“Da ist was Schlimmes passiert” – ich lehnte mich hinüber zu meinen Freunden, sprach mit zitternder Stimme jene Worte aus und musste mit ansehen, wie er krampfhaft nach Luft rang. Weit über 48 Stunden sind vergangen und noch immer stehe ich unter Schock. Es hätte alles so wunderbar sein können, nass triefend bis auf die Unterwäsche den Heimsieg bejubeln, von einem argentinischen Kampfzwerg schwärmen und ein rundum tolles Wochenende genießen. Am Ende bleibt nur der Moment, der uns allen, weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus, den Atem stocken ließ.

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Die drei Punkte waren enorm wichtig und doch geht es letztlich nur um eins: dass Christian Gentner schnell und vor allem vollständig wieder genesen kann. Vier reguläre Minuten und vielleicht zwei Minuten Nachspielzeit trennten uns noch vom zweiten Heimsieg der Saison und alles wäre vielleicht gut gewesen. Vielleicht hätte Christian Gentner einfach in der Szene vom Torwart wegbleiben sollen, doch ahnen konnte er es schließlich nicht. Das Knie von Koen Casteels zertrümmerte unserem Kapitän in Sekundenbruchteilen den Oberkiefer, das Nasenbein und den seitlichen und unteren Augenhöhlenboden, so die offizielle medizinische Diagnose.

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Was wie eine Horrorverletzung klingt, sah auch genauso aus. Diese Unbeholfenheit, die gespenstische Stille, als er vor den Augen der ganzen Cannstatter Kurve bewusstlos auf dem nassen Rasen zusammenklappte. Ob man dem Wolfsburger Keeper einen Vorwurf für eine Bewegung machen kann, die seit der Jugend den Torhütern eingetrichtert wird, ist die eine Frage. Genauso, ob es zwingend Rot und Elfmeter gibt. Doch die eigentliche Frage, die die Gemüter beschäftigt: warum hat weder Guido Winkmann, noch der Videoassistent eingegriffen? Nicht einmal dann, als Koen Casteels wie verrückt um Hilfe gerufen hatte?

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Die Geschichte eines besonderen jungen Mannes

Dabei hatte der Tag so entspannt und unbefangen begonnen. Unter normalen Umständen hätte ich ausgeschlafen und wäre zusammen mit Felix gegen halb zwei zum Stadion losgelaufen. Unter normalen Umständen hätte ich mich heute morgen an den Rechner gesetzt und den ganzen Tag nach Worten gerungen, um das zu verarbeiten, was ich gestern gesehen habe. Es waren keine normalen Umstände, denn ich begegnete einem jungen Mann, dessen Geschichte sich in vielerlei Hinsicht mit meiner eigenen gleicht.

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Seit zwölf Jahren schlägt das Herz von Thibault für den VfB Stuttgart – und an diesem Wochenende erfüllte er sich den lang gehegten Traum, das erste Heimspiel in Stuttgart. Ich sah nicht nur einen über beide Ohren grinsenden Belgier, ich sah in ihm vielleicht auch ein Stück von mir selbst. Nach einem gemeinsamen Frühstück im Café Tratsch in Bad Cannstatt zusammen mit seinem aus Frankreich angereisten Vater machten wir uns gemeinsam auf dem Weg, während sich jeder einzelne Meter schon in sein Gedächtnis brannte.

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Diese Anspannung, die Nervosität, das Kribbeln im Bauch, wenn man weiß, dass man jetzt endlich zum ersten Mal ein Heimspiel besuchen darf. Ich musste schmunzeln, denn es war genauso, als ich vor über neun Jahren zum ersten Mal in Stuttgart war. Einst sahen wir den VfB im Fernsehen und waren tief beeindruckt, verfolgten ihn daraufhin von einigen hundert Kilometern aus, stets mit dem Willen, eines Tages ein Teil davon zu sein. Ich war damals knapp 22 Jahre alt, Thibault knapp 20 Jahre alt. Das sind die Geschichten, die nur der Fußball schreiben kann. Und das hier ist die Geschichte vom Heimspiel gegen Wolfsburg, von einer fürchterlichen Verletzung und vom ersten Heimspiel eines jungen Belgiers.

