Was habe ich damals gefroren. Über 2 Jahre es her, als uns ein eisiger Winter ein Heimspiel gegen Hoffenheim bei -17°C bescherte. Wir haben gebibbert, geschlottert, gefroren. Und doch waren es nur einige Stunden. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich einen ganzen Tag mit solchen Temperaturen ausharren müsste, diesen hätte ich für verrückt erklärt. Das Auswärtsspiel in Leverkusen ging an die Substanz, in jeder erdenklichen Weise, die man sich nur vorstellen kann.

Große Erwartungen hatte ich keine, die Erfahrung des letzten Gastspiels beim Pillenclub war Ernüchternd und die aktuelle Situation unserer Mannschaft nicht so berauschend, dass man locker von einem Sieg hätte ausgehen können. Worauf ich mich lediglich sehr freute, war die angekündigte Schifffahrt, die die aktive Fanszene für alle VfB-Fans organisiert hatte, eine sehr feine Sache.

Schlafen zu gehen lohnte sich nicht mehr. Am Freitag Abend, als ich im Wohnzimmer auf der Couch lag und mir genüsslich im Fernsehen “Medical Investigation” auf sixx reinzog, dämmerte mir, dass es nur noch wenige Stunden bis zum Aufbruch hin sind. Halb 3 Uhr nachts wollten wir starten in Richtung Beutelsbach, wo wir mit Freunden von uns, Gerd und Ingrid, per Privatfahrgemeinschaft losfahren wollten. Also blieb ich wach, trank Kaffee und zog mir noch 2 DVDs rein.

Während Felix sich zumindest noch für ein paar Stunden hinlegte, gähnte ich ein ums andere Mal, weigerte mich, einzuschlafen. Planmäßig konnte ich meine bessere Hälfte dann wecken und wir brachen rechtzeitig auf. Alles im Zeitplan. Wie kalt es draußen war, war schon beinahe grenzwertig. Über die leergefegten Straßen in 15 Minuten ins Remstal, wo wir das Auto abstellten und in ein ebenfalls kaltes Auto, das die Nacht über draußen stand, umstiegen. Lieber Gott im Himmel, es ist arschkalt!

Viel anzufangen war mit mir nicht. Kaum auf der Autobahn, schlummerte ich auch schon, ungeachtet der Kälte, die sogar durch den Heizlüfter ins Gesicht gepustet wurde. Eine kleine Pause gabs auch noch, und prompt danach weitergeschlafen. Die Strecke von 400 Kilometern verging wie im Fluge. Gegen 7 Uhr morgens erreichten wir den Leverkusener Stadtteil “Küppersteg” im Westen der Stadt, wo wir das Auto in der Kälte zurückließen und in die S-Bahn umstiegen, die uns nach Düsseldorf brachte.

Wie bitte, Düsseldorf? Ja, ganz recht. Wie eingangs erwähnt, organisierte die aktive Fanszene eine Schifffahrt, von der Düsseldorfer Rheinterrasse bis nach Leverkusen. Angeschlossen an eine Gruppe weiterer Schiffsmitfahrer waren wir rechtzeitig vor Ort, zeitlich sogar noch vor jenen, die das hier organisiert hatten. Keiner wollte allzu lang bei diesen Minusgraden und dem peitschenden Wind ausharren, der holländische Kapitän, den wir alle noch ins Herz schließen würden, begann schonmal mit dem Boarding.

Wir suchten uns ein schönes Plätzchen im Innenraum, direkt in der Ecke mit guter Sicht nach draußen und zum Inneren des Decks. Das war kein billiger Kutter \” nein, wir reden hier von einem richtig schicken Schiffle, mit attraktiver Ausstattung und adretten Kellnern. Als jeder an Bord war hieß es “Leinen los” und wir legten ab zu einer 4-stündigen Fahrt.

