Wo ist sie hin, diese Unbeschwertheit aus vergangenen Tagen? Wo ist es hin, dieses Vertrauen bei jedem einzelnen Spiel, dass die Mannschaft das allerbeste geben würde, wozu sie fähig ist? Wo ist sie hin, dieser unbeirrbare Glaube daran, dass alles am Ende gut wird? Ich kann nicht genau sagen, wann genau ich den Glauben verloren hatte – die Jahre des Abstiegskampfs ließen mich schon längst verbittert zurück, inmitten einer Cannstatter Kurve, die nach wie vor immer alles für den Verein gibt, auch wenn die Spieler auf dem Feld, die unsere Trikots tragen, schon längst nicht mehr deren würdig sind.

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Seit Jahren ist es immer die gleiche Leier, mit der der VfB uns Fans Spielzeit für Spielzeit hinhält: „Zusammenhalten! Nur noch diese eine Übergangssaison“. Vor genau drei Jahren spielte der VfB daheim im letzten Gruppenspiel der Europa League gegen Molde, verlor mit 0:1 und Martin Harnik zeigte uns Fans den Vogel. Einst waren wir Tabellensiebter und zogen knapp viereinhalb Monate später ins Pokalfinale ein. Es gab Pfiffe an jenem Abend, „Stuttgart international kann man nur besoffen sehen“ hallte durchs Stadion, uns erschien die Leistung nicht gut genug – heute muss ich beinahe darüber lachen, wenngleich mit Tränen in den Augen.

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Dass ihr Aussagen der Enttäuschung, so wie diese, schon des Öfteren hier lesen musstet, ist mir bewusst. Ich würde auch lieber über schönere Dinge schreiben, über die Schönheit unseres Lieblingssports, über die Unerschrockenheit einer fotografierenden Allesfahrerin und über die gänsehautmachenden Emotionen, wann immer ich in der Kurve steh und die Stimme für meinen Verein erhebe. Dass es zuletzt mehr um bittere Enttäuschungen und tiefe Verbitterung geht, fällt mir selbst nicht leicht. Die Konsequenz wäre: nicht mehr schreiben. Doch dies würde mir am Ende wohl noch schwerer fallen.

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Alte Wege, alte Vorahnungen

Durch dick und ganz ganz dünn. Wer seinen Verein in Zeiten des Kummers nicht unterstützen kann, der solle ihm auch in Momenten des Erfolgs nicht zujubeln dürfen, es ist die älteste und wohl romantischste aller Fanweisheiten. Wir schenkten unserem Verein unser Herz, wie Nick Hornby es einst sagte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welcher Schmerz damit verbunden sein würde. Ohne jeden Zweifel bereitet dieser Sport uns mitunter große Freude, doch wurde er schon zu oft zum Sorgenkind, das vermeintlich einfach nicht clever genug ist.

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Seit Jahren ächzt und knarzt das dünne Eis unter unseren Füßen, die Risse knacken und wir drohen, ins kalte Wasser einzubrechen, wenn die Last zu groß und der Boden zu dünn war. So schleppen wir uns dahin, von Übergangssaison zu Übergangssaison, lassen kurz unsere Hoffnungen aufflammen, wenn wir uns schon bald am sicheren Ufer wähnen, um doch wieder festzustellen, dass nichts so fragil ist, wie unser Untergrund. Ob und wann wir damit einbrechen, ist ungewiss, doch wie lange geht es gut, wenn man es seit Jahren versäumt, sich ans sichere Ufer zu hieven?

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Alles sollte besser werden. Wer sich – so wie ich leider auch – von der Euphorie vor Saisonbeginn hatte anstecken lassen, ist längst wieder in Bruddelei verfallen, das kann der Schwabe, ob gebürtig oder eben „neigschmeggd“, bekanntlich besonders gut. Wir sahen die ersten Spiele, gegen Köln, gegen Hamburg, gegen Schalke, sahen das Gute, die Weiterentwicklung, und waren hoffnungsvoll, die Punkte würden sich noch einstellen und alles würde gut werden. Die Punkte kamen aber nicht. Dafür kam die erneute Erkenntnis, ein weiteres Mal in einer Übergangssaison zu stecken.

