Schon zwei Wochen ist es her, das Länderspiel, auf dass ich so lange gewartet habe, bei dem 3 Punkte Pflicht waren und ich keinen Zweifel daran hatte, das ich meinen Spaß daran haben würde – so wäre der entsprechende Blogartikel keine 24 Stunden später samt Bildern und Videos hier zu sehen gewesen. Ich habe lange warten müssen auf diesen Tag, was ich bekam, war der traurigste 4:0-Sieg den ich mir hätte vorstellen können. Wie das gehen kann, davon handelt diese Geschichte.

Als im Sommer 2007 bekannt wurde, der Deutsche Fußballbund würde im Jahr 2008 ein Länderspiel nach Leipzig mit einem attraktiven Gegner vergeben, war die Freude selbstredend riesig bei mir – als ich das erfuhr, hatte ich gerade einmal mein erstes Länderspiel gegen die Slowakei hinter mir und schwebte nun im siebten Himmel. Seit Sommer 2005 hat meine Heimatstadt kein Länderspiel der deutschen Mannschaft gesehen, es wurde also höchste Zeit. Im Januar 2008 als man gespannt den Rahmenterminplan der Deutschen Fußballnationalmannschaft veröffentlicht wurde, stockte mir der Atem: das Länderspiel findet erst im März 2009 statt, gegen den 151. der FIFA-Weltrangliste: Liechtenstein. Soviel also zu 2008, soviel also zum attraktiven Gegner.

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Als alles Meckern verflogen war und die Europameisterschaft 2008 in vollen Zügen genossen wurde, freute ich mich endlos auf mein “Heimspiel” – in Anführungsstrichen, denn wer mich kennt, weiß auch, dass meine echten Heimspiele in 500 Kilometern Entfernung in Stuttgart stattfinden, wo ich dem VfB Stuttgart mein Herz geschenkt habe. Es hat allerdings auch einen gewissen Anreiz, in ca. 10 Minuten am Stadion zu sein, statt den üblichen 4 Stunden nach Stuttgart, bzw. den mindestens 2 Stunden bei Auswärtsfahrten.

Schon oft genossen und wohlwissend, bei diesem Länderspiel in Leipzig mit an vorderster Front zu sein: selbstverständlich übernahm ich die Organisation des tooor.de-Fantreffens, zu dem ich zunächst ca. 30 Leute erwartete, was im Laufe der vorangegangenen Monate auf die Hälfte reduziert werden musste. Vermutlich ließen sich die meisten von den beiden letzten Länderspielen gegen England (1:2) und Norwegen (0:1) von ihrem Vorhaben abbringen, eine teilweise lange Anreise nach Leipzig in Kauf zu nehmen, für ein Spiel, das mit 99,99%iger Wahrscheinlichkeit ohnehin gewonnen werden würde.

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Mein Samstag morgen begann mit Ausschlafen – wann habe ich jemals wieder den Luxus des Ausschlafens an Tagen, an denen ich einem Fußballspiel live beiwohnen würde, so schnell wird das wohl nicht wieder vorkommen. Um die Mittagszeit herum schwang ich mich nach unzähligen Monaten wieder einmal auf mein Fahrrad, das bisher im Keller meiner Eltern stand, aber das ist eine andere Geschichte. Mit dem Fahrrad statt mit der Straßenbahn brach ich am Nachmittag Richtung Stadion auf, wo das Fantreffen stattfinden sollte, einer war bereits schon da, der noch ein Ticket von mir übergeben bekommen hat.

Zu meiner Enttäuschung fanden leider nicht allzuviele Tooorler den Weg zum Treffpunkt, nachdem so viele bereits im Vorfeld abgesagt hatten, war das natürlich der erste Schlag in die Magengrube. Mit denen, die erschienen sind, genoss ich ein entspanntes Fantreffen, es wurde viel geredet, gelacht und diskutiert. Fotos machte ich kaum, das bereue ich wieder erst im Nachgang. Die Hoffnung auf ein gemeinsames Gruppenfoto bevor alle gemeinsam zum Stadion aufbrachen war ebenso vergebens, ich bekam es leider nicht hin.

