Es gibt Dinge in unserem Fußballleben, die in unregelmäßigen oder regelmäßigen Abständen immer wieder zu Tage treten, ob man will oder nicht. Das ist nicht nur jenes Laster, das mich dazu bringt, erst kurz vor dem nächsten Spiel den Spielbericht vom letzten Spiel zu veröffentlichen und natürlich, dass der VfB doch immer stets eines ist: eine Wundertüte. Man kann sich nie, nie, niemals sicher sein.

Schreiben will ich darüber eigentlich nicht, ebenso wenig wie einst am 2. Spieltag in München. Nun ist es wieder soweit: nach Wochen, die der VfB uns im ungeschlagenen Zustand Freude machte, der herbe Rückschlag. Wie das passieren konnte, weiß keiner so genau \” weder Fans, noch Trainer, und schon gar nicht die Spieler selbst. Unfassbare Szenen spielte sich hier ab, man vermag es eigentlich kaum in Worte zu fassen. Manche standen Tage später noch unter Schock, während andere widerrum ihrem Frust schnell Luft machten.

Ob uns dieses Spiel das Geknick zumindest angeknackst hat und ob es weitergehende Konsequenzen als den schnellen Verlust von 3 sicher geglaubten Punkten haben wird, bleibt nun abzuwarten. Kurz vor dem Spiel in Mönchengladbach bin ich gerade zu gezwungen, mich an das zu erinnern, was ich auch dieses Mal lieber vergessen möchte. Wir waren uns alle so sicher \” und standen plötzlich da wie begossene Pudel.

Wir waren ahnungslos

Wieder einmal war die Zeit der Erholung knapp bemessen, 3 Tage nach dem Sieg in Kopenhagen kehrten wir zurück in unser geliebtes Neckarstadion. Es war kalt, windig und immer wieder regnete es, als wir uns Hand in Hand auf den Fußmarsch zur Spielstätte begaben. Vor Ort trafen wir schnell bekannte Gesichter, das übliche Prozere wie jedes Mal, bis wir unsere Plätze einnahmen. Da waren wir wieder, frohen Mutes, heute den nächsten Sieg einzufahren.

Ich lief die Treppen herunter, mit einem positiven Gefühl. Schon vor dem Spiel war ich mir sicher, dass es zumindest nicht am mangelnden Selbstvertrauen scheitern könnte. Siege gegen Frankfurt und Kopenhagen, ein Achtungs-Unentschieden in Dortmund, die aktuelle Bilanz konnte sich sehen lassen. Wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet die unscheinbar grauen Mäuse aus Niedersachsen wären, die uns so zusetzen würden, mehr als uns allen lieb war.

Ein Blick auf die Statistik stimmte zuversichtlich \” es sah seit Jahren daheim gegen Hannover richtig gut aus, vor zuletzt 5 Jahren verlor man vor eigener Kulisse gegen die 96er. Was sollte hier schon groß passieren? Diese Rechnung haben wir definitiv ohne die Mannschaft gemacht, die sich Schimpf und Hohn gefallen lassen mussten, und das völlig zurecht.

Eine Woche später herrscht noch immer Fassunslosigkeit, ich schüttle den Kopf, wenn ich zurückdenke und mir jene Szenen noch einmal ansehen muss. Ein weiteres Mal wurde der VfB zur Lachnummer der Nation und bewies uns, dass es halt trotz der letzten starken Wochen immer noch der VfB ist. Was hatten wir denn erwartet? Ehrlich gesagt, nach der 1. Halbzeit rechnete jeder, aber so ziemlich jeder mit einem Sieg, es war nur eine Frage der Höhe.

Keiner konnte es ahnen, als am späten Sonntag Nachmittag die Mannschaften vor toller Kulisse in der Cannstatter Kurve aufs Feld geführt wurden. Es dauerte einige Zeit, bis der VfB das Zepter des Spiels übernahm, nach gerade einmal 7 Minuten hatten wir jedoch Glück, dass der Hannoveraner Stürmer Mame Diouf in den letzten Monaten stets nur daheim getroffen hat, Ulle konnte gerade noch entschärfen. Noch war alles gut. Noch.

