Perfektes Wetter, der erste kleine Sonnenbrand im Gesicht, unterwegs in T-Shirt und kurzen Hosen. Borussia Dortmund war zu Gast, das Stadion so gut wie ausverkauft. Es hätte ein richtig schöner Tag werden können. Wenn da nicht die äußerst präkere Situation in der Bundesligatabelle wäre. Wie egal einem das Ergebnis hätte sein können, würde es bei uns um nichts mehr gehen. Wir wären vielleicht Zehnter oder Elfter, ohne jegliche Relevanz nach oben oder nach unten.

So wäre es wohl gewesen, wenn man sich nicht selbst so oft um den Lohn gebracht hätte. Am Ende standen wir wieder da mit leeren Händen. Nach der blutleeren Vorstellung vor einigen Tagen in Nürnberg führte der VfB gegen den Tabellendritten auf einmal mit 2:0. Und verlor dennoch. Worte dafür zu finden, gestaltet sich auch am Tag danach sehr schwer. Alleine die Tatsache, dass selbst der größte Kampf ein weiteres Mal nicht das Geringste gebracht hat, wiegt schwer in dieser harten Zeit.

Während die meisten jetzt draußen sind und das tolle Wetter bei gut 20 Grad genießen, mit Biergarten, Eiscafé oder einem Spaziergang, sitze ich daheim, schreibe, und frage mich ein weiteres Mal, was uns vorm Abstieg noch retten kann. Statistisch und logisch gesehen nur eines: Siege. Auf die anderen sollten wir nicht schauen, wenn wir unsere eigenen Spiele nicht gewinnen, ist der Ofen sowieso bald aus. Doch der Blick aufs Restprogramm verstört nicht nur mich.

Wenn das Wörtchen \”Wenn\” nicht wäre

Am Ende sind es wir Fans, die die Zeche zahlen. Wer über Monate teilweise so lustlos kickt, als sei der Gang in die 2. Liga bereits beschlossene Sache, wer in den letzten zehn Minuten ständig Gegentore kassiert und vor allem wer es nur in bisher zwei Spielen fertig gebracht hat, wirklichen Einsatz und Willen zu zeigen, da stelle man sich nur die Frage, ob so eine Mannschaft es wert ist, gegen große Gegner zu spielen.

Wir Fans geben immer alles, unterstützen den Verein bei jedem Spiel. Gedankt wirds uns nicht. Wenn es für uns runter geht, werden wir den Verein nicht wechseln wie die Spieler, denen der VfB dann nicht mehr gut genug ist. So bleiben wir zurück, fahren nach Aalen, Sandhausen und Aue, wem es wirklich ernst ist, wird auch in der 2. Liga dabei sein. Doch wer hätte vor einigen Monaten tatsächlich gedacht, wie düster und nahezu ausweglos die Situation für den Verein noch werden würde.

Es waren Minuten des wahren Glücks, die wir erleben durften. Ich hatte mit so ziemlich allem gerechnet \” nur nicht, dass der VfB sich so sehr reinhängen würde und nach nicht einmal 20 Minuten mit zwei Toren führen würde. Das Stadion war ein Tollhaus, von den vielen Schwarz-Gelben mal abgesehen. Wenn ein Spiel doch nur eine halbe Stunde dauern würde, man hätte weit weniger Probleme.

Der Fußballgott ist grausam

Es ist schon spät am Nachmittag, der Spielbericht noch lange nicht so weit, wie er eigentlich sein müsste. Ich lehne mich aus dem Fenster und sage: zu einem Besuch im Eiscafé kommt es heute vermutlich bei mir nicht mehr. Ein Schicksal, das ich mir selbst ausgesucht habe. Einfach mal gar nichts schreiben. Den Mantel des Schweigens darüberlegen, wie man so schön sagt. Den Schmerz verdrängen und das genießen, was im Leben Spaß macht (wenn es schon derzeit nicht der VfB ist). Doch ich kann nicht anders.

Während die Sonne über Stuttgart ihre Kreise zieht, gehe ich nun in Gedanken zurück zum gestrigen Tag, von dem ich eigentlich nichts anderes als einer deutlichen Niederlage erwartet hatte. Hoffentlich wirds nicht so schlimm, hatte ich in den Tagen zuvor noch gehofft. Wie einst gegen die Bayern, als ich lediglich dankbar gewesen wäre, wenn es nicht zweistellig ausgeht. Am Ende kam alles anders.