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Eine seltsame und doch prickelnde Spannung lag in der Luft, als ich mich mit meinen Tooorlern zum Stadion begab und sich das dynamisch geschwungene Dach des Stadions unter einer Beleuchtung, die definitiv nicht das Attribut “sparsam” erhalten hätte, vor uns in den Leipziger Abendhimmel reckte. Länderspiele der Deutschen besuchte ich stets ab 200 Kilometern Entfernung und aufwärts, und diesmal waren alle nach Leipzig gekommen, in meine Stadt. Der große Moment war endlich da und die Vorfreude ließ sich meine Nackenhaare aufstellen, positives Bauchkribbeln und Vorfreude auf einen tollen Fußballabend.

Der Weg ins Stadion war durchaus kein fremder, wenn auch nicht ganz so gebräuchlich wie für viele andere Leipziger, die Karten für das Spiel bekommen hatten. Hier sah ich das WM-Halbfinale 2006 auf der Leinwand, das Ligapokalfinale 2007 und Werder Bremens Testspiel gegen Lok Leipzig 2008. Einmal im Jahr reicht, mehr muss nicht sein, trotz allem Lokalpatriotismus, in Sachen Fußball ist der sowie dahin.

Die Länderspielathmosphäre kenne ich ja bereits, dieses Länderspiel in Leipzig war natürlich dennoch besonders, ein herrliches Gefühl. Als ich mich an meinem Platz einfand, traf ich auch wieder den ersten Tooorler vom Fantreffen, dem ich noch eine Karte überreicht hatte. Die Mannschaftsaufstellung hatten wir schon verpasst, als wir bei der erneut unorganisierten Eingangskontrolle länger als geplant aufgehalten wurden, dennoch wusste ich, wer in der Startaufstellung stehen würde: Mario Gomez, der Held vom VfB Stuttgart – und somit auch mein Held, soviel ist zweifellos sicher.

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Eine meiner Devisen ist: Im Stadion wird gestanden – denn Sitzen ist ja bekanntermaßen für’n Arsch, nicht wahr? In der Singing Area, die bei Länderspielen stets auf eine Seite hinter dem Tor gelegt wird, wird bei Heimspielen allerdings nur selten gestanden, so zumindest meine Erfahrung. Ätzende “Hinsetzen!”-Rufe rauben einem den letzten Nerv, diese haben die Defiition des Wortes Singing Area nicht begriffen oder hatten einfach Pech bei der Ticketvergabe. Überrascht war ich, dass ich das ganze Spiel über stehen konnte, es beschwerte sich keiner.

Es hätte ein Knallstart nach Maß werden können: nach nur 17 Sekunden setzte Mario mit einem Flugkopfball nur knapp am linken Pfosten vorbei – ich war sicher, das würde schon noch werden, es waren ja gerade 17 Sekunden gespielt. Ich ahnte ja nicht, das er dieses Tor hätte unbedingt machen müssen. Dennoch ging es richtig los nach Plan: wie zu erwarten folgten 2 schnelle Treffer binnen weniger Minuten: Michael Ballack und Marcell Jansen besorgten das 1:0 und 2:0, danach plätscherte das Spiel leider etwas vor sich hin und die Zuschauer wurden ungeduldig. Wurde noch im Hinspiel im Regen von Vaduz noch ein 6:0 gefeiert, was durchaus noch hätte höher ausfallen können, wollte nach den beiden schnellen Treffern nict mehr so richtig etwas passieren. Die Mannschaft spielte auf das Tor auf der gegenüberliegenden Seite und obwohl ich es nicht immer richtig erkennen konnte, ging ein Raunen durchs Stadion war ich mir leider schon ziemlich sicher, wer eine Chance ausgelassen hatte, was schon in den ersten 45 Minuten schmerzhaft war, doch noch lag ja die 2. Halbzeit vor uns, die es noch in sich haben sollten.

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In der Halbzeitpause gönnte ich mir eine kurze Auszeit und saß zum ersten und zum letzten Mal an diesem Abend auf der kalten blauen Sitzschale im Block 27 des Leipziger Zentralstadions. Es waren entspannte 15 Minuten, voller Hoffnung, ER würde sein Tor direkt vor meiner Nase machen, das es einen Sinn hatte, das er in der ersten Halbzeit noch nicht getroffen hatte. Nach Wiederanpfiff sollte es noch knüppeldick für Mario Gomez und den mindestens einen Fan in Block 27 kommen.