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Kollektive Lustlosigkeit

Viel erwartet hatte ich nicht. Ich fahre offenbar besser damit, wenig bis gar nichts zu erwarten, um mich allenfalls positiv überraschen zu lassen. Jeder mutige, hoffnungsvolle und optimistische Moment war in der Vergangenheit zu oft gescheitert, aus vermeintlich einkalkulierten Siegen wurden derbe Klatschen, aus Duellen auf vermeintlicher Augenhöhe resultierte das Lob des Gegners, der am Ende die Punkte trotzdem mitnahm. Zu viel Kummer erlebt, zu viele schlechte Spiele gesehen – und doch sitze ich noch hier, und lasse euch teilhaben.

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Der altbekannte Weg, Hand in Hand über den Asphalt, durchs Cannstatter Carré, vorbei am Supermarkt, vorbei an der Tankstelle die Mercedesstraße hinunter. Keinen Weg kennen wir besser als diesen. Ich sehe und höre sie, die optimistischen Fans, die ihren Glauben noch nicht verloren haben, die kleinen Kinder mit ihren übergroßen geerbten Trikots, Fähnchen schwenkend und lachend. Und dann denke ich mir, wieviel es wohl noch braucht, um die Kleinen auf den weihnachtlichen Wunschzettel ein Bayern-Trikot schreiben zu lassen, man wäre ja fast schon uncool, wenn der eigene Verein nur verliert.

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Wen man auch fragte, die Antwort war am Ende fast überall die gleiche: „Lust aufs Spiel heute?“ – „Nein!“. Wo andere daheim bleiben und sich die Partie allenfalls im Bezahlfernsehen anschauen, standen wir hier bei gefühlten 15 Grad, teilweise kurzärmlig, und waren uns sicher, dass uns auch heute kein Leckerbissen erwarten würde. Eine liebe Twitter-Kollegin lief mir am Kopf der Treppe in die Arme und gab grinsend ihren Tipp ab: 6:2. Gab es schon lange nicht mehr. Warum alle so überrascht waren, dass ich genau sagen konnte, wann und gegen wen es das letzte Mal war, weiß ich nicht genau.

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Alles auf Anfang?

Der gleiche Blockeingang, der gleiche andächtige Gang hinunter zu meinem gleichen Platz, die gleichen Leute, die gleiche Sicht aufs Spielfeld und die gleiche böse Vermutung, wie an jedem einzelnen Spieltag. „Etwas mehr Zuversicht würde dir gut tun!“ – keine Aussage habe ich zuletzt häufiger gehört als diese. Auf der anderen Seite des Stadions war das Gästeblock der Bremer bereits gut gefüllt, welch undankbare Anstoßzeit an einem Sonntag, doch das Vergnügen hatten wir andersrum in Bremen zuletzt auch des Öfteren.

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Des einen oder anderen lichten Gedankens konnte ich mich jedoch auch nicht verwehren, was wäre, wenn der VfB hier tatsächlich mal klar und ungefährdet seinen Fans ein bisschen etwas von dem zurück gibt, was in den letzten Jahren an Vertrauensvorschuss, immensem Support und still gehaltenen Füßen investiert wurde? Es wäre fast zu schön, um wahr zu sein, doch schnell fand ich den Weg zurück zur Realität. Wir waren wieder einmal Tabellenletzter, angekommen am selben frustrierenden Punkt, wie wir schon so oft gewesen sind.

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Eine Halbzeit in Dortmund schwiegen die 6.500 in den Ruhrpott mitgereisten Stuttgarter, doch hier und heute waren sie wieder da, um die Mannschaft zu unterstützen, die so vieles schuldig geblieben ist. Aus der Aufbruchstimmung, nach all den vielen Jahren den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, folgte nun schon das nächste Gewitter, dass dem nächsten Trainer den Job kostete. Und so drehen wir uns im Kreis, immer und immer wieder.

