So ein nettes 4:0 wäre doch auch mal wieder schön gewesen, mein Tipp für die Flutlichtpartie gegen Nürnberg lautete “Klarer Sieg!”. Trotz des Remis in Hamburg war ich optimistisch (ausgerechnet ich!) und freute mich darauf, dass die Jungs wieder einmal etwas für die Tordifferenz tun würden. Als Kanonenfutter mussten die ungeliebten Franken herhalten, kriselnd und schwächelnd, jedoch mit einem neuen Trainer, der wenige Tage zuvor offiziell bekannt gegeben wurde. Macht uns der Niederländer Gertjan Verbeek doch noch einen Strich durch die Rechnung?

Nein, tat er nicht. Denn geschlagen haben wir uns am Freitagabend definitiv selbst. Die Zahl der hochprozentigen Torchancen machte einen geradezu schwindelig, im Minutentakt rollte die Angriffswelle auf den zu, der wohl einer der unbeliebtesten Spieler im VfB-Trikot gewesen war. Wie sagt man doch aber so schön: “Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu”. Das eigene Unvermögen, gepaart mit Raphael Schäfer, dem Schiedsrichter und dem Pfosten.

Was nun aus der Aufbruchsstimmung wird, bleibt abzuwarten. Ich hatte schon befürchtet, dass das erste Spiel unter einem neuen Coach nicht nur uns, sondern eben auch bei anderen Vereinen ein erfolgreiches wird. Und dennoch ließ ich mich von dem Optimismus, der mich umgab, mitreißen. Spiele wie gegen die Nürnberger, gerade in ihrem derzeitigen Zustand, müssen unbedingt und am besten hoch gewonnen werden.

Zwischen Vorfreude und Vorsicht

Dennoch war Vorsicht geboten, gegen die Franken tat man sich allzu oft sehr schwer, ob sie vor einem in der Tabelle standen oder ganz unten schon in den Abgrund geblickt hatten. Seit ich mir vor über vier Jahren die Dauerkarte angeschafft hatte, habe ich gegen Nürnberg lediglich einen einzigen, und dann auch nur denkbar knappen Sieg gesehen, zu Buche stehen außerdem zwei Unentschieden, jeweils vor vier Jahren und zu Beginn diesen Jahres, sowie eine Niederlage in der Fast-Abstiegs-Saison. Nicht gerade eine tolle Statistik.

Das erste Heimspiel seit drei Wochen, es wurde mal wieder Zeit, und mit dem Wissen, dass das nächste Heimspiel erst in fast einem Monat stattfindet, erhoffte man sich umso mehr, mit einem Erfolgserlebnis und breit grinsend das trotz aller finsteren Momente so sehr geliebte Neckarstadion zu verlassen. Es wäre so unheimlich wichtig gewesen, einen Dreier einzufahren, die vermutlich letzte Partie in der ungeschlagenen Serie von Thomas Schneider. In Dortmund wird vermutlich leider nichts zu holen sein.

Nach meinem zweiwöchigen Urlaub war ich seit Mittwoch wieder arbeiten, ohne großes Gepäck und nur mit dem Nötigsten ausgestattet, lief ich früh morgens in der Dunkelheit zum Cannstatter Bahnhof. Ich lehnte mich gegen das Geländer am Treppenaufgang und schaute am mir gegenüberliegenden Gleis 1 auf die Werbetafel mit Bildwechsel. Von einer grinste mich Alexandru Maxim an, ich grinste zurück, zumindest innerlich. Eine Waffe vor dem Herrn, ich war mir sicher, er würde wieder treffen.

Ein Bier auf den Heimsieg

Kurz nach fünf Uhr Nachmittags lief ich dann los, die Nervosität stieg schon langsam. Es fühlte sich ein wenig an wie Europapokal, zu dessen Heimspielen ich stets direkt vom Büro aus gestartet war, weil sich Heimgehen nicht mehr gelohnt hatte. Mein Kollege Marian begleitete mich noch in der S-Bahn bis zur Stadtmitte, auf meinen Vorschlag, kurzfristig doch einfach mitzukommen, ging er leider nicht ein. Wir holen das nach, dann gegen Gladbach. Felix wartete am Cannstatter Bahnhof bereits auf mich, gemeinsam entlang die heilige Strecke, diesmal über die Wasenseite.

