Eine halbe Ewigkeit lang starre ich das weiße Blatt vor mir an und versuche, mich zu überwinden. Was hatte ich mir nicht dieser Tage alles anhören müssen, ich sei verrückt geworden, zu glauben, dass nun alles schlecht sei. Ein bisschen erinnert es mich an den Saisonbeginn, als ich am zweiten Spieltag den Zeigefinger erhob und ahnte, die Niederlage in Hamburg würde ihre Spuren in den Köpfen der Spieler hinterlassen, und ich behielt Recht – was an dem heißen Augustwochenende ein Jeder als Hirngespinst abtat.

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Ich gebe zu, ich genoss die letzten Wochen, die letzten Spiele machten so viel Spaß wie lange nicht mehr. Momente der Euphorie, in denen man beinahe vergessen hat, was für schwere Jahre hinter einem liegen. Der Pessimisus war gewichen und machte Platz für neue Hoffnungen und vermochte selbst mich positiv in die Zukunft zu blicken. Bis zu dieser Niederlage gegen Dortmund. Denn auf einmal ist sie wieder da, die Furcht vor dem Knacks, der alles kaputt macht, was man sich aufgebaut hat.

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Überall war zu lesen, wie gut der VfB gegen den BVB gespielt hätte, dass er nicht mehr viel gemein hat mit dem Tabellenletzten, der er war, als uns nach dem Weiterkommen gegen Braunschweig das Los zugeteilt wurde. Mit Lob überschüttet und tröstenden Worten, die uns Zuversicht zusprachen, man hätte mit dieser Leistung nichts mit dem Abstieg zu tun. Ich habe gesehen, wie gut sie sich geschlagen haben, weit entfernt vom 1:4 des Bundesliga-Hinspiels, die Enttäuschung kurz vor dem Abpfiff. Doch statt Zuversicht mitzunehmen und alles andere abzuhaken, sehe ich einen VfB, der damit genauso wenig umgehen kann wie ich selbst.

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Wochen der Euphorie

Die Abteilung Attacke war zurück. Nichts und niemand konnte uns etwas anhaben, und wie herrlich gut es tat, nicht immer als Außenseiter und wahrscheinlicher Absteiger betitelt und geradezu lachhaft beäugt zu werden. Der VfB war auf bestem Weg, wieder jemand zu werden, eine Mannschaft, die durchaus in der Lage ist, auch schwere Spiele für sich zu entscheiden, statt Woche für Woche das Nachsehen zu haben und sich Jahr für Jahr aufs Neue mit dem Saisonziel Klassenerhalt abfinden zu müssen. Ist es nicht mehr, was das fußballerische Schicksal für uns bereit hält?

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Natürlich hätten die letzten Spiele auch anders laufen können. Hätte ich dann das Pokal-Aus gegen starke Dortmunder eher verkraften können als in diesem kleinen Höhenflug, der mir für kurze Zeit Hoffnung gab, nicht wieder bis zum allerletzten Spieltag zittern zu müssen? Ich weiß es wirklich nicht. Auch scheine ich die einzige zu sein, die das Thema so sehr beschäftigt wie mich. Wo die meisten ein vertretbares Ausscheiden nach großem Kampf sehen, sehe ich das, was schlimmstenfalls in einigen Wochen erneut vor uns liegen könnte: die Niederungen des Tabellenkellers. Ohne das Pokalspiel würde ich das nicht schreiben.

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Vor einigen Wochen sagte ich noch, das Viertelfinale im DFB-Pokal würde für den VfB nur einen einzigen Zweck erfüllen: Noch einmal das Stadion voll zu machen, Einnahmen zu generieren und darauf zu hoffen, dass sich kein Spieler verletzt. Eine Chance hätten wir nicht, nichts und niemand konnte mich von meiner Überzeugung abbringen. Dachte ich. Bis zu jenen vier Spielen, die uns Fans eine Gänsehaut bereitete und uns das zurückbrachte, was verloren galt: das Gefühl, dass alles möglich sein kann. Selbst ein Sieg gegen Dortmund.

