sich die Mannschaft kaum wehrte und auch kein Gegenmittel zu finden vermochte, ließ uns langsam, still und heimlich ahnen, dass hier und heute das Ende wäre. Noch waren genug Minuten zu spielen, doch ließ die dargebotene Leistung auf dem Feld nicht den Schluss zu, sie würde für einen Sieg ausreichen.

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„Ihr macht uns lächerlich!“

Zumindest wir Fans wollten uns nicht kampflos geschlagen geben, gaben weiterhin alles, um den Jungs auf dem Feld noch einen letzten Impuls geben zu können. Doch genützt hat es nichts, machtlos mussten wir mit ansehen, wie André Schürrle das 2:0 für die Wolfsburger machte und selbst den letzten Optimisten jede Hoffnung raubte, dass es hier und heute klappen würde mit dem Sieg. Weite Teile des Gästeblocks schwiegen fortan und erhoben ihre Stimme erst zu jenem bezeichnenden Gesang „Ihr macht UNS lächerlich“.

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Frustrierte Gesichter, traurige Blicke und glasige Augen. Das alles vermischte sich im Gästeblock zu einer enttäuschten Masse, die kaum noch Hoffnung hatte. Für Wolfsburg ging es um nichts mehr, für den VfB dafür um so viel mehr, man hatte fast den Eindruck, die Rollen seien vertauscht gewesen. Es hätte der VfB sein müssen, der alles dafür gibt, die Klasse halten zu können und sich durchaus schlagbare Wolfsburger zur Brust nimmt und sie förmlich überrollt.

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Schon vor Wochen nach der Niederlage in Augsburg vermutete ist, dass es weiter abwärts geht und es selbst für die schlagbaren Mannschaften gegen uns reicht, ganz egal, wie mäßig deren Darbietungen bisher waren. Es hatte sich scheinbar herum gesprochen, wie einfach man Tore gegen den VfB Stuttgart erzielen kann. Bedauernswerterweise haben sie recht. Auch im zweiten Durchgang sah das Bild nicht wesentlich anders aus, keine Gegenwehr, keine Ideen, keine Durchschlagskraft.

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Am Ende aller Hoffnung

Manche Spiele kommen einem vor wie eine nicht enden wollende Ewigkeit. Alle Fahnen wurden eingesammelt, jeder Support wurde eingestellt und zwei große Transparente fanden ihren Platz an die Zäune des Unter- und Oberrangs, adressiert an die Vereinsführung, die seit Jahren ohne Konzept und ohne Plan agiert. Es gab Zeiten, da hatten wir die Hoffnung, das alles besser wird, zuletzt zwei Tage nach Paderborn, als Robin Dutt vor die Mikros trat, alles anprangerte und vieles besser machen wollte. Gut ein Jahr später haben wir die Gewissheit, dass es nichts gebracht hat.

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Die Luft war endgültig raus, daran konnte nicht einmal Daniel Didavis direkt verwandelter Freistoß nichts mehr ändern. Es war der erste seit September 2010, sage und schreibe 198 Spiele hatte es gedauert, bis dieses (im Grunde gar nicht so seltene) Kunststück gelang. Das letzte Tor des VfB in der Bundesliga, geschossen von einem, der längst mit dem Verein abgeschlossen hat, gegen einen Gegner, dessen Trikot er in der nächsten Saison selbst tragen wird. Man könnte beinahe darüber lachen, wenn es nicht so absurd wäre.

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Sicher bin ich mir nicht, ob manche VfB-Fans schon das Weite gesucht hatten, bevor die letzten Bundesliga-Minuten angebrochen waren. Stand es in Bremen lange Zeit 0:0, fiel dort wenige Minuten vor dem Ende der offiziellen Spielzeit das 1:0 für die Bremer, geschossen von Papy Djilobodji, der ursprünglich zum VfB wechseln sollte. Da machte auch das dritte Tor der Wolfsburger keinen Unterschied mehr. Selbst wenn wir das Spiel gewonnen hätten, es wäre so viel grausamer gewesen, dann doch abzusteigen.

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Und wenn der letzte Vorhang fällt

Eine befremdliche Stille im Gästeblock, man hörte nur noch die lächerlichen Gesänge der Wolfsburger, die Taschentücher zückten und uns zuwedelten. Tick. Tack. Tick. Tack. Gegen 17:21 Uhr endete unsere Zeit in der 1. Bundesliga, für wie lange, wird man abwarten müssen. Viel um mich herum registrierte ich nicht, ich vernahm nur die massive Lautstärke der Pfiffe, die den Versagern auf dem Feld zuteil geworden waren. Ein paar Tränen, doch viel mehr Wut, dass man es vergeigt hatte.

