Ach, Sascha. Schwätz du nur. Breit grinsend lief er an mir vorbei die Treppe hoch und rief mir noch hinterher, ich solle positiver denken. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf beim Gedanken daran, wie absurd die Worte waren, die er eben sagte: “Pass auf, Mané macht heute zwei Tore!” Es war kurz vor acht Uhr abends, in Kürze sollte das Spiel beginnen und erstmals würden unsere Neuzugänge Carlos Mané und Benjamin Pavard in der Startelf stehen. Mehr aus der Not heraus, doch wie verrückt war es, eine solche Ansage zu machen? Sascha wird es schon gewusst haben.

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Vier Minuten nach Anpfiff schaute ich ihn an, mit weit aufgerissenen Augen, einem ungläubigen Blick, bevor mich die Bierbecher von hinten trafen und ich allen um den Hals fiel, die ich mit meinen Händen zu greifen bekam. Das sind die Geschichten, die nur der Fußball schreiben kann. Es gibt Tage, da verstehe ich meinen Verein nicht. Quälte er uns in den letzten Jahren immer wieder aufs härteste, so ist er trotz allem dazu im Stande, jene Emotionen hervorzulocken, die wir schon lange vermisst hatten.

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Zwei Uhr nachts schaltete ich meinen Rechner schließlich aus. Jeder Knochen schmerzte, als ich zum Fenster ging und einen letzten Blick auf die Straße war. Nichts und niemand war zu sehen, alle Lichter waren aus, kein Auto fuhr vorbei, die Bierleichen vom Wasen waren längst verschwunden. Diese friedliche Stille, als ich mich schlafen legte. Einige Minuten lag ich noch da, mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die Schlafzimmerdecke an, ein lausbübisches Grinsen huschte über meine Lippen und ich schlief schließlich ein. Wohlwissend, dass ich später aufwache und überlegen müsste, ob dies ein Traum gewesen war.

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Das Klammern an unsere Hoffnungen

Ach, VfB. Du kannst so unheimlich toll, wunderbar, überraschend, emotional und leidenschaftlich sein. Aber wir wissen auch, dass du es anders kannst. Wann immer wir das Gefühl des zaghaften Optimismusses entwickeln, hast du stets bewiesen, dass du jederzeit in der Lage bist, unsere Hoffnungen, Erwartungen und Träume zu enttäuschen. In dich stecken wir all unsere Leidenschaft, unsere Freizeit, unser Geld, unsere Nerven, dann lässt du uns zurück mit dem betretenen Gefühl der Arbeitsverweigerung. Wir kennen dich. Und das Bizarre daran: Wir lieben dich trotzdem.

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Eine Liebe, die so erfüllend und absurd zugleich ist, dass sie nur jene verstehen können, die den Brustring im Herzen tragen. Seit Jahren oder schon Jahrzehnten verfolgen wir das Geschehen auf und abseits des Platzes, stets verbunden mit der Hoffnung, die größen Sorgen eines Tages los zu sein, auf dass Fußball wieder wahrhaftig Spaß macht und wir uns nicht Woche für Woche mit dem Gedanken tragen müssen, dass die Mannschaft gerade jetzt schon wieder zum Siegen verdammt ist.

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Eine beruhigte, entspannte und weitgehend sorgenfreie Zeit. Nichts wünsche ich mir mehr nach all den Jahren Abstiegskampf, die schlussendlich tatsächlich ihre unweigerliche Konsequenz in der Zweitklassigkeit fanden. Ihr wisst, was ich meine, nicht wahr? Vor einem Jahr schrieb ich über spielerisch sensationell überlegene Spiele, die man verloren hatte und sich trotz allem an die eine Hoffnung klammerte, Alexander Zorniger wäre der Richtige. Er war es nicht. Ob es Hannes Wolf ist, wissen wir auch nicht. Aber es gibt sie, die vage Vorstellung einer besseren Zeit für uns alle.