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Wenn nicht jetzt, wann dann?

Die Vorzeichen standen gut, der VfB so gut aufgelegt wie lange nicht, der perfekte Zeitpunkt, wenn man denn „einen Großen“ schlagen wollte. Innerlich aufgewühlt machte ich mich am frühen Morgen auf den Weg zum Cannstatter Bahnhof, ich trug eine große Einkaufstasche bei mir, gefüllt mit meiner Kamera, meinem Mittagessen, einem Schal und meinem Trikot, viel mehr würde ich nicht brauchen. Schmunzeln musste ich, als die S2 zum Hauptbahnhof vor meiner Nase einfuhr, kam mir doch plötzlich der Gedanke daran, Stunden später in die Knie zu gehen, zur Umba, der Beginn einer ruhelosen Nacht der Euphorie. Nichts als Tagträume.

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Ein sonderbar gewordenes Gefühl, nicht immer gleich vom Schlimmsten auszugehen, sondern auch einmal zu denken „Jawoll, der VfB schafft das!“. Wie in Frankfurt, als ich mir sicher war, dass es klappen wird. Und auch jetzt gegen Dortmund, sei es auch nicht das Weiterkommen ins Halbfinale gewesen, sondern allenfalls einen offenen Schlagabtausch. Es ihnen so schwer machen wie nur irgendwie möglich, sich Respekt zu verschaffen und sich nicht unter Wert zu verkaufen, das war alles, was ich sehen wollte. Dass ich innerlich dabei viel zu viel wollte, war mir in den Stunden vor dem Anpfiff nicht klar genug.

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Wer hätte schon vor ein paar Wochen damit gerechnet, dass das Duell zwischen dem VfB und dem Tabellenzweiten alles andere als vorab entschieden ist? Frohen Mutes streifte ich mir im Büro mein geliebtes Trikot über, das mich seit dem ersten Spieltag überall hin begleitet hat, und machte mich auf den Weg zur S-Bahn. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, die Hände in den Jackentaschen vergraben, durch widerlichen Nieselregen und peitschenden Wind, doch vermochte es mir nichts anzuhaben. Wenige Stunden noch, die Anspannung stieg minütlich. Immer wieder musste ich mir in Erinnerung rufen, was ich mir am frühen Morgen vorgenommen hatte: Egal was passiert, versuch dich nicht aufzuregen.

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Hoffnung im Dauerregen

Die letzten Meter zum Stadion riss der Himmel noch weiter auf und schickte uns Platzregen, der uns bis auf die Knochen aufweichte. Schnell hinein ins Warme, oder zumindest ins Trockene, doch da hatten die Ordnungskräfte an den Eingängen ein Wörtchen mitzureden. Verstärkte Kontrollen waren angeordnet worden, die eben leider auch vorgesehen hatten, dass sich harmlose Frauen im Platzregen die Jacke und den Pulli ausziehen mussten, während beispielsweise der genaue Inhalt meiner Jackentasche kein Anlass zur Überprüfung gab.

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Auf die Pizza zum Abendessen im A-Block folgte noch ein kurzes, aber sehr nettes Wiedersehen mit meinem langjährigen Leipziger Kumpel Nico, der seines Zeichens den Brustring eintätowiert hat – es war mir wie immer eine Ehre! Die Zeit war gekommen, die mollige Wärme des A-Blocks zu verlassen und meinen kalten und wahrscheinlich nassen Platz in der Cannstatter Kurve einzunehmen, wo bereits Freunde und Weggefährten standen. Man konnte es spüren, der Duft des Pokalfiebers hatte das Neckarstadion erfasst. Für ein paar Minuten war es trocken, wie mein skeptischer Blick in den Stuttgarter Nachthimmel bestätigen konnte.

