Ich wünschte, ich hätte euren Optimismus. Ich wünschte, ich könnte diese Partie als das ansehen, was es wirklich ist, ein unglücklich verlorenes aber kein kriegsentscheidendes Spiel. Ich wünschte, ich hätte jenen Gedanken nicht, der mich an all das Unheil erinnert, was in nicht allzu ferner Vergangenenheit bereits hinter uns lag. Ich wünschte, ich könnte am Tag danach wieder lächeln. Ich kann es nicht. Eine Geschichte über unendlichen Frust, böse Vorhersehungen und fehlende Zuversicht.

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All die Optimisten, die zu sagen vermögen “Kopf hoch” oder einfach nur “Raff dich, ist doch erst der zweite Spieltag”, sie sind mir zu Hauf begegnet auf jedweden Wegen. Als wir fassungslos am Sonntagabend im Gästeblock standen, als mich der Frust bis tief in die Nacht wachhielt und ich mir via Twitter jede Menge anhören musste, oder auf anderen Kanälen. Dass es erst der zweite Spiel war, ist mir natürlich bewusst – wieviele Punkte noch zu vergeben sind, ebenfalls. Doch sehe ich momentan nichts mehr vor lauter Angst. Vor einer Wiederholung der letzten Saison. Vor dem, was passiert, wenn die Punkte nicht eingefahren werden.

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Einige meiner Stammleser werden diesen Spielbericht nicht lesen. Nicht, weil sie keine Zeit haben, vielmehr, weil sie mit meiner „destruktiven Denkweise“ nichts anfangen können, oder mir einfach die Ahnung vom Fußball absprechen. Mag sein, dass ich weniger weiß als manch andere, die seit Jahrzehnten dabei sind. Ich habe in den letzten vier Jahren drei Mal Abstiegskampf erlebt. Das sollte Grund genug sein, Angst zu bekommen, wenn es nicht gut (an)läuft. Dass Angst ein stets schlechter Berater und Panikmache nicht wirklich rational ist, das lasse ich einfach mal so stehen.

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Auf der Suche nach Beruhigung

Nur sehr langsam kann ich mich beruhigen. Weit über 48 Stunden liegt es nun zurück, das zweite Spiel der Saison, in der noch so vieles – oder vielmehr alles – offen ist. Manche meinen, ich würde einfach nur überreagieren und das Gute nicht sehen wollen oder können, dass sich trotz der Punktlosigkeit offenbart hat. Und sie haben Recht. Doch sind es die schlimmen Erinnerungen an die vergangenen Jahre, die mir ein doch so simpel erscheinendes Drücken des Reset-Knopfes so unheimlich schwer machen.

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Ein Konzept ist zu erkennen, der richtige Weg, nach dem unser VfB so lange gesucht hat, er erscheint nun klar vor uns, wir müssen ihn nur noch beschreiten. Nach wenigen Schritten bereits der erste Sturz. Sich da schnell aufraffen und den Weg weitergehen, ohne immer wieder daran zu denken, dass man sogleich zu Boden gegangen war, fällt sicher nicht nur mir schwer. Nun sehe ich nur eins: null Punkte. Fürs Schönspielen gibt es jedenfalls keine.

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So oft war der VfB in der vergangenen Spielzeit schon für mich abgestiegen. Beim 2:3 gegen Dortmund am 22. Spieltag. Beim 2:3 gegen Schalke am 31. Spieltag. Sogar schon beim 0:2 gegen Bochum im ersten und einzigen Pokalspiel. Am Ende reichte es dennoch, woran selbst die kühnsten Optimisten zu knabbern hatten. Wer positiv denkt und mit Optimismus durchs Leben geht, lebt bekanntlich länger. Doch ist die Größe des Frusts, eine unerwartete Niederlage hinzunehmen, denn nicht so viel größer, wenn man sie nicht hatte kommen sehen? Vielleicht eine Art Selbstschutz, und das vor ausgerechnet dem, was mir die größte Freude bringen sollte. Eigentlich.