Immer wieder kamen uns Polizeiwägen mit Martinshorn entgegen, bestimmt 20 oder gar 30 Stück im Konvoi, was war da wohl passiert? Am Stadion angekommen, fanden wir etwas vor, was wir schon sehr lange nicht mehr erblickt hatten: Leere. Wir waren früh dran, etwas zu früh. Erst einige Minuten nach uns erreichte uns der aktive Kern, der gemeinsam hergelaufen war. Die Dämmerung machte Platz für den Abend, es kühlte herunter, was Felix aber nicht daran gehindert hatte, ein letztes Mal kurze Hosen anzuziehen.

Kumpel Sebastian gab uns noch das Bier aus, was für die Kartenorganisation fürs Bremen-Spiel ausgemacht gewesen war und länger als sonst stand ich mit der Flasche Bier vor dem Stadion und unterhielt mich mit vielen Leuten. Auf leeren Magen schien mich der Gerstensaft redselig werden zu lassen. Es war Zeit, hinein in den Block, vorbei an meiner Lieblingsordnerin und die Treppen hoch. Endlich wieder “zu Hause” sein, nirgendwo ist es schöner. Ich war mir sicher, dass es ein geiler Abend werden würde, gedankenversunken lief ich die Treppenstufen hoch.

Mit Schmerzen im Stadion

Jeder Schritt schmerzte, die Achillessehne ist noch immer entzündet und durch das sogenannte “exzentrische Training” schmerzhafter als je zuvor. “Muss so sein”, meinten zumindest meine beiden Physiotherapeuten Denis und Andi. Noch ein Leberkäsweckle für den leeren Magen und ich nahm meinen Platz im Block 33B ein. Immer wieder tauchen dort neue Gesichter auf, die weder davor noch danach jemals da gewesen waren. Ein junges Mädle mit ihrem Freund, auf “Familienausflug” wie sie meinte, nette Gesellschaft unter Flutlicht.

Nur noch eine halbe Stunde, die Mannschaft machte sich warm, während ich den Service einer versandkostenfreien T-Shirt- und Schallieferung meines besten Freundes genießen durfte. Zusätzlich zu meinem eigenen Schal wurde beides für 26 Euro seitlich ans Bauchtäschle geklemmt, Felix würde sich hoffentlich freuen, er hatte mich vorgeschickt, mich darum zu kümmern. Die Batterien waren frisch aufgeladen, die Speicherkarte entleert, weitere Ersatzspeicherkarten hatte ich wie immer auch dabei.

Die Kurve füllte sich und ein weiteres Mal offenbarte sich, dass bei der Planung der neuen Cannstatter Kurve Fehler gemacht wurden und die Treppenaufgänge viel zu schmal gewesen waren, jedes Mal verstopft es da und der klägliche Versuch der zugeteilten Ordner, darauf zu achten, dass die Leute nicht auf der Treppe stehen, scheitert jedes Mal. Kurz vor Anpfiff stellt sich eine Gruppe mindestens 1,80 Meter großer Männer stets direkt vor mich. Jedes. Verdammte. Mal.

Weiß-rotes Fahnenmeer

Überall waren Fahnen und Doppelhalter verteilt worden, alles deutete auf ein prächtiges Intro zum Einlaufen der Mannschaften hin. Alles war aufgeboten, was da war, und als die Jungs kurz vor halb Neun von Schiedsrichter Guido Winkmann aufs Feld geführt wurden, erstrahlte die Cannstatter Kurve in einem weiß-roten Fahnenmeer, ein wunderbarer Anblick. Auf aneinander gereihten Doppelhaltern in der vordersten Reihe stand “Neckarstadion Stuttgart” geschrieben \” nach dem zurückgeholten Wappen die potenzielle nächste Aktion, die man ins Auge fassen könnte.

Es war angerichtet, die Vorfreude war riesengroß, endlich mal wieder ein Dreier zu Hause, das wäre doch etwas Feines, nicht nur im Hinblick auf die Partie in einer Woche, es wäre jedenfalls eine Überraschung, wenn wir in Dortmund mindestens einen Punkt mitnehmen. Auf der anderen Seite hatte Thomas Schneider auch gemeint, es wäre überraschend, in Freiburg aus dem DFB-Pokal auszuscheiden. Wir alle waren überrascht, durchaus.