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Wolfsburg und ein Wolkenbruch

Ich war kurz davor, noch einmal einen Blick auf das Smartphone zu werfen, nur um ausschließen zu können, dass das Spiel nicht doch eher um halb sieben angepfiffen wird. Einige hundert Meter lagen bereits hinter uns, als uns die ersten weiß-roten Schals entgegen gekommen sind. Wir waren früh dran, doch für einen Ausflug in die Innenstadt von Stuttgart reichte es zeitlich nicht mehr ganz, den Stress wollte ich den beiden – und wohl vor allem mir – ersparen. Ein ganz entspannter Tag sollte es werden, zu dem uns Petrus unerwarteterweise dann noch einmal tolle Sonnenstrahlen gen Cannstatt schickte.

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Wulle und Hefeweizen im Plastikbecher waren zwar nicht meine Vorstellung von empfehlenswerter Verköstigung, aber ändern konnten wir die Auflagen des Palm Beach leider nicht. Auf das erste richtige Wulle-“PLOPP” werden die beiden warten müssen. Wie im Zeitraffer füllte sich das Gebiet rund um das Stadion. Was ich nach einigen Jahren als selbstverständlich erachte, war für Thibault alles ganz neu und aufregend. Viel ist seither passiert, das spürte ich vor allem in den Stunden, die ich mit dem liebenswerten Gespann verbringen durfte. Vielleicht ist es auch an der Zeit, “Danke” zu sagen, für all die Bekanntschaften und Erfahrungen, die ich seit jenem schicksalhaften Tag im April 2008 gemacht habe.

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Wir verschwanden im Stadion und mit uns die Sonne hinter dicken dunklen Wolken. Gerade noch rechtzeitig, bevor wir nass werden. Das dachten wir zumindest. Mit Thibaults Vater Diego schaute ich das Spiel bei mir im Block 33, während der Sohnemann mitten ins Herz der Kurve ging und alles aufsaugte wie ein Schwamm. Mit dem Anpfiff begann es zu regnen, alles kein Problem, zumindest noch nicht. Vielleicht hätte ich den Wettergott nicht beschwören sollen, als ich Diego von dem Heimspiel erzählte, als der VfB in sechs Minuten drei Tore schoss, in die Europa League kam und die Cannstatter Kurve ganz außer sich war, während am Stadiondach wasserfallartige Regenfälle in den Innenraum stürzten. Der Gegner war damals der Gleiche.

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Die Bürde eines Aufsteigers

Ich wusste nicht, was ich von dem Spiel erwarten sollte. Anders als die Auswärtsstatistik des Grauens war zuhause die Wahrscheinlichkeit für einen Sieg deutlich höher als in Wolfsburg, doch was musste das schon heißen. Schon gegen Mainz dachte ich, es würde laufen wie erwartet, dass nämlich der ehemalige Lieblingsspieler das Siegtor gegen den VfB schießt. Alexandru Maxim blieb ein Treffer verwehrt, der VfB durfte die drei Punkte mitnehmen. Und Wolfsburg? Wir alle erinnern uns an die Worte von Daniel Didavi, der dem VfB nach dem Abstieg den Rücken zu kehren, um noch einmal in seiner Karriere die Chance zu haben, international zu spielen. Er ging nach Wolfsburg und fand seine sportliche Perspektive in der Teilnahme an der Relegation. Karma regelt.

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Gerade erst wenige Minuten waren vergangen, da setzte der VfB das erste Ausrufezeichen auf eine Frage, von der ich nicht wusste, wie diese lauten sollte. Wer weiß, vielleicht hätte Anastasios Donis seine nachlässige Disziplin vergessen lassen können, er hätte lediglich treffen müssen. Statt dem Netz touchierte der Ball aber nur den Pfosten. Koen Casteels Fingerspitzen standen zwischen A. Donis und dem ersten Torjubel des Spiels. Dass der belgische Nationalspieler im Kasten der Wolfsburger noch für Gesprächsbedarf sorgen sollte, darauf hätte jeder von uns gerne verzichten können.