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Unfreiwillige Rotation

Ach, schweig, mein dummes Herz. Wir alle haben diese Hoffnungen gemeinsam, die uns frohgemut in dieZukunft blicken lassen. Ein Verein erfindet sich selbst aufs Neue. Und wir sind mittendrin. Es ist anstrengend, dieses ständige Hin- und Hergerissensein zwischen der altbewährten Skepsis, die uns durch die letzten Jahre begleitet hat und dem Punkt, an dem man tatsächlich selbst anfängt, daran zu glauen, dass alles gut werden kann, und wenn nicht, es noch lange keine Katastrophe bedeutet. Ich will glauben. Doch rieche ich auch die verbrannte Haut und sehe die Narben auf unseren Seelen.

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Ein weiteres Spiel unter der Woche sollte es also sein, das “Topspiel” gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth, Tabellensechster gegen Tabellenachter. Dass es sich um einen Feiertag handelte, machte die missglückte Ansetzung der DFL nicht besser, wenn die meisten von uns am nächsten Tag wieder ihrer Arbeit nachgehen oder in die Schule müssten. Dass Faninteressen seit jeher völlig missachtet werden, ist keine Neuigkeit, doch auch auf Nationalspieler wird keine Rücksicht mehr genommen.

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Am Montagmorgen begann die Abstellungsperiode für die Länderspielpause, Takuma Asano und Florian Klein würden auf jedem Fall fehlen – ungeachtet der Tatsache, dass man uns für den Abend ein Spiel aufdrückte. Natürlich konnte die DFL hier kein Spiel nehmen, dass keine Nationalspieler berücksichtigen müsste, solange die Quote stimmt, ist alles andere nebensächlich. Hannes Wolf war also zum Improvisieren gezwungen, nachdem auch Simon Terodde verletzt passen musste. Prost Mahlzeit, das konnte ja heiter werden. Aus dem flauen Bauchgefühl wurde im Laufe des langen Wochenendes Übelkeit, denn der VfB musste gewinnen, um den Anschluss nicht zu verlieren.

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Ich habs nicht so mit Flutlicht

Ach, Petrus. Lange warst du uns gewogen mit deinen hochsommerlichen Temperaturen im Herbst, lange haben wir den Spätsommer genießen können, doch nun ist es vorbei. Der kalte Wind wehte mir um die Nase, als ich mich alleine auf den Weg zum Stadion machte, während Felix schon vorgelaufen war. Die Straße hinunter, durch den Tunnel, am Wasen vorbei zum Stadion, unzählige Bazitrachten säumten meinen Weg und ließen mich nur mit viel Mühe meinem Brechreiz Einhalt gebieten. Vor dem Neckarstadion war ich schließlich wieder unter normalen Menschen, mit Trikot und Schal, mit Hoffnungen und Erwartungen, mit Befürchtungen und Skepsis.

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Schon lange kein Flutlichtspiel mehr gehabt. Während es für viele das Höchste der Gefühle ist, ist es für uns Fotografen eher nachteilig. Schlechtere Lichtverhältnisse, gepaart mit späten Anstoßzeiten ergeben bedauerlicherweise die Zwangsläufigkeit einer kurzen Nacht. Wie egal mir dieser Umstand das zu späterer Stunde sein würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht einmal im Ansatz erahnen.

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Bisher begegnete ich dieser Partie mit der gleichen Emotion wie sonst immer: mit großer Skepsis und dem Gedanken, wie es der VfB nun wieder schaffen würde, mich zu enttäuschen. Umso schöner, wenn er einen dann doch überrascht, gefühlt macht er das jedoch nur selten. Uns allen stand ein Abend bevor, der in Erinnerung bleiben sollte, ohne schon zu wissen, was uns erwartet. Nur langsam füllten sich die Reihen, knapp 40.000 Zuschauer waren für den Montagabend angekündigt, am Ende sollten es 38.150 sein, die den Weg ins Neckarstadion gefunden haben. Wieviele Bierleichen es vom Wasen nicht mehr rübergeschafft haben, ist nicht übermittelt.