Das Spiel lief, die Kurve war super drauf. Und was sahen meine Augen, Beteiligung jenseits des Zauns! Die Voraussetzungen waren perfekt, wenn man die Zuschauer sofort mitnehmen kann, ist einiges möglich. Noch Minuten später wehten die vielen Fahnen in unseren Reihen, die Stimmung war hervorragend, als die Jungs in Richtung Untertürkheimer Kurve gespielt hatten. An einen schnellen Jubel hatte ich nicht unbedingt gedacht, zwei Minuten waren rum, da brandete Jubel auf: Schiedsrichter Guido Winkmann zeigte auf den Punkt. Ähm…huch?! Nehmen wir aber gerne mit!

Vom Punkt ins Glück

Ausschlaggeber war ein Foul vom 18 Jahre jungen Nürnberger Niklas Stark an Alexandru Maxim, eigentlich eine völlig harmlose Szene, doch diese durchaus kritische Szene wurde nicht zu Unrecht mit einem erfreulichen Strafstoß geahndet. Vedad Ibisevic, der etatmäßige Elfmeterschütze, machte sich bereit. Da war doch aber neulich irgendwas… Achja, genau, der Elfmeter gegen Frankfurt, der uns in letzter Sekunde den Sieg auf dem Silbertablett servierte und der Bosnier dieses Geschenk nicht nutzte und neben das Tor semmelte.

Thomas Schneider hatte kurz darauf gesagt, dass er den nächsten Elfmeter sicher reinmachen wird, wenn er sich gut fühlt und das nötige Selbstvertrauen hat. Ich schaute kurz nach links zu den Leuten, die neben mir standen. Ein paar konnten nicht hinsehen, viele betende Hände, “Bitte, Bitte, Bitte, Vedad, mach ihn rein!”. Die Kamera hielt ich nach oben und schaute aber selbst aufs Tor. Flehentliches Hoffen, als Vedad Ibisevic anlief. Thomas Schneider sollte recht behalten.

Zeit zum Jubeln hatte ich nicht, ich freute mich eher nach innen. Momentaufnahmen der Kurve sind in solchen Situationen Gold wert. Kurz und trocken, links oben ins Eck, keine Chance für Raphael Schäfer, der ohnehin nicht als Elfmeterkiller gilt. Das fing ja schonmal super an und bestätigte mich in dem Glauben, dass der Tipp von 4:0 gar nicht mal so abwegig schien. Die Freude war groß, die Erleichterung auch. Für einen Moment waren wir Vierter in der Tabelle, wenigstens für eine einzige Nacht.

Schmeichelhafter Ausgleich

So unscheinbar, wie der jugendliche Leichtsinn eines jungen Franken uns zur Führung gereichte, so unwahrscheinlich war auch eine postwendende Aktion der Gäste. Es gab Einwurf für die Nürnberger, über wenige Stationen kam der Ball dann zum Schweizer Josip Drmic, der erst seit dieser Saison in Nürnberg spielt. Wie schon in den letzten Spielen offenbarte sich die linke Abwehrseite als unsere größte Schwachstelle, einfach zu überlaufen und zu umkurven. Plötzlich stand er alleine da vor Sven Ulreich, der nach fünfwöchiger Pause endlich wieder im Tor gestanden hat.

Die reinste Slapstick-Aktion. Zuerst tunnelte er unsere Nummer Eins und schoss ihm mit dem Außenrist durch die Beine in Richtung Tor. An guten Tagen geht der gegnerische Ball an den Pfosten und springt von dort zurück ins Spielfeld, an schlechten Tagen geht er eben an den Innenpfosten, kullert auf der Torlinie noch an den anderen Pfosten und überquert schlussendlich die gefürchtete Kreidelinie. Einfach unglaublich dämlich.

