Als ich die ersten Treppenstufen des Estadio da Luz hinunterstieg, haftete diesem Abend ein Hauch von Magie an. Zu Gast bei Benfica Lissabon. Tief durchatmen, jedem war klar, was dieses Spiel hier und heute bedeuten könnte. Es könnte das letzte internationale Spiel für unbestimmt lange Zeit sein – doch sollten es bis dahin noch mindestens 90 Minuten sein.

Erst am Spieltag reiste ich an, mit meiner besseren Hälfte Felix und vielen Freunden und Bekannten vom Fanclub Boys in Red. Drei Tage sollte der Aufenthalt in Europas westlichstem Punkt andauern, was in einem gesonderten Artikel abgehandelt wird. Nach dem Check-In ins Hostel machten wir uns auf, im Gepäck mit der Hoffnung, weiterhin erfolgreiche Europa League Geschichte ins Tagebuch des VfB Stuttgart schreiben zu können.

Es sind die Schönsten von allen: Auswärtsspiele. Erst recht, wenn man in Europa unterwegs ist. Mir war klar, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in Anbetracht der prekären und äußerst misslichen Lage in der Bundesliga. Ein Grund mehr, es ausgiebig zu genießen und jeden Moment in mich aufzusaugen – es könnte das letzte Spiel sein.

Nach einem ausgiebigen Treffen mit vielen bekannten Gesichtern des Commando Cannstatt und zahlreichen VfB-Fanclubs am Rossio, einer von Lissabons wichtigsten Plätzen der Innenstadt, brachen wir auf. Mit der Metro Richtung Stadtteil Benfica, Wirkungsstätte des Eruopa League Hinspiels am 17. Februar 2011.

Schönstes Wetter, im Moment war ich mir noch sicher, mit der VfB-Jacke würde ich schon nicht frieren. Palmen am Stadion, ein milder Wind, angenehme Temperaturen, nur wenige Wolken am Himmel. Dass ich dann doch noch frieren würde, war zu befürchten, so clever hätte ich eigentlich sein müssen, dass die Sonne wenig später auch noch untergehen würde. Sei es drum, ich freute mich, hier zu sein.

Es war noch früh, allzu viele Benfica-Fans dürften unseren Weg zu dieser Stunde noch nicht kreuzen, unsere Befürchtung, nicht gerade in der Nähe des Gästeeingangs aus der Metro-Station zu kommen, bestätigte sich relativ schnell. Vorbei an der Benfica-Heimkurve, Augen auf beim Spiel-Management am Stadion. Alle Achtung, Ordnungskräfte, für diese schwache Leistung – das hat ja schon fast Bundesliga-Niveau!

Angekommen am Gästeblock, wo uns bereits die ersten Schlachtenbummler aus dem Ländle empfingen, ging es auch schon durch die Zugangskontrollen. Abgetastet bis aufs kleinste Detail standen wir da, vor uns weitere VfB-Fans. Was war hier los, warum sammelte sich alles vorm Stadion? Es dauerte einige Momente, bis wir registrierten, dass ab hier erstmal kein Durchkommen war.

Nach den ersten Minuten, als wir die Wartezeit noch problemlos überbrücken konnten indem wir den stärker werdenden Menschenstrom beobachteten. Auch Torsten, ein alter Freund aus meinem Leipziger Leben, leidenschaftlicher Brustringträger aus Weißenfels in Sachsen-Anhalt, war mit dabei und fand mich in den vordersten Reihe der nun beachtlichen Warteschlange.

Die Zeit verging, statt den Zugang zu öffnen, der aus einer Reihe Polizisten und Ordnungskräften bestand, kamen noch weitere Ordnungshüter in voller Montur: Helm, Schlagstock, Waffe, Schutzschild und Kampfhund – das kann ja heiter werden. Der Unmut, der schon leise seine Kreise zu, wurde zur größer werdenden Welle der Empörung. Pure Provokation, so interpretierten es die meisten. Nur noch 30 Minuten bis zum Anpfiff, normalerweise sind die meisten VfB-Fans schon längst auf ihren Plätzen.

Endlich ging es hinein, die Sperre wurde aufgelöst und der Weg war frei für 1.150 Gästefans, die lautstark ihr Kommen mit “Hurra, Hurra, die Schwaben die sind da!” ankündigten. Einen Moment innehalten und sich umsehen, bevor entschieden wird, wo man sich postiert. Schon bald suchten wir uns ein schönes Plätzchen, noch war genug Zeit, sich im weiten Rund umzuschauen. Erster Gedanke “Cooles Stadion!”. Die Reihen füllten sich, die Anspannung wurde größer.

