Lange ist es her, dass ich mir bewusst so viel Zeit mit dem Spielbericht gelassen habe. Wo ich sonst binnen der nächsten 24 Stunden nur allzu gerne in die Tasten hau, schauderte es mir dieses Mal täglich vor dem Gedanken, dass ich dieses Spiel noch niederschreiben muss. Muss! Das hat in diesem Falle nichts mehr mit Wollen zu tun. Zu schmerzhaft die Erlebnisse aus der Karnevalsstadt Mainz, die mich schwer in Mitleidenschaft gezogen haben.

Es ist natürlich immer wieder einfacher, über Spiele zu schreiben, die einem Leicht aus dem Handgelenk kommen können, jene, die für mehr Begeisterung als Ernüchterung gesorgt haben. Selbst nach manch anderen Spielen, die nicht zu Gunsten unseres Brustrings ausgegangen sind, standen hier immer zeitnah zum Lesen bereit. Doch dieses Mal? Lange Tage des Frustes, lange Tage des Nicht-Schreiben-Wollens.

Mainz. Mein erstes Auswärtsspiel in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt. Das erste Mal die Füße auf Mainzer Boden gesetzt habe ich beim Saisonauftakt, dem 1. DFB-Pokal-Spiel im benachbarten Wiesbaden, in Mainz lieferten wir einst im August einen Mitfahrer ab. Frühzeitig brachen wir auf um noch einige Zeit in der Stadt verbringen zu können, bevor wir am Freitag Abend unter Flutlicht im Gästeblock stehen würden.

Eigentlich war die Vorfreude groß, im Hinterkopf hatte sich dennoch die Vorsicht festgesetzt: Obacht, Mainz hat seit einiger Zeit nichts Zählbares geholt und nun kommen wir als der gute Samariter, der allzu oft strauchelnde Mannschaft wieder aufbaut, in dieser Saison war das bereits schon 2 Mal der Fall, gegen Berlin und gegen Hamburg.

Ohne auch nur ein einziges Mal im Stau stecken zu bleiben, fuhren wir vom Sonnenscheinwetter im Remstal durch den Autobahn-Nebel in das wolkenverhangene und kühle Mainz. Als die Parkangelegenheiten geklärt waren, nahm man den Bus in die Innenstadt und pilgerte dort erstmal durch die Fußgängerzonen. Viel war hier von Fußballfans noch nicht zu sehen. Die früh einsetzende Dämmerung war zunehmend Gift für meine Spiegelreflex.

Nach Kaffee und Kuchen für alle 6 anwesenden Personen sowie einer motivierenden Brandrede von Mitfahrerin Heike, die mich unmittelbar betraf, zogen wir weiter in Richtung Bushaltestelle am Bahnhof, wo wir uns auf den Weg zurück zum Auto machten. Die Spiegelreflex musste leider im Auto bleiben. Von dort aus zu Fuß zur neu gebauten, mitten auf den Acker gesetzten Coface-Arena. Ich hätte gerne noch den Bruchweg erlebt, mit seinem, wie Felix meinte, eng gebauten Gästeblock, wo man dicht gedrängt gestanden hätte.

Von weiten sah man im dunkeln die großen Lettern des Stadions leuchten, rings herum: nichts. Nicht einmal ein Parkplatz. Ob es wahr ist, wage ich nicht zu beteuern, aber es könnte daran liegen, das man einst am Bruchweg auch keinen Parkplatz hatte. Verwundert darf man schon sein, bei einem mitten ins Feld gepflanzten Stadion. Die Nervosität wurde größer, würde es der VfB zumindest heute schaffen, seine eigene Serienbrechermentalität zu brechen? Vor dem Stadion warteten am Gästeblock bereits unsere Jungs und Mädels.

Viele bekannte Gesichter kreuzten einem den Weg, vom Fanbeauftragten bis hin zum Vorschreier waren fast alle üblichen Verdächtigen da. Freitagsspiele auswärts sind nie so ganz ohne, davon hatte der VfB bereits einige gehabt. Wer keinen Urlaub bekommen hatte oder in die Schule musste, war nachvollziehbarerweise enttäuscht. Dass auch ich lieber daheim geblieben wär, konnte ich vor dem Anpfiff im 34.034 Zuschauer fassenden Stadion ja nicht ahnen.

Neugierig schlich ich durch den Eingang ins Innere, warf einen ersten Blick auf den Schauplatz des Abends. Unzählige Treppenstufen liefen wir dann nach oben, wo wir unseren Platz beim Fanclub einnahmen. Weit oben war mir aber ziemlich schnell klar, dass es mit Fotos an diesem Abend wohl eher weniger gut bestellt sein würde. Die Ränge des Stadions waren zumindest relativ steil, es ließ mir zumindest noch die Hoffnung, mit Ach und Krach über größere Personen vor mir hinweg sehen zu können.