Sechs Minuten waren gespielt. Sechs! Schon in Hamburg eine Woche zuvor kassierte man nach dreifacher Führung jeweils den Ausgleich und fuhr mit nur einem einzigen Punkt nach Hause, obwohl man zwischendurch drei Mal dachte, es wären drei Punkte, mit denen man wieder in den Bus steigen würde. Geht das jetzt hier schon wieder so los? Turbulente Anfangsphase hier, es war nur kurz still in der Kurve, schnell rappelte man sich auf und schrie die Mannschaft wieder nach vorne, so wie wir es immer getan haben und immer tun werden.

Auf der Suche nach Struktur

Noch nicht einmal eine Viertelstunde war vorbei, zwei Tore waren schon gefallen, eines davon auf der falschen Seite. Zu diesem Zeitpunkt ahnten wir noch nicht, wie sehr wir am Ende mit vergebenen Chancen hadern würden. Eine davon war mit Sicherheit der tolle Pass von Vedad Ibisevic auf Martin Harnik, der gerade keine einfache Phase durchlebt. Besser kannst du einen Pass in einer Kontersituation nicht bringen, zu schnell für die Nürnberger.

Raphael Schäfer kam aus seinem Kasten heraus gestürmt, auf den Rängen standen sie auf einmal, bereitmachen zum Jubeln. Nur noch ihn überwinden, durch die Beine schießen, irgendwas, dass er es kann, hat er schon oft bewiesen. Und dennoch war der Ball nicht im Netz, das Knie des Nürnberger Torhüters war noch dran, nur zu komisch, dass er solche Dinger im VfB-Trikot nie gehalten hat. Symbolisch aber auch für das Formloch des Österreichers. Die Kurve konnte es nicht fassen, dass aussichtsreiche 2:1 vergeben.

So sehr würde ich dem frisch Vermählten wünschen, dass er wieder zu alter Stärke findet und er zusammen mit Vedad Ibisevic und Alexandru Maxim auf Torejagd geht. Und ja, davon träume ich nachts. Wenige Minuten später wälzte sich unser Mann für die ruhenden Bälle und magischen Momente am Boden, Emanuel Pogatetz hatte ihn zu Fall gebracht. Sofort war eine Spielertraube um ihn herum, viele Diskussionen mit dem Referee, die Mannschaftsärzte kamen dazu. Oh Gott, bitte nicht Alex…

Warten auf das nächste Tor

Nach einer Behandlungspause stand er wieder auf, musste raus und betrat dann wieder das Feld. Er biss auf die Zähne und fightete weiter, auch wenn er Schmerzen hatte. Ich bin so froh und stolz, dass so ein Spieler das Trikot mit dem Brustring trägt. Mittlerweile war das Spiel weitgehend vom Zufall geprägt, viele Fehlpässe, zu wenig genau. Es gab einen Einwurf für den VfB in der Nähe des gegnerischen Tors, in dessen Folge nicht nach Vorne gespielt wurde, sondern immer weiter nach hinten gepasst wurde. Ich verstand es einfach nicht.

Sofern es die großen Männer direkt vor mir ermöglichten, machte ich wie immer meine Fotos, erfreute mich trotzdem an der guten Stimmung, die hier vorherrschte. Die vielen Fahnen und Doppelhalter boten die perfekte Kulisse für einen am Ende hoffentlich fulminanten und erfolgreichen Abend. Keine müden Beine, keine Doppelbelastung, meine Ausreden \” hier nicht alles zu geben, würde unmittelbar das Unverständnis nach sich ziehen, eine Mannschaft wie Nürnberg musst du ganz klar aus dem Stadion schießen \” zumindest theoretisch.

Wieder war der VfB nach vorne unterwegs, oft lag es in der Luft, das erneute Führungstor, über mangelnde Gelegenheiten konnte sich unsere Offensive tatsächlich nicht beschweren. Ibrahima Traoré, der nicht sein allerbestes Spiel unter Thomas Schneider machte, war auf links unterwegs, eine Mischung aus Flanke und Torschuss knallte noch an den Pfosten. An guten Tagen geht der Ball rein, an schlechten Tagen eben nicht. Diese unglaubliche Ironie, es war einfach nicht zu glauben.

Alarm!