Es scheint ein bitteres Schicksal für den VfB zu sein, gerade denn, wenn die Gefahr einer Klatsche am höchsten ist, der Fußballgott nicht grausamer hätte sein können. Führen und Verlieren. In den letzten Minuten. Gegen die Bayern mit einem Traumtor, von denen bei 100 Versuchen 99 auf der Tribüne landen, und nun mit einem abgefälschten \”Kacktor des Monats\”. Fußball könnte so wunderschön sein, aufregend, leidenschaftlich. Oder auch so. Frustrierend, enttäuschend, deprimierend.

Kurzes Treffen mit Freunden

Das Ritual war das selbe. Früh aufstehen, noch ein bisschen Haushalt machen, ein gutes Mittagessen genießen und gegen halb zwei zum Neckarstadion aufbrechen. Die große Kamera war dabei, ebenso wie Speicherkarten, Getränke, Kaugummi und allem, was man sonst so braucht. Der Schal wurde in die Tasche gestopft, bei sommerlichen Temperaturen wird man ihn ohnehin nur zum Zelebrieren von Eckbällen benötigen.

Erwartungsgemäß viele Borussen sichteten wir auf dem 20-minütigen Fußweg zwischen Cannstatter Carré und dem Stadion, welches zuletzt vor vier Jahren Schauplatz für einen sensationellen 4:1-Heimsieg gegen die Dortmunder war. Lang ist es her, die Erinnerung daran, gemischt mit dem aktuellen Blick auf die Tabelle stimmt mich nur umso trauriger. Einst waren (zumindest gelegentliche) Siege die Normalität, heute sind sie Seltenheit.

Sehr früh passierten Felix und ich die Eingangskontrollen, trafen uns an der Treppe noch mit unseren Freunden Andi und Ramona, weitere Leute kamen hinzu. Links und rechts an uns vorbei lief schließlich noch der aktive Kern der Kurve, beladen mit unzähligen Fahnen, Doppelhaltern, Trommeln und Megaphonen. Die Stimmung war gut, fast so, als würde man für einen Tag vergessen, wie düster die Lage in der Liga ist. Hier gibts vermutlich nichts zu holen.

Kampf bis zum Schluss, für 90 plus

Noch gut eine dreiviertel Stunde bis zum Anpfiff. Hinein in den Block, natürlich nicht ohne das obligatorische Cannstatter Blättle. Schnell war klar, wieviele Borussen hier sein würden. Der Gästeblock war schon jetzt so gut wie voll, in den Blöcken direkt daneben auf der Gegentribüne und der Untertürkheimer Kurve, auf dem Oberrang, alles voll mit Schwarz-Gelben. Auch auf der Haupttribüne waren sie zahlreich vertreten.

Ein weiteres Mal lief ich die Treppenstufen hinunter. Es war sehr warm, meine Jacke legte ich auf einen Wellenbrecher und knotete sie mit den Ärmeln fest. Je wärmer es in diesen Wochen wird, desto bitterer wird die Gewissheit: uns rennt die Zeit davon. Schon bald ist diese Alptraum-Saison vorbei, es ist noch nicht absehbar, wohin die Reise geht. Dazu ist unten im Tabellenkeller alles noch zu dicht beieinander.

Auch heute würde die Mannschaft so unterstützt werden, wie sie es von uns gewohnt ist, farbenfroh und lautstark begrüßten wir sie, als sie zum Aufwärmen aufs Feld kamen. Vor der Kurve prangten wie Worte \”Kampf bis zum Schluss\”. Auch am Oberrang hing ein Banner von den Hessen Supporters: \”Aufgegeben wird in Stuttgart nur die Post\” – Aufgeben wollen die meisten nicht, selbst dann, wenn sie eine desolate Darbietung wie unter der Woche im Frankenland zu Gesicht bekommen hatten.

Willkommen zurück, Dida!

Vor einigen Jahren noch kein nicht unwahrscheinliches Szenario: dann müssen halt die Dortmunder dran glauben, Heimsieg für den VfB. Wie schön es doch wäre. Die Realität sieht anders aus. Die Fast-Abstiegs-Saison 2010/2011 begann mit einer 1:3-Niederlage in der Ersatzkurve auf der Untertürkheimer Seite und der VfB war damit auf den letzten Tabellenplatz abgerutscht. Nur waren es da noch 32 Spieltage, die noch zu absolvieren waren. Sehr viel besser stellten sie sich dabei jedoch meist nicht an.

Die Aufregung stieg, als die Minuten auf der Anzeigetafel herunterliefen, bis zu dem Moment, in dem die Mannschaften endlich das Feld betraten. Lasst es schnell hinter uns bringen. Meine Hoffnungen auf einen Punktgewinn waren selbstredend gering, zu stark sind die Mannschaften im oberen Teil der Tabelle. Schiedsrichter Michael Weiner und seine beiden Assistenten liefen vorne weg, gefolgt von den Spielern, die die Partie eröffnen würden.

