Ein Tag, der mich eigentlich wütender und verbitterter als je zuvor hätte machen sollen, hat mich stattdessen ruhiger gemacht. Die Momente wie die, die wir alle in München erleben mussten, gehören glücklicherweise nur selten zum Liga-Alltag. Es war die reinste Demontage. Trotz allem nehme ich so einiges Positive mit: die Tatsache, selbst beim Stand von 1:6 noch immer lauter zu supporten als die Bayernfans, dass ein 1:6 besser ist als 6 mal 0:1 und dass ich alles, was noch in dieser Saison kommen mag, gelassen sehen kann: denn schlimmer als das kann es kaum werden.

Für mich haben Ausflüge zur Allianz Arena nur selten mit Erfolgserlebnisssen zu tun. Krame ich in meiner Erinnerung, muss ich mich rasch korrigieren: es gibt schlichtweg keine Erfolgserlebnisse in München, zumindest nicht für mich. Mit der Nationalmannschaft verlor ich 2007 gegen Tschechien genauso wie die anderen frustrierenden Spiele mit dem VfB, 2010/2011, 2011/2012 und nun auch 2012/2013 \” alle Jahre wieder, möchte man meinen.

Doch ist es nicht immer ein Stück Hoffnung, die uns dazu verleitet, frühs (oder gar nachts) aufzustehen, in Auto, Bus, Zug oder Flugzeug einzusteigen und eine mehr oder weniger weite Strecke auf sich zu nehmen? Die Leidenschaft und die Begeisterung für unseren Sport führt uns zu manch entlegenen Orten, an diesem Sonntag Nachmittag war das München.

Mir war klar, dass es ein stressiges Wochenende werden würde. Das begann nach einer aufreibenden Arbeitswoche mit dem Geburtstag meines Schwiegervaters, ging über in die Hochzeit meiner lieben Kollegin Daniela und fand ein Ende in dem ganz und gar verstörenden Ausflug aufs bayrische Feindesland. Diesmal zogen wir es vor, selbst mit dem Auto hin zu fahren, früh genug waren wir ja dran.

In München angekommen parkten wir gleich dort, wo wir schon letztes Jahr parkten, im Wohngebiet in der Nähe des Fröttmaninger Bahnhofs. Gerade einmal 4 Monate sind vergangen, als wir das letzte Mal das Knirschen der Kieselsteine unter unseren Schuhen hörten, der Weg war der selbe. Von Vertrautheit kann man dennoch nicht sprechen, das Auswärtsspiel in München gehört zwar zum Pflichtprogramm, hat für mich aber dennoch immer wieder einen negativen Klang \” woher das nur kommt?

Noch vor Öffnung der Tore waren wir vor Ort, auf ein ausgedehntes Mittagessen in einem der umgebenden Lokale (sofern man in Verbindung mit dem Schlauchboot üperhaupt von “Umgebung” sprechen kann) verzichteten wir trotzdem. Nette Gespräche mit unserem Fanbetreuer Christian Schmidt, so ließ sich die Zeit locker überbrücken. Ausnahmsweise heute auch mit dabei: meine Spiegelreflex-Kamera, welche laut den Bayern in den Vorschriften zur Einlasskontrolle zugelassen war, da war die Freude natürlich groß.

Viel war natürlich noch nicht los, da durfte es dann doch noch ein kleiner Imbiss am Blockeingang sein. Nicht nur VfB-Fans waren dort am Gästeblock zu finden, auch Bayernfans liefen unbehelligt mitten durch. Bemerkenswert gelassen sieht man das hier, schonmal was von Fantrennung gehört? Nach und nach fanden sich bekannte Gesichter ein, so auch der geschätzte Fotografenkollege Soke, an dem ich jahrelang vorbei lief, ohne dass wir uns (er)kannten, seit wir uns beim Drittliga-Derby dann endlich “zuordnen” konnten, treffen wir uns jedes Mal \” an der Stelle: herzliche Grüße!