Für uns alle war die Fahrt sehr entspannend und lustig \” bis auf die leicht überforderte Besatzung. Der Kapitän verstand Spaß, erkundigte sich per Lautsprecherdurchsage ob alles im grünen Bereich ist, erlaubte den 300 Schiffsgästen aus unterschiedlichen Teilen des Stuttgarter Raums, auf dem Hauptdeck eine kleine Pyroshow zu machen und wünschte uns schlussendlich viel Vergnügen und einen Sieg bei unserem “Turnier”, wie er sagte \” sehr sympathisch. Irgendwie schon verrückt, die Reiseroute Stuttgart-Leverlkusen-Düsseldorf-Leverkusen.

Dort angekommen ging es durch einen schön angelegten, aber \” vermutlich wegen der Kälte \” leeren Park, später vorbei an einem fast zugefrorenen kleinen Flüsschen, die Strecke zog sich ziemlich lange \” doch Petrus hatte ein Einsehen und schickte uns währenddessen immer wieder ein paar angenehm warme Sonnenstrahlen herunter, eine nette Geste, wenn man bedenkt, dass die Tagesdurchschnittstemperatur bei rund -15°C und gefühlten -50°C lag.

Angekommen an der BayArena, ehemals Ulrich-Haberland-Stadion, wo ich letzte Saison so bittere Erfahrungen machte, ging es relativ schnell durch die Eingangskontrollen, direkt zum Imbisstand. Dass dies alleine eine Herausforderung werden würde, konnte ja keiner ahnen. Hoher Auflauf, völlig überforderte Mitarbeiter, keine klar definierte Warteschlange, teilweise defekte Lesegeräte für die teuren teilweise defekten Bezahlkarten \” da war selbst der VfB beim ersten Heimspiel gegen Schalke schneller. Zumindest die leckere Currywurst entschädigte dafür \” diese hätte ich gern in Stuttgart.

Im Stadion selbst war im Gästeblock schon einiges los, was man vom heimischen Publikum nicht gerade behaupten konnte. Nur ein paar wenige verweilten schon im heimischen Stehblock, der uns direkt gegenüber in der anderen Ecke des 30.210 Zuschauer fassenden Stadions. Davon alleine 3.000 mitgereiste Stuttgarter, wiederrum 300 davon reisten am Vormittag mit dem Schiff an. Ich war nach dem Zwiebelprinzip total dick eingepackt. Mehrere Paare Socken und Strumpfhosen und dazu noch Moonboots, ich fror trotzdem \” könnte aber auch daran liegen, das wir Damen ohnehin viel leichter frieren.

Durch das lange Anstehen am Imbiss ist viel Zeit verloren gegangen. Vielleicht gar nicht so schlecht, denn eingepfercht und eingezwängt habe ich weit weniger gefroren als jetzt. Die halbe Stunde sollte ich dann doch noch irgendwie rumbekommen, traditionell mit Fotografieren solange noch ein paar Plätze leer sind. Auch im Rest des Stadions füllte es sich bis auf ein paar hundert Plätze. Nur 27929 würden heute dabei sein \” woran liegts? Die Kälte? Doch sollte man sich zunächst an die eigene Nase fassen, wir hatten zuletzt auch kein ausverkauftes Haus.

Nachdem beide Mannschaft mit ihren Einlaufkindern von Thorsten Kinhöfer aufs Feld geführt und vom Leverkusener Fanblock mit einer kleinen Choreographie bedacht wurden, gedachte man zunächst mit einer Schweigeminute den 76 Todesopfern bei den Krawallen im Stadion der ägyptischen Hafenstadt Port Said. Immer wieder plärrte jemand dazwischen, die Minute war wesentlich kürzer als jene, die wir selbst im letzten Heimspiel gegen Gladbach den verstorbenen Willi Entenmann, Rolf Eisele und Klaus-Dieter Sieloff zuteil werden ließen.

Nun konnte es also losgehen, ohne große Erwartungen, aber dennoch mit steter Hoffnung, nicht wieder ein Debakel zu erleben wie letzte Saison. Einst wechselte man beim Stand von 2:2 den Verteidiger Georg Niedermeier ein und verlor am Ende noch mit 2:4, bittere Stunden, die bei der Rückfahrt nach Hause den Anfang bildeten für meine Knieprobleme: die legendäre rausgefatzte Kniescheibe beim Umsteigen damals im Zug.