Samstag, 15:30 Uhr. Wie schön es doch wäre, wenn die Tabellensituation anders aussehen würde. Auf dem Feld stand einer, den wir schon lange nicht mehr gesehen haben: Daniel Didavi. Eine ewig währende Verletzungsspause, willkommen zurück, Dida! Wollen wir mal hoffen, dass der BVB schon mit den Köpfen beim Spiel gegen Real Madrid ist. Ein Blick in die Statistik gefällig? Die letzten vier Bundesligaspiele unmittelbar vor Champions League Spielen verlor der BVB. Ein Hoffnungsschimmer?

Flotter Auftakt in die gefürchtete Partie

Wie eine Wand standen wir hinter der Mannschaft, kein Unterschied, ob Abstiegskampf oder Champions League. Lautstark sangen wir für sie, als ich in den ersten fünf Minuten feststellen musste: sie stellen sich gar nicht so doof an. Dass die Borussia keinen wirklich Zugriff zum Spiel fand, konnte uns natürlich nur recht sein. Bloß kein allzu frühes Gegentor, das wäre der schnelle Tod in diesem Spiel.

Sie waren bissig. Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet, wenngleich ich es natürlich \” wie wir alle \” gehofft hatte. Zeigt uns, dass ihr bereit seid, zu kämpfen \” und wir unterstützen euch bedingungslos! Was wir da sahen, hatte tatsächlich überhaupt nichts mehr mit dem zu tun, was beim Auswärtsspiel in Nürnberg gezeigt wurde. Bedauerlich, dass es nur gegen die Großen zu gehen scheint. Daraus wächst andererseits neue Hoffnung: wir haben noch einige Große im Restprogramm.

So schnell konnte ich gar nicht schauen. Wohlwollend stellte ich gerade noch die \”gar nicht so üble\” Anfangsphase des Spiels fest, da bäumten sich vor mir die Fans auf, die Sicht aufs Tor wurde versperrt. Es war das Tor von Roman Weidenfeller. Was ist los? Hilfe, ich seh nichts! Aaaaah! Sekunden der Anspannung. Alle waren aufgeregt und starrten auf den Strafraum, der Geräuschpegel zog immer mehr an, bis schließlich alles um mich herum laut schrie.

Der VfB führt? Was ist denn hier los?

Da ist es tatsächlich passiert. Christian Gentner erzielte nach einem kapitalen Bock von Oliver Kirch das 1:0. Ist das wirklich möglich? Oder träume ich? Ich hatte mit so vielen Dingen gerechnet, das hier war das Allerletzte, was ich auf meiner Liste der denkbaren Möglichkeiten stand. Völlig egal wie, völlig egal wer, ein unheimlich wichtiges Tor. Meinen Augen konnte ich kaum glauben, als ich meinen Blick auf die Anzeigetafel richtete.

Dennoch war Vorsicht geboten: Karim Haggui erzielte im Hinspiel nach 13 Minuten die Führung für den VfB \” kassierte dann allerdings noch sechs Tore. Einst sang der Gästeblock: \”Always look on the bride side of life\” – während ich anmahnte, dass der VfB nun schauen sollte, nicht unten rein zu geraten, wurde ich teilweise ausgelacht. Die Gesänge sind verstummt. Als ob ich es geahnt hätte.

Der Freude im Augenblick tat das jedoch fürs Erste keinen Abbruch. Genießen wir es, solange es dauert, bestenfalls bis zum Schluss, schlimmstenfalls wird der BVB das tun, was ich vor dem Spiel befürchtet hatte: uns abschießen und die Führung, die so frenetisch bejubelt wurde, rückwirkend zur Farce machen. Weitermachen, immer weiter und weiter und weiter.

Im siebten Himmel

Warum nicht immer so? Warum nicht in Nürnberg? Oder in all den anderen Spielen, die uns so kostbare Punkte gekostet hatten. Sie waren mutig und leidenschaftlich, das war deutlich zu sehen, wenn auch die spielerische Qualität im direkten Vergleich dann doch etwas hinkt. Freute man sich zwar über die Führung, über all die Fehlpässe und Ballverluste konnte es dennoch nicht hinweg täuschen.