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Die Ruhe vor dem Sturm

Ach, Hannes Wolf. Stoisch standest du an der Seitenlinie, hast deinen neuen Schützlingen mit ernster Mine beim Aufwärmen zugesehen und hast vielleicht gespürt, wieviele Augen auf dich gerichtet waren. Meine waren es auch, minutenlang schaute ich dir zu und sah in dir die neuen Hoffnungen des Vereins. Du wirst deine Zeit brauchen und wir hoffen, dass du diese auch bekommst, um etwas Neues hier aufzubauen, nachdem wir uns alle schon seit vielen Jahren gesehnt haben. Doch wenn uns eines die Vergangenheit gelehrt hat, dann ist es die Tatsache, dass man nur selten für Neuanfänge viel Zeit eingeräumt bekommt. Bitte lass(t) es dieses Mal anders sein.

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Die letzten Minuten vergingen zäh, es wurde Zeit, schließlich lag noch ein langer Abend vor mir. Viele Fürther waren es nicht, wenig verwunderlich bei dieser Ansetzung. Das letzte Heimspiel gegen die Kleeblätter liegt beinahe dreieinhalb Jahre zurück, doch erinnern kann ich mich immernoch. Um uns von allen Anderen unabhängig zu machen, hätte der VfB Anfang Mai 2013 nur gewinnen brauchen und wäre der Abstiegssorgen entledigt gewesen, doch verlor er auf peinlichste Art und Weise vor heimischer Kulisse und war nur durch Schützenhilfe rechnerisch durch. Damals hatten wir noch keine Vorstellung davon, wie hart uns der Abstiegskampf in den kommenden Jahren noch treffen würde.

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Mein Kumpel Sascha, der mir einige Minuten zuvor noch eine völlig absurde Vision mitteilte, war rechtzeitig wieder zurück, als der Unparteiische Rene Rohde die Mannschaften aufs Feld führte. Ein weiteres Mal dieses Kribbeln im Bauch, als sich neben mir unzählige Fahnen und Doppelhalter erhoben und die Bühne freigaben für das Montagabendspiel der zweiten Bundesliga. Als die Spieler wie immer ihren obligatorischen Kreis bildeten und sich ein letztes Mal auf die Partie eingeschworen hatten, was hatte wohl Christian Gentner zu ihnen gesagt?

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Bizarrer Beginn

Ach du liebe Zeit. Was war denn hier passiert? Wo bin ich? Was ist los? Träum’ ich oder wach’ ich? Verstanden habe ich es nicht. Gar nichts habe ich verstanden, aber es war mir egal. Die Cannstatter Kurve lag sich in einem Moment der Glückseligkeit schreiend und freudestrahlend in den Armen. Hatte ich hier einen Blackout, von dem ich nichts mitbekommen hatte? Das Spiel hatte doch gerade erst angefangen? Ich brauchte einen Moment, um mich gedanklich zu sortieren. Das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war der Moment, wie ich mich kurz nach Anpfiff nach links zur Kurve wandte, die Kamera hoch in die Luft gestreckt.

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Nur im Augenwinkel verfolgte ich das Spiel, Benjamin Pavard, war zuletzt am Ball, als ich mich wieder der Kurve zukehrte. Welch seltsames Raunen, dass hier plötzlich rumorte, schlagartig reckte ich den Kopf und sah unzählige Leute auf der Untertürkheimer Kurve langsam von ihren Plätzen erheben. Direkt danach tobte alles um mich herum, doch ich konnte nicht verstehen, warum. Wie war das möglich? Hatte der VfB hier gerade ein Tor erzielt? Keine 120 Sekunden nach dem Anpfiff? Nein, das kann nicht sein… Oder doch?

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Verwirrt schaute ich mich um, sah tausende Gesichter, denen die Euphorie in eben jenes geschrieben stand. Ein paar Mal blinzelte ich, schaute zu Sascha ein paar Reihen vor mir, der beinahe schon kopfüber über der Mauer hing und sich versuchte festzuhalten. Er schaute zurück, zeigte mir den Daumen nach oben und formte mit seinem Mund die Worte „Nummer eins“. Tor Nummer Eins, oder was hatte er gemeint? Langsam begriff ich, was hier los war, als ich zur Anzeigetafel sah, die den Torschützen bekannt gab. Carlos Mané.

