Es hat nicht sollen sein. Kopfschüttelnd blieben wir zurück und fragten uns, was passiert ist seit dem Ende der letzten Saison, als wir nach einem Rückstand stets noch gewannen, teilweise sogar richtig hoch. Was hat sich geändert, hat man trotz einiger Abgänge völlig das Fußballspielen verlernt? Oder greift \” wie alle Jahre wieder \” der Mechanismus, der als Entschuldigung für schlechte Spiele herhalten muss: der VfB kann einfach keine Hinrunde.

Schon am 3. Spieltag standen wir mit dem Rücken zur Wand. Letzter mit einem Torverhältnis von 1:7. Es musste, ohne Wenn und Aber, endlich der erste Dreier her. Gegen Wolfsburg verloren wir unglücklich, gegen München war es ein Totalausfall, die Hoffnung war dennoch groß, zumindest den Aufsteiger aus Düsseldorf besiegen zu können. Wir haben es uns alle viel zu einfach vorgestellt, die Jungs vermutlich auch, die sich nach dem grottigen Kick unseren lautstarken Unmut haben anhören müssen, zu Recht.

Spieltermin: Samstag, 15:30 Uhr. Etwas, was uns zumindest in dieser Hinrunde nicht oft gegönnt ist. Durch die Teilnahme an der Europa League haben wir etliche Sonntagsspiele, doch auch an solchen Spieltagen, wo keine internationalen Wettbewerbe statt finden, brummt man uns z.B. ein Sonntagsspiel um 17:30 beim Hamburger SV auf \” ohne Urlaub kaum machbar. Terminiert sind die Spiele Stand heute bis zum einschließlich 16. Spieltag, nur 4 davon sind samstags 15:30 Uhr, hinzu kommen 6 Sonntagsspiele und 2 englische Wochen.

Die Wettervoraussetzungen hätten kaum besser sein können, Petrus schickte uns ein paar der letzten warmen Sonnenstrahlen in diesem Jahr und ließ jeden der 55.039 Stadionbesucher verzweifeln bei der Frage: was ziehe ich an? Wer ein Jäckle dabei hatte, war auf der sicheren Seite, brauchte es aber eigentlich gar nicht. Kurz nach 1 verließen wir das Haus, gemütlich schlenderten wir die heilige Strecke entlang bis zum Stadion, wo viele bekannte Gesichter sich bereits eingefunden hatten.

Auf der Außenseite des Oberrang in der Cannstatter Kurve wurde noch ein Solidaritätsplakat für die Freunde vom SSV Reutlingen 1905 entrollt \” wohlwollendes Klatschen und das allseits bekannte “Reutling’ und der VfB \” die Freundschaft”. Eine Fanfreundschaft, die unter den Ultras und aktiven Fans beider Vereine entstand und seither mit Leidenschaft gepflegt wird. Auch Felix und ich unterstützen dies und besuchten auch schon ein paar Auswärtsspiele der Reutlinger.

Wo ist eigentlich die nette Ordnerin an der Einlasskontrolle, die jahrelang immer am selben Fleck stand und mich stets freundlich lachend begrüßte und ein kurzer Small Talk immer drin war? War ich mal bei einer ihrer daneben stehenden Kolleginnen verwies sie immer schmunzelnd zur genauen Vorsicht, ich sei eine von den Gemeingefährlichen. Grob abgetastet und schon ging es weiter, wo wir an der großen Eingangstreppe warteten um ein paar Freunde und Bekannte zu begrüßen. Der perfekte Ort, denn hier kommt so ziemlich jeder vorbei.

Bei der Gelegenheit nahm ich auch gleich noch meine Eintrittskarte für Bremen entgegen, auswärts am kommenden Sonntag. Die Hoffnung auf Erfolg tendierte ca. 2 Stunden später gegen Null und die Sorgen werden immer größer. Doch das wussten wir natürlich noch nicht, alles, was uns bleibt, ist der Glaube, dass es immer gut ausgehen würde \” wozu der VfB ja auch durchaus im Stande ist, auch in der Hinrunde, zumindest streckenweise. Dennoch nehme ich die nahezu aussichtslose Fahrt nach Bremen auf mich, im Bus, eingezwängt und eingepfercht. Wozu? Für den VfB, den ich liebe.

