Viel Grund zum Bruddeln hatte man als VfB-Fan in dieser Saison noch nicht. Besser als in den Saisons davor lief es bisher, trotz drei Niederlagen (Berlin, Leverkusen, Hamburg) und einem Unentschieden (Gladbach) sah man schon mehr Licht als Schatten. Dennoch weigere ich mich, es laut auszusprechen, was Hoffnungen wecken könnte.

Bereits vor 2 Wochen begannen die mentalen Vorbereitungen auf das “Nachbarschaftsduell” gegen den Dorfclub aus Hoffenheim, dass man es nicht “Derby” nennen kann, hat man längst festgestellt. Nach der Länderspielpause konnte es wieder losgehen, Wiedergutmachung für das missratene Heimspiel gegen Hamburg war dringend nötig, auch wenn der Auswärtssieg in Kaiserslautern, dem wir ebenfalls beiwohnten, auch schon eine Wohltat war.

Als mich mein Chef am Freitag Nachmittag nach meinem Tipp fragte, fiel es mir schwer, Vermutungen anzustellen. Die Meinung teilte auch er \” “das kann im Prinzip alles werden, knapper Sieg, hoher Sieg, Niederlage…”, wie Recht er doch haben sollte. Auch wenn das Ergebnis am Ende eine klare Sprache sprechen, man konnte nicht sagen, das es von Anfang an so offensichtlich war.

Marc und Frank hatten bereits erste Unmutsäußerungen kund getan, als die Zuteilung des Schiedsrichters veröffentlicht wurde: Babak Rafati. Nur selten verbinde ich bestimmte Spiele mit Schiedsrichtern, Rafati ist aber in meiner Erinnerung hängen geblieben durch ein Auswärtsspiel in Frankfurt in der Saison 2008/2009, als er in den letzten Minuten den 2:2-Ausgleich für den VfB zuerst nicht geben wollte und ihn dann doch gab, Nervenachterbahn sondergleichen. Damals vor dem TV war es schon aufreibend genug.

Bevor der Spätsommer endgültig vorbei ist und der Oktober die Kälte über uns bringt, schickte uns Petrus noch ein paar der letzten warmen Strahlen. Wunderbares Wetter, zumindest für Herbst, keine Wolke am Himmel, angenehme Temperaturen. Mit den Leuten vom Fanclub pilgerten wir vom Cannstatter Bahnhof bis zum Stadion. Später als sonst gingen wir rein, wichtige Gespräche zur richtigen Zeit standen an der Tagesordnung.

Schnell noch die restlichen Leute begrüßt, kurz geschwätzt und den Platz eingenommen. Wie es nicht anders zu erwarten war, war der Gästeblock nur teilweise gefüllt, nur 55.000 Zuschauer haben an diesem Samstag Nachmittag den Weg ins Stadion gefunden. Viele Karten sind aus Hoffenheim zurückgeschickt worden, darüber hinaus haben es auch viele VfBler nicht geschafft. Wohlgemerkt: 60.000 Zuschauer passen rein.

Kein einziges Mal war ich bisher ganz zufrieden mit dem Platz, den wir uns gesucht hatten, doch eine gewisse Findungsphase ist ein Stück weit normal, wenn man eine neue Kurve, ein neues Stadion hat. Wäre ich nur 10 Zentimeter größer, sähe die Welt auch schon wieder ganz anders aus. Mit lang gestreckten Armen und auf Zehenspitzen geht es gerade so. Die Mannschaften betraten das Feld, eine kleine Pyro-Aktion im Gästeblock, begleitet von gelben und roten Luftballons in den badischen Landesfarben. Willkommen in der Landeshauptstadt, Dorftrottel!

Ausnahmsweise pünktlich konnte das Spiel angepfiffen werden, einerseits in freudiger Erwartung eines hoffentlich erfolgreichen Spiels, andererseits mit Befürchtungen, die ernüchternde Wahl des Schiedsrichters würde letztenendes für lange Gesichter sorgen. Bei der Wundertüte VfB kann man sich nur selten eines Sieges sicher sein, soviel haben wir schonmal gelernt.

Ich gebe zu, man hat es von der Cannstatter Kurve aus nur schwer gesehen und brauchte im Jubelrausch einige Sekunden, um zu begreifen. Das Tor von Cacau nach nur 5 Minuten wurde leider abgepfiffen, er stand im Abseits \” wenn auch nur knapp, leider verfährt nicht jeder Linienrichter nach der ungeschriebenen Regel “Im Zweifel für den Angreifer”.

