So mancher Gang fällt einem besonders schwer – dass ich mich auf dieses Bundesliga-Spiel gegen den FC Bayern München nicht richtig freuen konnte, hatte mehrere Gründe, wobei die Pechsträhne das VfB Stuttgart in den letzten Wochen das weitaus geringere mentale Problem darstellte, denn vielmehr war es die Rückkehr des Mario Gomez nach Stuttgart, die mir Bauchschmerzen bereitete.

Wochenlang hing es unbeachtet im Schrank, seit Ende Mai abgeklebt mit Paketband, im Rausche des Frustes. Nun kam es wieder zum Vorschein: das Trikot, dass ich mir einst 2 Stunden vor dem Sensationsspiel gegen Wolfsburg gekauft hatte. Beflockung: 33, Gomez. Jener schoss an diesem 09. Mai die 4 Tore zum 4:1-Sieg gegen den späteren Meister – um 3 Wochen später seinen Wechsel zu den ungeliebten Bayern zu bestätigen.


Tooor.de-Fantreffen

Beide Sachen kombiniert ergeben ein sehr flaues Gefühl im Magen, mit dem ich am Samstag Morgen mit meinem Stammfahrer Reinhart nach Stuttgart aufbrach. Seinen grenzenlosen Optimismus – “Die hauen wir weg, ist doch ganz klar!” – konnte ich leider nur bedingt teilen.

Angekommen in meiner zweitliebsten Stadt hatten wir noch ein gutes Zeitpolster und gingen erst einmal aus Neugier mit Torsten in dessen Stammkneipe, um uns das alles einfach mal anzusehen. Zwei Radler später wurde es Zeit für Otto, Torsten ließen wir dort und fuhren alleine rüber zu unserer eigenen Stammkneipe. Für Reinhart ist sie das schon seit unzähligen Jahren, und ich bin quasi in den letzten Monat mehr und mehr mit hineingewachsen.


You’ll never walk alone!

Viel Zeit verbrachte ich dort diesmal nicht, ich begrüßte der Reihe nach altbekannte Gesichter und marschierte auch gleich rüber zum Palm Beach, ein Kneipenlokal, das im Carl Benz Center neben dem Stadion zu finden ist. Dort hat Marc, einer meiner Leute vom Forum tooor.de einen Tisch reserviert, dort warteten bereits stets bekannte Gesichter auf mich. Sogleich wurde ich von Alexej informiert, dass sich die Mannschaft nach dem Aufwärmen in der Kurve einfinden wird, was ich interessiert zur Kenntnis nahm und für mich entschied, ich würde mir das sicherlich ansehen wollen.

Nach leckeren Spaghetti Bolognese, die ich mir dort zum Mittagessen gönnte, angeregten Gesprächen über alles mögliche, musste ich schon wieder weiter – immer dieser Stress hier! Rechtzeitig zum Aufwärmen war ich schließlich in der geliebten Arena, auch wenn sie mir in den letzten Wochen kein einziges Erfolgserlebnis bescherte. Und trotzdem: daheim ist es am schönsten.


Trainer: Markus Babbel. Und das ist auch GUT SO!

Wie geplant erschien die Mannschaft nach dem Aufwärmen in der Kurve – es hatte sich offensichtlich rumgesprochen, denn das Stadion war schon gut gefüllt, insbesondere die Cannstatter Kurve. Alle erhoben sich, klatschten und jubelten, feuerten die Mannschaft an – ein Gänsehaut-Gefühl, dass seinesgleichen sucht. In schweren Zeiten merkt man dann doch, wie wichtig es ist, dass die Fans zu einem halten, statt den Rücken zuzukehren. Genau das richtige Signal zur genau richtigen Zeit – “Wir glauben an euch!”.

Die letzten Minuten vor Spielbeginn verbrachte ich dort, wo man die Treppenstufen zum Block hochkommt und es in die verschiedenen Sektoren a, b, c und d des Blocks 37 geht. Von dort hatte man zumindest eine Sicht auf die Anzeigetafel, die mir seit dem Abriss der Untertürkheimer Kurve verwehrt bleibt. Für Kurzweile und Überbrückung der Wartezeit schwätzte ich mit den Leuten neben mir, während sich meine Sitznachbarn aus Reihe 44 unbemerkt an mir vorbeischlichen.