Nach 13 Sekunden hatte unser kleiner quirliger Japaner Shinji Okazaki bereits die erste Chance, dass er die nicht reinmachte, ist zwar schade, aber nach so kurzer Zeit auch eher der Überraschung geschuldet als der eigenen Unfähigkeit. Es war ja noch Zeit, um Gottes Willen. Immer wieder erinnerte ich mich daran, deutlich es am Ende war letzte Saison. Am aktuellen Tage trennten beide Mannschaften 4 Tabellenplätze und 8 Punkte.

Die Leverkusener hatten einen Neuen in ihren Reihen, dessen Name habe ich noch nie gehört: Vedran Corluka kam von Tottenham und flankte in der 11. Minute in den Strafraum, wo Simon Rolfes volley vollstrecken wollte. Sven Ulreich hatte ihn, musste ihn aber nach vorne abklatschen lassen \” dummerweise stand dort Stefan Kießling, der seine Tore am allerliebsten gegen uns zu machen scheint. Er staubte ab und schon sah es so aus, wie ich befürchtet hatte: übel.

Anders als beim letzten Spiel gegen Gladbach schien die Unsicherheit aufgrund des Rückstands nicht allzulang anzuhalten, die Jungs schüttelten sich relativ schnell und kamen wieder konzentriert in die Partie zurück. Ich, als kurzsichtige Person, finde es immer wieder erstaunlich, wenn tausende oder sogar zehntausende synchron aufschreien “Hand!”, “Aus!” oder einfach nur “Heyyyyy!” – wo ich nichtmal genau ein Handspiel erkennen konnte, brüllte das gut 10 Minuten nach dem Rückstand der ganze Gästeblock.

Freistoß gabs dafür, das war ja nur fair. Wer soll ihn treten? Julian Schieber machts. Nach seinem Leihjahr in Nürnberg hatte er bisher noch nicht zu alter Stärke zurückgefunden. Wir hofften inständig, dass er das schnell wieder tut, wir können ihn gut gebrauchen. Die Leverkusener Mauer formierte sich, dirigiert vom erst im Winter endgültig vom VfB nach Leverkusen gewechselten Torwarttalent Bernd Leno, der sich nicht gerade auf die feine englische Art benommen hat.

Oft hört man “Gewalt ist keine Lösung” \” manchmal ist sie es doch. Einen Freistoß mit Gewalt in Richtung Tor zu treten, ist eine durchaus brauchbare Variante, ein Tor zu erzielen. Erinnerungen werden wach an jenen wunderschönen Freistoß, den damals Zdravko Kuzmanovic im Heimspiel gegen Dortmund in der Saison 2009/2010 in die Maschen drosch. Hier und heute stand Julian Schieber bereit und holte einen derartigen Hammer raus, dass selbst Thomas Hitzlsperger stolz gewesen wäre: mitten hindurch, direkt zum Ausgleich. Aus dem Gästeblock hallte es laut “Schieber, Schieber, Schieber!” – und da war nicht der Schiedsrichter gemeint.

Einer gewissen Ironie entbehrte es nicht, dass Stefan Kießling mit der Rückennummer 11 in der 11. Minute traf und Julia Schieber mit der Rückennummer 23 in der 23. Minute. Sachen gibts! In der verbleibenden Zeit der 1. Hälfte neutralisierten sich die Mannschaften zum größten Teil. Große und zwingende Torchancen gab es auf beiden Seiten nicht, so dass man gefühlt schneller in die Halbzeit kam, als man dachte. Felix verabschiedete sich, er verbrachte die 2. Halbzeit in der obersten Reihe mit besserem Überblick für allumfassendere Fotos \” als hätte er mit fast 2 Meter Körpergröße noch nicht genug Überblick. Was soll ich denn da sagen?!

