Mit einem gewissen Maß an Respekt, gemischt mich Vorfreude und innerer Unruhe lag vor unserer Nase jenes Heimspiel, das naturgemäß in jeder Saison eines der schwierigsten und unangenehmsten ist. Gegen Nürnberg hat der VfB nicht immer gut ausgesehen \” einen Sieg gegen die Franken hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nie live im Stadion gesehen. Doch es gibt für alles ein erstes Mal, nicht wahr?

Ähnlich wie im letzten Jahr wurde es bereits in der Zeit vor Ostern ordentlich warm und bescherte uns zum Heimspiel ein traumhaft sonniges Wetter. Es sollte mein vorerst letztes fest eingeplantes Spiel außerhalb der Cannstatter Kurve werden. Meinem Knie ging es schon wieder ganz gut, doch war es aktuell noch zu früh, um etwas zu überstürzen.

Die letzte Partie vor meiner Rückkehr sahen wir auch dieses 3. Mal von der Haupttribüne aus, im Block 13, nahe der Cannstatter Kurve, unmittelbar bei der Eckfahne. Toller Blick auf Spielfeld und Kurve. Perfekt für den letzten Stadioneinsatz meiner Spiegelreflex-Kamera \” sie wird mir definitiv sehr fehlen.

Auf einen Spieler waren die Augen ganz besonders gerichtet: auf unser Eigengewächs Julian Schieber, ein Sohn Backnangs, letzte Saison ausgeliehen an Nürnberg spielte er eine fantastische Saison, bis er sich vor seiner Rückkehr nach Stuttgart verletzte uns sich lange nicht zurückkämpfen konnte. Würde es ihm gelingen, gegen den Club, bei dem er gern geblieben wäre, ein torreiches Comeback zu geben? Man durfte bespannt sein.

Neben Julian Schieber sah man auch auf Cacau, der bis 2003 in Nürnberg spielte und seitdem das Trikot mit dem Brustring trägt, nicht immer besonders erfolgreich, aber immer mit Engagement und Einsatz. Und auch Daniel Didavi, ein Talent aus eigener Jugend, war beobachtet \” er wurde Anfang der Saison an Nürnberg ausgeliehen, der Club hat die Hoffnung, es ebenso zu treffen wie mit Julian Schieber, was bisher auch der Fall war. Dort bekommt er Einsatzzeiten, die ihm bei VfB verwehrt bleiben \” leider.

Mal sehen, was das heute werden würde. Die äußeren Bedingungen waren perfekt, die Lage in der Tabelle im Moment entspannt, man schielt so halb auf die internationalen Plätze der Tabelle, auch wenn das alle Beteiligten im Verein gern runterspielen. Bereits beim Hinspiel in Nürnberg waren wir dabei, es war bitterkalt und am Ende hatten wir großes Glück, das Maza in der Schlussphase noch zum Ausgleich traf.

Wieder waren wir relativ zeitig dran, beobachteten, wie sich das Stadion füllte, sowohl in der Kurve als auch im Gästeblock und im Rest des seit dem Umbau 60.000 Leute fassenden Neckarstadions, das mir binnen 4 Jahren so sehr ans Herz gewachsen ist. Diese 4 Jahre haben so viele Menschen in mein Leben gebracht, wie sonst keine andere Phase meines Lebens. Von langjährigen Weggefährten, über meinen kleinen großen Felix bis hin zu immer wieder neuen Leuten, die ich zufällig kennenlerne.

Zum Beispiel jene, die im Stadion neben mir stehen oder sitzen und mit denen ich ins Gespräch komme: wie Michaela, gebürtige Ostdeutsche, mittlerweile VfB-Fan und wohnhaft im schönen Württemberg, wo man bekanntlich außer kann, außer Hochdeutsch. Sie war zum ersten Mal da, genau wie ich einst vor 4 Jahren. An dieser Stelle viele Grüßle an sie und ihren Gatten!

Die letzten Minuten vergingen schnell, die Uhr auf der Anzeigetafel tickte und schlug schon bald 15:30 Uhr an diesem Sonntag Nachmittag. So richtig wusste ich nicht, was ich von diesem Spiel erwarten sollte \” ich habe hier daheim bisher nur ein 0:0 und ein 1:4 gesehen, bei dem Julian Schieber im Dress der Nürnberger 2 Tore schoss, wie so viele unserer ehemaligen Spieler, die gegen ihren Ex-Verein spielen müssen.