Alle Zeichen auf Heimsieg \” noch!

Den richtigen Startschuss gab unser Raphael Holzhauser, der aus 2. Reihe einfach mal abzog und sich Ron-Robert Zieler schon lang machen musste. Eine Art Hallo-Wach-Effekt, von da an hatten wir Hannover vollständig im Griff gehabt, zumindest, was das Spiel angeht. Wie alle Jahre wieder ist das, was die mitgereisten Fans aus Hannover optisch und akustisch anbieten, keiner besonderen Erwähnung wert.

Erwartungsgemäß kam es nach 21 Minuten zum erhofften 1:0 für die Gastgeber, tolle Flanke von Rapha, in der Mitte wartete Vedad Ibisevic, der es besonders schön machen sollte. Sein Fallrückzieher misslang und kam weiter zum völlig ungedeckten Christian Gentner \” da war für den überraschten Keeper auch nichts mehr zu machen. Große Freude, wie könnte es anders sein. Der Grundstein war gelegt.

Es passt ins Bild der letzten Wochen, dass jene Flanke ausgerechnet von unserem bulligen Ösi kam, beinahe hätte er auch gleich noch den Scorerpunkt für Hannover bekommen. Ein geplanter Rückpass auf Georg Niedermeier, der jedoch zu weit weg stand, wurde langsamer und langsamer, gerade recht für Mame Diouf, der noch rankam und sein Schuss an den Innenpfosten knallte und kurz vor dem anderen Pfosten vorbeistrich \” da haben wir Glück gehabt, dass es nicht 1:1 stand.

Wir hatten Sie im Sack

Kurz geschüttelt, weiter gehts. Wieder war der VfB im Angriff, so wie es sein sollte, so wie wir es mögen, so wie wir es erwarten. Christian Gentner lief samt Ball in den Strafraum, ein Foul, ein Aufschrei und ein kurzer Jubel: Elfmeter! Ein Fall für Vedad Ibisevic, der sich den Ball schnappte und am Punkt zurecht legte. Die Kurve skandierte: Hinein, hinein, hinein!

Das hat er anscheinend gehört. Bei jedem seiner Elfmeter tauchen vor meinem inneren Auge die Szenen vom ersten Heimspiel gegen Wolfsburg auf \” Elfmeter gehalten, Nachschuss drüber, im Gegenzug das 0:1. Er machte es besser, kurz und schmerzlos kurz vor der Halbzeit. Beste Laune in der Cannstatter Kurve. Mit wohlwollendem Klatschen schickte man die Jungs kurze Zeit später in die Kabinen.

Es war eine Wohltat, es hatte etwas Beruhigendes und Begeisterndes zugleich, dieses Gefühl, die gegnerische Mannschaft wäre völlig hilflos und man hat ein leichtes Spiel. Es war ein wenig ein Gefühl wie im Pokalspiel gegen St. Pauli, als man zur Halbzeit 3:0 führte und dies zeitgleich der Endstand des Spiels war. Es hatte wirklich etwas Schönes. Wenn auch nur einer von uns geahnt hätte, dass es das letzte Klatschen war, das letzte Lächeln, der letzte zufriedene Seufzer.

Was folgte, entbehrt jeder Logik. Jener kühne Griff nach den ersehnten 3 Punkten scheiterte noch während der Halbzeitpause. Ich bin mir nicht sicher, was in der Kabine vorgefallen war, welche Worte gesprochen wurden, oder ob nicht sogar ein kleines Besäufnis stattgefunden hatte. Nur mit letzterem kann ich es mir erklären. Wie konnte man sich nur so sicher sein? Dass ein Spiel nun mal 90 Minuten dauert, scheint beim VfB vergessen worden zu sein.

Der Anfang vom Ende

Nach wenigen Minuten in der 2. Halbzeit flankte ein Hannoveraner in den Strafraum, dort “klärte” unser Hardcore-Schorsch, der in den letzten Wochen so viel einstecken musste (Zahnverlust gegen Frankfurt, blaues Auge gegen Dortmund, blutige Lippe gegen Kopenhagen) mit einer Kerze nach oben. Wer Physik in der Schule hatte, weiß: was hoch geht, kommt zumeist früher oder später wieder runter.