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Der Frust saß tief nach der Niederlage auf Schalke, die ich mir notgedrungen im Fernsehen anschauen musste. Wie so häufig war es eine Woche zuvor nicht ein Klassenunterschied, der den VfB auf die Verliererstraße brachte, sondern die extreme Schläfrigkeit zu Beginn beider Halbzeiten, in der alle drei Schalker Tore gefallen waren. Das sind die ärgerlichsten aller Niederlagen, jene, die eigentlich absolut nicht notwendig gewesen wären. Was vom Heimspiel gegen Wolfsburg zu erwarten war, war eigentlich klar – drei Punkte – nur wie sollte man das anstellen wenn man gegen unterdurchschnittliche Berliner und Schalker nicht bestehen konnte?

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Nachschuss ins Netz

Petrus zeigte sich erbarmungslos und schickte dutzende Liter in Richtung Erde, der Wind tat sein übriges und drückte die unangenehme Nässe schon bald in die Cannstatter Kurve hinein. Nach und nach flüchteten immer mehr einige Reihen nach oben. Stoisch stand ich da, nass und kalt, doch gehen wollte ich auch nicht. Lediglich die Kamera packte ich für einige Minuten in die Tasche und holte sie erst wieder heraus, als mein Bauchgefühl sich meldete. Es hat mich nur selten im Stich gelassen, und auch wenn das Jubeln direkt vor der Cannstatter Kurve ohne jeden Zweifel etwas für sich hat, die Tore vor der Untertürkheimer Kurve lassen sich am Besten einfangen.

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Wenn er nicht gerade am falschen Flughafen ist, dann kann unser griechischer Neuzugang durchaus etwas taugen, wie man ihm neidlos anerkennen muss. Mit dem Tor klappte es zwar nicht, aber die Flanke war goldrichtig: Koen Casteels konnte nur nach vorne abklatschen lassen, wo Chadrac Akolo, einziger Torschütze auf Schalke, lauerte und nach toller Ballannahme abschloss. Ich sah schon, wie die Fans auf der Untertürkheimer Kurve ihre Arme nach oben nahmen, doch wieder war Koen Casteels dran. Vier Wolfsburger auf einem Haufen, aber klären konnten sie nicht, den Nachschuss versenkte eben welcher knapp links neben dem Pfosten im Tor.

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Das alles sah ich nur durch den Sucher meiner Kamera, dicht gefolgt von dem Jubel, Chadrac Akolo rutschte auf dem klatschnassen Rasen vom Fünfmeterraum bis fast zur Eckfahne. Der erste Schritt war getan, das Stadion jubelte und statt einer Bierdusche regnete es einfach unablässig weiter. Mit dem Pausenpfiff hatte Petrus ein Einsehen und schenkte uns so ziemlich genau 15 trockene Minuten. Zeit zum Kraft tanken und Durchatmen. Ich war nicht unzufrieden mit der bisher gezeigten Leistung, doch darauf vertrauen konnte und wollte ich nicht. Auf Schalke war man ja schließlich auch mit einem 1:1 in die Kabine gegangen.

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Alle Augen auf Ascacibar

Wieder rollte der Ball, wieder rissen die Wolken auf und es begann zu regnen, wieder lief das Spiel. Ich würde gerne davon erzählen, wie sich der VfB weitere Chancen erspielte, wie knapp man vielleicht dem Ausgleich entgangen war und wie euphorisch die Mannschaft nach vorne spielte. Aber ich kann euch nicht davon erzielen – denn es ist kaum was passiert in den ersten 20 Minuten des zweiten Durchgangs. Vielleicht ist es unser Glück, dass Mario Gomez verletzt ist, wegen seinem Tor das Spiel zu verlieren, das hätte mir gerade noch gefehlt. Für die großen Ambitionen der Wölfe war das dennoch ziemlich wenig, 70% Ballbesitz und komplett zahnlos. Eher würde für uns der zweite Treffer fallen als für die Gäste.

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Zu Beginn der Partie tat sich die Kurve schwer, ins Rollen zu kommen, doch mit jeder Minute wurde es besser. Die Mannschaft brauchte uns, sonst reicht im Zweifel die eine Chance für den Gegner aus. Und glaubt mir: ich weiß ganz genau wovon ich spreche. Mir wird – vermutlich nicht ganz zu Unrecht – nachgesagt, durch das Fotografieren nicht wirklich viel vom Spiel mitzubekommen, doch einer stach mir ganz besonders ins Auge.