Niemand erwartet, dass sie auf einmal das können, was in den letzten Monaten nicht geklappt hat, aber sie sollen sich reinhängen, das ist alles, was wir Fans sehen wollen. Fast 20 Minuten waren durch, die Kurve hüpfte und sang, noch immer im Freudentaumel der Führung. Ibrahima Traoré bekam im Mittelfeld den Ball vom Torschützen zugespielt und lief los. Wir wissen, wie schnell er sein kann, wenn er denn will. Und er wollte. Und wie.

Er rannte immer weiter, schüttelte die Dortmunder Abwehr ab und flankte schließlich nach innen. Martin Harnik war mitgelaufen, er brauchte nur noch den Fuß hinhalten. An schlechten Tagen geht der Ball daneben oder gar übers Tor. Heute schien es ein guter Tag für den VfB zu werden. 2:0 \” ja gibts denn das? Bierduschen, Umarmungen, Pogo, alle wild durcheinander, so tanzten wir im siebten Himmel.

Kneift mich mal bitte jemand?

Einfach nicht zu glauben, das hier ist ja wirklich unfassbar. Träume ich das nur oder passiert das in Wirklichkeit? Kann mich mal bitte jemand kneifen? Schiri, abpfeifen, sofort! Es hätte ein perfekter Tag werden können. Doch diese Rechnung haben wir leider ohne die Dortmunder gemacht. Zehn weitere Minuten lang genoss ich die Aussicht auf die Anzeigetafel, sah einen bärenstark kämpfenden VfB und erfreute ich mich am brachial lautem Support der Cannstatter Kurve.

An Tagen wie diesen wünsch ich mir Unendlichkeit. Und an manchen Tagen eher nicht. So stark die erste halbe Stunde auch war, es war dennoch nur eine Frage der Zeit, bis die Dortmunder aufwachen und entscheiden, am Spielgeschehen teilzunehmen. Wir wissen alle, das dort fast jeder Spieler in der Lage ist, jederzeit ein Spiel zu entscheiden.

Sie wurden stärker, der Anschluss kündigte sich an, auch wenn wir das nicht wirklich wahr haben wollten. Noch hielten Sven Ulreich und seine Vorderleute alles vom Kasten ab, was sich im gelben Trikot näherte. Doch noch einmal der VfB, wieder Ibrahima Traoré, der ein bockstarkes Spiel machte bis hierher, wieder rübergelegt auf Martin Harnik \” es hätte das 3:0 sein können und die Borussia wäre vielleicht klinisch tot gewesen. Wir werden es nie erfahren.

Anschluss nach 30 Minuten

\”Unsre Liebe VfB\”, die Kurve hüpfte im Takt. Und musste dennoch erstarren, als Marco Reus den Anschluss machte. Durch die Abwehr durchgesteckt, keine Chance, auch nicht für Sven Ulreich. Wie bitter! Der Blick auf all die schwarz-gelben Fans auf der Tribüne tat weh. Kurz darauf hätte Henrikh Mkhitaryan den Ausgleich gemacht. Oh mann! Jetzt bloß nicht aufgeben! Jetzt müsst ihr beweisen, dass ihr auch so etwas wegstecken könnt!

Sie fighteten, bissen und rannten sich die Seele aus dem Leib. So und nicht anders! Seit Wochen und Monaten warten wir auf diese Reaktion. So schnell wiederholen sie das nicht, da war ich mir nach dem bitterböse verlorenen Spiel gegen die Bayern sicher \” und sollte auch hier leider Recht behalten haben. Ohne weiteren Schaden ging es in die Pause, Kräfte sammeln und einschwören auf eine zweite Halbzeit, die der BVB mit Sicherheit aggressiver sein würde, Real Madrid hin oder her.

Hastig zog ich mit dem Pfiff meine Capri Sonne aus der Kameratasche. Gar nicht so einfach, alles im Griff zu haben, das Wechseln der Objektive ging während der ersten Halbzeit bei weitem nicht so flüssig von der Hand wie sonst auch immer \” der Sturz in Nürnberg hatte mir einen schweren Schock versetzt, ein Glück, dass außer einer äußerlichen Schramme nichts weiter passiert war. Kurz durchschnaufen und realisieren, dass es der VfB hier durchaus in der Hand hatte, ein Spiel für sich zu entscheiden, dazu aber gehörig auf der Hut sein muss.

Gedankenspiele um die Relegation

Ich plauderte mit meinen Blocknachbarn, mit bangem Blick entgegnete mir einer der Herren mit Dauerkarte, die immer da sind, er habe 2:1 als Endergebnis getippt. Auch Felix hatte das getippt und lehnte sich damit wissentlich und ganz bewusst weit aus dem Fenster. Wer hätte gedacht, dass wir zur Halbzeit in Führung sein würden? Das alles bringt am Ende jedoch nichts, wenn wir es nicht schaffen, unsere Nerven im Zaum zu halten und dumme Fehler zu vermeiden.