Felix verabschiedete sich wieder, noch ein Kuss und ein gegenseitig hinterher geworfenes “Mach schöne Bilder!”, dann stieg ich die Treppenstufen hinab, mit einem druckfrischen Cannstatter Blättle in der einen Hand, mit einer Edeka-Tasche (Inhalt: Stadionzeitung, Trinkerle, neu gekauftes Saisonheft vom Schwabensturm) in der anderen Hand, den Blick gerichtet auf die Lokalisierung meiner Leute, bei denen ich das Spiel verbringen würde. Wir waren schon verhältnismäßig spät dran, nur noch eine halbe Stunde bis Anpfiff, dennoch war es noch nicht rappelvoll. Sogar Katrin fand wieder den Weg ins Neckarstadion, schön, sie wieder bei uns zu haben.

Ein Blick in die andere Ecke, die Düsseldorfer, für mich und wahrscheinlich einige andere eine Premiere. Über dem Stadiondach kreiste noch ein Flugzeug mit der Aufschrift: “In 10 Min. Radio an \” die Neue 107.7″ \” wers braucht?! Die letzten Minuten verstrichen schnell, die Mannschaftsaufstellung wurde laut mitgebrüllt. Der junge Mann hinter mir hält offenbar nicht viel vom heutigen Kapitän Christian Gentner, der sein 200. Spiel machte. Statt “Gentner” schrie er “Arschloch”, und so bruddelte er das gesamte Spiel hindurch. Nicht, dass ich die Bruddler nicht gewohnt wäre…

Unter dem Motto der Integrationskampagne “Geh deinen Weg”, der etwas unglücklich gewählt ist, da man darauf leicht “Geh weg” machen kann, betraten die Mannschaften das Feld, die einen weiß-rot, die andern rot-weiß. Stolz verkündete der neue Stadionsprecher Holger Laser, den viele bisher von vfbtv kannten (oder gar nicht), dass die Mercedes Benz Bank auf ihr Trikotsponsoring in diesem Spiel verzichtet, als sei es eine große Sache. Den Ball trug übrigens der Sohn von Katrins Arbeitskollegin mit Migrationshintergrund aufs Feld, der mittlerweile selbst beim VfB kickt und kurz vor Anstoß noch einen freundlichen Klaps von Christian Gentner mitbekommen hat.

Vielleicht sehen wir den Burschen eines Tages bei den Profis wieder. Das heißt, sofern man beim VfB den tatsächlich viel beschworenen Stuttgarter Weg auch geht, und auch die jungen Wilden mal ranlässt. Wieder war keiner von ihnen im Kader, eine traurige Sache, wenn man bedenkt, wie das Spiel am Ende ausging. Wie lane es dauern wird, bis diese Chance ergriffen wird, bevor alle den Verein verlassen mangels Einsatzzeit, kann keiner genau sagen.

Ganz persönlich waren meine Augen dieses Mal auf Martin Harnik gerichtet, der eine Odyssee hinter sich hat, bevor er beim VfB auf- und einschlug. Noch fand er nicht zu alter Stärke, aber dieser Moment wird kommen. Er war von 2007 bis 2010 bei Werder Bremen unter Vertrag, kam dort nie richtig zum Zuge und wurde schließlich 2009 nach Düsseldorf verliehen, 2010 kam er schließlich zum VfB und wurde zunächst nur als äußerst effektiver Joker eingesetzt.