Die Halbzeitansprache der Gastgeber muss kurz und knapp ausgefallen sein, sie waren als erste wieder auf dem Platz, während man noch eine Weile auf unsere Jungs warten musste. Was Bruno Labbadia, der von 2008 bis 2009 selbst hier Trainer war, wohl den Spielern mit auf den Weg gegeben hat? Was es auch war, ich hoffte, es würde am Ende des Spiels irgendwie zu einem Punktgewinn führen, wie auch immer dieser aussehen mag.

Soviel sich die Jungs auch vorgenommen haben mögen, erstmal mussten sie schwer schlucken, so auch wir mitgereisten Schlachtenbummler. Kaum war die 2. Hälfte angepfiffen, gab es auch schon lange Gesichter. Auf entgegenüberliegender Seite des Stadions wurde Elfmeter gepfiffen. Alles ging ganz schnell, kaum einer konnte mir sagen, was genau passiert war. Später muss man zu dem Schluss kommen: Kategorie “Kann”, nicht “Muss”.

Der Leverkusener Kapitän Simon Rolfes trat an. Neben mir sagte ein VfBler “Ulle, halt wenigstens ein Mal einen Elfmeter!”. Leichter gesagt als getan. Es gelang ihm leider nicht, der Jubel der anderen ist immer das Schlimmste. Auf der einen Seite hätte unser neuer Kapitän Serdar Tasci nicht so ungestüm hineingehen müssen, auf der anderen Seite ist die rhetorische Frage, die Manager Fredi Bobic später im Interview stellte, durchaus berechtigt: solle man denn komplett körperlos spielen?

Doch wir gaben nicht auf. Weder die Spieler, noch wir mitgereisten Fans. Lautstark peitschten wir die Mannschaft an, ungeachtet der immernoch eisigen Temperaturen. Am kommenden Montag würde ich mir von anderen bestätigen lassen, dass wir auch im Fernsehen derart laut rübergekommen sind. So sollte es sein! Und was geht bei Leverkusen? Nichts. Wie denn auch. Im gesamten Stadion waren abzüglich der Stuttgarter Fans gerade einmal so viele, die bei uns alleine schon die Cannstatter Kurve füllen könnten: Schwach, Leverkusen, schwach!

Unser Freund Gerd, mit dem wir nachts nach Leverkusen gefahren waren, pflegt immer und zu jeder Zeit, ob berechtigt oder unberechtigt, aus purer Provokation zu brüllen “Schiri, der hat scho Gelb!” – normalerweise muss ich immer nur darüber schmunzeln. Dass der Leverkusener Michal Kadlec in der 58. Minute Gelb sah, habe ich nicht so wirklich wahrgenommen. Erst als er nach einem dummen Foul an Cacau 5 Minuten später mit Gelb-Rot vom Platz flog, registrierte ich das. “Auf Wiedersehen!” spottete der Gästeblock. Fast so, als wäre es höflich gemeint.

Eine halbe Stunde war nun noch Zeit, aus dem Rückstand um 1 Tor noch eine relativ erträgliche Geschichte zu machen, um die Fans zu versöhnen, die so viel schlechtes erlebt haben in den letzten jahreswechselübergreifenden Spielen. Eine halbe Stunde in Überzahl. Eine halbe Stunde tickte die Uhr unerbittlich, man wurde zunehmend unruhiger, mit jeder Minute die das Spiel andauerte.

Eines muss man ihnen wirklich zu gute halten: sie gaben einfach nicht auf. Die nimmermüden Schwaben weigerten sich beharrlich, das 1:2 zu akzeptieren und drängten noch auf den Ausgleich. Dass Leverkusen da noch ein Wörtchen mitreden wollte, war natürlich verständlich. Wohlgemerkt ist es stets leichter, in Unterzahl eine Führung zu verteidigen als in Unterzahl ein oder zwei Tore schießen zu müssen. Bruno Labbadia reagierte und brachte den zuletzt formschwachen Martin Harnik für Shinji Okazaki.

Immer wieder der nervöse Blick auf die Uhr. Minute um Minute verstrich, immer wieder schnellte der Puls nach oben bei möglichen Torchancen, danach gleich wieder der Blick zur Anzeigetafel. Momente wie diese rauben dir den letzten Nerv. Du bist machtlos in einer Situation, in der du nichts anderes tun kannst als Hoffen, Bangen und noch mehr Hoffen. Nur noch wenige Minuten, gleich ist Schluss. Würde eine mittelprächtige Leistung den Leverkusenern zum Heimsieg reichen?