Es füllte sich allmählich, die Ultras fanden sich auch ein, um ein weiteres Mal dem Block einzuheizen, wie sie es immer tun. Die Suche nach einem geeigneten Platz gestaltete sich schwierig, dennoch fand auch ich mich dann dort ein, wo ich dann verharrte. Felix war wieder dort, wo er immer beim Spiel ist: weg. Auf der anderen Seite des Gästebereichs, um verschiedene Perspektiven einzufangen.

So langsam konnts dann auch schon losgehen im Schlauchboot, wie es ja gerne genannt wird. Die Spiegelreflex im Anschlag, aber trotzdem noch singend und hüpfend, schlug die Stunde der Wahrheit, Anstoß für den Süd-Schlager der Liga. Was das wohl heut wieder wird? Man ist skeptisch, jedes Mal aufs Neue, jedes Mal zu Recht \” eine Wundertüte, und das gleich am 2. Spieltag der neuen Saison. Die Spannung war groß, die Anspannung auch.

Was wir zu sehen bekamen, war durchaus nicht schlecht \” womit wir ja ehrlich gesagt nicht wirklich rechnen konnten. Nach wenigen Minuten ein Lattenkracher von Martin Harnik, das wärs ja gewesen hier! Als der VfB erfreulicherweise schon auf Betriebstemperatur war, brauchten die Bayern wesentlich länger. Man konnte ja nicht ahnen, dass nach dem schnellen Aufwärmen auch bald das schnelle Schockfrosten folgen würde.

Mitte der ersten Halbzeit, noch kein Gegentor gefangen, was ja schonmal als Erfolg zu verbuchen ist. Freistoß auf der anderen Seite des Spielfelds, da war es wieder Martin Harnik, der Manuel Neuer im Kasten der Bayern bezwingen wollte \” es gelang ihm auf eine wunderschöne und unnachahmliche Art. Thors Hammer, wie sehr er mir doch gefehlt hat. Stimmung? Bestens. Hoffnung? Riesig. Vorfreude: zu früh.

Liebe Leser, ich bitte euch eindringlich um Nachsicht. An dieser Stelle kann und will ich mich nicht an jedes einzelne Detail erinnern. Die Freude über die Auswärtsführung währte nur ganze 7 Minuten, bis ein unvorstellbarer Prozess auf dem Spielfeld von Statten ging. Ich kann nicht erklären, was genau da passiert ist, was in den Köpfen der Jungs vorging, wie es sein kann, dass man in 19 Minuten derart vorgeführt wird.

Ich bringe es einfach nicht übers Herz. Ich kann es nicht, beim besten Willen nicht. Wo ich sonst in den sauren Apfel beiße und mir auch den Hergang von Gegentreffern genau nochmal ansehe und mich zeitgleich daran erinnere, wie sich das angefühlt hat, so fehlt es mir an Courage, dies aufzuarbeiten. Es war einfach zu viel. Zu schmerzhaft, auch noch fast 2 Wochen später, wo ich diese Zeilen niederschreibe.

Aus diesem Grund, mache ich es kurz: Müller (32. Min), Kroos (33. Min), Gustavo (43. Min), Mandzukic (47. Min), Müller (49. Min), Schweinsteiger (51. Min). Eine Statistik, die mir das Herz bricht. Ganze 6 Gegentore in nur 19 Minuten, der Spott der Nation war uns damit schonmal sicher. Letzte Saison noch gegen Dortmund am besten Saisonspiel überhaupt beteiligt gewesen, auch dieses Mal werden wir unter Garantie in jedem Saisonrückblick einen Platz erhalten, sei er auch für uns das Salz in der Wunde.