Während 55.800 im wieder einmal nicht ausverkauften Stadion die beiden Mannschaften auf dem Rasen begrüßten, tickte unablässig der Auslöser meiner Kamera, gerichtet auf die farbenprächtige Cannstatter Kurve. Es konnte losgehen. Mit großer Hoffnung auf den ersten Sieg im 3. Anlauf.

Aus der Tabellenkonstellation konnte man keine zuverlässigen Voraussagen treffen: der VfB auf dem 8. Platz, Nürnberg auf dem 10. Platz, getrennt von 5 Punkten und 21 Toren. Der Unterschied zum Gegner Kaiserslautern 2 Wochen zuvor war weitaus gravierender, mehr als ein 0:0 sprang dabei allerdings auch nicht heraus.

Eine Woche zuvor wurde das Nachbarschaftsduell bei der ungeliebten TSG Hoffenheim gewonnen, dank zweier schöner Treffer des ehemaligen Hoffenheimers Vedad Ibisevic, der sich mehr und mehr zu dem mausert, was man als “gelungenen Transfer” bezeichnen kann, keine Selbstverständlichkeit bei unserem Verein für Bewegungsspiele. Durch ein Foul kassierte er allerdings seine 5. gelbe Karte und war gesperrt. Nun mussten es Julian Schieber, Martin Harnik und Cacau richten. Viel Glück, Jungs!

Das Spiel hatte gerade erst angefangen, wenige Minuten zeigte die Anzeigetafel an. Und schon dachte man sich: “Das habe ich mir anders vorgestellt”. Es war kein Gegentreffer, kein schneller Rückstand, der mir große Sorgen bereitete, sondern vielmehr die unbegründete und nicht nachvollziehbare Lethargie, mit der die Stuttgarter Spieler auf dem Rasen standen. Mit großem Glück prallte ein Schuss vom Nürnberger Adam Hlousek “nur” an die Latte. Eine erste Schrecksekunde. Noch konnte man ja nicht ahnen, was das Spiel so für uns bereit hält, wie viele Nerven es kosten würde.

Wenig später waren die Clubberer schon wieder im Vorwärtsgang, Julian Schieber klärte auf der Linie noch für den geschlagenen Sven Ulreich per Kopf über die Latte. Hier ist was los! Ich erinnere: es waren erst wenige Minuten gespielt! Pfiffe von allen Seiten, mögen sie für ein schnelles Aufwachen sorgen. Besonders viel half es nicht.

Immer wieder kamen die Nürnberger gefährlich vor unser Tor, während bei uns nichts so ganz klappen wollte. Die wenigen aussichtsreichen Chancen wurden kläglich vergeben oder die engagiert kämpfenden Franken hatten noch einen Fuß dazwischen. Kaum zu glauben, dass unsere Jungs auf einmal so spielten, es schien als wären sie des Kampfes um die internationalen Plätze überdrüssig. Als ginge es nur darum, sich im grauen Niemandsland der Tabelle aufhalten zu wollen.

Eines stand fest: in der Kabine würde es laut werden. Mit unliebsamen und unzufriedenen Pfiffen wurden beide Mannschaften in die Katakomben geschickt, bereit für Bruno Labbadias Wutrede, möge sie fruchten und am Ende den erwünschten Erfolg bringen. Ich schlürfte indessen meinen “Pausentee” und war gespannt, ob das Spiel im 2. Durchgang besser werden würde \” zum noch schlechter werden fehlte eigentlich nur der Rückstand, der bereits im 1. Durchgang mehr als gerechtfertigt gewesen wäre.

Die Jungs taten sich ganz offensichtlich schwer. Ganz im Gegensatz zu den Nürnbergern, wie man leider anerkennen muss. Sie rannten, kämpften und spielten um ihr Leben, genau so, wie man es sich von unseren immer erhofft. Das einzige, was sich der VfB im gesamten Spiele zu Gute halten konnte, war das unverschämte Glück, das man in dieser Partie hatte.

