Es war einer der perfekten Fußballnachmittage. Perfektes Wetter, die Sonne knallte vom Himmel herunter und machte aus meinem Programmiererweiß ein leichtes Rot, die Eröffnung des Cannstatter Frühlingsfestes, dem wir aber am Eröffnungstag fern geblieben sind, tolle Leute und 3 Punkte in einem verdammt wichtigen Spiel. Das erste Spiel, welches nicht gegen einen direkten Mitabstiegskonkurrenten stattfand. Es waren nicht nur 3 Punkte, es waren 3 Tore, die einen optimistischer in die letzten 3 Spiele gehen lassen.

Eine Seuchensaison liegt schon fast hinter uns, jetzt gilt es, die Kräfte zu bündeln und für die letzten 4 Spiele alles zu geben, damit wir auch am Abend des 14.05. singen können: “2. Liga, niemals, niemals, niemals!”. Mit Hamburg wartete ein doch recht starker Gegner auf uns, doch wie uns auch die Vergangenheit gelehrt hat, ist das nicht immer schlecht. Denn oft tat sich der VfB gegen die Großen leichter als gegen die Kleinen. Wir hofften, dass es auch diesmal zutreffen würde.

Kurz noch zu den statistischen Gegebenheiten: Hamburg rangierte mit 43 Punkten auf Platz 7 in Reichweite der Europa League Plätze, wir haben uns mit dem Sieg gegen Köln am vergangenen Wochenende ein Stück vom Relegationsplatz 16 absetzen können und standen mit 33 Punkten auf Platz 14. Heute ein Sieg und wir würden einen weiteren wichtigen Schritt machen, um das Saisonziel zu erreichen. Das dachten sich offenbar auch die Hamburger. Da haben sie die Rechnung nur ohne einen leidenschaftlichen VfB und seinen Fans gemacht.

Tagelang ärgerte ich mich, am Wochenende zuvor nicht in Köln dabei gewesen zu sein. Ein herrlicher Sieg mit 3:1 in der Domstadt, und vor allem super Stimmung. Der nächste Auswärtssieg gegen einen direkten Konkurrenten, dem ich nicht beiwohnen durfte, wie schon Frankfurt, Gladbach und St. Pauli. Doch wenn es dem Zweck dienlich ist, dass der VfB die Punkte trotzdem holt, soll es mir recht sein, schweren Herzens.

Gegen Hamburg hatte ich zwei 1:0-Siege gesehen, im April 2008 zu meinem ersten Spiel und im April 2009, die Erinnerungen an letzte Saison sind da eher nicht so schön: mit der Einwechslung von Ruud van Nistelrooy brauchte der Holländer nur 2 Ballkontakte um 2 Tore zu schießen. Das sollte heute nicht mehr passieren, denn der Holländer fehlte verletzt.

Schon eine Stunde vor Anpfiff bezogen wir unsere Stellung im Stadion, hingen unsere Zaunfahne auf und machten es uns erst einmal gemütlich, mit den Stadionzeitschriften und dem aktuellen Cannstatter Blättle. Herrlich angenehm war es zumindest im Schatten. Mein Blick schweifte durch die Kurve, die Menge abscannen nach bekannten Gesichtern. Einige waren dabei, unter anderem auch Marco vom Fanclub Cannstatter Kurve Berlin, wir hatten im Novemer 2009 eine Stadionführung im Celtic Park in Glasgow gemacht.

So langsam konnte es losgehen, das Meer an Fahnen, Doppelhaltern und Schals war schön anzusehen, die Musik vorm Einlaufen der Mannschaft macht mich jedes Mal ein wenig nervös, dann war es soweit: die Protagonisten liefen hinaus, an der Hand jeweils ein kleiner Steppke. Noch ahnte keiner, dass wir sowohl zur Halbzeit als auch nach dem Schlusspfiff mit einem Grinsen im Gesicht der Mannschaft zujubeln würden.

Ich bin mir dessen bewusst, dass ich die Formulierung “Erst X Minuten waren gespielt” nicht gerade selten einsetze, doch genauso war es. Auf der Anzeigetafel war es etwa 15:36 Uhr, da fiel man sch schon gegenseitig in die Arme und schrie die Begeisterung heraus. Das frühe 1:0 durch den zuletzt doch recht formschwachen Cacau. So machts Spaß!

Was wir in grundsätzlich in den ersten 30 Minuten auf dem Feld sahen, machte Mut, unsere Jungs spielten die Hamburger “Fischköppe” förmlich an die Wand, durch gute Chancen von Tamas Hajnal und Shinji Okazaki hätte man auch noch höher führen können. Aber es war ja noch reichlich Zeit, diese Tore nachzuholen. Und die Unterstützung der Fans? Die war sensationell, so gut hatte ich das zuhause in Stuttgart schon länger nicht mehr erlebt. Alles nach vorn, Schreien was das Zeug hält, und das Hüpfen nicht vergessen! Eine im wahrsten Sinne des Wortes schweißtreibende Angelegenheit, angesichts der Temperaturen.