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„Sie sind noch nicht so weit“

Ach, Jos. Für dich waren die beiden beteiligten Spieler noch nicht soweit. Dass Benjamin Pavards Vorlage über 40 Meter quer übers komplette Spielfeld direkt in den Lauf des zweiten Debütanten passte, mag Absicht oder auch Glück gewesen sein, doch besonders pikant wird es, wenn man darüber nachdenkt, wie sich einst Jos Luhukay zu den beiden geäußert hatte. Sie wären noch nicht so weit und sind nicht mehr als Perspektivspieler. Soviel dazu, dann wäre das auch geklärt.

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Was man im Stadion im ersten Moment gar nicht so wahrnahm, mutierte im Lauf des Abends und der Tage danach zum Dauerbrenner. Dieser wunderbare Pass von Benjamin Pavard. Einige meine Freunde sagten, so etwas hätten sie seit dem Magischen Dreieck nicht mehr gesehen. Immer und immer wieder habe ich mir dieses Tor in den vergangenen 48 Stunden angesehen. Zwei Minuten hatte es gedauert und der VfB lag in Führung. So bizarr dieser Moment auch war, er wurde noch bizarrer.

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Noch immer schüttelte ich ungläubig den Kopf und versuchte meine Emotionen einzuordnen. War das jetzt gut oder schlecht? Viel Zeit zum Nachdenken hatte ich nicht. Laut schallte es aus unseren Kehlen „Und wenn die ganze Kurve tobt“, der Boden wackelte unter meinen Füßen, das Blut schoss mir durch die Adern und ich bekam überall Gänsehaut. Für einen Moment erwischte ich mich bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, auch dieses Heimspiel zu gewinnen, nachdem lediglich die Partie gegen Heidenheim in die Hose gegangen war. Schnell verwarf ich den Gedanken, um ihn Sekunden später zu wiederholen.

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Was ist denn hier los?

Ach du Scheiße, jetzt fing es auch noch an zu regnen. Notdürftig bedeckt mit einem Teil meiner Jacke versuchte ich, meine Kamera zu schützen und verfolgte in einem dieser seltenen Augenblicke ohne die Kamera das Spielgeschehen, wo Matthias Zimmermann unser Aufsehen erregte. Toll durchgesetzt auf der rechten Seite, mit gewaltigem Zug hängte er zwei Gegenspieler ab und flankte nach innen, wo Berkay Özcan bereitstand. Ein kurzes „Schieeeeß“ raunte durchs Stadion, doch schoss er nicht, sondern gab ab. Auf Carlos Mané.

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Gerade eben war ich mir der Tatsache bewusst geworden, mir das alles doch nicht einzubilden, da legte Carlos Mané noch einen drauf. Vier Minuten spielte er nun für den VfB und hatte nach vier Minuten schon zwei Tore geschossen. Soviel Absurdes innerhalb weniger Minuten war zu viel. Zwei Tage später habe ich noch immer Muskelkater vom vielen Kopfschütteln. Das war zu viel, um es sich so auszumalen, doch einer hatte es bereits Minuten vor dem Anpfiff gewusst. Wie hat Sascha das gemacht?

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Und wieder war er da, die Zukunftsvision von einem Heimsieg, vom Wiederaufstieg, von besseren Zeiten. Ist das genau dieser Moment, an den wir uns in einigen Jahren mit Freudentränen zurückerinnern, weil wir wissen, dass es hier mit Hannes Wolf seinen Anfang nahm? Niemand vermag genau zu wissen, was passieren wird, am allerwenigsten wird es Hannes Wolf selber wissen, auch wenn er eine klare Vorstellung davon hat, wie er es sich vorstellen könnte. Wir Fans können uns vieles vorstellen, in jedweder Hinsicht. Wir wollen uns aber nicht mehr vorstellen müssen, wie alles immer schlimmer wird. Wir wollen Ruhe im Verein. Ist dies der Anfang einer wunderbaren Zeit? Das können wir uns nur vorstellen.