Damit lag auch der Support im Gästebereich nahezu brach. Ein paar unentwegte taten ihr Bestes, aber wer so etwas mit ansehen muss, dem ist garantiert nicht nach Unterstützung zu Mute. Das machte nicht nur mich und uns alle traurig, sondern auch meine Kamera, die nicht mehr so recht stimmungsvolle und euphorische Motive aufzuzeichnen vermochte. Unglaublicher Frust war zu spüren, so etwas haben manche von uns noch gar nicht, und viele von uns schon lange nicht mehr erlebt.

Dennoch: wo der Frust kaum größer sein könnte, so hilft es mir ein wenig, zu wissen, dass schon viel schief gehen muss, um so etwas wie dieses Spiel noch einmal zu sehen. In dieser dunklen Stunde hatte es fast schon etwas Tröstliches. Tage wie diese hast du nur einmal alle paar Jahre oder besser noch Jahrzehnte.

Kurz vor Schluss raffte sich der Gästeblock noch einmal auf. Die, die noch nicht vor Verzweiflung das Weite gesucht haben, erhoben ihre Stimme für unseren Verein noch einmal, lauter und inbrünstiger als zuvor. Wir sind die Jungs (und Mädels) aus Cannstatt \” und sind immernoch lauter, als ein Heimstadion was mein Stand von 6:1 nichtmal die Lippen auseinander bekommt. Schändlich, Bayernfans, das war absolut peinlich. Und ich rede hier nicht mal von unserem Spiel.

Als wär das alles nicht genug: als Sahnehäubchen gleich noch Vedad Ibisevic (zu Recht, leider) vom Feld gestellt nach einem unbedachten Aussetzer gegen Stinkstiefel Boateng. In so einer Situation würde natürlich nieeeeee ein Bayernspieler vom Feld gestellt. Als wäre es nötig, in der 74. Minute beim Stand von 6:1 für die Gastgeber noch einen der Gäste mit Rot vom Platz zu schicken. Doch wunderte es einen nicht. Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.

Kräftezehrend lang erschien uns die Zeit bis zum Abpfiff, Minuten wurden zu Stunden. Wer ausreichend Galgenhumor hatte, sah es positiv, dass wir 40 Minuten lang kein Gegentor kassierten, wo ohnehin schon die komplette Mannschaft zu Staub zerfallen war. Mit hängenden Köpfen signalisierten sie Präsenz, kamen zum Gästeblock gelaufen. Laute Pfiffe gab es (noch) keine, aber jede Menge ausgebreitete Arme: “Quo vadis, VfB?”. Sie schlichen schnell wieder davon. Das taten wir auch.

Schon bald waren wir wieder auf dem Weg zum Auto, setzten uns hinein und schwiegen. Schnell wurde klar: so zeitig würden wir nicht aus der Hauptstadt herauskommen. Es dauerte über eine Stunde, bis wir aus München überhaupt rauswaren, der Verkehrsfunk meldete ein brennendes Auto auf unserem Weg \” tolle Aussichten bei finsterer Stimmung. Gefühlte 1000 Baustellen taten ihr Übriges. Stunden später und eine Nervenstabilität im Minusbereich kamen wir daheim an. Absolutes Novum: diesmal war es nicht ich, die den ganzen Rückweg durchweg schimpfen und bruddeln kann.

Traumatisiert, genervt, verzweifelt. Das Wochenende war gelaufen, die Stimmung für mindestens eine ganze Woche ebenfalls. Ganze 2 Wochen hat es mich gekostet, die Motivation zu finden, das aufzuarbeiten. Vom richtigen Aufarbeiten kann keine Rede sein, das obliegt unseren Jungs, die morgen Nachmittag die Chance haben, gegen Düsseldorf die ersten Punkte zu holen. Nach 2 Spieltagen Letzter mit einem Torverhältnis von 1:7. Irgendwie habe ich mir das nichtmal bei der üblichen “Vorrunden-Qualität” so ausgemalt. Es kann nur besser werden. Denn schlimmer… gehts nimmer.

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