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Vor diesem Spiel konnte ich nicht einmal seinen Namen aussprechen, doch heute bin ich mir sicher, dass er uns noch viel Freude machen wird. Santiago Lionel Ascacibar. Für Freunde der Phonetik: Ascasibar. Für Freunde des runden Leders: was für ein Kampfzwerg. Neun Zentimeter größer als ich überstrahlte er sie alle. Diese Ballbehandlung. Diese Wendigkeit. Diese Giftigkeit. Einer mit dem Zeug zum neuen Publikumsliebling. Ich hatte so gehofft, es wäre das einzige, was ich von diesem Spiel erzähle würde.

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Grenzgänger

Nach einer guten Viertelstunde vor Ende der Partie und einer weiteren Torchance war für Chadrac Akolo Feierabend – nach einem Schuss griff er sich an den Oberschenkel und musste von den Betreuern vom Feld geleitet werden. Dass diese noch einmal ausrücken mussten, wussten sie noch nicht, deren Aufmerksamkeit galt zunächst dem gezerrten Oberschenkel des Kongolesen. Irgendwie noch die Viertelstunde herumbringen und wer weiß, vielleicht zeigt sich ja auch die Ironie des Schicksals.

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Ich gebe zu, es hätte mir gefallen, wenn Josip Brekalo den Deckel draufgemacht hätte. Der junge Bursche muss nächste Saison zurück nach Wolfsburg. Eigentlich. Eigentlich möchte er aber viel lieber hier bleiben, könnte ich mir gut vorstellen. Wenn da nur nicht die Ablösesumme in Millionenhöhe wäre. Er war der dritte und letzte Wechsel von Hannes Wolf, der am Donnerstag sein einjähriges Jubiläum auf der Trainerbank des VfB feiern darf. Hier und heute gegen Wolfsburg gewinnen und es mindern sich die Chancen, ein weiteres Mal nach einem Spiel gegen Augsburg ohne Trainer dazustehen.

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Aber noch hatten wir es nicht überstanden, noch immer waren einige Minuten zu spielen. Daniel Didavi konnte schon nicht mehr gegen uns treffen, unter vielen Pfiffen wurde er zehn Minuten vor Schluss ausgewechselt. Er hat sich seine Karriere nach dem VfB vielleicht ein wenig anders vorgestellt, einem Interview zufolge könnte er sich sogar eine Rückkehr an alte Wirkungsstätte gut vorstellen. Wir allerdings nicht.

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Über das Knie gebrochen

Die drei Punkte wurden uns nicht mehr genommen. Aber das Schlimmste stand uns dennoch noch bevor. Es war die 84. Minute, als ein langer Ball in den Strafraum der Wölfe segelte. Koen Casteels kam heraus, seine Augen starr auf den Ball gerichtet, und auch Christian Gentner machte sich auf den Weg, ebenfalls den Ball in Blick. Es ging alles so unheimlich schnell. Im einen Moment siehst du noch den Ball fliegen, im nächsten musst du mit ansehen, wie Christian Gentner wie ein nasser Sack zusammenklappt und nicht mehr aufsteht. Ein ganzes Stadion unter Schock.

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Sofort winkte er die Sanitäter herbei, als er das komplett entgleiste Gesicht unseres Kapitäns sah. Koen Casteels hat es nicht mit Absicht gemacht, die Schuld bei ihm zu suchen, oder ihm gar Absicht zu unterstellen, halte ich für falsch. Er war es, der die Betreuer herrief, als Gente auf dem Boden lag und nach Luft schnappte. Wie ein falscher Film fühlte es sich an, als er sich auch nach einigen Minuten Behandlung durch Dr. Best nicht wieder aufsetzen konnte. Etwas war mörderlich schief gegangen.

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Bange Gesichter um mich herum, mit der Kamera versuchte ich ein Bild zu bekommen, aber meine Hand zitterte zu sehr, um einen ordentlichen Fokus zu bekommen. Guido Winkmann hatte von alldem nichts mitbekommen, er war auf der anderen Seite des Spielfelds mit verschiedenen Spielern im Streitgespräch, nach Christian Gentner erdkundigte er sich nicht. Seelenruhig ließ er die Partie weiterspielen, während Dr. Best vielleicht sogar Gentes Leben rettete, indem er ihm die verschluckte Zunge aus dem Hals zog. Es wurde still in der Kurve, ein unheimliches Schweigen, das nur durch die Pfiffe für Koen Casteels und das Schiedsrichtergespann durchschnitten wurde.