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Warum eigentlich diese Angst?

Ist mein eigentliches Problem vielleicht sogar ein ganz anderes? Ich sollte wissen, wie irrsinnig es doch eigentlich ist, den Teufel so früh bereits an die Wand zu malen. Und dennoch tue ich es. Warum? Weil die Angst zu groß ist, nie wieder schöne Zeiten mit diesem Verein verleben zu können, die Sorge, jede Woche nichts als Kummer mit nach Hause zu nehmen und die Furcht, den letzten Rest Freude an der schönsten aller Sportarten zu verlieren. Wäre es da nicht so viel einfacher, die positiven Dinge zu sehen, die der VfB in mein Leben gebracht hat? Es ist nicht unbedingt einfach.

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Blicke ich zurück auf die beiden Spiele, sehe ich schon viel Gutes. Doch ich sehe auch die Ergebnisse, die mich daran zweifeln lassen, dass es am Ende der Saison ausreicht. Das nach zwei Spieltagen zu sagen, ist natürlich Wahnsinn. Doch ich liebe diesen Verein. Das ist mein ganz persönlicher Wahnsinn. Alles, was war, hinter einen lassen. Es ist die einzige Möglichkeit, sich unabhängig von dem zu machen, was uns die letzten Spielzeiten doch immer zum Verhängnis wurde.

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Der Verein erfindet sich neu – und ich muss für mich einen Weg finden, ihm dabei zu vertrauen, dass er weiß, wo er hinwill. Wie eine Mutter, die ihr Kind ziehen lassen muss, von dem sie glaubt, es sei noch nicht bereit dafür. Auf die Geschehnisse auf dem Platz habe ich letztendlich doch am allerwenigsten Einfluss, das einzige, was ich kann, ist: weiterhin erstklassige Fotos auf meiner fortwährenden Tour durch Deutschlands Stadien zu machen; darüber zu schreiben mit aller Emotion für alle, die dabei waren und jene, die nicht dabei waren; und ich muss vertrauen. Auf das, was kommt, und nicht Angst haben vor dem, was war. Ein langer Prozess.

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Berechtigte Hoffnungen

Durchaus hoffnungsvoll machte ich mich auf den Weg nach Hamburg. Bereits am Freitagabend begann unsere Reise, die Felix und mich zunächst zum ersten Übernachtungspunkt in die Nähe von Hannover führte. Der Plan, die Nacht durchzufahren, wurde eine Woche zuvor verworfen, man bräuchte die Kraft für die anstehenden Stunden definitiv. Im Café de Paris saßen wir neben dem Hamburger Rathaus in der Bel Etage im Obergeschoss des liebevoll restaurierten Altbaus mit seinen knarzenden alten Treppenstufen und frühstückten fürstlich.

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Nichts in meinem Kopf deutete darauf hin, ich würde mich mit der kommenden Niederlage beschäftigen. Mit Hoffnungen, ja gar leichten Erwartungen ging ich in die Saison, keinerlei Zweifel hatte ich an einem höchstwahrscheinlichen Auswärtssieg in Hamburg. Es gab bereits Tage, da sah ich jedes Spiel als nächste Niederlage kommen, und es gab Tage, da wurde ich bestätigt, in jeder Woche aufs Neue.

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Was ließ mich also hoffen, in Hamburg drei Punkte mitzunehmen? Die Hoffnung darauf, dass nach vielen Jahren endlich alles wahrhaftig besser wird. Die vielen vergebenen Chancen gegen Köln, ich war bereit, darüber hinweg zu sehen, wenn man beim HSV erneut ein gutes Spiel zeigt. Geblendet vom letztendlich schlechten Ergebnis schürte es meinen Frust. Dass es letztendlich dem Aussetzer eines Einzelnen geschuldet war und erneut Pech im Spiel war, wollte ich so nicht gleich erkennen.