Bevor die eigene Mannschaftsaufstellung aufgesagt wurde, wird traditionell mit nüchterner bis gelangweilter Stimmlage die Aufstellung der Gästeverlesen: deren Nummer 33 durfte sich selbstverständlich die gellenden Pfiffe des Publikums anhören. Bei unserer eigenen Mannschaftsaufstellung brüllte man bei “Unser Teamchef… Markus…” – “BABBEL!!!” besonders laut mit. Auch wurden im Lauf des Spieles diverse Transparente mit “Babbel muss bleiben!” und “1893% pro Babbel” gesichtet – ein eindeutiges Zeichen, dass auch wir Fans die aktuelle Misere nicht an dem Mann festmachen, der uns in einer sensationellen Rückrunde in die Champions  League geführt hat.

Trotz der ermöglichten Sicht auf die Anzeigetafel – mein Platz ist oben bei meinen Leute, im trauten Kreis. Der Schiedrichter pfiff das Spiel an und ich betete erneut zum Fußballgott, er möge mir den größten denkbaren Alptraum ersparen. Erstaunlich, was in den ersten Minuten auf dem Spielfeld ablief: nicht die lauten Pfiffe bei jeder von Gomez’ Ballberührungen, auch spielten unsere wie die jungen Götter! Das erfreute das Herz – ein gutes Spiel mit zahlreichen Chancen für unseren VfB in den ersten Minuten. Eine Augenweide, die nun endlich von Erfolg gekrönt werden sollte, wenn es nach uns Fans geht, die in den letzten Wochen genug zu leiden hatten.

Dass sie dieses Tempo nicht halten konnte, war allerdings zu befürchten. Die Spielanteile glichen sich etwa aus, die Torchancen wurden etwas weniger. Erste Pfiffe gegenüber des Schiedsrichters Kempter, der recht früh seinen Status als 12. Münchener auf dem Platz inne hatte, blieben auch nicht aus. Von so weit oben ist es natürlich schwierig zu beurteilen, der Begriff “Flachpfeiffe” für Florian Kempter schien den heimischen VfB-Fans allerdings noch als freundlichste Bezeichnung. Währenddessen wurde auf den Stehblöcken das Transparent ausgebreitet: “Am Neckar der Held, an der Isar nur Geld” – jeder wusste sehr wohl, wer damit gemeint ist. Schließlich sind wir Schwaben nachtragend und verzeihen nie, wenn jemand freiwillig den geilsten Verein der Welt über die A8 nach München verlassen will.


Das spricht für sich…

Es blieb spannend, spannender als es mir lieb gewesen ist. Mehr und mehr raste mein Herz, das Tempo im Spiel blieb hoch und sorgte für eine Stress-Situation nach der anderen. Meine Hoffnungen, unsere Jungs würden erstmalig in dieser Saison das Gehäuse vor der Baustelle an der ehemaligen Untertürkheimer Kurve treffen, wurde auch diesmal nicht zur Wahrheit, mit einem schmeichelhaften 0:0 ging es in die Pause. Das berühmt-berüchtigte Erfolgserlebnis – “wenn wir schon in den ersten 45 Minuten ein Tor geschossen hätten, …” – aber “hätte”, “wenn” und “aber” schießen nunmal bekannterweise keine lang ersehnten Tore.


Das ist für euch, ihr Bayern!

Nach dem Wiederanpfiff war aber ebenso klar: der Siegtreffer wird vor der Cannstatter Kurve fallen müssen. Grund genug also umso mehr daran zu glauben, hat es doch schon einige Male geklappt. In der zweiten Halbzeit gab es jedoch eine Phase, in der sie mehr oder weniger um das Gegenor gebettelt haben – die Bayern schnürten unsere Jungs in der eigenen Hälfte ein, es ging keinen Schritt mehr vorwärts. Doch aus dieser Situation konnten wir uns wieder befreien und berappelten uns wieder.