Noch vor Anpfiff beobachtete ich immer wieder die Menschenmassen, die in den Gästeblock hineinströmten. Es hörte beinah nicht mehr auf, vor mir und neben mir drängten sich die Leute, die Ordner hatten zu kämpfen, die Treppen freizuhalten. Auf Zehenspitzen und mit den Armen ganz oben konnte ich noch einigermaßen Fotos machen, die aber fast durchweg kaum etwas geworden sind.

Ausnahmsweise pünktlich angepfiffen wurde das Spiel dann planmäßig um 20:30 Uhr. Schiedsrichter des Abends war Guido Winkmann. Nur wenige Schiedsrichter sind in meiner Erinnerung geblieben in Verbindung mit bestimmten Spielen, sei es positiv wie eins Babak Rafati, der in der Saison 2008/2009 in Frankfurt das reguläre Ausgleichstor für den VfB kurz vor Schluss zuerst nich geben wollte und es dann doch gab, oder eben negativ, wie Christian Dingert, der letzte Saison im Heimspiel gegen Köln einen Witz-Elfmeter gab. Schiri-Schelte allein kann und darf aber nicht Alles rechtfertigen.

In den ersten Minuten des Spiels galt meine Konzentration nicht ausschließlich dem Spiel, auch den nach wie vor in den Block reinkommenden Menschen, schon bald zogen sich viele Ordner zurück und gaben den Platz auf der Treppe für die Zuschauer frei. Ich bin ja nun wirklich kein Paragraphenreiter, aber ist das denn zulässig? Fest steht: eine Massenpanik hätte es an diesem Abend nicht geben dürfen. Zündstoff und ungezügelte Wut gab es zumindest ausreichend.

Es hätte so schön anfangen können: in einer ersten Halbzeit, die nur wenig Attraktives bot, nach 7 Minuten war der Mainzer Keeper Wetklo in letzter Sekunde noch an den Ball gekommen. Möglicherweise wäre der Kopfball von Zdravko Kuzmanovic auch an den Pfosten geknallt, es ist müßig zu sagen, ob und wie das Spiel anders verlaufen wäre. Auch Cacau konnte den schnellen Erfolg noch nicht verbuchen, nach knapp einer halben Stunde war der Torwart rechtzeitig unten, auch wenn er den Ball nur im Nachfassen hatte.

Im ersten Durchgang passierte insgesamt nicht so viel, das Spiel plätscherte weitgehend ideenlos vor sich hin, sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite. Wenige Minuten vor der Pause stockte dem Gästeblock der Atem, ein Missverständnis in der Abwehr, da war auf einmal Andreas Ivanschitz vor Sven Ulreich aufgetaucht, unser “Kannibale”, Khalid Boulahrouz, der beim letzten Freitagsspiel in der Fremde in Kaiserslautern ein Tor vorbereitete und eines sogar selber schoss, kratzte den Ball gerade noch so von der Linie. Puuuuh!

Die anstrengende Enge des Gästeblocks forderte ihren Tribut, weitgehend sitzend verbrachte ich die Halbzeitpause auf meinem Allerwertesten. Ich hatte kein besonders gutes Gefühl, denn besonders gefällig spielten die Jungs nicht gerade. Würden sie so weiter machen, sind so gehen anrennende Mainzer keine Tore zu machen. Schwer gebeutelt in den letzten Wochen gaben sie alles, man konnte es ihnen ansehen.

Ansonsten war das Spiel nicht besonders außergewöhnlich, beim Stand von 0:0, man konnte sehen, wie nicklich der Schiedsrichter Winkmann schon in den ersten 45 Minuten pfiff. Große Gedanken machte ich mir in dieser Hinsicht aber nicht. Vielmehr hoffte ich \” wie immer \” auf eine klare Leistungssteigerung nach dem Seitenwechsel, wollte ich doch mit guter Laune bereits auf dem Rückweg meine Bilder bearbeiten und bestenfalls schon mit dem Spielbericht starten.

Wirklich lange brauchten sie nicht, unsere Jungs. Ich gebe zu, es kam aus dem Nichts. Der VfB, der bis dahin in dieser Partie alles andere als überzeugte, ging überraschend, aber sehr zu unserer Freude in Führung. Vor meinem inneren Auge sah ich die Tabelle, mit einem Sieg würden wir zumindest über Nacht auf Platz 2 der Tabelle schießen. Wirklich angekündigt hatte sich dieses Tor nicht gerade, im Gegenteil. Uns war es doch aber sehr genehm.