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Mit 75 Gegentoren war man soeben abgestiegen, nachdem man vor drei Monaten für eine Nacht noch auf Platz Neun der Tabelle stand. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie ganz langsam in unsere Ecke geschlurft kamen, gesenkten Hauptes, der bitteren Tatsache endlich bewusst. Ich habe viel erlebt in dieser Saison und erinnere mich noch an jene Pfiffe, mit denen wir sie nach der 0:4-Heimniederlage gegen Augsburg in die Kabine geschickt hatten, doch selbst das war noch wohlwollend bemessen.

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Es war vorbei. Nach 19 Niederlagen, 6 Unentschieden und nur 9 Siegen endete die Erstligazugehörigkeit nach über 40 Jahren. Vor wenigen Monaten sagte ich noch, dies sei die vermutlich schönste Zeit seit Jahren, wie schnell sich das noch ändern sollte, hatte nicht einmal ich ahnen können. „Ihr habt versagt“ ließ man sie wissen mit all der akustischen Wucht, die wir so oft für aufopferungsvollen Support verwendet haben, bis zum heutigen Tage, an dem der letzte Vorhang gefallen war.

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Tränen und Frust

Die üblichen Meter Sicherheitsabstand, ein kurzes Alibi-Klatschen für die immer dagewesene Unterstützung und ein rasches Umkehren auf Anraten des Kapitäns. Sie wollten sich nicht stellen, wollten keine Verantwortung für die Geschehnisse übernehmen, sie wollten nur weg und ließen uns zurück mit jenem beschissenen Gefühl, dass all unsere Hingabe nicht einmal irgendetwas bewirkt hat.

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Wofür das alles? Wofür die vielen Stunden Zeit für die Auswärtsfahrten? Wofür das ganze Geld, um den VfB so oft es geht überall zu unterstützen? Wofür die Emotionen, die wir vor knapp einem Jahr in Paderborn erleben durften? Die Massen schoben sich an mir vorbei, relativ schnell war der Block nahezu leer. Draußen warteten die acht Busse, die sich in den frühen Morgenstunden auf den Weg gemacht hatten und am Bahnhof wartete der Sonderzug, mit dem die meisten anderen angereist waren.

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Ein paar wenige privat angereiste Leute blieben noch lange im Block zurück, unbehelligt vom Ordnungsdienst, der sich der emotionalen Lage der Unsrigen bewusst gewesen zu sein scheint. Auch Mareike, die ich von Twitter kenne und die mir mit ihrem Kölschen Optimismus ans Herz gewachsen ist, blieb an meiner Seite. „Das ist so viel anders als letztes Mal in Paderborn“ sagte ich zu ihr und versuchte mir den glasigen Blick in ihrem Gesicht wegzudenken, sonst wären wohl auch bei mir die Tränen gekullert.

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Endstation Neuaufbau

Zum Abschluss gab es noch Freigetränke aufs Haus, wohlwollend genutzt zum Frusttrinken. Auch ich ging zum Schalter, ließ mir eine Apfelschorle aushändigen und schaute dabei in das mitleidige Gesicht der Kassiererin, als wollte sie mir sagen, wie sehr es ihr leid tun würde. Vor dem Spiel stand ich lange an der oberen Treppe, nun kauerte ich desillusioniert auf der obersten Stufe und blickte auf die Busse, vor denen sich die mitgereisten Fans tummelten. Der Himmel verdichtete sich und als wir aufbrechen wollten, riss er auf und ließ die Regentropfen auf uns hinab fallen, wie passend für diesen Tag.

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Einige Zeit blieben wir noch vor den Toren des Stadions stehen und begannen nur langsam zu realisieren, was da passiert ist. Sei es auch nicht überraschend, schmerzhaft ist es dennoch. Für uns war die Zeit angebrochen, „Auf Wiedersehen“ zu sagen, zu unseren Freunden, zu unseren Weggefährten, zur ersten Liga. Still setzte ich mich ins Auto, klappte den Laptop auf meinem Schoß auf und dirigierte Felix den Weg zurück nach Leipzig, wo wir noch eine Nacht bei meiner Familie bleiben sollten.