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„Gut gespielt“ als schlechtes Omen

Wüsste man nicht, wie bedrohlich abermals die sportliche Situation ist, an der Cannstatter Kurve könnte man es nicht einmal ablesen, und so begrüßten wir sie in diesem „Sechs-Punkte-Spiel“, als wäre die bisherige Punkteausbeute komfortabel und selbst eine Remis könnte uns nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Tief in uns drin sieht es anders aus: da wissen wir, dass wir uns viele Punktverluste nicht mehr leisten können, sollte es noch für ein einigermaßen erträgliches Saisonende reichen, wohlwissend, dass ich diese Worte nicht etwa im April schreibe, sondern im Dezember, nach gerade einmal 15 Spieltagen.

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Viele Minuten dauerte es nicht, bis sich die Mutmaßung vor der Partie auch auf dem Feld wieder spiegelte, für beide galt „Verlieren verboten“, jeder brauchte den Sieg und entsprechend nervös traten beide Mannschaften auf. Doch lag ein Hauch Zuversicht in der Luft, auch wenn ich diesen nicht unbedingt zu teilen vermochte. Hier spielte Schießbude gegen Schießbude, in den letzten beiden Spielen kassierten wir mit acht Gegentoren nur eines weniger als die Bremer.

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Etwas mehr als zehn Minuten gingen ins Land bis zum ersten Torschuss unserer Spieler, es war der Beginn eines Gedankens, mit dem ich nicht gerechnet hatte: die gaben sich ja tatsächliche Mühe?! Fünf zu null Torschüsse und 62% Ballbesitz nach einer Viertelstunde, was sich im ersten Moment gut liest, erinnerte nur ein weiteres Mal an all die Spiele, die wir bereits zu Beginn dieser Spielzeit durchleben mussten. Gut gespielt und trotzdem verloren, diese Schlagzeile verfolgte uns wochenlang, bis sich allmählich die sportliche Leistung an den Punktestand anglich.

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Geheime Hoffnungen

Es sah zuletzt schon wesentlich schlechter aus, was hier die Jungs im roten Brustring auf dem Spielfeld zeigten, so erfreute ich mich allenfalls an jeder Minute, die wir nicht zurücklagen, auch wenn die Gäste aus dem hohen Norden bisher noch nicht viele Anstalten zeigten, uns gefährlich werden zu wollen. An uns Fans sollte es auch dieses Mal nicht scheitern, man hatte ihnen den blamablen Auftritt gegen Augsburg zwar nicht verziehen, aber für 90 Minuten stand man hinter ihnen und schrie, so laut man nur konnte.

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Der Schrecken fuhr uns in die Glieder, als Anthony Ujah nach einem Duell gegen Toni Sunjic und Timo Baumgartl im Strafraum zu Boden fiel. Florian Meyers Pfeife ertönte sofort. Er wird doch nicht…? Banges Warten, wenige Sekunden fühlten sich an wie eine Ewigkeit, bis der Unparteiische schließlich anzeigte, der Stürmer solle doch bitte aufstehen und nicht den sterbenden Schwan markieren. Hätte er stattdessen auf den Elfmeterpunkt gezeigt, wir hätten uns wohl kaum beschweren dürfen.

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Schnell schütteln und weiter nach vorne! Zugeben wollte ich es nicht, so hoffte ich doch aber insgeheim so sehr, sie würden sich doch endlich mit dem Tor belohnen. Ob sie uns erhörten und von selbst darauf gekommen sind, vermag ich nun wirklich nicht zu beurteilen, doch lag sich die Cannstatter Kurve wenig später schreiend in den Armen. Wie unbeschreiblich und schwerelos sich das anfühlt, kann jeder nachvollziehen, der hier schon einmal stand und die Fäuste nach oben riss, mündend in einem einzigen lauten Jubelschrei aus den tiefsten Tiefen der Lunge: „Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“

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Wie in besseren Zeiten

Emiliano Insua hatte es genau gesehen, wie sich Filip Kostic aufmachte zu einem weiteren seiner berühmten Sprints auf dem linken Flügel, vorbei am ersten, vorbei am zweiten, so schlug er ihn hoch und weit in den Strafraum, vermeintlich unerreichbar. Lukas Rupp, der als einer der ersten Neuzugänge im Sommer präsentiert wurde und nach seiner Verletzung immernoch mit Carbonschiene am rechten Handgelenk spielt, rauschte herbei. Für einen Volleyschuss war er noch nicht bereit, er legte ihn sich zurecht und zog mit Vollspann ab – mitten ins Herz!