25 Minuten gespielt, die erste Ecke für den VfB. Holla die Waldfee, Alarm im Strafraum, alles stand auf. Wir wissen ja mittlerweile schon wie das läuft. Ruhender Ball, getreten von Alexandru Maxim, zack, Tor. So einfach kann Fußball manchmal sein. Auch die Ausführung war die selbe, inklusive Kopfballverlängerung, wo meist ein weiterer Stuttgarter mit dem Kopf zur Stelle ist. Nürnberg konnte nicht so recht klären, ein Fallrückzieher von Vedad Ibisevic landete in der Folge nur auf dem Tornetz. Viel hatte da nicht wirklich gefehlt.

Irre, was wäre das für ein saugeiles Tor geworden. Eine Frage der Zeit, bis die Franken einknicken und wir freie Fahrt haben für einen denkwürdigen Tag. Vor der Kurve machte sich Timo Werner schon warm, natürlich begrüßt mit einem warmen Applaus. So jung er noch ist, aber er hat schon so einiges drauf. Man stelle sich nur vor, was hier los ist, wenn der 17-Jährige hier das entscheidende Tor schießen würde? Noch verschwendete ich keinen Gedanken daran, was passieren würde, wenn uns das zweite Tor nicht gelingen würde. Es war schlichtweg keine Option.

Eine meiner Voraussagen erfüllte sich dann schon in der ersten Halbzeit, “Maxim trifft heut wieder!” – nur stand er dabei im Abseits. Unsere Offensive weiß durchaus zu gefallen, weit mehr Sorgen machte uns die Abwehr, die immer wieder von den Nürnbergern überlaufen wurde. Für den rotgesperrten Antonio Rüdiger und den angeschlagenen Gotoku Sakai bekam Karim Haggui seine Chance und Georg Niedermeier kehrte zurück, sein erstes Bundesligaspiel, er zog sich ja noch vor der Saison gegen Botev Plovdiv einen Innenbandriss zu.

Es war zum Verzweifeln

Schon jetzt war es zum Verzweifeln, die nächste Großchance. Ein toller Pass von Martin Harnik, jedoch nicht 100% genau auf Vedad Ibisevic gegeben, der Bosier kam einen Schritt zu spät. Nach einem Zweikampf in der Luft ging auch Daniel Schwaab zu Boden, in der Nachbetrachtung via vfbtv schüttelte es mich sogleich: beim Aufkommen umgeknickt mit dem linken Fuß, mit dem selben, an dem mich derzeit selbst eine “chronische Achillodynie” plagt. Konstantin Rausch kam zum Warmmachen, falls es doch nicht weitergehen sollte.

Die lustigste Szene des Spiels durften wir ein paar Minuten vor der Pause erleben, als Niklas Stark, der mit seinem Foul den Strafstoß zur VfB-Führung verursachte, unbeabsichtigt Guido Winkmann umgehauen hatte. “Steh auf, du Sau!” skandierte die Kurve, mit einigen Pfiffen des Unparteiischen war man ja nicht unbedingt einverstanden. Ob es eine Retourkutsche für den Elfmeter war, bleibt das Geheimnis des jungen Nürnbergers.

Besonders viel Offensive kam hingegen bei den Gästen nicht wirklich zusammen, doch wenn sie da waren, war es meist nicht ungefährlich. Umso besser zu wissen, dass Ulle wieder da ist, auch wenn ihn Thorsten Kirschbaum mehr als ordentlich vertreten hat, es ist beruhigend, eine tolle Nummer Zwei zu haben und man sich keine Sorgen machen muss, sollte Sven Ulreich mal verletzt oder gesperrt sein. Der VfB und seine selbst erzogenen Torhüter, eine Erfolgsgeschichte.

Chancen über Chancen

Kurz vor der Pause, noch einmal Freistoß. Wieder erhob sich alles von seinen Plätzen, das wärs doch jetzt, der perfekte Zeitpunkt für einen erneuten Nürnberger Nackenschlag. Ewig lang war die Hereingabe des Rumänen unterwegs, sie fand den Kopf von Martin Harnik, der eigentlich nur noch hochsteigen und hineinköpfen musste. Er stieg hoch, er köpfte, aber nicht in, sondern neben das Tor. Unfassbare Szenen bei dieser Partie, die nächste Gelegenheit, die man schon fast im Tor gesehen hatte. Danach war Schluss mit Halbzeit Eins.