Jenes Glück, das uns in manchen Spielen gefehlt hat, doch es war da gegen Nürnberg, in einem unmenschlichen Ausmaße. Es begann ja schon nach wenigen Minuten mit dem Lattenkracher der Nürnberger und setzte sich fort, als in der 2. Halbzeit Verteidiger Georg Niedermeier seinen Gegenspieler zu Fall brachte und nicht der eigentlich fällige Strafstoß gepfiffen wurde.

Zumindest ein wenig scheint die Pausenansprache des Trainers gefruchtet zu haben, nach und nach kamen unsere Jungs auch endlich ins Spiel, von dem ich gehofft hatte, sie würden es von Beginn an diktieren und den Nürnbergern zeigen, wo es lang geht. So viel dazu. Die Zeit rannte uns davon, wir brauchten so dringend ein Tor, um den Nachmittag doch noch erfolgreich zu gestalten \” und zwar, bevor die Nürnberger sich das Glück, das ihnen abhanden gekommen war, zurückholten.

Dass unser Spielmacher Tamas Hajnal schon so manche geniale Momente hatte, die zu begeisternden Toren führten, wissen wir. Mit einem tollen Pass tunnelte er noch einen Nürnberger und legte vor für den einschussbereiten Cacau. Club-Keeper Raphal Schäfer, in der Saison 2007/2008 im VfB-Trikot, war noch mit den Händen dran, aber zu platziert schoss ihn der deutsche Nationalspieler ins Eck.

Ob VfB-Fan oder Nürnberg-Fan, alle werden sich für einen kurzen Moment gedacht haben “Äh, wie jetzt?!” – der Gästeblock wurde still, alle anderen sprangen auf und freuten sich, wir natürlich inklusive. So groß die Freude über das 1:0 in der 78. Minute auch war, so unerwartet aus dem Nichts kam dieser Treffer. Nicht zu vergleichen mit jenen Spielen, in denen du 90 Minuten überlegen bist, aber das Tor bis zum Ende wie zugenagelt scheint, um einen dann doch noch den Sieg zu bescheren. Nein, das hier war einfach nur… ich weiß nicht, wie ich es nennen soll.

Zuerst hatten wir das gesamte Spiel über so saumäßiges Glück, dass die Nürnberger entweder am Pfosten, an die Bälle von der Linie kratzendenden VfBler oder an ihrer eigenen Unfähigkeit scheiterten, und dann erzielen wir auch noch 12 Minuten vor Schluss den Führungstreffer \” der, wenn wir mal ehrlich sind, dermaßen unverdient war, aber in einer Woche sowieso keiner mehr danach fragen würde. Eine Woche später sollte der VfB anderweitig Geschichte schreiben.

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber wir wissen ja alle: Schluss ist, wenn der Schiedsrichter pfeift. Wir hatten unser Glück in diesem Spiel bereits mehr als überstrapaziert, niemand konnte garantieren, dass das Tor, welches so spät zu unserem Gunsten fiel, auch tatsächlich das einzige und letzte sein würde. Es war rechnerisch immernoch machbar, noch ein Gegentor zu kassieren, das haben wir in den letzten Jahren immer wieder schmerzlich miterleben müssen.

Für die Franken war es ein bitterer Nackenschlag, von dem sie sich aber nicht mehr zu erholen vermochten. Sie probierten es nochmal, und für einige Minuten musste man wirklich noch zittern, doch am Ende behielten wir das Glück auf unserer Seite. Nicht der Kampf, die Leidenschaft, der Wille, das individuelle Können oder der Teamgeist \” es war hier und heute einfach nur Glück.

Noch etwas ungläubig über die Geschehnisse und dem Ausgang der Partie verblieben wir noch einige Minuten, bevor wir uns auf den Rückweg machten. Die roten Krücken hatte ich immernoch dabei, lief aber schon ganz gut ohne sie. Sie dienen nur noch meiner Sicherheit, falls mir ein langer Weg dann doch zu viel wird. Auf dem Rückweg nach Hause machte sich Erleichterung zunehmend breit \” mit Stolz hatte das heute jedenfalls relativ wenig zu tun.

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