Ein Durchmarsch im Alleingang von der 1. bis zur 90. Minute wurde es dann aber leider doch nicht. Die Jungs nahmen das Tempo raus und ließen aus unerfindlichen Gründen die Hamburger “erstmal machen”, das hätte sich fast gerecht, als eine Hereingabe auf der Latte landete. Ein anderer Hamburger stand am langen Pfosten bereich und hätte einnicken können, wenn der Ball nicht auf der Latte sondern eben vor dem Tor gelandet wäre. Riesen Dusel!

In Folge dieses kleinen Schocks knickte der VfB ein wenig ein und versuchte, sich selbst wiederzufinden. Bis zum Pausenpfiff sollten wir zwang von einem Ausgleich verschont bleiben, doch die Spielweise der letzten Viertelstunde vor der Halbzeitpause waren besorgniserregend. Das spürte man auch deutlich am Support in der Kurve.

Nichts destotrotz: grinsend in die Halbzeitpause. Meine Kumpeline Diana hätte ihre Freude gehabt, auch wenn Cacau nicht gerade zu ihren Lieblingsspielern gehört. Sie verbringt ihre Ostern in ihrer Heimat Hoyerswerda (Sachsen rockt!) und war dieses Mal leider nicht dabei – Grüße entsende ich trotzdem!

Munter weiter zur 2. Halbzeit, standen die Zeichen laut Anzeigetafel zumindest schon auf Sieg. Die Anfangsphase lief schleppend, beide Mannschaften benötigten einige Zeit, um wieder ihren Rhythmus wieder zu finden. Und dann? Dann ging das Zittern los. Eine der Weisheiten des Fußballgeschäfts ist schließlich auch: Wenn du vorne die Tore nicht machst, dann bekommst du sie hinten. Hamburg wurde schließlich stärker und die Gefahr eines Ausgleichs war allgegenwärtig. Hoffen, Bangen, Beten – und Anfeuern, keiner von uns will absteigen in die 2. Liga. Und was wir an Punkten mitnehmen können, sollten wir auch tun, es ist immerhin 10 vor 12.

Etwa 12 Minuten vor Schluss wurden wir vorzeitig von unserer Anspannung erlöst, wenn auch auf höchst unerwartete Weise. In der 76. Minute kam Christian Gentner für Zdravko Kuzmanovic, den Kommentar der VfB-Fans im mit 39.000 theoretisch ausverkauften Neckarstadion, kann man sich natürlich denken. Allen Kritikern zum Trotz, keine 2 Minuten nach seiner Einwechslung brach er durch die hanseatische Abwehrkette, die keinesfalls stabil war, und schoss das vorentscheidende 2:0.

Momente wie diese zu beschreiben, ist nicht ganz einfach. Wie bereits gesagt, Erlösung trifft es am ehesten. Momente wie diese sind der Grund, auch zum Ende einer Seuchensaison mit der Hoffnung auf einen Sieg ins Stadion zu gehen. Alles hüpfte durcheinander, ohrenbetäubender Lärm, meine Knie schlugen an die Sitzreihen, ich umarmte alle um mich herum, seien sie vom eigenen Fanclub oder von anderer Zuordnung, die Begeisterung und Erleichterung war riesengroß, ebenso die Wahrscheinlichkeit auf den ersehnten Heimsieg.

Auflösungserscheinungen bei Hamburg, deren Moral war gebrochen. Unsere Lust am Tore schießen allerdings noch lange nicht. Immer wieder gingen die Jungs offensiv nach vorn, um den Sieg noch deutlicher zu erhöhen und den Dreier zu zementieren. Unbedingter Wille, eine so oft vermisste Charaktereigenschaft, die wir erfreulicherweise in den letzten Monaten immer häufiger zu Gesicht bekamen.

Nur 2 Minuten vor Schluss konnte das Spiel nicht mehr verloren werden, alles nach vorne, für die geschundene Seele der treuen Fans. Da stand wieder Cacau, der nach einer Flanke zum verdienten 3:0 einschob. Um Himmels Willen, was war denn hier los? Völlig egal. Die bittere Niederlage gegen Kaiserslautern vergessen, die “2. Liga, niemals, niemals, niemals!”-Gesänge dürfen zurecht wieder lauter und energischer werden. Wir wollen nicht absteigen, und das hat mittlerweile auch die Mannschaft begriffen.

Das war soooooo wichtig! Jetzt sind es nur noch 3 Spiele bis zum 14. Mai, an dem die Saison beim Auswärtsspiel in München beendet wird. Wir sind wild entschlossen, am 7. oder 14. Mai den Verbleib in der 1. Liga feiern zu können. Wenn die Jungs so spielen, wie gegen Hamburg, dann mache ich mir da gar keine Sorgen. Nur etwas weniger Nervenkitzel darf es gerne sein, davon hatten wir schon reichlich in dieser Spielzeit.

Das ist meine Geschichte eines perfekten Fußballnachmittags. Am Ende des Tages war ich selbstredend K.O., denn auch wenn 15-20 Gehminuten von der Wohnung bis zum Neckarstadion definitiv eine gute Sache sind, so schlauchen sie dennoch, wenn man die Strecke insgesamt 4 Mal läuft: am Vormittag ließ ich mir noch mein Trikot, dessen Eigennamen-Beflockung sich schon beim 1. Waschen halb abgelöst hat, wieder auf Vordermann bringen.

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