Noch kein Grund zur Sorge, wenn sie so weitermachen und die Franken müde laufen, wird es schon noch was mit dem lang ersehnten Heimsieg. Seit Hoffenheim warten wir darauf, es wird höchste Zeit, dass wir mal wieder vor heimischer Kulisse mit unserer Mannschaft feiern, deren neue Lebensgeister von unserem 40-Jährigen neuen Trainer geweckt wurden. Es kann ja nur besser werden. Oder?

Der zweite Durchgang ging so weiter, wie der erste aufgehört hatte. Chancen über Chancen! Nach einem Eckball von Alexandru Maxim fand auch der Kopfball von Christian Gentner nicht den Weg ins Tor, hier drehst du ja durch, wenn du das siehst! Die Stimmung war bestens, auch wenn die Beteiligung der ersten Minuten in unserem Block nach dem Ausgleich der Nürnberger spürbar abgenommen hatte.

Rüde Fouls ohne Bestrafung

Einer stand auf dem Platz, der Raphael Schäfer anscheinend unbedingt den Posten als unbeliebteste Person streitig machen wollte, Tobsuchtsanfälle der Cannstatter Kurve waren vorprogrammiert als Timothy Chandler unseren Arthur Boka nach einem tollen Hackentrick rüde zu Fall brachte. Es gab kein Gelb, keinen Freistoß, keine Reaktion von Guido Winkmann, dafür viel Reaktion aus der Kurve und von den Rängen.

Kurz darauf lag er schon wieder, wieder war es Timothy Chandler, wieder kein Gelb, wieder kein Freistoß. “Unglaublich” wurde das von mir am meisten genutzte Wort an diesem Abend. Kurz darauf das zweite Deja-vu, wieder ein Foul an \” ihr erratet es schon \” Arthur Boka. Diesmal gab es den Freistoß, es muss doch endlich mal klappen mit der erneuten Führung. Diesmal war es Vedad Ibisevic, der neben das Tor köpfte. Wieviele Chancen brauchte der VfB denn noch?

Über eine Stunde war gespielt, auf der Anzeigetafel standen mindestens zwei oder drei Tore auf unserer Seite zu wenig. Für Ibrahima Traoré kam der junge Timo Werner, ein einziger Geistesblitz würde reichen, um die Glubberer zu erlegen. Kaum stand der Junge auf dem Feld, erreichte ihn ein Pass von Alexandru Maxim, gedeckt von einem Gegenspieler, Raphael Schäfer verschätzte sich und beinahe wäre uns ein wunderbares Tor gelungen, wenn wir den Ball noch vor der Seitenlinie erwischt hätte. Schade!

Die Angst vor dem Knock-Out

Die Nürnberger schienen bisweilen recht zufrieden mit dem Unentschieden, das siebte in dieser Saison, anders als unsere Jungs, die wollten den Siegtreffer ja auch erzielen, und hatten immerhin genug Chancen dazu. Glück hatten wir, als knapp 20 Minuten vor Schluss Sven Ulreich zur Stelle war mit einer Doppelparade, sonst hätte es 1:2 gestanden. Wenn der VfB schon nicht in Führung gehen konnte, wie hätte er in diesem Falle dann auf den Rückstand reagieren können? Es war ja nichts passiert, aber mein Blick wurde sorgenvoller und die Uhr tickte.

Nur noch zehn Minuten, den Jungs auf dem Feld schien es mit jeder verstrichenen Minute mehr und mehr an zündenden Ideen zu mangeln. Es war oft einfach kein Durchkommen bei den Gästen, überall war ein Bein oder ein Kopf dazwischen. Für Belustigung sorgte dennoch trotz aller Brisanz der Jubel der gegnerischen Fans, als ein Schussversuch aus der Drehung heraus am Außennetz landete. Nein, diesmal war der Ball nicht drin.

Sie war da, die Angst. Davor, dass es den Glubberern doch noch gelingt, das überraschende Tor zu machen und wir das Spiel doch noch verlieren würden. Davor, dass wir wieder Unentschieden spielen würden, was uns nicht so recht in der Tabelle nach oben klettern lässt. Und davor, dass aus dem Aufbruch ein Einbruch wird. Nur noch sieben Tage bis Dortmund.