Doch es ist ja der VfB. Seit wann bleiben wir von den üblen Dingen des Fußballs verschont. Mit uns kann man es ja machen. Als hätten wir nicht schon genug Mist mit ansehen und mit erleben dürfen. Es bleibt nur zu hoffen, dass es am Ende irgendwie trotzdem reicht. Auch der Relegationsplatz ist keinesfalls ein rettendes Ufer, erst recht nicht, wenn uns dort schlimmstenfalls der ungeliebte Rivale aus dem Badnerland droht.

Nicht auszudenken, was passiert, wenn wir gegen den KSC verlieren und absteigen. Aber natürlich fasst man diesen Gedanken und beschäftigt sich mit diesem durchaus möglichen Szenario. Ob es dann nicht besser ist, direkt abzusteigen, als dass sich zwei Städte ihrem Hass ergeben? In den nächsten zwei, drei Wochen wird sich zeigen, ob wir es noch selbst in der Hand haben. Dieses Spiel hier hatten wir in der Hand. Noch… denn wie befürchtet kamen die Borussen wieder erstarkt aus der Kabine.

Alles, was Recht ist

Kommt schon, Jungs, alles geben! Wer mit 2:0 führt darf sich nicht einfach aufgeben bei der ersten Gegenwehr. Sie brauchten uns, damit sie nicht einknicken. Volle Power aus der Kurve, wenn die Beteiligung in den angrenzenden Blöcken auch etwas besser hätte sein können. Wirklich viel war unterdessen nicht von den Dortmundern nicht zu hören, was wohl eher daran gelegen haben mag, dass viele Ultras daheim geblieben waren. \”Kein Zwanni für nen Steher\” – die Aktion in allen Ehren, aber 19,50 Euro sind auch noch kein Zwanni.

Ich war mit Fotos machen beschäftigt, als ein Raunen durch die Reihen ging. Das war verdammt knapp. Robert Lewandowski knallte den Ball an den Pfosten, das wäre der sichere und unhaltbare Ausgleich gewesen. Jetzt schnell kontern und clever sein, doch konnte Vedad Ibisevic, der seit seiner Rückkehr ein Schatten seiner selbst ist, es nicht in ein Tor ummünzen. Dass der Dortmunder Oliver Kirch kurz danach nicht mit Gelb-Rot vom Platz flog, wird ebenso sein Geheimnis bleiben.

Eine Stunde war gespielt. Noch führte der VfB. Für Daniel Didavi war das Spiel zu Ende, für ihn kam Alexandru Maxim. Stehende Ovationen für den Mittelfeldspieler, der so lange verletzt war und sein können nun hoffentlich regelmäßig unter Beweis stellen kann. Alles, was Recht ist im Abstiegskampf \” da verzichte ich auch mal auf den einen oder anderen Lieblingsspieler, wenn am Ende trotzdem die Punkte eingefahren werden.

Geballte Dortmunder Offensive

Auch Dortmund wechselte, sogar doppelt. Nuri Sahin und Pierre-Emerick Aubameyang kamen für Henrikh Mkhitaryan und den gelbbelasteten Oliver Kirch. Wenn wir diese Offensivkraft überleben und mit mindestens einem Punkt davon kommen, brauch ich erstmal einen Schnaps! War die erste Halbzeit leidenschaftlich und mutig geführt, schlichen sich nun immer mehr Fehler ein. Beunruhigend zu beobachten, wie der Ausgleich immer näher kam.

Die Angst konnnte man wittern, da wäre das dritte Tor bares Geld wert gewesen. Mein Puls wurde immer schneller. Schaute ich in die Gesichter der Kurve, ging es nicht nur mir alleine so. Irgendwie über die Zeit bringen, irgendwie, oder sogar noch eins drauf legen mit einem clever gemachten Konter. Mit aller Kraft, die noch blieb, stemmten sie sich dagegen. Noch immer waren einige Minuten zu spielen, die Erfahrung zeigt, dass es zum Ende hin stets gefährlich wird.

Für Georg Niedermeier, der alles weghaute, was sich ihm in den Weg stellte, gab es Gelb nach 63 Minuten. Es wurde klar der Ball gespielt, die Gelbe eine Farce. Wie soll er denn auch so schnell seine langen Gräten wieder wegziehen? Seine Gestik sagte alles: \”Was soll ich denn machen?\”. Immer weiter schnürten sie uns ein, kaum noch Entlastung für die Mannschaft und die Kurve spürte, dass es jetzt wichtig war, sie weiter zu unterstützen.