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Eine Kurve unter Schock

Eine gefühlte Ewigkeit später kamen die extra für solche Fälle abbestellten Sanitäter mit der Trage vorbei, mit deren Technik sie überfordert schienen. Eine Halskrause wurde dem Verunglückten angelegt. Gespenstisch ruhig war es noch immer, als Hannes Wolf und Miguel Moreira unter prasselndem Regen das Spielfeld betraten und sich selbst ein Bild machen wollten. Gente schien wieder bei Bewusstsein zu sein, doch was genau er sich zugezogen hatte, würde erst die Untersuchung im Krankenhaus zeigen. Nach unzähligen Minuten hievte man ihn auf die Trage, deckte ihn bis zum Hals zu und trug ihn weg. Welch seltsame Gänsehaus – es waren die ersten “Christian Gentner”-Sprechchöre, die ich je zu Ohren bekam.

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Schon zwei Tage später würde er sich per Facebook melden und Entwarnung geben, es würde ihm gut gehen und er würde sich für die überwältigende Anzahl an Genesungswünschen bedanken. Doch in diesem Moment war uns das Herz in die Hose gesackt. Nicht nur, weil wir sieben Minuten Nachspielzeit in Unterzahl überstehen mussten und Ron-Robert Zieler nach gefühlt 90 Minuten Dauerregen den einen Schuss halten musste, der direkt auf sein Tor kam, sondern auch, weil die Unwissenheit über die Schwere der Verletzung ein makaberes Gefühl der Unbeholfenheit hinterließ.

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Wir feierten mit der Mannschaft den Sieg, doch das war bei bestem Willen nebensächlich. Nichts beschäftigte uns in den letzten zwei Tagen mehr als die Sorge um Christian Gentner und die damit aufgekommende Diskussion um die Sinnhaftigkeit des Videoassistenten. Warum hatte man das Spiel nicht unterbrochen? Warum hatte der Schiedsrichter selbst nicht reagiert, oder zumindest einer der Linienrichter, die es direkt mitbekommen hatten? Viele Fragen wird sich der DFB noch weiterhin stellen lassen müssen.

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Zeit für neue Erinnerungen

Niemandem war so recht zu lachen zumute. Mit sorgenvollem Blick hatten die meisten das Stadion verlassen und entschwanden nach Hause. Wir blieben, wie ohnehin fast jedes Mal, bis das Tor des Blocks 33 geschlossen wurde. Mit langsamen Schritten fanden wir unseren Weg nach draußen. Es gab kein anderes Thema, und obwohl man in sportlicher Hinsicht von Christian Gentner nicht immer unbedingt in höchsten Tönen schwärmen kann, so eint uns doch die Sorge um einen der verdientesten und loyalsten Spieler unserer Zeit.

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Und obwohl der Schock tief saß, ich freute mich so sehr für Thibault, der nach dem Spiel zu mir und seinem Vater Diego rüberkam. Ich habe dieses Grinsen schon einmal gesehen, es lachte mich an im Spiegel auf der Toilette, nachdem Roberto Hilbert nach der Ecke von Pavel Pardo aus der zweiten Reihe das Tor des Tages schoss und mir den ersten Heimsieg im ersten Heimspiel brachte. Für ihn hatte es sich gelohnt als er mit euphorisiertem Blick zu mir sagte, es sei gar noch schöner gewesen, als er es sich erträumt hatte.

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Noch am Abend machte ich meine Bilder fertig, schaute später noch ein kleines bisschen fern und versank in meinen Gedanken. Gedanken nicht nur an Christian Gentner, sondern auch nach der Frage, was gewesen wäre, wenn nur einige Begegnungen und Entscheidungen in meinem Leben anders verlaufen wären. Ich erinnere mich an mein erstes Heimspiel, meine ersten Stuttgarter Freunde, meine ersten Käsespätzle. Am Tag darauf traf ich mich erneut mit Thibault, wir gingen zum Mittagessen in das Lokal, in dem ich meine ersten Käsespätzle hatte. Thibault tat es mir gleich, bevor er einige Stunden später hunderte von Kilometern nach Hause flog. Vielleicht ist ja wirklich etwas dran, dass sich in manchen kleinen Dingen die Geschichte wiederholt.

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