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Das letzte und bisher einzige Spiel, in dem Lukas Rupp traf, endete bitter – doch wer (also außer mir) wollte jetzt schon daran denken? Ich wollte mich ihm einfach nicht hingeben, diesem einen wunderbaren Gedanken, ohne Furcht einen Heimsieg feiern zu können, angepeitscht von den leidgeprüften Fans, am Ende mit einer ernst gemeinten Laola-Welle und einem Lächeln im Gesicht, das uns hoffnungsvoll für die nächsten Wochen stimmen würde. Es hätte so einfach sein können. Aber seit wann ist Fußball schon einfach?

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Was hier nur los gewesen wäre, hätte Filip Kostics erneute spitze Flanke den Fuß von Timo Werner getroffen? Es wäre das 2:0 und vermutlich der vorzeitige Knock-Out der völlig indisponierten Gäste gewesen. Aber wir wissen ja alle selbst: Hätte, hätte, Fahrradkette. Und wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen gefangen. In dem Wissen, was einem am Ende gegangen ist, hätte man lieber eingehalten und den Hasen gefangen – doch so weitsichtig präsentierte sich unser VfB nur selten.

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Gute erste Halbzeit – oder?

Wir werden niemals untergehen, solange uns’re Fahnen wehen. Lauter, immer lauter. Was ist, wenn wir uns in wenigen Monaten zurückerinnern könnten, dass der wahre Umbruch und die Rückkehr zu besseren sportlichen Ergebnissen genau hier gegen Bremen seinen Anfang nahm? Nichts als Gedankenspiele in den letzten Minuten des ersten Durchgangs, der ohne jeden Zweifel unserem VfB gehörte.

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Nur nicht nachlassen, keinen einzigen Millimeter nachgeben, dann wird es auch etwas mit den dringend benötigten Punkten. Doch diese Rechnung machten wir ohne die Mannschaft. Ein weiteres Mal drückten sie sich kurz vor der Pause an mir vorbei und so blickte ich in lächelnde Gesichter, voller Hoffnung, voller Zuversicht. Dass jedes Spiel zwei Halbzeiten hat, die mitunter so unterschiedlich sind wie Tag und Nacht, wer dachte jetzt schon daran, wo doch schon das erste Tor für unseresgleichen gefallen war?

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„Richtig gut bisher!“ hörte ich immer wieder um mich herum. Ich flehe euch an, bitte beschreit es nicht! Nachdenklich kippte ich den pappsüßen Pfirsichtee in mich hinein, während wir auf den Wiederanpfiff warteten. Noch waren die meisten der 46.590 Zuschauer frohen Mutes, noch das eine oder andere Tor für den VfB zu sehen, ahnten jedoch noch nicht, dass sie all das, was sie sich vorgenommen hatten, in der Kabine vergessen hatten, als sie wieder unter Applaus das Feld betraten.

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Willenloser Wiederanpfiff

Der Ball rollte wieder, doch war es nicht das Geschehen auf dem Feld, das unsere Aufmerksamkeit erregte, hell erstrahlte der grün-weiße Gästeblock. Wie sie es geschafft haben, bei verschärften Sicherheitskontrollen die Pyrotechnik mit hinein zu bekommen, wird deren Geheimnis sein. Viel beunruhigender fand ich da die Tatsache, dass die Bremer mit neuem Mut aus der Kabine gekommen waren, während unsere Mannschaft beinahe schon lethargisch und verschlafen wirkte. Wir wissen alle, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann.

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Trotz aller stärker werdenden Nachlässigkeiten, die sich die Spieler erlaubten, unser Support war ungebrochen. Werders Drangphase verflüchtigte sich so schnell, wie sie zu Beginn des zweiten Durchgangs gekommen war, doch ließ der VfB das Engagement vermissen, auf das zweite Tor zu gehen. Haben wir es denn nicht nötig? Dabei wäre es doch so einfach gewesen, wenn man mutiger gewesen wäre, denn die Angriffe über die Flügel bekamen die Bremer einfach nicht in den Griff. Doch Kapital daraus zu schlagen, das war bisher nur ein einziges Mal nach 33 Minuten gelungen.