Unter tosendem Applaus wurden die Mannschaften beim Einlaufen empfangen, ein weiterer Gänsehaut-Moment. Wie vermutet bot das Spiel das, was es versprach: hohes Tempo und viel Leidenschaft. Genau das wollen wir sehen. Auf den Rängen gaben wir Vollgas, wie unsere Jungs auf dem Rasen.

Kein Tag ohne Begeisterung, kein Sieg ohne Leidenschaft – was in der 21. Minute geschah, war unglaublich. Die Jungs kämpften seit Anpfiff auf eine Art und Weise, die sie in der Bundesliga so lange nicht gezeigt haben. Eine Bogenlampe, die immer länger und länger wurde, senkte sich nach einer gefühlten Ewigkeit direkt ins Tor. Riesen Jubel, ungläubige Blicke, grenzenlose Freude. Martin Harnik war der Torschütze, “wer sonst?” durfte man zurecht fragen.

Während wir im Gästeblock unseren Spaß hatten und der VfB auf dem Platz weiterhin das 1:0 hielt, avancierte ein Fangesang zum Lied des Abends. Wie auch schon in Barcelona erlebt, zeugte die gegnerische Fanszene nur wenig von Kreativität. Aus Deutschland kennen wir durchgehenden Support und abwechslungsreiche Lieder, im südländischen Raum kennt man das anscheinend nicht. Lediglich das laute “Benfica!” durchschnitt für kurze Momente die Stille der portugiesischen Fans. Wir antworteten daraufhin mit “Ihr Wichser!” – äußerst amüsant, wenn auch nur wenig kreativ.

Nur noch 20 Minuten, auf der Anzeigetafel stand nachwievor das erfreuliche 1:0, nicht mehr lang und wir könnten vielleicht einen Sieg bejubeln. Es war uns leider nicht gegönnt. In der 70. Minute fiel der Ausgleich, großer Schockzustand im Gästeblock, lauter Jubel bei den Heimfans. Aufwachen, Leute! Rappelt euch auf und macht uns doch noch glücklich!

Alles Hoffen und Bangen nutzte nichts – in der 81. Minute versetzte uns der portugiesische Rekordmeister den Todesstoß, von dem der Patient nicht mehr von der Bahre wieder aufstehen konnte. Nun stand es 1:2 aus Sicht des VfB, eine bittere Pille, die wir hier schlucken mussten. Dazu brauchte Benfica nur 11 Minuten und die nachlassende Konzentration der Schwaben.

Alles Jammern nutzte nichts, mit dem Schiedsrichter-Abpfiff erhoben sich 43850 Portugiesen jubelnd von ihren Plätzen, viele davon hatten dem Spiel über weite Strecken emotionslos beigewohnt. Während die, die alles gegeben haben, bedröppelt eine Blocksperre über sich ergehen lassen mussten. Bitter.

Gut gespielt und trotzdem verloren. Der Gedanke, dass wir ein wichtiges Auswärtstor erzielt hatten und “nur” mit 1:2 verloren hatten, konnte mich in der kühl gewordenen Nacht nicht einmal ansatzweise trösten. Hängende Köpfe, den Blick nach vorne richten konnte ich erst einmal nicht. Wir hatten verloren, innerhalb von wenigen Momenten ein super Spiel und einen wichtigen Sieg hergeschenkt – noch fehlt es mir an der Fähigkeit, meinen Frust binnen Sekunden runterzuschlucken und das Positive zu sehen. Wer Tipps hat, wie man mit solchen Situationen am Besten umgeht, möge sich bitte zu Wort melden.

Still verließen wir nach Aufhebung der Blocksperre das Stadion. Mit der Metro zurück in die Innenstadt von Lissabon, zurück ins Hostel, Zeit, um den Adrenalin-Spiegel zu senken und sich in Ruhe klar zu werden, was passiert ist.

Mit leerem Bauch ins Bett gehen ist niemals eine gute Idee, deshalb ging man zu mehreren noch einmal auf die Straße und trennte sich bereits nach wenigen Metern. Felix und sein bester Freund Sven entschieden sich für McDonalds, den Klassiker. In der Unterzahl konnte ich nicht viel machen und schloss mich an. Ein letztes Mal an diesem Tag ein paar bekannte Gesichter gesehen, die Idee mit McDonalds als Tagesausklang hatten offenbar nicht nur wir.

Für mich war der Tag dann damit gelaufen. Und die Moral von der Geschichte: reise nie mit zu großen Hoffnungen an, wenn du weißt, dass deine Mannschaft instabil und unvorhersehbar ist. Dennoch war es eine Erfahrung wert. So konnte ich mich wieder meinem 3-Tages-Urlaub widmen, auch eine schöne Seite der internationalen Auswärtsspiele.

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