So ganz traute ich dem Braten nicht. Dabei hätte ich eigentlich allen Grund gehabt, fröhlich zu sein, denn schließlich führte der VfB mit 2:0 und hatte einen Mann mehr auf dem Feld. Da konnte doch wirklich nichts mehr schief gehen, oder? Und dann erinnerte ich mich an das Auswärtsspiel in Frankfurt. Im Hier und Jetzt konnte mich die komfortable Führung nicht beruhigen, denn auf dem Feld kam vom VfB lange Zeit gar nichts mehr. Dass der Gedanke in mir wieder hochkam, man könnte ja doch noch durch einen blöden Patzer und einen Elfmeter den sicheren Sieg aus der Hand geben, dagegen konnte ich nicht das geringste machen. Denn sind wir mal ehrlich: dafür kennen wir unseren Verein zu gut.
Ich weiß, ich weiß, der Pokal hat seine eigenen Regeln. Aber wäre es nun wirklich zu viel verlangt gewesen, wenigstens ein Mal ein vollkommen ungefährdetes, entspanntes Spiel sehen zu dürfen? Ohne den Hauch einer Anspannung, hoch, verdient und vor allem souverän. Wenn nicht jetzt gegen Kaiserslautern, gegen wen denn dann? Die nächsten Wochen werden mit Sicherheit nicht einfacher, doch was, wenn aus dem tollen Plan, sich im Pokalspiel Selbstvertrauen zu holen, so gar nichts wird? Verlieren war verboten.
Lange war das Spiel schon vorbei und noch immer prasselten die Regentropfen nieder. Es ist kalt geworden, von den sommerlichen Temperaturen des Nachmittags war nicht mehr viel zu spüren. Bis zum Ende blieb es dabei: das komischste Auswärtsspiel der Saison, vielleicht sogar der letzten Jahre, es lag nun hinter mir. Noch vor zehn Jahren hatte meine Lebensplanung ganz anders ausgesehen, mit einem durchschnittlichen Job, einer netten Altbauwohnung in einem gehobenen Wohnviertel, eine Familie. Dann kam der VfB und änderte alles, was bisher da war und verschaffte mir ein Leben, das so ganz anders war als ich es gedacht hatte.
Wer sich für ein solches Leben entscheidet, hat für sich selbst bewusst oder unbewusst eine ganz klare Entscheidung getroffen: man lässt sich bis an sein Lebensende, darauf ein, dass einem der letzte Nerv geraubt wird, dass man sich aufregen wird und nur noch wenig Schlaf bekommen. All der Ärger scheint vergeben in den glücklichen Momenten, wenn der Schmerz vergessen wird, man über beide Ohren lacht, unheimlich glücklich ist und man ganz genau weiß, warum man sich so entschieden hat. Das hier ist keine Geschichte vom Abenteuer Familie, es ist eine Geschichte über das Leben als Fußballfan. Über den schmalen Grenzgang zwischen Freud und Leid und über jene Momente, die über jeden Zweifel erhaben sind.
Am Tag darauf fühlt es sich noch genauso irreal an wie gestern. Die Füße sind wieder trocken, die Schmerzen in den Beinen sind gewichen, weit mehr als 24 Stunden wird das Spiel her sein, wenn ich die letzten Zeilen dieses Spielberichts zu Papier gebracht habe. Doch der Schock sitzt tief, es wird noch einige Tage dauern, bis nicht mehr alle Gedanken um den einen Moment kreisen, der dem VfB wenige Sekunden vor Schluss einen weiteren Tiefschlag versetzte. Nichts ist schlimmer als das grausame Geräusch kollektiven Jubels, wenn der Gegner den späten Siegtreffer macht und alle Mitspieler, Auswechselspieler, Trainer und Betreuer auf den Platz stürmen. Der VfB ist angekommen in der Bundesliga – und macht genau da weiter, wo er 2016 aufgehört hat.
Neueste Kommentare