Dummerweise hielt die Freude nicht sehr lange. Nur wenige Sekunden später war uns das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Mainzer Ujah hatte per Kopf ausgeglichen. Au backe, das ist übel. Das so etwas auch den Besten passieren kann, wissen wir, selbst jene, die diese Zeilen lesen, die dem VfB nicht in erster Linie das Herz geschenkt haben. Dumm gelaufen, aber aufstehen und weiter gehts. Noch fast 40 Minuten hatten wir Zeit, das Ruder wieder an uns zu reißen und für einen weiteren Sieg alles zu geben.

Die Riesenchance zur erneuten Führung ließ nicht lange auf sich warten, wiederrum nur 2 Minuten später erreichte Shinji Okazaki im Strafraum ein wunderschöner langer Ball, nur noch das Tor und Wetklo vor sich, der ihn ziemlich rüde stoppte. Mit Müh und Not blieb er auf den Beinen. Wäre er gefallen, es hätte den berechtigten Elfmeter gegeben, den der gesamte Gästeblock lautstark reklamierte. Später sagte unser Japaner den Medien: “Ein Samurai fällt nicht” \” Winkmann war es einen Daumen nach oben wert, einen Elfmeter allerdings nicht.

Es gibt Situationen im Fußball, wie auch im Leben, die kannst du nicht beeinflussen. Du kannst dich aufregen, du kannst hadern und verzweifeln, deinen Frust kundtun und deinen Protest lautstark Luft zu machen. Aber es hilft nicht. Du siehst zu wie alles auf einmal ganz schnell geht, ohne dass du das Geringste tun kannst.

Ein Pfiff durchschnitt die Mainzer Nacht. Einer von jener Sorte, die für alle Beteiligten überraschend kommen. War es die Wucht des Balles, der den Mainzer zu Fall brachten? War es ein Foul? War es Handspiel? Was der “Unparteiische” in der 58. Minute gesehen haben mag. Schiedsrichter Winkmann zeigte auf den Punkt im Mainzer Strafraum, nicht einmal die Mainzer wusste, wieso. Dem Spieler, der aufstehen und weiterspielen wollte, kann man nicht einmal einen Vorwurf machen. Andreas Ivanschitz verwandelte zum 2:1 \” ich verstand die Welt nicht mehr.

Alles Hadern brachte nichts, sollte man stattdessen doch lieber nach vorne statt zurück blicken. Zum Beruhigen blieb keine Zeit, denn es wurde noch schlimmer. Innerhalb weniger Minuten zu Beginn der zweiten Hälfte überschlugen sich die Ereignisse förmlich. Torschütze Ujah, der bereits zum Ausgleich traf, machte in der 64. Minute das 3:1 und zerstörte damit fast alle Hoffnungen auf ein gutes Ende.

Verzweiflung, Frustration, Unverständnis. Was war hier nur los? Keiner vermochte es zu beantworten. Nichts ist unmöglich, auch ein 2-Tore-Rückstand muss nicht unbedingt heißen, dass man mit einer Klatsche heimfährt. Wäre die Partie schon fast zu Ende gewesen, wäre jede Resignation des Gästeanhangs verständlich gewesen. Doch wir wollten nicht tatenlos zusehen, schrien unsere Mannschaft nochmal nach vorne und konnten zumindest feststellen, dass sie sich nicht einfach so geschlagen geben würden.

Panik machte sich langsam breit, denn die Zeit lief gnadenlos gegen uns. Nur 10 Minuten waren noch zu spielen, immernoch 3:1 für Mainz, mittlerweile stand Timo Gebhart auf dem Feld, der für Tamas Hajnal eingewechselt wurde. In genialen Momente kann dieser Mann Spiele entscheiden, oder in unserem Fall, zumindest noch einigermaßen retten. Doch jene Momente hatte er zuletzt leider viel zu selten.

Der VfB mal wieder im Vorwärtsgang, da war unser Christoph Hemlein auf dem Weg nach vorne. Eugen Polanski legte ihn, doch nicht mit unnötig hoher Härte, dass es die rote Karte rechtfertigt hätte, die er dafür sah und wir von nun an gefühlt auch endlich mal gegen 11 statt 12 Mainzer spielen konnten. Die Karte hätte er sich auch sparen können, in ganz anderen Momenten hätte er eine andere Entscheidung treffen müssen. Gelb hätte in diesem Falle ausgereicht, doch wen interessierte das schon. Die Uhr tickte gnadenlos.