Sie wehrten sich mit aller Macht, das spürten selbst wir Fans von der Sohle bis zur Haarspitze. Sie wollten. Aber konnten sie auch? Während Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer fleißig weiter gelbe Karten verteilte, schlug Tamas Hajnal den Ball noch einmal nach vorne, in der verzweifelten Hoffnung, jemand würde sich erbarmen und den Ball noch irgendwie im Netz unterbringen.

Dieser verzweifelte Ball in der letzten Minute der regulären Spielzeit erreichte Cacau, der ein gutes Spiel gemacht hat, viel besser und bemühter als die Spiele zuvor. Irgendwie wurschtelte er herum, stocherte, versuchte, es klappte nicht so recht. Bei ihm stand Martin Harnik. Eine Fügung mehr des Glücks als des Könnens, wie Cacau den Ball weitergab an Martin Harnik, der in einem nicht weniger verzweifelten Versuch dagegen drosch.

Jene Sekundenbruchteile kamen mir unendlich lang vor. Ich kletterte auf die Stehplatzkonstruktion, um noch besser zu sehen, obwohl es direkt vor meiner Nase war. Es war ein Moment wie in Zeitlupe. Da stehst du da, mit dem Rücken zur Wand, die Niederlage droht, und dann kommt einer, der sich anschickt, eventuell alles vergessen zu machen.

Der herausstürzende Leno schmiss sich auf den Ball. Ohne abzuwarten fürchtete ich, dass er dies zu verhindern wusste, er wurde immerhin in Stuttgart ausgebildet. Doch was war das? Das weiße, runde Spielgerät kullerte unter ihm hindurch langsam in Richtung Netz. Gefühlt war dieser Ball so langsam, dass man währenddessen locker nochmal hätte auf Toilette gehen, sich Speis und Trank besorgen und wiederkommen könnte. Ewig lang zog es sich vor meinem Auge, dabei ging alles in Wahrheit ganz schnell.

Halsschmerzen. Einfach nur Halsschmerzen. Ich schrie so laut ich nur konnte. Es war die wahrhaftige Erleichterung. Obwohl der Leverkusener Gonzalo Castro noch dem Ball hinterrannte, er konnte ihn nicht daran hindern, hinein zu kullern. Bernd Leno machte dabei nicht die beste Figur, aber wen interessierte das schon? Alles stürzte sich im Gästeblock aufeinander, ob Freund oder Fremder, völlig egal, da wurde jeder geherzt im Umkreis von einem Meter.

Bis ich das ganz realisiert habe, dauerte es noch einen Moment. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. Natürlich sind Unentschieden weniger toll als ein Sieg, jedoch muss man zweifelsohne anerkennen, dass es zum gefühlten Sieg wird, wenn du den Ausgleich in letzter Minute schießt. Martin Harnik hatte es wieder einmal geschafft. Wie von der Tarantel gestochen rannte er zu uns, zum Gästeblock, packte wieder seinen Thor-Hammer aus und schrie vor Erleichterung, bevor er von seinen begeisterten Mitspielern eingefangen und überrumpelt wurde.

Doch was wäre ein spannendes Spiel, wenn man nicht doch noch hätte zittern müssen? Gerade den Ausgleich erzielt, schon war der Ball wieder dort, wo er unserer Ansicht nach nicht hingehört: vor die Füße der Leverkusener. Fast schon zu viel für meine Nerven, als sie da vorne rumwurschtelten und ein paar Bälle in Richtung Sven Ulreich flogen. Das durfte jetzt nicht mehr passieren, doch noch mal einen dummen Gegentreffer zu kassieren.