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Erinnerungen an das Jahr zuvor

Ach, verdammt. Das werden sich jene gefragt haben, die den ersten fünf Minuten keine besondere Bedeutung anmaßen wollten und sich erst jetzt von den Imbissständen mit ihrem Bier zu den Plätzen begeben hatten. Ein wenig erinnert es mich an mich selbst, wie ich einst das erste Tor vor der neuen Cannstatter Kurve verpasst hatte, weil ich draußen noch etwas zu Trinken geholt hatte. Sie konnten diesem wunderbaren Moment nicht beiwohnen, wie es nach vier Minuten bereits 2:0 stand und man allenfalls eine vage Ahnung davon haben könnte, wie diese Partie weiterlaufen könnte.

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Die Fürther waren geschockt. Aber das waren wir Fans ja schließlich auch, nur eben ein bisschen anders. Wie lange hat es so etwas zuletzt gegeben? Ich verzichte darauf, in meinen Archiven zu graben, für heute belasse ich es einfach dabei, mit einem nicht kleiner gewordenen Lächeln im Gesicht und der Genugtuung eines fantastischen Heimsieges. Dass es bereits 48 Stunden her ist, kommt mir dabei gar nicht einmal so vor, noch immer zittern meine Hände bei dem Gedanken daran, wie sich alle um mich herum in den Armen lagen, alles schrie, alles hüpfte, alles wackelte wild durcheinander. Dafür lieben wir den Fußball.

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Bei allen positiven Emotionen, die diese Partie bei uns Brustringträgern hinterlassen hat, ich werde wohl nicht die einzige sein, die sich noch gut an die Heimspiele gegen Köln und Frankfurt vergangene Saison erinnern kann, nicht wahr? Sah es da nicht ganz ähnlich aus? Erbarmungsloses Spiel nach vorn, ein unnachahmlicher Zug zum Tor, viel Ballbesitz. Und genau an diesem Punkt stemmt sich mein Innerstes gegen diese fantastische Vorstellung, dass mit Hannes Wolf alles viel besser wird. So sprachen wir einst auch von Alexander Zorniger. Stellt ihr euch nicht auch die Frage, wie es hätte sein können, wenn die ersten Spiele damals anders gelaufen wären? Natürlich stellt ihr euch auch diese Frage. Wir stellen sie uns alle.

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Zurück im Aufstiegsrennen

Ach, Cannstatter Kurve. Wie viel haben wir alle gemeinsam durchgemacht. Für solche Momente liebe ich dich, doch auch in dunkelsten Zeiten standen wir stets füreinander ein, stets getragen von der Sehnsucht nach besseren Zeiten. Den Abstieg haben wir der Mannschaft und den Verantwortlichen noch längst nicht verziehen, doch in diesem Augenblick scheint es fast so, als hätte es jene schicksalhafte Stunden im vergangenen Mai niemals gegeben.

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Fast alles war wie sonst auch, manches wie die Stimmung und der Zuschauerzuspruch waren gar besser, die Anstoßzeiten freilich schlechter, so arg viel hat sich für uns nicht geändert. Es sind neue Abenteuer, die wir gemeinsam erleben, und auch in Liga zwei stehen wir für das ein, was uns antreibt: die Leidenschaft für unseren Verein, für den wir unheimlich viel zu geben bereit waren. Viele, die diese Zeilen lesen, werden es verstehen. Manch andere vielleicht eher nicht. Doch hat euch die Neugier, jene euphorische Emotionen noch einmal zu durchleben, nicht erst hierher geführt?

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Mit einem Lächeln nehme ich einen Schluck aus meiner Flasche Radler, die neben meiner Tastatur steht. Mein Herz schlägt schnell und es kribbelt in meinem Bauch, eine Mischung aus kindlicher Freude und sentimentaler Liebe für einen Verein, der mir vor zwei Tagen gezeigt hat, dass sie all das sein können, was wir Fans immer in ihnen sehen wollen. Überbewerten will ich diese Partie nicht, versteht mich bitte nicht falsch. Unser Weg ist noch lang, doch diesen einen Moment dürfen wir genießen, Kraft schöpfen für neuen Tatendrang und uns daran erfreuen, dass wir solche Emotionen mit unserem Verein erleben dürfen. Nach der Niederlage gegen Heidenheim hätte ich das ja nicht für möglich gehalten.