Alles nach vorne

Fünf Minuten vor Schluss kam Sercan Sararer für den glücklosen Martin Harnik, dessen offensive Fähigkeiten derzeit nicht das Gelbe vom Ei sind, der sich aber oft in der Defensive mit einschaltet und den einen oder anderen wichtigen Zweikampf gewinnt und die Fehler seiner Mitspieler ausbügelt. Ängstlich schaute ich immer wieder auf die Anzeigetafel, nur noch wenige Minuten waren Zeit, um uns ins große Glück zu stürzen.

Kommt schon Jungs, alles nach vorne was noch einigermaßen gerade aus laufen kann, das muss doch mal irgendwie klappen können. So unglaublich viele Chancen, es hätte 5:1 stehen müssen. Es gab Einwurf für den VfB, Alexandru Maxim ging zu Boden, ein Krampf in der linken Wade, Daniel Schwaab musste ihm zu Hilfe eilen. Die Nachspielzeit von drei Minuten wurde schon angezeigt. Thomas Schneider hatte drei Mal gewechselt, er konnte nicht mehr rausgehen, alles schmerzte.

Ein letzter Freistoß, soviel Kraft musste er noch haben. Wieder gut hereingegeben, Gewusel im Strafraum, wieder war die Situation vorbei. Sie gaben aber nicht auf, das musste man ihnen wirklich hoch anrechnen. In der Ära von Bruno Labbadia spielten sie bei Rückstand teilweise so behäbig, als würden sie 3:0 führen. Diese Flausen hatte ihnen Thomas Schneider recht schnell ausgetrieben, die tief sitzenden Probleme werden noch ihre Zeit brauchen.

Mit letzter Kraft

Die Nachspielzeit war schon fast vorbei. Och bitte, doch nicht wieder so ein dummes Unentschieden, was keinem so richtig weiterhilft? Es ist die Sehnsucht nach einem VfB-Siegtor in der Nachspielzeit. Was in den letzten Sekunden geschah, kann ich bis heute kaum glauben. Timo Werner hatte den Ball erkämpft, über Sercan Sararer kam der Ball zu William Kvist der mit einer hohen Flanke den völlig ausgepumpten und auf dem Zahnfleisch kriechenden Rumänen erreichte. Es war das 2:1 in der Nachspielzeit, das er auf dem Fuße hatte.

Er war am Ende und ging noch darüber hinaus, mit allerletzter Energie streckte er den Fuß aus, wollte in die Mitte zurückpassen, wo Vedad Ibisevic und Timo Werner bereits lauerten. Oder wollte er selbst schießen, durch die Beine des herauseilenden Raphael Schäfer? Ich weiß es nicht, ich sah es nicht, die Sicht verdeckt von hunderten aufgesprungenen Zuschauern. Als alle ihre Hände über den Kopf zusammenschlugen, war es mir klar: wieder kein Tor.

Emanuel Pogatetz war noch dran, bevor der Ball den Weg ins Tor oder zur Fußspitze der Mitspieler gelangen konnte. In der Folge rannte man ein letztes Mal in einen Konter, ohne Konsequenzen für das trotz allem unbefriedigende Ergebnis. Danach war Feierabend vor erneut nur 48.460 Zuschauern, die Pfiffe von der Haupttribüne ließen nicht lange auf sich warten und schlugen den Jungs entgegen, die so viel investiert hatten, sich aber nicht selbst belohnen konnten.

Wieder zwei Punkte verschenkt

Unglaublich. Einfach nur unglaublich, wieviele Chancen der VfB hatte, hier haushoch gewinnen zu können, mit einer ordentlichen Chancenverwertung hätte ich gut hinkommen können mit meinem anfänglichen Tipp von 4:0. Fühlte sich das Ergebnis in Hamburg schon nicht gerade toll an, so war dies noch schlimmer. Tausend Chancen, nur ein Tor. Nürnberg kann damit leben. Wir nicht. Ob 1:1 oder 0:3, mein Gesicht war so lang und die Laune so schlecht, dass es Unbeteiligte noch nicht einmal selbst hätten erahnen können.