Doppelte Bestrafung

Nur wenige Minuten später, blankes Entsetzen. Georg Niedermeier, der gerade erst ein unnötiges und nicht gerechtfertigtes Gelb gesehen hatte, brachte im Strafraum Robert Lewandowski zu Fall, der wahrscheinlich durch gewesen wäre und den Ausgleich gemacht hätte. Er zog und zupfte, was der Stürmer natürlich dankend annahm. Elfmeter. Und Rot für Georg Niedermeier. Herzlichsten Dank, das wird nun vermutlich der klare Ausgleich sein \” denn Sven Ulreich ist nun einmal kein Elfmeterkiller.

Warum sollte es auch an diesem Tag anders sein. Wer so viel Pech an der Hacke hat, muss alles Bittere mitnehmen, was geht. Viele drehten sich um, schauten auf den Boden, konnten nicht hinsehen, als Marco Reus sich am Punkt den Ball zurecht legte. Bis zur Strafraumgrenze nahm er Anlauf, unbeeindruckt von den lauten Pfiffen, die ihm direkt vor der Cannstatter Kurve entgegen schlugen.

Genau wie vor dem Spiel hätte ein Blick in die Statistik dem VfB helfen können. Hätte man sich zuletzt über die Gefährlichkeit eines Josip Drmic informieren können, hätte man hier recherchieren können, welche möglichen Elfmeterschützen es gibt \” und es wäre ein Leichtes gewesen, herauszufinden, dass Marco Reus seine Elfmeter am liebsten links unten reinmacht. So auch dieses Mal. Ausgleich für Dortmund. Und da meldeten sie sich wieder zu Wort, all die Schwarz-Gelben, von denen man sonst keinen einzigen Mucks gehört hat.

Die Wade der Nation

Huub Stevens reagierte und brachte Gotoku Sakai für Ibrahima Traoré, alle Offensive außer Kraft gesetzt, jetzt sollte nur noch gemauert werden. Problem dabei: wir waren in Unterzahl und mussten noch über 20 Minuten überstehen. Ob es am Ende trotzdem reicht? Schon jetzt konnten wir kaum glauben, dass der VfB mit 2:0 führte und nun drauf und dran war, ein weiteres Mal wichtige Zähler her zu schenken.

Unter normalen Umständen: egal, wenn es denn um nichts mehr gehen würde. Aber es geht um Etwas. Und nicht gerade um wenig. Sie stemmten sich dagegen, trotz Unterzahl. Zehn Minuten waren vergangen, seit Huub Stevens doppelt gewechselt hatte, aus dem Nichts heraus pfiff Schiedsrichter Michael Weiner ab. Was ist denn jetzt los? Langsam humpelte er zur Seitenlinie \” er hatte sich selbst verletzt, offenbar war seine Achillessehne gerissen. Achillessehne ist nicht lustig, ich spreche da aus Erfahrung.

Minuten lang wurde er behandelt, schnell wurde klar, dass er nicht weitermachen kann. Was jetzt? Michael Weiner übernahm den Posten als vierter Offizieller und übernahm die Tafel von Mike Pickel, der fortan als Linienrichter weitermachte. Norbert Grudzinski kam so zu seinem Bundesliga-Debüt und pfiff nach gut sieben Minuten Pause das Spiel wieder an, nachdem beide Trainer die Zeit nutzten, um ein paar taktische Anweisungen zu geben.

Blankes Entsetzen

Und die Borussen rannten weiter. Der VfB wackelte gewaltig. Weniger als zehn Minuten waren offiziell noch zu absolvieren, obwohl die Verletzungspause von Michael Weiner mit Sicherheit nachgespielt werden würde. Die Panik war groß. Jetzt bloß nichts mehr kassieren. Erhört wurden unsere Gebete nicht. Schnell ließ sich der VfB in Unterzahl den Ball abluchsen, Dortmund marschierte in Richtung Tor. Oh Gott, bitte nicht.

Was folgte, kann man getrost als \”Kacktor des Monats\” bezeichnen. Der Ball kam zu Pierre-Emerick Aubameyang, der durchgestartet war, die Abwehr war bei ihm, sicherte aber dabei den Rückraum nicht ab. Genau dorthin kam der Pass. Marco Reus war zur Stelle. Der verzweifelte Versuch von Daniel Schwaab, den Ball noch abzuwehren, so warf er sich dazwischen. Abgefälscht. Tor.