Man schrie erneut auf, als kurz vor Schluss und nochmal in der Nachspielzeit Timo Gebhart im Strafraum gefoult wurde. Ich habe es von meinem Platz nicht so gut gesehen, mit Vereinsbrille vermag man im Moment des Geschehens stets zu beteuern, es sei elfmeterwürdig gewesen. Doch nach späterer Nachbetrachtung waren es eben keine Elfmeter. Nur konnte man das im Eifer des Gefechts nicht so schnell nachprüfen.

Resignation machte sich nun auch bei den größten Optimisten breit. Die 3 Minuten Nachspielzeit waren gleich abgelaufen, ohne den letzten Willen vermochte der VfB dem Spiel nicht mehr zur Wende zu verhelfen. Die Mainzer standen tief hinten drin, es war einfach nichts mehr zu machen.

Der Schiedsrichter, der womöglich spielentscheidende Fehler machte, pfiff die Partie ab und durfte sich zu Recht den Protest unserer Spieler und von Bruno Labbadia gefallen lassen. “Schieber, Schieber” schallte es vom Gästeblock aus. Es war vorbei, das Spiel war verloren, und dennoch vermochte man es nicht so einfach abzuhaken. Grenzenloser Frust.

Auch, wenn manchmal der Eindruck entsteht, ich wäre mir immer sicher, dass die Jungs immer alles geben was sie können und über ihre Grenzen hinaus gehen, doch wer mag mir schon den Frust verdenken. Natürlich kann keiner sagen, ob die Partie tatsächlich anders gelaufen wäre, wäre der unberechtigte Elfmeterpfiff in der 58. Minute ausgeblieben.

Vielleicht hätten wir auch so 2 Gegentore kassieren können. Denn besonders bissig und überlegen sieht auch anders aus. Am Ende waren es dann leider doch die Mainzer, die den Sieg mehr wollte. Unverständlich für mich, ebenso warum Schiedsrichter wie Winkmann überhaupt in der Bundesliga pfeifen dürfen. Aber es hätte auch anders laufen können.

Während sich die Hausherren freuten, nach langer Durststrecke gewonnen zu haben, haderten wir mit uns selbst. Einerseits mit dem Schiedsrichter, der das Spiel in eine Richtung hat kippen lassen, andererseits mit uns selbst, spricht sich langsam unser Image als guter Samariter der Liga herum. Mannschaften mit Durststrecke baut der VfB regelmäßig auf und verhilft zu neuem Leben. Eine Tatsache, die nicht gerade beruhigend ist.

Nichts konnte mich an diesem Abend trösten. Verzweifelt kauerte ich auf den kalten Treppenstufen des Stadions, schüttelte immer wieder schweigend mit dem Kopf und starrte wortlos auf den grünen Rasen. Nicht anzusprechen, nicht zu beruhigen, nicht zu trösten. Ich weiß nicht, ob es mir vielleicht lieber gewesen wäre, der VfB hätte zurecht das Spiel verloren, indem sie einfach nur komplett schlecht gespielt hätten und der Elfmeter berechtigt gewesen wäre. Natürlich wäre das auch nicht schön gewesen, doch kann man aus solchen Partien seine Lehren ziehen. Doch wie geht man mit Fremdverschulden um?

Einzig und allein der große Anti-Stuttgart21-Aufkleber sorgte für ein winzig kleines Schmunzeln, auf einer der Treppenstufen und schon ziemlich alt und abgetreten, er muss noch von letzter Saison sein, als Cacau im ersten Saisonspiel beim Stand von 0:0 einen Elfmeter verschoss und das Spiel noch mit 2:0 für Mainz ausging. In der Saison davor war es ein ebenfalls unberechtigter Mainzer Elfmeter, der kurz vor Schluss noch den Ausgleich brachte. Es scheint, als wären es stets Elfmeterentscheidungen, die uns in Mainz das Genick brechen.

Der Weg zurück zum Auto war kalt, still und traurig. Statt gleich meine Bilder zu bearbeiten und die ersten Zeilen meines Spielberichts zu schreiben, mummelte ich mich in meine rote Fleece-Decke ein, die ich extra mitbrachte, und schlief ein. Am nächsten Tag wäre ich unter normalen Umständen vor dem Rechner gesessen und hätte die Geschichte von einem Spiel geschrieben, das verloren wurde. Doch der Frust war zu groß. Und so schreiben wir gerade Sonntag Nacht, 216 Stunden nach Abpfiff. Ich bin ja nicht nachtragend… aber ich vergesse nicht.

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