In einem Interview sagte er neulich, wie viel ihm noch an der Fortuna läge, doch dass er mit vollem Herzen Stuttgarter sei. Das geht einem runter wie Öl \” auch wenn er vermutlich nicht ewig hier sein wird. Wir genießen es, solange es dauert. Er würde auch gegen die Fortuna jubeln, sagte er. Genau das wollten wir sehen. Doch im Prinzip war es egal, welcher VfB-Spieler heute jubeln würde, solange man am Ende mindestens 1 Tor mehr geschossen hat. Wir brauchten so dringend den ersten Sieg, die nächsten Spiele würden mit Bremen, Hoffenheim und Nürnberg sicherlich nicht einfacher.

In der Kurve wehten die Brustring-Fahnen, ein wunderschönes weiß-rotes Intro, begleitet von lauten Anfeuerungsrufen. Heute war ein Gegner zu Gast, der akustisch durchaus etwas entgegen zu setzen hatte, ein anderes Kaliber als ein paar mitgereiste Wolfsburger und Moskauer. Noch waren wir alle froher Hoffnung. Noch dachten wir, es würde leichter werden. Noch glaubten wir, es würde ein gutes Ende nehmen. Wir waren naiv.

Er war nicht der einzige, der zeigen musste, was in einem steckt. Für den nach der in München gezeigten roten Karte musste Ibisevic auf der Tribüne sitzen, für ihn spielte Cacau. Mal sehen, was das wird. Und es hätte so schön beginnen können \” nach 5 Minuten zog Tamas Hajnal aus der 2. Reihe ab, Torhüter Fabian Giefer konnte den Ball grade noch so über die Latte zur Ecke klären. Wie immer müßig zu philosophieren. Was wäre, wenn… dieser Ball reingegangen wäre? Hätte es dann zu 3 Punkten gereicht? Man weiß es nicht.

Auch in der Folgezeit waren wir immer wieder im Vorwärtsgang, scheiterten aber wie schon in der 1. Halbzeit in München immer wieder am Unvermögen oder an der Abwehr. Es kommt ja nicht von irgendwo her, dass die Fortuna bisher kein Gegentor an den ersten beiden Spieltagen kassierte. Noch blieben wir gelassen und schauten mehr oder weniger entspannt dabei zu, dass sich sich zumindest redlich bemühten.

Mit zunehmender Zeit wich die Entspannung aber dem Unmut. Minuten verstrichen, die Ungeduld wurde stetig größer. So schwer kann es doch eigentlich nicht sein, ein Tor gegen Düsseldorf zu schießen. Wir waren hier immerhin beim Spiel Europapokal-Teilnehmer gegen einen Aufsteiger. Verkehrte Welt, möchte man meinen. Was zu Beginn des Spiels noch wie Warmlaufen und Rantasten ausgesehen haben mag, erschien uns mit zunehmender Spieldauer weit weniger optimistisch.

Null Kreativität, keine Passgenauigkeit, mangelnde Schnelligkeit, zu langsames Umschalten. Das Ganze gegen einen Gegner, der sich fast ausschließlich darauf bedachte, hinten alles zuzumauern und durch schnelle Nadelstiche Konter zu setzen, die aber auch nicht sauber zu Ende gespielt wurden, zu unserem Glück. Glück deswegen, weil das hier nichts mehr mit Können, bzw. Guter Abwehr zu tun hatte.

Unser Abwehrspieler Maza, der kürzlich zum Kapitän der mexikanischen Mannschaft gemacht wurde, erkämpfte sich den Ball und spielte ihn perfekt in den Lauf von Martin Harnik, der nur noch einschießen brauchte, aus ähnlicher Entfernung und ähnlichem Winkel gelang ihm das zwischenzeitliche und nur kurz bejubelte Führungstor in München. Stattdessen legte er rüber, wo Cacau nicht schnell genug war. Es wäre ohnehin Abseits gewesen. Das war nur eine von einigen Chancen, die man ungenutzt liegen ließ in Halbzeit 1.