Die Aufregung legte sich dann doch recht schnell. Ich würde es nicht unbedingt als schwaches Spiel bezeichnen, doch viel passierte nicht. Durch die Vereinsbrille gesehen war es der Schiedsrichter, der im Mittelpunkt stand. Das Gefühl, dass da 12 Hoffenheimer auf dem Platz stehen, sorgte alle paar Minuten für großes Erzürnen.

Aus vielen Chancen in der 1. Halbzeit machten unsere Jungs aber auch nichts. In einer Phase, wo sie das 1:0 hätten machen können, scheiterten sie entweder am Gegenspieler oder am Abseits. Die größte Aufregung entlud sich nach 20 Spielminuten, als Pavel Pogrebnyak auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions vom letzten Mann gefoult wurde. Buhrufe und Pfiffe in einer ohrenbetäubenden Dezibelstärke.

Für 55.000 Zuschauer war die Sache klar: rote Karte und Freistoß, da sich das Foul noch vor dem Strafraum zutrug. Nur der Schiedsrichter war nicht der Meinung, und die Kommentatoren der Sportschau ebenfalls nicht. Ihrer Meinung nach war die Situation nichtmal einen Pfiff wert. In den Aufnahmen hat man später sehen können, dass ihm von hinten in die Hacken gelaufen wird, auch wenn es nicht das rüde Foul war, was man aus unserer Sicht sehen konnte, bzw. sehen wollte, es hätte zumindest Freistoß geben müssen. Sei es drum, am Ende sollte es egal sein.

Torlos ging es in eine Halbzeitpause, nach der unsere Mannschaft sehr spät erst wieder aufs Feld zurückkam, mögen Bruno Labbadias Worte Wunder wirken. Oft haben wir gesehen, wie man gestärkt zur 2. Halbzeit auftreten kann, aber auch oft genug, dass man zusammenfällt wie ein Soufflé. Und wie effektiv die Halbzeitansprache gewesen sein muss, zeigte sich schon kurz darauf.

Während manche noch auf dem Weg zum Platz waren, leitete Mittelfeldspieler Tamas Hajnal (Diana, ich denke an dich!) die Führung ein: der feine Lupfer nach tollem Auge für unseren Sushi-Bomber Shinji Okazaki, am Torwart vorbei, noch durch die Beine des bedröppelt dreinblickenden Hoffenheimers hinein ins Glück. Wie schön sein Jubel immer anzusehen ist \” Felix meint, man würde keine Augen mehr sehen. Alles stürzte sich auf einander, die VfB-Spieler auf den Torschützen, die umstehenden Zuschauer auf mich.

Dass es kurz darauf Grund zum erleichtert Aufatmen gab, habe ich gar nicht so mitbekommen. Nach einem Ballverlust musste sich Serdar Tasci das Spielgerät wieder erobern, spielte den Ball zurück auf Sven Ulreich, scharf geschossen, dank unserer Nummer 1 gab es keinen Jubel im Gästeblock. Immer wieder Ulreich, noch so einige Schüsse und Schüsschen kamen auf sein Tor, er hatte sie alle. Wichtig auch für ihn, zu Null zu spielen.

Auch beim letzten Spiel in Kaiserslautern habe ich es erwähnt, wenn du nur mit einem Tor in Front bist, kannst du dir nie sicher sein, gegen Kaiserslautern schonmal gar nicht, auch nicht bei anderen Mannschaften. Zu unvorhersehbar sind die Reaktionen nach einem Moment der Unachtsamkeit. Es war schwer, Feldvorteile genau zu benennen, eine minimale Überlegenheit war bei unseren Jungs auszumachen. Ob es zum Sieg reicht, wusste man nicht so genau, doch die Statistik sprach für uns, schließlich hatte Hoffenheim nicht einmal gegen uns gewinnen können.

Babak Rafati tat gut daran, in der 77. Minute die richtige Entscheidung im richtigen Moment zu fällen. Pavel Pogrebnyak wurde im Strafraum direkt vor unserer Nase gefoult, der Pfiff ertönte genau im rechten Augenblick. Freude bei den VfBlern, sowohl auf dem Platz als auch jenseits davon. Der Gefoulte schnappte sich den Ball und wollte selber schießen. Sein erster Elfmeter, ob das gut geht? Dann ging es ganz schnell: der Sieg war uns sicher. Tom Starke war noch dran, es nützte aber alles nichts gegen den Russenkampfpanzer.