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Zurück auf Hamburger Boden

Nach einem langen Besuch im Miniatur Wunderland, dass ich zum zweiten Mal seit 2007 besucht hatte, machten wir uns auf zum Stadion. Bisher hatte ich immer zählbares aus Hamburg mitgenommen, zwei Siege und ein Unentschieden standen zu Buche, gerne mit dem dritten Auswärtssieg im hohen Norden. Es könnte alles so einfach sein. Eine Stunde vor Anpfiff erreichten wir die Spielstädte im Stadtteil Bahrenfeld. Es war merkwürdig wenig los vor den Toren des Gästeblocks, doch wussten wir den Grund bereits.

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Es hatte sich bereits herumgesprochen, dass der Bus-Konvoi, der am Morgen erst aufgebrochen war, jeden erdenklichen Stau auf der A7 mitgenommen hatte und schließlich eine Vollsperrung ca. 50 Kilometer vor Hamburg das vorzeitige Ende bedeutete. Ob sie es zumindest zur zweiten Halbzeit schaffen würden, blieb lange ungewiss. Für die, die auf wortwörtlich anderen Wegen nach Hamburg reisten, bedeutete das eine weitgehend entspannte Eingangskontrolle und nahezu freie Platzwahl im Gästestehbereich.

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Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gegessen, der Magen knurrte und Durst hatte ich auch, doch wurde jeder meiner Versuche, den Imbissstand aufzusuchen, unterbrochen von der Begrüßung von Freunden und Bekannten, darunter auch den aus Reutlingen stammenden HSVler Michael, den ich von Twitter kenne. Eine Cola und ein Fischbrötchen, dann war ich glücklich. Vorerst zumindest. Frohen Mutes postierte ich mich im oberen Bereich, da wo ich bisher eigentlich fast immer gestanden hatte, wenn der VfB hier gastierte.

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Letzte Ehre für „MV“

Fürsorglich legte ich das Halsband meiner Spiegelreflexkamera um meinen Hals, ein weiteres Mal gestattete mir die kollegiale Fanbetreuung der Hanseaten die Mitnahme, die auch für Felix gegolten hatte. Von mir aus konnte es losgehen, mit Freude empfingen wir die Mannschaft, die ein neues Kapitel der Vereinsgeschichte schreiben sollte. Zum ersten Mal spielten sie in den schwarzen Trikots, mit denen ich mich bis heute schwer tue, erinnern mich die gelben Rückennummern auf den dunklen Leibchen doch eher an Borussia Dortmund als an den VfB Stuttgart.

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Sie versammelten sich schließlich am Mittelkreis und zeigten ihre letzte Ehre für den kürzlch verstorbenen Gerhard Mayer-Vorfelder, der so viel für den deutschen Fußball und vor allem auch für den VfB getan hat. Schweigend standen sie da, bis nach einigen Sekunden der Applaus losbrach, es erschien angebrachter als die betretene Stille. Es konnte endlich losgehen, das erste von 17 Auswärtsspielen, es war angerichtet.

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Stets eine merkwürdige Situation, das Fehlen der Ultras macht sich stets schnell bemerkbar. Mit einigen weitgehend unkoordinierten Gesängen ging es zaghaft los, kein Vergleich zu den sonstigen Auftritten der Stuttgarter Fanszene, die zweifelsohne zu den größten in Deutschland und gar Europa gehört. Und der HSV? Der feierte die letzten beiden Saisons mit dem Transparent „Campione Relegatione“ – kann man mal so machen, muss man aber nicht. Das nennt man wohl Selbstironie.