Dieser elendige Bastard. Zelebrierte das 2:3 kurz vor dem Ende mit einer herausgestreckten Zunge und ausgebreiteten Armen. Der Gipfel der Respektlosigkeit. Alle Aggressionen ihm gegenüber nutzten nichts. Da sangen sie nun, die mitgereisten Dortmunder Fans. So muss sich ein geiles Spiel anfühlen, wenn du 0:2 hinten liegst und am Ende 3:2 gewinnst. Da ließen sie sich natürlich auch nicht das verspottende \”Zweite Liga, Stuttgart ist dabei!\” nehmen.

Wars das schon in Liga Eins?

An solchen Tagen ist dir dann auch das 3:3 nicht vergönnt. Martin Harnik schlenzte vorbei. Wir konnten es nicht fassen. Wieviel unsägliches Pech kannst du eigentlich in einer Saison haben? Wir führten doch…? Ich verstehe es nicht. Es will mir nicht in den Kopf. Warum immer wir? Was haben wir Fans verbrochen, dass wir so etwas immer und immer wieder durchleben müssen, ein Alptraum, der einfach kein Ende nehmen mag. Die Köpfe hingen tief, kaum einer vermochte seine Stimme wieder zu finden, um ein letztes Mal die Mannschaft anzufeuern.

Es war vorbei. Die Kraft aufgebraucht. Die Beine schwach. Die Köpfe blockiert. Ist das schon der Abstieg? Ich sah schüttelnde Köpfe und in jedem einzelnen Gesicht nur diesen einen Ausdruck: Das ist so unfair. Eine Reaktion war gefragt nach Nürnberg. Die haben wir gesehen. Punkte haben wir davon aber auch nicht, dafür ein weiteres traumatisches Erlebnis auf dem Kerbholz, welches die letzten wenigen verbleibenden Spiele mit Sicherheit nicht einfacher machen würde.

Nichts wollte mehr gelingen in den letzten Minuten der Nachspielzeit. Haben wir es wirklich nicht verdient, nach so großem Kampf zumindest ein klitzekleines Erfolgserlebnis mitzunehmen? Sven Ulreich sagte es nach dem Spiel: \”Es ist wie verhext \” offenbar möchte das Schicksal nicht, dass wir solche Spiele gewinnen\”. Er hat wahrscheinlich recht. Unklar, wer dem VfB in Liga Zwei die Treue halten würde. Wäre auch der ewige Stuttgarter auf einmal weg?

\”Kämpfen bis zum Schluss!\”

Langsam raffte sich die Kurve auf, doch nochmal die Hände zu heben. So bitter es war, so frustrierend es auch gewesen sein mag \” wir hocken alle im selben Boot und müssen gemeinsam durch. Durchhalteparolen, ich weiß. Aber anders geht es nun einmal nicht. Schon lange war die Uhr bei 90:00 Minuten stehen geblieben, kein rechtes Gefühl mehr, wie lange noch übrig war. Sie fanden keinen Zugriff mehr.

Und dann war es tatsächlich vorbei. Tausende Borussen auf den Tribünen streckten die Jubelfäuste in die Luft. Das kann doch nicht wahr sein, das ist ein Alptraum. So ungerecht kann der Fußball manchmal sein. Doch so ist das manchmal eben, heute bist du der Held und morgen der Depp. Oder im Falle des VfB: heute bist du wieder der Depp. Wie gestern schon. Und vorgestern. Und letzte Woche. Und die Woche davor.

Sichtlich geknickt waren die Spieler, wer will es ihnen verdenken. In uns sah es kaum anders aus. Anders als in Nürnberg pfiff hier niemand, zumindest vernahm ich keine Pfiffe. Stattdessen: aufbauender Applaus. Wie das letzte Mal, als sie sich so reinhingen und ein spätes Gegentor kassierten. Acht Wochen und sieben Tabellenplätze war das jetzt her. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit wurden ausbleibende Ergebnisse lediglich als kurze Phase bezeichnet \” wir wurden schnell eines besseren belehrt.

Die große Angst vor Freiburg

Ob ihnen der aufbauende Applaus helfen wird? Noch einmal zeigte man das Transparent, welches die Kurve bereits zum Aufwärmen präsentiert hatte. Hoffentlich beherzigen es. Eine ähnlich couragierte Leistung, ein paar Mal öfter als heute und einst gegen die Bayern, wir würden nicht dort stehen, wo wir stehen, dessen bin ich mir sicher. Weitermachen und genau so gegen die Freiburger auftreten. Dann ist durchaus ein Sieg drin.