In der Pause schlürfte ich unzufrieden an meinem Zuckerwasser, plauderte und versuchte mich davon abzulenken, was passieren würde, wenn das hier tatsächlich noch nach hinten losgeht. Noch stand es 0:0, doch das tat es auch gegen Wolfsburg bis kurz vor Schluss. Dummheit und Unvermögen werden in der Regel bitter bestraft, das wissen wir nicht erst seit dem 1. Spieltag. Auf gehts Jungs, bewahrt uns vor dem kompletten Fehlstart. Sie spielten nun in unsere Richtung, vielleicht würde es ihnen Auftrieb geben.

Viel anders war das Bild dann aber leider auch nicht. Der Wille war stark, aber der Körper war schwach. Gegen mauernde Düsseldorfer war fast nichts zu machen, und mit halbhohen Flanken und Kopfbällen ohne jeglichen Druck kannst du auch nichts erreichen. Viele streckten schon jubelnd ihre Hände in die Höhe, als eine Kopfballverlängerung von Christian Gentner direkt auf Cacau zuflog und er den Ball aber nur knapp am Pfosten vorbei setzte. Das hätte nach 62 Minuten schon das mindestens 3. Tor sein können.

Der verbleibende Rest des Spiels lässt sich kurz zusammenfassen: ideenlos, kraftlos, chancenlos. Sie wollten, konnten aber nicht. Und die Düsseldorfer? Die rannten um ihr Leben, sind dankbar um jedes Spiel, dass sie in der 1. Liga spielen dürfen. Auf Seite der VfB-Fans gab es großen Unmut, Pfiffe, Bruddelei, es war die harte Realität. Wie schon in der Fast-Abstiegs-Saison: in der Europa League liefs, in der Bundesliga Woche für Woche Tabellenletzter. Nicht auszumalen, was passiert, wenn es auch dieses Mal den Verlauf nimmt, eine eingebaute Nicht-Abstiegs-Garantie hat der VfB nicht, wär ja auch viel zu teuer, nicht war, VfB-Vorstand?

Diese Partie machte deutlich, welcher große Graben zwischen Anspruch und Realität ist. Du springst darüber, weil du glaubst, es sei nicht so tief und dann stürzt du gewaltig und brichst dir sämtliche Knochen im Körper. Schallende Pfiffe nach Abpfiff des Spiels. Torlos, als einziges an diesem Samstag Nachmittag. Nur wenige klatschten leise und enttäuscht, als die Jungs in die Kurve getrottet kamen. Das haben sie sich selbst zuzuschreiben, hier ist man nicht an einem Gegner gescheitert, der in allen Belangen die besseren Spieler hat. Sie waren schlicht und ergreifend beherzter, schneller, agiler und ideenreicher. Eben alles, was man sich auch von unsere Jungs erhofft, jedes Mal aufs Neue. “An Tagen wie diesen”… wünsch ich mir keine Unendlichkeit.

Schnell stapften wir von dannen. Bruddelnd, das fuchste mich ja fast noch mehr als die Ohrfeige in München. Ich bearbeitete sofort die Bilder an meinem neuen Laptop, fürs Schreiben des Spielberichts reichte die Konzentration nicht mehr. Dennoch bin ich froh, dass ich euch dieses Mal zumindest zeitnah etwas Lesestoff anbieten kann. Ich habe die Hoffnung an eine halbwegs gescheite Hinrunde noch nicht aufgegeben.

Felix sagte mir Abends noch etwas, was mir noch lange durch den Kopf ging: “Ich bin halt VfB-Fan. Da muss man auch mal mit wenig zufrieden sein”. Ob ein Punkt gegen einen Aufsteiger für Zufriedenheit sorgen kann, wage ich aber zu bezweifeln. Man ist geneigt, nach solchen Spielen zu sagen “Dumm gelaufen, scheiß drauf! Nächste Woche wirds hoffentlich besser”. Doch was, wenn das so weiter geht? In wenigen Tagen beginnt unsere Europa League Gruppenphase. Dem VfB-Naturgesetzt zufolge dürfte es ein wenig aussichtsreicher sein.

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