Unserem Niederstrecker will ich das aber noch nicht einmal ankreiden, bei wem wir uns für den Ausgang des kompletten Spiels bedanken können, ist definitv unser Arthur Boka. Schlampig im Zweikampf brachte auch er den Ball nicht aus der Gefahrenzone und auf einmal war er da, der Anschlusstreffer. Aus dem Nichts! Artur Sobiech nutzte die Unkonzentriertheit, riesig war die Freude nicht, er schnappte sich den Ball und rannte zurück.

Ein ungutes Gefühl kroch relativ schnell in mir hoch. Ich habe schon einige Anschlusstreffer zum 2:1 gegen den VfB gesehen, doch war es diesmal eher eine Art Vorahnung: “Die werden doch nicht… oder?” – wie sich in Gesprächen einige Tage später herausstellen sollte: weniger Meter rechts von mir stand ein junger Mann, der genau das selbe dachte. Als hätten wir es geahnt. Nur konnten und wollten wir es einfach nicht glauben.

Der Ausgleich aus dem Nichts

Von da an nahm das Unheil seinen Lauf. Es bricht mir das Herz, diese Zeilen schreiben zu müssen, ich schreibe bewusst von “müssen”, da ich es lieber vergessen würde. Kurz danach der nächste Angriff der Niedersachsen, diesmal bekam Serdar Tasci im Strafraum aus kurzer Distanz den Ball an den Arm, den er noch wegziehen wollte, weit weg von Absicht. Er durfte weiterspielen, durfte sich jedoch mit ansehen, wie Hannover einen Elfmeter zugesprochen bekam.

Eiskalt verwandelt von Jan Schlaudraff gegen Sven Ulreich, der ja nunmal leider nicht oft als Elfmeterkiller glänzen konnte. Und schon stand es 2:2. Lange Gesichter in der Kurve. Was war denn hier los? Aus dem Nichts der Ausgleich. “Wir hatten Sie komplett im Sack, KOMPLETT!” fluchte Philipp, er sprach mir damit aus der Seele. Wer war sich nur aber nicht sicher, dass dies ein guter Tag für den VfB werden würde, nachdem es zur Halbzeit 2:0 stand.

Etwas mehr als eine Stunde war gespielt, und die “Freakshow”, wie Philipp es nannte, war leider leider leider noch nicht vorbei. Von der Schockstarre des Ausgleichs hatte man sich noch nicht einmal erholt, zum Supporten waren viele von uns noch nicht einmal wieder in der Lage. Der VfB völlig von der Rolle, das Spiel kippte zusehendst in Richtung der Hannoveraner, die sich einzig und alleine bei uns für das Ergebnis bedanken können.

Kollektive Aufbruchsstimmung

Die ersten verließen das Stadion, als keine 3 Minuten nach dem Ausgleich der Ball schon wieder im Netz war und es still wurde in der Kurve. Die Haupttribüne pfiff, wie eigentlich immer, wenn es nicht gerade 4:0 für den VfB steht, der Gästeblock jubelte. Ich wollte am liebsten kotzen \” doch das ziemt sich nicht. Eine missglückte Chance von Mame Diouf verwerte Mohammed Abdellaoue trotzdem noch zum 2:3. Ich war… entsetzt. Anders kann man das auch kaum beschreiben.