Dass die Realität am Wasen oft anders aussieht, ist allerdings gleichermaßen zu befürchten. Nicht wenige gehen von einer Wiederholung der Nürnberg-Leistung aus, welche ohne jeden Zweifel zur Niederlage und mit recht hoher Gewissheit das direkte Ticket in die zweite Liga sein dürfte. Die Angst wird größer und größer, mit jeder Woche. Dass man keine Lehren aus dem knappen Sieg gegen Hamburg zog, der mit Sicherheit jedem gut getan hatte, lässt unsere Sorgen nur noch größer werden.

Wie kann man ruhig bleiben in so einer Situation? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Dafür bin ich zu panisch und zu verängstigt. Der Gedanke an die zweite Liga, mit dem ich mich nun mal befassen muss, damit es mich am 34. Spieltag nicht unerwartet trifft, macht mir das Leben sehr schwer. Gebruddelt wird immer im Stuttgarter Umfeld, soviel ist sicher. Doch sehen es wohl die Allermeisten wesentlich entspannter und weniger fatalistisch.

Erhitzte Gemüter

Lange blieb ich im Block stehen und warte. Auf Felix. Auf das Nachlassen des Schmerzes. Auf ein Wunder. Verstört blickte ich hinauf zum Oberrang, wo offenbar das Abnehmen einer Fahne für Stress und Ärger unter den VfB-Fans und die eine oder andere gebrochene Nase zur Folge hatte. Mit jeder Wochen wird das Nervenkostüm nur mehr zerrupft, jetzt nicht völlig durchzudrehen, wäre für die gesamte Fanszene sehr wichtig.

Kaum waren wir draußen, ging es dort weiter, erneute Auseinandersetzungen. Boah, Leute, das ist so dermaßen unnötig. Erst als sich die Lage beruhigt hatte, liefen wir heim. Eine kleine Programmänderung für unseren Abend: wo Felix normalerweise mit Freunden nach dem Spiel noch etwas trinken geht und ich daheim noch die Bilder bearbeite bis in die Abendstunden, ging es für uns weiter zu einer Feierlichkeit mit gemeinsamen Freunden aus der Fanszene. Die Stimmung war gedrückt, dennoch war es ein netter Abend.

Der Tag darauf war der Schlimmste. Spät ins Bett, Zeitumstellung, wenig geschlafen und gleich wieder früh aufstehen. Personal Training im Fitnessstudio stand an, auf blöde Kommentare verzichtete mein Trainer Stefan vorsorglich \” obwohl er Dortmund-Fan ist, weiß er, wie es in mir aussieht. Bei allen Versuchen, mich zu trösten, scheiterte er. Schon vor Monaten stand man an selber Stelle, berief sich leicht lächelnd auf \”Naja, egal, sind ja noch etliche Spiele Zeit\”. Die Zeit ist vergangen, Spiele wurden verloren, Hoffnungen ein ums andere Mal enttäuscht.

Platzgewinn durchs Torverhältnis

Den ganzen Sonntag brachte ich es nicht fertig, den Spielbericht fertig zu stellen. Mittlerweile schreiben wir Montagabend, zwei Tage sind vergangen, seit ich mit Müh und Not ein weiteres Mal verkraften musste, dass es der VfB wieder nicht schaffte, aus einer guten Leistung verdiente Punkte mitzunehmen. Lediglich die Abstiegskonkurrenten aus dem hohen Norden konnten am Nachmittag die Gemüter noch ein ganz kleines Bisschen erhellen: durch die 1:3-Niederlage gegen Gladbach rutschten sie aufgrund des schlechteren Torverhältnisses hinter uns.

Somit verlor der VfB am Wochenende und kletterte sogar einen Platz nach oben auf den Relegationsplatz. Nicht das, was wir uns erhofft hatten, aber immernoch besser als gar nichts. Unten am Tabellenende geht alles so verdammt eng zu. Man kann nur hoffen und beten, dass man es irgendwie schafft, bis zum Ende des 33. Spieltags den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Am letzten Spieltag nicht mehr gewinnen zu müssen, um die Klasse zu halten, das wünschen wir uns alle.

Gar nicht erst in die Situation gekommen zu sein, wäre selbstredend noch besser gewesen. Ein weiteres Fußballwochenende liegt nun hinter uns. Noch immer ist die Mine finster und die Hoffnung gering, dass gegen Freiburg gewonnen werden könnte. \”Einfach\” nochmal so spielen wie gegen Dortmund. Ob das funktioniert? Mit Wehmut denke ich an die Bierdusche, die ich bei den Toren über mir spürte. Es hätte so ein schöner Tag werden können.

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