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Immer wieder Daniel Ginczek

In Richtung Tor passierte noch nicht sehr viel, doch ein interessantes Spiel sahen wir hier trotzdem. Es hatte sich etwas getan auf dem Feld und auch in den Köpfen, in jeder Minute konnte man das beobachten. Mit so einer Spielweise musst du doch zwangsläufig Spiele gewinnen, möchte man meinen – nur hat da der Gegner leider ein Wörtchen mitzureden. Ihr kennt sie, meine große Panik, wann immer der Gegner den Ball behauptet und in Richtung unseres Torwarts läuft. Im Nachgang betrachtet lässt sich allenfalls eines sagen: meine Güte ist der HSV schlecht. Doch der VfB wäre nicht besser, wenn er die Tore nicht macht.

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Gerade hatte ich den Gedanken noch zu Ende gedacht, da verloren die Hamburger den Ball, Daniel Didavi tankte sich durch und sah, wie Daniel Ginczek von seinen Gegenspielern gelöst hatte. Mit einem langen Ball war unser Erlöser der vergangenen Saison auf und davon, klären konnten weder Matthias Ostrzolek noch René Adler, der mir als mein Landsmann tatsächlich manchmal fast schon ein wenig leid tut.

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In einem lauten Jubel flogen die Bierbecher umher, alle wurden geherzt, unsere Welt war für einen Moment in Ordnung. Dabei verpasste ich gar jene berührende Szene, als der Torschütze sich zu allererst auf seinen Couch gestürmt hatte und ihn herzte. Ist das der neue Geist, den wir alle vor dieser Spielzeit beschwört hatten? Ein wenig durchatmen, ein wenig lächeln, ein wenig Zufriedenheit in dieser spannenden Partie.

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Das größte Sorgenkind: die Defensive

Ist unsere Offensive bereits seit dem Schlussspurt der letzten Saison überaus erfolgreich, so krankt es noch immer an der Abwehr, die noch nicht eingespielt ist, was aber auch daran liegen mag, dass man hier noch auf der Suche nach der optimalen Lösung ist – ob das nun mittelfristig die interne Lösung mit Adam Hlousek ist oder ein neuer Verteidiger, für den Robin Dutt noch genau eine Woche Zeit hat, wir werden es abwarten müssen. Fakt ist, dass die sonst so unfähigen Hamburger dann doch durchgebrochen waren und den Ausgleich vor den Augen eines schockierten Gästeblocks machten.

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Lange diskutierten beide Mannschaften mit dem Linienrichter, bange Blicke, wird das Tor vielleicht wegen Abseits aberkannt? Schließlich drehten die Hamburger ab, klatschten sich ab und es war klar: Schiedsrichter Günter Perl würde das Tor anerkennen. Ein kurzer Moment der Fassungslosigkeit, doch so lange es dauerte, bis die Hamburger ausgeglichen hatten, so lange dauerte es, bis es wieder für unseresgleichen Grund zum Jubeln gab. Gut zehn Minuten lag jeweils zwischen den Toren.

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Christian Gentners Pass nach vorne, das rechtzeitige Lösen von der Abwehrkette und ein erneut unnachahmlich ansehnliches Tor unserer Nummer 33. Was sind wir doch froh, dass er das Trikot mit dem Brustring trägt. Von hinten flogen Bierbecher auf mich hinab, schnell versuchte ich noch das Objektiv mit einem Tempotaschentuch zu putzen, bis schließlich der kollektive Bus-Konvoi, der so lange im Stau gestanden hatte, den Block enterte. Zuviel auf einmal, das muss ich schlussendlich erst einmal verdauen – zu gut, dass direkt danach Halbzeit war.

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Willkommen auf der Siegerstraße

Der VfB führte mit 2:1 und machte den Eindruck, mehr zu wollen, viel viel mehr. Und der HSV? Der kam schließlich ein wenig glücklich zum Ausgleich wie die Jungfrau zum Kinde. Was sollte mich also hier dazu bewegen, von einer Niederlage auszugehen? Die Halbzeit brach an und schon recht bald war es da, dieses unangenehme Bauchgefühl, dass alles, was der VfB sich vorne aufgebaut hatte, sich hinten wieder einreißen würde. Binnen nicht einmal 60 Sekunden saß Florian Klein, unser sonst so ruhiger und abgeklärter Abwehrspieler, zwei gelbe Karten und verließ unter dem lauten Applaus des Hamburger Publikums den Platz.