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Noch immer ist es befremdlich, dass ich es beinahe gelassen hinnehme. Vielleicht ist Gelassenheit auch das falsche Wort, vielleicht kann ich es nicht in wenigen Worten erklären, wie ich mich fühle. Welch großes finanzielles und sportliches Risiko die 2. Liga in sich trägt, ist klar, doch vielleicht mischt sich zur Trauer über den letztlich durchaus verdienten Abstieg auch ein wenig die Erkenntnis, dass es früher oder später so hätte kommen müssen. Vielleicht braucht es ja diesen Abstieg, um mit alten Traditionen zu brechen, Zöpfe abzuschneiden und den Weg freizumachen für einen geordneten Wiederaufbau.

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In jedem Ende liegt ein neuer Anfang

Doch wie genau soll der Wiederaufbau aussehen, wenn man den totalen Umbruch machen möchte? Wahler raus? Dutt raus? Kramny raus? Mannschaft raus? Alle raus? Lange ließen die Konsequenzen nicht auf sich warten, wenngleich sie für manche viel zu spät gekommen sind. Bernd Wahler erklärte seinen Rücktritt, Jürgen Kramny wird wieder die zwischenzeitlich in die Regionalliga abgestiegenen Amateure trainieren, sofern sein Vertrag nicht aufgelöst wird, Robin Dutt gibt sich noch kämpferisch und auch der Umbruch der Mannschaft wird nicht lange auf sich warten lassen.

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Was am Ende allen Schmerzes noch übrig bleibt, sind wir Fans. Wer es ernst meint mit seiner Liebe für den Verein mit dem roten Brustring, der fährt nicht nur als Rosinenpicker zu den Spielen gegen München, Dortmund und Schalke, sondern kommt eben auch in ein halbleeres Stadion gegen Sandhausen, Heidenheim und Aue. Ganz unattraktiv für uns Auswärtsfahrer ist die 2. Liga auch nicht, fernab des betonierten Einheitsbreis werden wir neue Stadien bereisen können, in denen der VfB bestenfalls ein paar Mal häufiger gewinnt als in den abgelaufenen vier Spielzeiten.

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Auf der einen Seite will ich mir die 2. Liga nicht schön reden, doch kann ich es auch nicht lassen. Es wird nicht einfach. Es wird anders. Ein Freund von mir schrieb mir nach der Niederlage gegen Augsburg: „[…] An der Einstellung, dass der VfB unser Verein ist, darf und wird sich abhängig von der Liga nichts ändern. […] WIR sind der VfB! Das ist für mich viel größer und bedeutender, als ein schmerzvoller Abstieg jemals sein könnte!“ Eines Tages kommen wir wieder, dessen bin ich mir sicher. Und wenn wir dann stärker sind als je zuvor, dann hatte all der Schmerz am Ende doch irgendwie etwas Gutes. Für immer VfB!

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Ich halte deine Hand, so lange wie ich kann
Und trete die letzte Runde an

Wir haben’s beide gewusst und doch verdrängt bis zum Schluss
Dass man die Zeit nicht besiegen kann

Vielleicht wäre es besser, es wär so nie passiert
Doch vielleicht ist so ein feiges Wort

Wir haben immer gekämpft und kein Sandkorn verschenkt
Und jetzt stehn wir hier

Und ich bereue nichts
Nicht einen Schritt, nicht einen Augenblick davon
Auch wenn es verloren ist
Auch wenn es für uns nicht reicht
Es war doch nichts umsonst
Bereue nichts davon
Nichts davon

Die Zeit läuft gegen uns, das letzte Korn fällt stumm
Und langsam ist die Runde um

Wir haben auf Sand aufgebaut, das hat uns viel Kraft gebraucht
Doch alles davon, war es mir wert
Und ich dank dir für jeden Tag bei dir

Denn ich bereue nichts
Nicht einen Schritt, nicht einen Augenblick davon
Auch wenn es verloren ist
Auch wenn es für uns nicht reicht
Es war doch nichts umsonst
Nicht umsonst

Ich bereue nicht ein falsches Wort, nicht einen Augenblick
Ich nehme keinen Schritt zurück
Denn ich bereue nichts
Ich bereue nichts
Ich bereue nichts
Nichts davon
Ich bereue nichts

„Ich bereue nichts“ von Silbermond

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