Um ehrlich zu sein, sind es für meinen Geschmack zu viele Zitterspiele der Nationalmannschaft und des VfB Stuttgart, die ich erdulden muss. Siege und Erfolgserlebnisse sind toll, aber wenn man bei den Spielen so aufgeregt und nervös ist und am Ende so erleichtert ist, das einem die Knöchel unter den Beinen fast ihren Geist aufgeben, dann frage ich mich ernsthaft: Was ist im Moment meinen Jungs los? So oder so, der 2:1-Sieg gegen Russland gestern Abend war richtungsweisend in der WM-Qualifikation und war letztenendes nicht souverän genug, aber auch nicht unverdient, kurz: etwas glücklich.

Dabei fing alles so gut an. Nach dem schweren und schleppenden Spiel in Finnland, wo wir 3 Mal einen Rückstand aufholen mussten, folgte im Russland-Spiel während der ersten Halbzeit wieder der tolle Fußball, den wir lieben und am liebsten bei jedem Spiel sehen wollen. Auf der Couch meiner Eltern sah ich einem Spiel zu, was schnell in die Gänge kam und als logische Konsequenz eines schnellen, offensiven Spiels auch den ersten Treffer hat folgen lassen, bereits nach 10 Minuten durfte über Poldis 1:0 gejubelt werden, ich wäre gern dabei gewesen.

Weiterhin ein starkes Spiel, klasse Kombinationen und keinen Zweifel daran, dass wir noch weitere deutsche Tore sehen würden. Und ich wurde nicht enttäuscht: nach gut einer halben gespielten Stunde folgte nach einer Traum-Staffette das 2:0 durch Ballack, der den Finger auf den Mund legte ala “Und jetzt ganz ruhig sein”. Russland, als stärkster Gegner der Gruppe gehandelt, schien mit gebrochenem Rückgrat dahin zu dümpeln, auch wenn sich die Russen noch manche Chancen erspielten.

Halbzeitpause, Zeit zum Durchschnaufen und sich auf die 2. Halbzeit freuen, ich hatte keinen Zweifel, es würde so weiter gehen. Leider wurde das Spiel im zweiten Durchgang nicht auf dem selben Niveau fortgeführt, nachdem unsere Jungs nur langsam nach dem Seitenwechsel in die Partie kamen, legte Russland los wie die Feuerwehr, Abspielfehler werden konsequent ausgenutzt und nach 5 gespielten Minuten in der 2. Halbzeit stand es nur noch 2:1. Was war mit den Jungs los, wie kann man nur so derart einbrechen.

Wir kennen das Problem: erzielt ein Gegner, der schon fast klinisch tot war, den Anschlusstreffer, kommt es zum sogenannten Oberwasser, und dies ist nie gut für die eigene Mannschaft, denn die Russen fingen auf einmal an, so zu spielen, wie wir es in der 1. Halbzeit getan haben: schnell, präzise, durchdacht und hochst konzentriert. Immer mehr Fehlpässe und versemmelte Torchancen ließen meinen Puls in die Höhe schnellen, würden die Russen zu einem weiteren Treffer kommen, würde aus dem Hühnerhaufen, genannt “Deutsche Abwehr” eine Katastrophe werden.

Unter besonderer Beobachtung stand Torwart Rene Adler, der für den vor wenigen Tagen ausgefallenen Robert Enke, der nun mehrere Wochen von einem Kahnbeinbruch (Handwurzelknochen) genesen muss. Rene Adler ist nicht nur irgendein Keeper: der 23-Jährige genießt ohnehin bei mir große Sympathien, denn er ist Leipziger, so wie ich. Wäre er nach der Europameisterschaft nicht mit einer Schulterverletzung aus der Bahn geworfen worden, er wäre vermutlich nach dem Abtritt von Jens Lehmann, der nun beim VfB Stuttgart gute Dienste leistet, zum Stammkeeper geworden. Ausgleichende Gerechtigkeit nennt man das wohl. Adler brillierte beim Debüt, in der 1. Halbzeit fast beschäftigungslos, hielt er mit zahlreichen Paraden in der 2. Halbzeit den deutschen Sieg fest. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nun der neue Bundestorwart wird – der Bundesadler eben, den jeder von uns auf der Brust hat, auch die Nicht-Leipziger.

Ähnlich wie beim Finnland-Spiel wurden die letzten Minuten zur wahren Prüfung für meine Nerven, die schon beim Finnland-Spiel blank lagen und auch jetzt hatte ich nichts mehr zu lachen. Unaufhörlich wünschte ich mir den Abpfiff des Schiedsrichters herbei, der garantiert keine gute Leistung gezeigt hatte: während er jedes Foul der Deutschen pfiff, so blieb seine Pfeife bei russischen Fouls an uns ganz still, ein konsequenter und fähiger Schiedsrichter, hätte die Partie nach 90 Minuten plus Nachspielzeit mit 3 Mann weniger auf russischer Seite abpfeifen müssen.

3 Minuten Nachspielzeit, das kann doch nicht sein Ernst sein, das Adrenalin stieg und stieg, “Pfeif endlich ab!” flehte ich ungehört den Fernseher im Wohnzimmer meiner Eltern an. Erleichtert riss ich die Arme nach oben, als er meinen Wunsch erhörte und nach 3 einhalb Minuten Nachspielzeit das Spiel beim Stand von 2:1 für beendet erklärt hatte. Die Aussage meines Vaters, der Schiedsrichter würde so lange weiter spielen lassen, bis die Russen noch ein Tor schießen, kam gleichzeitig mit dem Schlusspfiff. So fühlt sich also wahre Erleichterung an.

Nun heißt es einige Tage durchatmen und sich voll auf das nächste Spiel am kommenden Mittwoch gegen Wales konzentrieren. Wenn es nach mir geht, spielen die Jungs weiter wie in der 1. Halbzeit und stellen meine Nerven nicht wieder auf so eine harte Gedulsprobe – aber mich fragt ja niemand.

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