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Da war er wieder, der eine Gedanke, der alles zunichte machen konnte. Erst jetzt, am Montagabend, sah ich jene Szene noch einmal genau an, die uns so früh in der zweiten Halbzeit dezimiert hatte. Selten dämlich, das muss man dem sonst so besonnenen Österreicher ankreiden. Absicht will ich ihm nicht unterstellen, da gab es selbst in unseren Reihen schon ganz andere Spieler, die die Nerven verloren hatten. Das große Zittern begann und meine Sorgen wurden größer.

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Bloß nicht den Ausgleich – oder Schlimmeres – kassieren, bloß nicht nachlassen, weil man in Unterzahl ist, bloß nicht wieder in die Einzelteile zerfallen, wie schon so oft in der vergangenen Spielzeit. Zu unserem Glück brachten die Hamburger selbst in Überzahl nicht viel zustande, was uns am Ende dennoch zum Vorteil gereicht. Bange Blicke zur Anzeigetafel. Noch weniger als zehn Minuten. Pierre-Michel Lasogga war mittlerweile im Spiel, seine Einwechslung nahm ich schon mit einem Unbehagen zur Kenntnis. Zurecht, wie sich nach 84 Minuten herausstellte.

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Das komische Gefühl in meinem Bauch

„Neiiiiiiin!!!!“ hatte ich geschrien, als er im spitzen Winkel alleine auf unseren Keeper zurannte. Der Ball war drin, das Volksparkstadion wurde zum Tollhaus. Schockstarre in dem seit der Ankunft der Ultras doch so lautem und buntem Gästeblock. Immer größer wurde mein Gedanke an den Super-Gau. Was ist, wenn Hamburg hier noch…? Nein, ich will nicht daran denken! Ich will dieses Spiel nicht verlieren! Ich will nicht 663 Kilometer nach Hause zurückfahren in dem Wissen, dass der VfB null Punkte hat. Ich will es einfach nicht.

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Glaubt ihr an selbsterfüllende Prophezeiungen, an Vorahnungen, an Schicksale? Warum mir jener Gedanke bereits bei Florian Kleines Platzverweis kam, kann ich bis heute nicht beantworten. Die Puste unserer Spieler war aus, es hatte zu viel Kräfte gekostet, den Ausfall eines Verteidigers über eine ganze Halbzeit zu stemmen. Beinahe ironisch war nun die Tatsache, dass man beim letzten Auswärtsspiel dank eines Tors von Florian Klein siegte, nachdem Georg Niedermeier nach 53. Minuten den Platz verließ – zur gleichen Zeit wie der einstige Torschütze an diesem Abend.

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Flehentlich betete ich dafür, dass nicht das eintreten würde, was ich die ganze Zeit befürchtet hatte. Der ohrenbetäubende Lärm des Hamburger Publikums, der tiefe Stich ins Herz und die Frage, weshalb ausgerechnet wir so viel Unglück gepachtet haben. Johan Djourou netzt ein und stürzte die Hansestadt in einen Freudentaumel, der und hoffnungsvolle Stuttgarter nur noch fassungslos zurücklassen konnte. Wenn es fällt, fällt es spät, kurz vor Schluss, das hatte ich gedacht, als sich Florian kleinlaut in die Kabine zurückzog.