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Behäbig trabten sie über den Platz und schienen nicht so recht zu wollen, als würde es fünf Minuten vor Schluss 3:0 stehen und es nicht Not tun, mehr zu investieren. „Rafft euch, Jungs, sonst fangt ihr hinten noch eins“ – das ungute Gefühl in meinem Hinterkopf wurde größer, eine nur allzu gut bekannte Situation, wann immer man nicht das sieht, was man sich insgeheim vielleicht erhofft hatte. Alles, was wir Fans wollen, ist zu sehen, dass sie alles Geben, was in ihrer Macht steht. Wenn es dennoch nicht reicht, wäre ihnen dennoch unser Applaus gewiss. Aber so?

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Es hatte sich angedeutet

Wie ich es hasse, immer wieder in Sachen böse Vorahnungen bestätigt zu werden. Sie agierten zu passiv, während die Bremer mit Claudio Pizarro einen Spieler einwechselten, der immer wieder für ein Tor gut ist, was sich bis zum VfB aber noch nicht herumgesprochen zu haben scheint. Ein weiter Abstoß von Przemyslaw Tyton blieb bei den Gästen von der Weser hängen, Clemens Fritz schloss ab aus der zweiten Reihe. Ganz blöd abgefälscht. Ganz blöd die Richtung geändert. Ganz blöd ausgesehen beim Nachschuss von Anthony Ujah. Ganz blöd ausgesehen, mein lieber VfB!

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Das 36. Gegentor dieser Spielzeit, die noch nicht einmal zur Hälfte vorüber ist. War es gerade noch laut in der Cannstatter Kurve, herrschte nun wieder Stille angesichts eines weiteren herben Rückschlags, von denen wir alleine schon in dieser Saison schon viel zu viele hatten, das erste Halbjahr 2015 ist hier noch nicht einmal mit eingerechnet. Wie soll man sagen, hatten sie nicht geradezu darum gebettelt? Wer das Fußballspielen einstellt, braucht sich nicht beschweren, wenn eben der Gegner trifft statt man selbst.

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In meinem Kopf ging der Horrorfilm noch weiter, sehr viel schneller, als die Sekunden auf der Anzeigetafel hinunterticken wollten. Ich meinte zu ahnen, fast schon zu wissen, was nun passiert: Bremen würde das zweite Tor machen, höchstwahrscheinlich so spät, dass man die Niederlage nicht einmal mehr verhindern kann. Nach 45 Minuten das Fußballspielen eingestellt und nun folgerichtig bestraft. Warum muss Fußball nur immer wieder so beschissen sein?

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Auf der Suche nach frischem Wind

Sie brauchten frischen Wind, doch Jürgen Kramny sah keinen Anlass, zu wechseln. Die Minuten verstrichen, zehn Minuten blieben dem VfB noch, das größte Unheil abzuwenden und seinen Fans hier doch noch den Sieg zu schenken. Ich geriet ins tagträumen, wie schön es doch wäre, wenn es der VfB wäre, der mal in der Nachspielzeit zum Sieg trifft? Beinahe so wie damals, beim letzten Heimspiel gegen Bremen, als Jannik Vestergaard weggerutscht war und Serey Dié den goldenen Pass in den lauf von Daniel Ginczek spielte. Gänsehaut. Noch immer.

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Vielleicht wäre der Freistoß in der 77. Minute das 2:1 gewesen, Daniel Didavi hätte sich an der Strafraumgrenze hingestellt, einen langen Anlauf genommen und den Ball links oben unhaltbar ins Netz genagelt, direkt vor der Nase der Cannstatter Kurve, die sich diversen Bierduschen unterziehen musste. Vielleicht wäre der Freistoß in der 77. Minute die Rettung gewesen – wenn es ihn denn gegeben hätte.

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Zehn Minuten vor dem Ende fand auch Jürgen Kramny den angemessenen Zeitpunkt, zu wechseln, für Daniel Didavi kam Alexandru Maxim, der immer wieder dabei zusehen muss, wie dem abwanderungswilligen Kollegen ständig der Vorzug erteilt wird. Ob er am Ende den Unterschied machen kann? In Hannover machte er in der letzten Minute der offiziellen Spielzeit das beruhigende 3:1 und ließ uns alle glauben, der Groschen wäre gefallen. Heute wissen wir, dass es nicht mehr als ein kurzes Strohfeuer war.