Es waren immernoch etwas mehr als 20 Minuten zu spielen, genug Zeit eigentlich, um sich doch noch einmal aufzuraffen und zumindest einen Punkt zurück zu erobern. Leider sah es Bruno Labbadia nicht für notwendig an, schnell zu wechseln. Viel zu spät nahm er Arthur Boka vom Feld, der sich noch prompt weitere Minuspunkte verdiente, in dem er 5 Minuten nach dem 2:3 auch noch einen weiteren Elfmeter verursachte \” an der gleichen Stelle, wo auch Christian Gentner gelegt wurde. Da waren wir noch glücklich, damals…

Mohammed Abdellaoue verwandelte eiskalt und ließ Sven Ulreich keine Chance. Ein Blick zur Anzeigetafel: 2:4. Nach 2:0 zur Halbzeit. Das schafft nur der VfB, so blöd kann ja sonst kein anderer Verein sein. Selbst die Nationalmannschaft kassierte gegen Schweden innerhalb von 30 Minuten 4 Gegentore und spielte am Ende noch Unentschieden. Das würde der VfB nicht mehr schaffen. Immer mehr von den 50.600 Zuschauern hatten genug gesehen.

In der Nachspielzeit gabs dann sogar nochmal eine Chance für unsere Jungs, einen ganz ganz kurzen Moment dachte ich mir: wenn wir es schaffen, kurz vor Schluss noch das 3:4 zu machen, wäre auch ein 4:4 nicht mehr weit, ein ähnliches Spektakel wie letzte Saison in Dortmund, wir erinnern uns alle, auch jene, die nicht live dabei waren. Nichts wars aber, und so pfiff Schiedsrichter Felix Brych das Spiel ab.

Fassungslosigkeit. Enttäuschung. Schockstarre.

Dass man als Fan tatenlos dabei zusehen muss, ist das Schmerzhafteste daran \” mit leeren Blicken starrte ich einfach nur aufs Spielfeld, wagte hin und wieder einen Blick in die Kurve, die Gesichter waren kreidebleich und gezeichnet vom Schock, wer konnte es uns auch verdenken. Wir waren uns zu schnell zu sicher, sowohl Mannschaft als auch die Fans. Uns kann man das nicht ankreiden \” doch die Mannschaft sollte genau überdenken, wie das passieren konnte.

Ein Erklärungsversuch wäre, dass man nach den Marathon-Wochen, die uns (fast) alle 3 Tage ein Spiel einbrachten, einen Gang herunterschalten wollte. Es war anstrengend, natürlich, doch gab uns der Erfolg doch Recht, dass es gehen kann. Wir hatten endlich wieder Spaß am VfB, keinesfalls etwas Selbstverständliches in der Hinrunde einer Saison.

Doch hat man mittlerweile nicht schon genug erlebt, um zu wissen, dass man sich niemals auf seinen Lorbeeren ausruhen sollte? Ich weiß es nicht, bis heute gibt es keine Erklärung. Wie eine komplette Mannschaft derart von der Rolle sein kann und in sich zusammenfällt wie ein Soufflé, will mir einfach nicht in den Kopf.

Was war hier passiert?

Mit hängenden Köpfen liefen sie in die Cannstatter Kurve, aufbauendes Klatschen, selbst das Pfeiffen verstummte schnell mit dem Schlusspfiff. Keiner konnte es begreifen, es wird dauern, bis dieses Spiel aufgearbeitet ist, dessen war ich mir sicher. Wortlos schlichen wir von dannen, ohne große Verabschiedungszeremonien, der Schmerz war schlichtweg zu groß gewesen.

Zum ersten Mal seit vielen Wochen ging meine Motivation, am späten Sonntag Abend von einem solchen Spiel auch noch Bilder aufbereiten zu müssen, gegen Null. Ich tat es trotzdem, denn irgendwie sagt man sich dann auch: Leidenschaft verpflichtet. So endeten die Marathon-Wochen, es hätte ein perfekter Abschluss sein können, bevor es wieder ruhiger wird und wir wieder nur ein Mal in der Woche ein Spiel haben.

Selbst die Muße zum Schreiben des Spielberichts fand ich nicht. Mehr eine lästige Pflicht \” in 45 Minuten brechen wir nach Mönchengladbach auf. Was das wohl wird? Die Statistik spricht zwar für uns, doch sind diese natürlich irrelevant, wenn sich deine eigene Mannschaft spätestens in der Halbzeitpause dazu entscheidet, die Arbeit zu verweigern. Kämpfen, Stuttgart, kämpfen! So etwas wie gegen Hannover wollen wir nie nie nie niemals wieder sehen.

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