Unheimlich bitter, denn die Punkte, die man liegen lässt, rächen sich am Ende der Saison. Vier Unentschieden, bei allen wäre mehr drin gewesen, bei allen kassierte man auf unheimlich dumme Art und Weise den Ausgleich. Wir hätten Vierter sein können, dass uns die Höhenluft nicht gut getan hätte, kann spätestens seit dem mageren 1:1 gegen Bremen kein Argument mehr sein. Einer auf dem Feld war völlig untröstlich: Alexandru Maxim.

Auf dem Hosenboden sitzend, weder Fritzle noch seine Mitspieler, noch sein Kumpel Moritz Leitner konnten ihn trösten. Das 2:1 auf dem Fuß gehabt und so knapp gescheitert. Offenbar machte er sich große Vorwürfe, seine Mimik und Gestik sprachen Bände. Langsam trabten sie in die Cannstatter Kurve, aufbauender Applaus, keine Pfiffe. Sie hatten alles gegeben, aber am Ende nicht glücklich genug.

Leerer Blick und gedämpfte Stimmung

Es ist einer dieser gebrauchten Tage, wo du so viel investieren kannst wie du willst und am Ende nicht verstehen kannst, warum es nicht gereicht hat. Immer wieder schlug der Rumäne die Hände über den Kopf zusammen, als wollte er sagen “Warum habe ich die Kiste nicht gemacht?”. Es war nicht seine Schuld, dass dieser eine Punkt mehr Frust bereitet als Freude über die Ungeschlagen-Serie von Thomas Schneider. Eine Kette des unglücklichen Scheiterns konnte einfach nicht durchbrochen werden.

Lange blieb ich im Block, frustriert und mit leerem Blick, als wäre das Spiel haushoch verloren worden. Felix kam später dazu, nur mit Mühe konnte er mich wieder aufrichten. Wir gingen zu Gerd und Ingrid, unseren Freunden und Stamm-Auswärtsfahrern, gemeinsam liefen wir bis zum Kreisverkehr am Cannstatter Carré, wo wir uns von der Masse trennen und zumindest ich dann direkt nach Hause lauf, während die meisten noch ein Bier trinken gehen oder die S-Bahn nach Hause nehmen.

Es waren einige Minuten, die wir zu Fuß gebraucht hatten, aus mir sprudelte die Verbitterung geradezu heraus. Erst jetzt, wo ich das Spiel komplett nochmal genau angesehen habe, kommte ich mir geradezu dumm vor. Sprach gestern Nacht noch der pure Frust über das augenscheinliche Unvermögen einer Rumpftruppe aus mir, trauere ich heute zum Sonntagmittag lediglich einer fahrlässigen Chancenverwertung hinterher.

Aufbruch oder Einbruch?

Der Offensivdrang passt, die Ausführung muss noch geübt werden. Am Besten gleich in Dortmund \” doch wird vermutlich das Toreschießen bei Weitem nicht so bereitwillig möglich gemacht wie an diesem Abend. Es wird schwer werden, und dass ich das Gefühl habe, dass Thomas Schneider gegen Nürnberg das letzte Mal ungeschlagen war, ist nun weiß Gott nicht das Ergebnis meines sturen Pessimismus.

Ein wenig graut es mich ja davor, aber bin ich nicht bereit, darauf zu verzichten. Als ich einst dachte, ich verpasse nichts Spektakuläres, schaute ich das unglaublichste Spiel der Saison 2012/2013 auf der Couch, was mich mindestens genauso ärgert wie das erste verpasste Tor vor der Cannstatter Kurve. Es braucht ein kleines Wunder, doch gebe ich nicht alle meine Hoffnung auf, sei sie auch ein zartes Pflänzchen.

Wohin geht die Reise des VfB? Hier einen Sieg zu holen und für eine Nacht auf dem vierten Platz zu stehen, hätte die Aufbruchsstimmung weiter entfacht, bestenfalls ohne gleich abzuheben. Das Potenzial ist auf alle Fälle da, und im Gegensatz zu Bruno Labbadia sieht das Thomas Schneider auch. Wir wollen wieder nach Europa, doch da werden wir kaum hinkommen können, wenn wir uns unterwegs ein ausgedehntes Päuschen nehmen. Aufwachen VfB, und weiter, weiter, immer weiter! Wir begleiten euch dabei.

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