Auf Höhe der Seitenlinie gab es nochmal einen Zweikampf von Cristian Molinaro und André Schürrle. Ein ums andere Mal stellte er sich dabei etwas unglücklich an, traf ihn voll. Schiedsrichter Kinhöfer zückte sofort die glatt-rote Karte \” eine überharte Entscheidung, da Ball gespielt – und schickte den peinlich berührten Italiener einige Sekunden vor Schluss vorzeitig zum Duschen. Rudelbildung an der Seitenauslinie, André Schürrle lag immernoch da und wälzte sich schmerzverzerrt auf dem Boden, die Sanitäter eilten herbei.

Der Schiedsrichter war offenbar überfordert mit dieser turbulenten 2. Halbzeit, er verteilte weiterhin die Karten, die an diesem Nachmittag anscheinend etwas locker saßen. Und das Spiel war immernoch nicht vorbei, kurz vor Abpfiff drosch Renato Augusto ein letztes verzweifeltes Mal mit brutaler Wucht gegen den Ball, unser Glück, dass er ihn über das Tor drosch und nicht in die Maschen. Unmittelbar nach dieser Aktion wurden wir erlöst durch den Schlusspfiff. Nach 93 kräftezehrenden und fröstelnden Minuten mit insgesamt 8 gelben und 2 roten Karten war es überstanden.

Das nennt man dann wohl “Mit blauem Auge davongekommen” \” wie meine durchgefrorenen Füße trotz diverser Socken und Moonboots ausschauen, bin ich mir nicht sicher. Die Freude war groß bei den 3.000 mitgereisten Stuttgartern, die ihre Mannschaft feiern durften, während sich der Gegner wie der gefühlte verlierer fühlte. Auch diese Situation kennen wir ja.

Allzu lange verweilten wir nicht mehr, jeder wollte dann doch irgendwie nach Hause nach diesem kalten und anstrengengen Tag. Aus dem Plan, die Bezahlkarte noch ganz aufzubrauchen und das Pfand von 10 Euro zurückzuholen, wurde vorerst nichts, wir hatten es eilig (wir nutzen die Karte dann noch nächste Saison). Vor dem Stadion sprangen wir in einen der Pendlerbusse und fuhren zur S-Bahn, die uns wieder zum Auto brachte. Den Laptop nahm ich mir direkt auf den Schoß, ich wollte eigentlich direkt die Bilder bearbeiten, sobald das Arbeitsgerät etwas “aufgetaut” ist, er zieht zu viel Strom wenn er kalt ist. Schließlich hat er die ganze Zeit im Auto gelegen.

Doch auch daraus wurde nix. Ich schlief mal wieder ziemlich schnell ein, die Anstrengungen forderten ihren Tribut. Auf der Rückbank fast schon sardinenbüchsenmäßig eingeklemmt hatte ich gehofft, komplett durchzuhalten ohne mich zu Wort zu melden, wie unerträglich meine Knieschmerzen mittlerweile waren. Eine kurze Pause am Rasthof Sinsheim gegenüber dem Hoffenheimer Stadion und ich hatte noch einigermaßen Kraft für die letzten 100 Kilometer. In Beutelsbach stiegen wir wieder um in unser eigenes Auto.

Während Felix direkt schlafen ging, setzte ich mich bis halb 3 nachts noch an den Rechner und sichtete, sortierte und bearbeitete unsere Fotos, damit diese am nächsten frühen Morgen direkt online gehen konnten. Dann konnt auch ich endlich mal ins Bett, 24 Stunden nachdem wir aufgebrochen waren. Ich schlummerte friedlich durch bis Nachmittags, das tat gut und war auch nötig.

Was hängen bleibt: wie oft die Erkenntnis, dass sich nicht jedes Unentschieden gleich anfühlt, dass manche gegnerische Stürmer immer wieder gegen einen Treffen, aber es nicht jedes Jahr aufs Neue den selben Spielausgang haben muss. Ich bin stolz, dabei gewesen zu sein. Die Schifffahrt bleibt unvergessen, ebenso wie jener unfassbare Moment des Ausgleichs, als man ihn fast schon nicht mehr erwartet hatte. Das gibt hoffentlich genug Kraft für das nächste Spiel, das sind immerhin die Bayern im DFB-Pokal.

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