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Unaufhaltsam

Ach, wie ist das schön. Wie unendlich lang diese Partie hätte werden können, wenn weitere Tore nicht mehr gefallen wären. Wir kennen sie ja, unsere Pappenheimer, immer in der Lage, einen lockeren 2:0-Vorsprang in Null komma Nix wieder herzuschenken, das bewahrt uns davor, allzu früh allzu euphorisch zu sein. Mit unseren Emotionen zu haushalten machte uns der VfB aber nicht leicht in dieser Partie. Eine gefühlte Ewigkeit nach den beiden Blitztoren schien es an der Zeit für das nächste Tor. Als hätten sie uns hören können, als Alexandru Maxim in der 24. Minute zum Eckball antrat.

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Lieber mal draufhalten, schaden kann es nicht, dachte ich mir und hob die Kamera vor mein Gesicht, kniff das linke Auge zu und presste das rechte gegen den Sucher meiner Kamera. Zoomen, Fokussieren und Abwarten, dieser ungewisse Moment, wenn man nicht sehen kann, wann und wohin der Ball kommt. Christian Gentner, Emiliano Insua, Benjamin Pavard, Berkay Özcan, Carlos Mané und Timo Baumgartl, sie alle tippelten aufgeregt durch den Strafraum, abwartend, energiegeladen, konzentriert. Der Ball kam und ich drückte den Auslöser.

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Gerade eben sah ich noch, wie Benjamin Pavard, dessen Zuckerpass zum 1:0 seinen Platz in jedem VfB-Jahresrückblick finden wird, zum Kopfball hochstieg, das nächste Bild auf meiner Kamera war ein unkenntliches, unscharfes Irgendwas, dass genauso gut als Fotografie des Loch Ness Monsters hätte durchgehen können. Vierundzwanzig Minuten. Drei Tore. Zwei Debütanten. Eine Einheit. Das war fast schon zu schön, um wahr zu sein. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis weitere Tore fallen, die Gäste aus Fürth hatten nicht einmal das Geringste entgegenzusetzen. Eine Situation, die wir selber noch aus der Bundesliga gut genug kennen.

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Wie soll das noch schief gehen?

Ach, schade. Beinahe das dritte Tor von Carlos Mané. Viel hatte nicht gefehlt, als sein Schuss aus ganz ähnlicher Position wie beim 2:0 nur knapp am Tor vorbeistrich. Vielleicht wusste er ja, dass mein Kumpel Sascha ihm nur zwei Tore zugestehen wollte? Eine absolut beeindruckende und überzeugende Vorstellung im ersten Durchgang, an dessen Ende zum Halbzeitpfiff ein mehr als verdienter Applaus ertönte. Erfreuen sich die bisherigen Highlights auf der Anzeigetafel nur selten kollektiver Beliebtheit, so drehte sich die Kurve beinahe geschlossen zu ihr um und bestaunte noch einmal die drei Tore von unseren Neuzugängen.

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Für einen kurzen Augenblick warf es mich in meiner Erinnerung gute fünf Jahre zurück. Damals im Herbst 2011, als der VfB in Kaiserslautern spielte und zur Halbzeit mit 3:0 führte, saß ich mit Felix im Palm Beach, ich bestellte mir vollkommen entspannt eine Ofenkartoffel mit Kräuterquark, die in Schwanenform in Alufolie eingewickelt war. Gefühlt kam mir das Essen alsbald wieder hoch, das Spiel endete mit 3:3 und dient noch heute als Sinnbild für komplett hergeschenkte Spiele. Aber auch das positive Gegenstück dazu kennen wir noch vom Heimspiel gegen Leverkusen vor zwei Jahren.

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Aber eigentlich wollte ich gar nicht darüber nachdenken, wie es wäre, wenn man das hier noch herschenkt. Erwartungsgemäß würde es der VfB im zweiten Durchgang etwas ruhiger angehen lassen, Kräfte schonen, verwaltet, aber unter voller Konzentration, jederzeit bereit, wieder einzugreifen, wenn es brenzlig wird. So richtig entspannen und freuen wollte und konnte ich mich nicht, dafür ist ein Anschlusstreffer zu schnell gefallen und ein absurder Elfmeter für die Gäste zu schnell gegeben, das lehrte uns unsere Erfahrung.