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Weiter ging es nach vorne, immer wieder nach vorne – nur gestoppt von gelegentlichen Ballverlusten, die es in den nächsten Spielen abzustellen gilt, doch wir kämpften mit Leidenschaft und erarbeiteten uns eine Torchance nach der anderen. Doch damit allein ist einem natürlich nicht geholfen, wenn man vorne das Tor nicht macht. Die Uhr tickte, die Zeit rannte uns wie so oft in letzter Zeit davon. Nur noch wenige Minuten zu spielen – wer jetzt trifft, verpasst dem anderen den “Sudden Death”.


Danke!

Tick – Tick – Tick – Tick – BOOOOM! Nur 4 Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit stockte den Zuschauern der Atem, alles, was man hören konnte, war der Jubel des Gästeblocks neben uns. Nein, das durfte nicht wahr sein. Der Fußballgott meinte aber, uns genug gelitten lassen zu haben, und nahm das Tor zurück – dieses Tor von Luca Toni, es war Abseits! Das Wort “Erleichterung” ist dabei noch die Untertreibung des Jahres.


Das letzte Hemd

Noch in der Nachspielzeit, die nur 2 Minuten betrug, peitschten wir unsere Jungs mit allem, was wir noch in unseren Lungen hatten nach vorn, sie mussten es erzwingen, anders war dem nicht beizukommen. Die Zeit verstrich, der Abpfiff kam – mit etwas Enttäuschung sah man sich konfrontiert mit diesem ungeliebten Ergebnis eines 0:0 – übt man sich aber in Bescheidenheit, ist man zumindest halbwegs zufrieden damit, endlich wieder ein Punktgewinn, denn dieses Spiel hätte im schlimmsten Falle auch ganz anders enden können.

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Versöhnlich beklaschten wir die Leistung der Mannschaft, die nach dem Abpfiff in die Kurve kam und eine Mini-Ehrenrunde drehte, zumindest bis etwa zum Gästeblock. Der Patient VfB Stuttgart – er lebt noch. Er hängt am Tropf, kommt aber langsam wieder zu sich. Das Kämperische stimmt – die Ergebnisse noch nicht. Noch vor wenigen Tagen hätten wir allerdings noch das Pech gehabt, dass dieses knappe, dennoch irreguläre und zu Recht nicht gegebene Tor von Bayern München gegeben worden wäre. In diesem Sinne: es geht langsam voran.


Micha und ich

Auf dem Weg nach draußen sammelte ich wieder nach und nach meine Leute ein für ein letztes Abschiedsfoto, in zweierlei Hinsicht: ein Foto des Dreamteams vom Block 37c mit Micha, Marc, Martin, Andi und mir, und ein Foto von mir alleine mit dem Stück Stoff, was mir für ein paar Wochen im Sommer so einiges bedeutet hat. Als der Blitz meiner Kamera das auf die Speicherkarte schrieb, war mir klar, welchen Titel das Foto bekommt: “Das letzte Hemd”.


Das Dreamteam vom Block 37c

Die Wege trennten sich wieder, ich fand mich nach dem Spiel wieder bei Ottos Vesperstüble ein, unserer Stammkneipe. Als letzte von uns Dreien kam ich dort überpünktlich an, 15 Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt, so konnten wir rechtzeitig zum Hauptbahnhof aufbrechen, um dort noch 2 weitere Mitfahrer einzusammeln.

Es gibt Unentschieden, die fühlen sich wie ein Sieg an – für mich war dieses 0:0 zwar kein Triumph über die Bayern, wie es noch das 2:2 vor etwa einem Jahr gewesen ist, doch für mich war es ein Sieg in dem Sinne, dass mir der große Alptraum erspart blieb: Gomez’ Siegtreffer im Bayerntrikot an alter Wirkungsstätte. Und nach Wochen des Frustes übe ich mich in Bescheidenheit und nehme das, was wir nun haben, ein 0:0, was zwar hätte weitaus mehr werden können, aber immerhin noch besser als eine erneute Niederlage.

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