Noch 13 Minuten zu spielen, hier sollte nun wirklich nichts mehr anbrennen. Das 3:0 hätten wir dann aber auch gerne gesehen, leider konnten sich Cacau und Martin Harnik kurz nach dem 2:0 nicht einig werden, wer den Ball ins Tor schießt. Beide blieben hängen. Beim Stand von 0:0 hätte dieser Moment lautstarken Protest geerntet.

Mit dem Abpfiff war der nächste Sieg gesichert, wichtige Punkte, denen wir in den vergangenen Hinrunden allzuoft noch lange nachtrauerten. Konnte es wirklich wahr sein, das Durchbrechen von ungeliebten Gewohnheiten? Wir werden sehen, was die Saison noch alles bringt, ich hoffe, es sorgt stets für Lächeln auf unseren Lippen.

Schnell noch 2 nagelneu erschienene Fan-Kalender besorgt waren wir noch lange genug dageblieben, um eine amüsante Szenerie vor dem Fahnenraum am Carl-Benz-Center zu beobachten. Ich bin mir nicht sicher, was der Ordner vom Stadion-Sicherheitsdienst zu sich genommen hat, aber es sorgte für belustigte Blicke. Der Metallzaun hat 2 breite Tore, durch den die Besucher nach dem Spiel nach draußen gelangen. In der Regel ist ein Hinaus- und wieder Hineinlaufen (Becherpfand vergessen, etc.) auch kein Problem. An diesem Tag allerdings anscheinend schon.

Jeder, der durch das rechte Tor wieder hinein wollte, wurde vom dem kleinen Mann ausländischer Abstammung vehement und mit körperlichem Einsatz zurückgewiesen. Verdutzte Blicke überall, mit der Zeit gesellten sich immer mehr Leute dazu, die das Schauspiel schmunzelnd beobachteten, zum Leidwesen der verständnislosen Besucher, die nicht begriffen, wie ihnen geschah. Wer schnell geschalten hat, benutzte dann einfach das unbewachte linke Tor. Sowas sieht man auch nicht jedes Spiel.

Schnellen Schrittes ging es dann heim, alles war dort bereits für das Sichten und Bearbeiten unserer Bilder vorbereitet. Hier und da noch geschwätzt, dann wurde aus dem 20-Minuten-Fußmarsch eine schnelle Angelegenheit und die Bilder fanden schnell ihren Weg auf den Server von vfb-bilder.de \” so muss es sein.

Es war eines jener Spiele, deren 3 Punkte man dankend annimmt, die aber nicht durch spektakuläre Momente oder unvergessene Eindrücke im Gedächtnis haften bleiben. Sie sorgen für Freude und Erleichterung, jeder Sieg tut gut und sorgt für ein leichteres Schreiben des Spielberichts und ein entspannteres Begutachten der Sportschau.

Und Hoffenheim? Die sind angereist mit einigen ehemaligen VfB-Spielern, viele davon in der Startelf. Sie gingen nach Hoffenheim, da sie eine bessere Perspektive sahen. Sei es Spielpraxis, oder wie oft nicht zugegeben wird, das Geld des Mäzens Dietmar Hopp. Da man als Fußballfan immer ein mehr oder weniger gesundes Maß an Stolz hat, mag man denen am liebsten sagen: Selbst Schuld, wärt ihr mal lieber dageblieben.

Von den gegnerischen Fans haben wir auf dem Heimweg keine gesehen. Nur einige hatte man vor dem Spiel sichten können, offenbar sind sie schnell wieder von dannen gezogen oder blieben weinend und schluchzend im Gästeblock zurück. Während des Spiels gab es viele Spruchbänder, viele davon gegen das Projekt Hoffenheim. Mehr als Verachtung für den traditionslosen Retortenklub hat man nicht übrig, weder in Stuttgart noch in allen anderen Städten mit einer lebendigen Fankultur.

Am kommenden Wochenende steht das Auswärtsspiel in Nürnberg an, danach folgt schon das Heimspiel gegen den Deutschen Meister aus Dortmund. Die Frage, welches Spiel mir mehr Sorge bereitet, beantwortet sich fast von Selbst. Doch dass keine Mannschaft gänzlich unbesiegbar ist, lässt mir ein wenig Hoffnung, das mit Kampfgeist, dem unbedingtem Willen und ein Quäntchen Glück vieles möglich ist.

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