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Deckel drauf!

Ach, so ein 4:0 fänd’ ich doch jetzt auch mal ganz nett, nur um den Deckel draufzumachen. Im Laufe der zweiten Halbzeit passierte wahrlich nicht viel, sie spielten es durchweg konsequent, doch ließen sie sich für meinen Geschmack etwas zu sehr hinten reindrücken. Der Stimmung in der Kurve tat das jedoch keinen Abbruch, doch auch die hätte angesichts der 3:0-Führung etwas besser sein können. Was fangen wir denn jetzt an mit der angebrochenen Zeit?

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Das Spiel plätscherte ein wenig vor sich hin und für mich war es ein sehr seltsames Unterfangen, als ein Großteil von mir glaubte, das würde sich der VfB nicht mehr nehmen lassen, gleichermaßen unfähig, wirklich zu realisieren, was in den ersten 24 Minuten geschehen war. Dieser Moment, wenn du dich eigentlich zurücklehnen kannst, voller Inbrunst mitsingen kannst, ohne diese ganz große Angst zu empfinden, am Ende doch wieder wie ein begossener Pudel dreinzublicken? Ein seltsames Gefühl. Aber ein schönes.

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Knapp zehn Minuten noch, das werden sie wohl hinbekommen, oder? Natürlich werden sie das, dachte ich mir und schob alle negativen Emotionen, die sich noch irgendwo in mir versteckten, beiseite. Das hier war unser Spiel, unser Sieg, unser Moment. Nur einer von hoffentlich vielen, die noch kommen werden. Blieb uns allen der hohe Sieg gegen Heidenheim verwehrt, nun bekamen wir ihn. Den Schlusspunkt setzte Christian Gentner, wieder eingefangen von meiner Kamera direkt vor meiner Nase.

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Immer weiter

Ach, Leute. Das ist so schön hier. So bezaubernd. So emotional. So verdient. So bizarr. So leidenschaftlich. Ich kann nicht sagen, woher die Gesänge genau gekommen waren, zuerst leise, dann immer lauter, da war es, das „Oh wie ist das schön“. Noch kniff ich die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf als wollte ich sagen „Nein, ich sing das jetzt nicht“, knickte dann aber doch ein, „Ach, scheiß drauf.. Ohhhh, wie ist das schön“ und genoss die letzten Minuten in der Cannstatter Kurve mit meinen Gleichgesinnten, die Zeuge dieses tollen Spiels geworden waren.

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Rene Rohde sah keinen Anlass, die gescholtenen Fürther noch weiter zu quälen und pfiff pünktlich ohne Nachspielzeit ab. Dieses tolle Gefühl, wenn man mit einem einzigen Pfiff die Fäuste in die Luft streckt und sich der Tatsache sicher sein kann, man geht mit drei Punkten nach Hause. Die Gefahr, den Anschluss an die Aufstiegsränge zu verlieren, war gebannt und machte nun Platz für dankbaren Applaus für beide Seiten, die Mannschaft applaudierte den Fans, die Fans applaudierten der Mannschaft. Nur am Gästeblock ging es nicht allzu entspannt zu, aber auch das ist eine Situation, die wir selbst genug kennen.

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Viel Zeit hatte ich nicht und so verließen Felix, ich und unsere Auswärtsstammfahrer Gerd und Ingrid frühzeitig das heilige Neckarstadion, über nasse Straßen am hell beleuchteten Wasen vorbei, durch den Tunnel voll hupender Autos die Straße hoch zu unserer Wohnung. Sogleich machte ich mich an die Arbeit, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ich am nächsten Tag wieder ins Geschäft müsste. Auch um zwei Uhr nachts kümmerte mich das nicht. An diesem Abend habe ich alles gesehen, was ich wissen musste: eine Mannschaft und ein Trainer, die bereit sind, alles zu geben. Das müssen sie von uns haben.

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