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An das, was folgte, erinnere ich mich nicht gerne – und werde es auch nur aus diesem einen Grund tun, weil ich darüber schreiben will, danach möchte ich diese schlimmen Ereignisse vergessen. Wer würde auch nicht vergessen wollen, das man als ausgesprochener Mario-Gomez-Fan in der Singing Area bei einem Länderspiel steht und ringsherum einem die Schmährufe “Gomez raus!”, “Gomez, du Arschloch!” und “Ohne Gomez fahrn wir zur EM!” entgegen schlugen. Ich weiß nicht, was schlimmer war: es zu hören oder nichts dagegen tun zu können. Rings um mich herum wurde ihm der blanke Hass, die blanke Häme entgegen geworfen. Grund dafür waren zahlreiche Chancen in der 2. Halbzeit, die er trotz redlichem Bemühen nicht gegen den 151. der FIFA-Weltrangliste unterbringen konnte.

Seit einem Jahr trifft er schon nicht mehr, zuletzt im März 2008 gegen die Schweiz, sein bisher bester Auftritt im Adler-Trikot, seit dem Spiel gegen Österreich bei der EM klebt ihm sozusagen die Scheiße am Fuß, was man bei seinen super Leistungen beim VfB Stuttgart nicht nachvollziehen kann. Es ist der Wurm drin – und wenn man weiß, das er in der Bundesliga Woche für Woche seine Tore macht und aus den unmöglichsten Chancen Tore erzielen kann, so leidet man doch sichtlich mit ihm. Trauriger Höhepunkt war definitiv, als man ihn nach einer erneut vergebenen Chance auch noch auslachte – ich kam mir vor wie ihm falschen Film.

Natürlich freute ich mich, wenn auch etwas gedämpft, über die Tore zum 3:0 und 4:0-Endstand von Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski. Doch mir war klar: dass Deutschland dieses Spiel deutlich gewinnen würde, darüber bestand kein Zweifel. Was ich sehen wollte, war ein Tor von ihm, das der Knoten platzt und er all das, was am 16. Juni 2008 in Wien begann und seitdem anhielt, vergessen könnte. Ich hätte es ihm so gewünscht.

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Plötzlich entdeckte ich vor mir den Fanbetreuer des Fanclubs Nationalmannschaft, der für den Bereich Mitteldeutschland zuständig ist: Rico, ihm hatte ich das Viertelfinale gegen Portugal zu verdanken. Zugegeben, es erfüllt einen mit Freude, wenn man jemanden fragt, ob er einen noch kennt, hat man ihn doch nur für einen Tag gesehen (oder vielmehr anderthalb) und er das mit “Natürlich!” beantwortet. So plauschte ich kurz mit Rico, erzählte ihm, was ich so stadiontechnisch getrieben hab seit sich die Wege am 20.06.2008 wieder getrennt hatten. Schließlich nahm ich weiter oben meinen Platz wieder ein, die Ordner im Stadion waren da etwas streng.

Inmitten der Anti-Gomez-Rufe, von denen selbst der erste schon einer zu viel war, sehnte ich den Abpfiff herbei, der dann auch endlich kam – wie leider zu erwarten war, ohne dass er ein Tor machen konnte. Da ich den vordersten Platz an der Treppe hatte, ließ ich zuerst mehr oder weniger genervt die ganzen Menschen vorbei, die ich am liebsten noch einmal höchstpersönlich für ihr Verhalten an diesem Abend geohrfeigt hätte, aber wie hätte ich mich rechtfertigen können? Schließlich folgten ein paar Minuten der Ruhe und der Besinnung, eine Art Schockstarre, und das ohne Niederlage.

Geknickt und gebrochen verließ ich das Stadion, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte man grade 0:4 verloren, anstatt 4:0 gewonnen. Ein Tag, auf den ich mich so unendlich sehr gefreut hatte, endet in einer Enttäuschung, die ich insbesondere dem Publikum zu “verdanken” hatte. Ohne die Pfiffe wäre der Frust nur halb so groß gewesen.

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Während ich die Menschen auf dem Heimweg beobachtete, die allesamt zufrieden mit dem Ergebnis waren, lief ich zurück zum Treffpunkt, wo mein noch vollständig vorhandenes Fahrrad auf mich wartete. Die Hauptstraßen rund ums Stadion waren wegen der zu erwartenden Menschenmassen gesperrt worden und ermöglichten mir so eine schnelle Fahrt nach Hause.

Was an diesem Abend passiert ist, wird hoffentlich schnell ein Opfer meiner Verdrängung werden – und die Geburtsstunde neuer Hoffnungen. Er kann nicht ewig die sprichwörtliche Scheiße am Fuß haben.

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