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Viel zu wenig

Ein paar wenige Zentimeter trennten uns von der Horrorvision in meinem Kopf. Unerbittlich rannte die Zeit davon, nur noch fünf Minuten blieben uns, das Siegtor zu erzielen, als der 19-Jährige Levin Öztunali das Leder an die Latte drosch. Es wäre das eine Tor, das ich noch hatte kommen sehen. Auf der anderen Seite rettete Felix Wiedwald das Remis, als er gegen Timo Werner gute Reflexe zeigte. Auch das ist uns nicht fremd, dass gegnerische Torhüter stets gegen uns ihre Sternstunden erleben und so gut sind wie sonst nicht, sei es Timo Horn, Ralf Fährmann oder nun eben Felix Wiedwald.

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Ein letztes Aufbäumen der Kurve, als wollte man den Ball selbst mit unserem Gesang ins gegnerische Tor hineinschreien. Es hatte alles nicht sollen sein. Am Ende mussten sie sich den Vorwurf gefallen lassen, in der zweiten Halbzeit schlichtweg zu wenig gemacht zu haben, „Selber schuld“, wie man da so schön sagt. Beinahe teilnahmslos nahmen es die Zuschauer hin, kaum Pfiffe, kaum Applaus, als sei man schon „fertig“ mit dieser Mannschaft. Unsere Gedanken waren stets die selben: „Das ist zu wenig!“, das wusste hoffentlich die Mannschaft selber.

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Statt „Paradise City“ ertönte „VfB i steh zu dir“ durch die desaströsen Lautsprecherboxen, als wolle man uns gerade noch daran erinnern, dass wir weiter zum Verein stehen sollten, auch wenn dieser bereits am Abgrund steht. Uns muss man nicht daran erinnern, aber vielleicht sollte sich die Mannschaft mal erinnern, dass ein Spiel länger dauert als eine einzige Halbzeit und dass es erst erlaubt ist, einen Gang zurück zu schalten, wenn der Vorsprung groß und die restliche Spielzeit klein ist.

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Alle Jahre wieder

Was soll man jetzt damit anfangen? Es bringt keiner der beiden Mannschaften besonders viel, man tritt auf der Stelle. Dass man durch den einen Punkt zumindest Hoffenheim wieder überholt hat und nun Vorletzter statt Letzter war, nein, das vermochte nicht wirklich viel zu trösten. Zurück blieben wir wieder mit hängenden Köpfen, ohne zu wissen, was auf uns zukommt. Die nächsten Aufgaben werden nicht leichter, Mainz hatte mit 3:0 gewonnen, uns erwartet ein schweres Pokalspiel gegen den Zweitligisten aus Braunschweig inklusive Blamier-Möglichkeit, bevor es mit einem Heimspiel gegen die zuletzt schwächelnden Wolfsburger ein wenig rühmliches Ende der Hinrunde geben wird.

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Und was kommt dann? Das ist die wohl interessanteste aller Fragen. Was wird geschehen in den 33 Tagen zwischen dem letzten Hinrundenspiel und dem ersten Rückrundenspiel? Die einen sagen „Vieles“, die anderen sagen „Nichts“, offene Punkte hat es genug: der vakante Posten des Cheftrainers sowie potenzielle Abgänge und Zugänge und das überall allem schwebende Damoklesschwert des kompletten Zerfalls. Einige Spieler wollen wechseln, fraglich, ob man sie daran hindern kann. Doch welche Spieler wollen im Gegensatz zu einem Chaosklub, der nur noch unterstes Warenregal ist?

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Mein alter Bremer Kumpel Dennis, den ich vor vielen Jahren in meiner damaligen Leipziger Stammkneipe kennenlernte, wiederholt sich seit Jahren: „Achwas, ihr steigt doch nicht ab! Und Werder auch nicht!“ Alle Jahre wieder die selben aufbauenden Worte einer norddeutschen Frohnatur. Alle Jahre wieder vermag ich ihm nicht so recht zu glauben. Alle Jahre wieder behielt er dennoch Recht. Ich hoffe so sehr, auch dieses Mal.

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