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Bitter

Es war vorbei. Die Nachspielzeit reichte nicht mehr aus, um zumindest noch ein mehr als verdientes Pünktchen mitzunehmen. Ein anderes Wort als „Bitter“ vermag einem hier wirklich nicht mehr einzufallen. Lange starrte ich ins Leere, blickte langsam umher und schaute in ebenso leere Gesichter, die nicht glauben konnte, wie man sich eine zweimalige Führung derart wieder wegnehmen lassen konnte. Und das ausgerechnet gegen den Chaos-Klub, gegen den selbst die letzten Jahre des VfB wie koordinierte und strukturierte Arbeit erscheinen lassen. Es war vorbei.

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Die Reaktion der mehr als 2.000 mitgereisten Fans fiel nun deutlich weniger wohlwollend als noch vor einer Woche gegen Köln aus. Man hatte mehr erwartet, man hatte mehr erwarten dürfen. Wieder gut gespielt, wieder keine Punkte, wieder die große Frage nach dem Warum. An nichts anderes konnte ich mehr denken als jene Situation, was passieren würde, wenn der VfB weiterhin gut spielt und sich dafür einfach nicht belohnt. Wir alle kennen die Mechanismen des Geschäfts. Nur alleine an Punkten wirst du gemessen. Doch zwei Tage später muss ich mir eingestehen, dass es fast wichtiger war, die Entwicklung der Mannschaft zu sehen.

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Vor dem Block nahm ich noch die Speicherkarte meines Fotografenkollegen Markus entgegen, um unsere Fotos für vfb-bilder.de noch am selben Abend zu bearbeiten. Der Shuttle-Bus brachte uns nach Othmarschen und schließlich zur Hamburger Königsstraße, wo wir uns am Nachmittag mit unseren Stamm-Auswärtsfahrern Gerd und Ingrid trafen und gemeinsam zum Stadion aufbrachen. Ein kurzer Spaziergang zur Elbe, auf andere Gedanken kommen, abschalten und vor allem abregen. Nach langem Hadern lehnte ich ab und wir zogen uns zurück in unser Hotel an der Elbchaussee.

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Blinde Wut

Ich konnte es nicht. Lange saß ich vor dem Laptop in unserem Hotelzimmer, sah die Bilder durch und brachte es nicht fertig, sie zu bearbeiten. Zu groß der Frust, zu groß die Angst, ein weiteres Mal eine Horrorsaison zu erleben. Jeder Aufmunterungsversuch schlug genauso fehl wie jene spätabendliche Kommentare, ich solle mich doch beruhigen, eine Nacht darüber schlafen und schließlich mit befreitem Kopf und Verstand an die Sache herangehen. Der zweite Spieltag sollte nun wirklich keinen Grund für Panik liefern. Das sah ich in dem Moment nicht so.

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Eine Nacht voller innerer Unruhe und Verbitterung ließ mich kaum ein Auge zutun, aufgewühlt wälzte ich mich hin und her, getrieben von dem unvermeidbaren Gedanken, alles Unheil würde sich nun wiederholen. Rationales Denken? Fehlanzeige. Erst am nächsten Tag fand ich die Kraft, mich um die Bilder zu kümmern, die ich am Abend schließlich mit nachwievor unverbesserter Laune veröffentlichte. Ich glaubte das, was ich glauben wollte, dass alle Hoffnung vergebens war und wir genau das wieder erleben würden, was uns letzte Spielzeit all unsere Kraft gekostet hatte. Das Gute sehen? Das konnte ich nicht. Noch nicht.

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Weit über 48 Stunden ist es nun her, 19364 Zeichen habe ich heruntergetippt. Was bleibt nun also vom Auswärtspiel in Hamburg? Es ist die Erkenntnis, dass nicht nur die Mannschaft beim Kampf um die Punkte gefordert ist, sondern vor allem auch ich selbst auf der Suche nach einer Balance, der Mannschaft zu vertrauen und erst dann kritisch zu werden, wenn sie es wahrhaftig verdient hat. Es entsteht etwas Neues beim VfB, ich sollte den Dingen Zeit geben, sich zu entwickeln. Doch diesen Reset-Knopf muss ich erst einmal finden.

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