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Unzählige Schwarz-Gelbe waren gekommen, wie in jedem Jahr. Ein großer Teil des Gästestehblocks war leer geblieben, an seiner Stelle hing das Spruchband „Fußball muss bezahlbar sein“. Ein angekündigter Protest, brüskierten sich die Borussen über die Preise von insgesamt über 20 Euro für eine Stehplatzkarte und teilweise 70 Euro für eine Sitzplatzkarte. Dass die Preise schon seit Jahren so sind, störte in dem Moment aber niemand, und dass der Gastverein sein Mitspracherecht durch zu späte Rückmeldung verwirkt hatte, ebenfalls nicht. Nichtsdestotrotz gilt natürlich die Unterstützung der Aktion, jedoch nicht die Unterstützung der Dortmunder. Wir VfB-Fans wissen, warum.

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Freudige Erwartungen

Es kribbelte. Was sich hier anfühlte wie die Erwartung eines offenen Schlagabtauschs, wäre vor nicht allzu langer Zeit noch das flaue Gefühl des Unwohlseins gewesen, war ich mir doch immer sicher, der VfB würde diese Partie nicht gewinnen, wie auch die nächste und übernächste. Warum ich trotzdem VfB-Fan bin und zu jedem Spiel gehe, bzw. fahre? Es gibt Tage, da kann ich aus dem Stehgreif keine Antwort darauf geben. Die letzten Minuten bis zum Anpfiff bekamen wir auch noch rum, bis schließlich neben mir alle Fahnen wehten und die Protagonisten das Spielfeld betraten.

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Schnell wurde es still im Stadion, als sich die Mannschaften und das Schiedsrichterteam am Mittelkreis versammelten. Beklemmendes Schweigen umhüllte uns bei der Schweigeminute für die Opfer des Zugunglücks in Bad Aibling, dass sich am Vormittag ereignet hatte. Zehn Menschen kamen ums Leben, in solchen Momenten wird Fußball zur Nebensache. Mit kleiner Verspätung konnte es losgehen, welch befremdlicher Anblick, wann immer ich zum halbleeren Gästeblock schaute. Im Tunnel standen sie, von den Stufen getrennt durch ein schmales Absperrband.

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Die Freude über die Trockenheit kurz vor dem Spiel währte nicht lange, erneut ergoss sich der Schauer über das Stadion und der Wind drückte ihn bis weit in die Cannstatter Kurve hinein. Anti-Fußballwetter, doch was kümmerte es uns. Alles geben, alles reinhauen, dann wäre es tatsächlich möglich. Warum auch nicht, schließlich waren die Jungs bestens aufgelegt und hatten den nahezu perfekten Moment, um auch mal einen Großen zu schlagen. Ein durchaus hoffnungsvolles Publikum trug die Zuversicht in sich, sich gegen die Dortmunder durchzusetzen. Bis zur fünften Minute.

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Abgefälscht ins Glück

Man hätte gewarnt sein müssen, wie gefährlich die Offensivreihe mit Henrikh Mkhitaryan, Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus sein kann. Der Erste auf den Zweiten, der Zweite auf den Dritten und der Dritte ins Tor. Die ganz große Hoffnung auf die Pokalsensation, sie fand ein jähes Ende. Jürgen Kramny wird sich an sein erstes Spiel an der Seitenlinie des Erstligisten erinnert haben, 72 Tage zuvor schoss Gonzalo Castro in der dritten Minute das erste von vier Dortmunder Toren, welch schmerzliche Erinnerung an einen komplett gebrauchten Tag.

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Das frühe Tor hatte der Stimmung nicht besonders gut getan, es fühlte sich ein wenig seltsam an, das nach so wenigen Minuten schon spüren zu müssen. Auf der Uhr der BVB-Fans waren 20 Minuten Wartezeit im zumindest trockenen Tunnel vorbei, wenngleich die Anzeigetafel noch die 18. Minute anzeigte. Zuhauf stürmten sie den Gästeblock, der Protest gegen zu hohe Eintrittspreise war vorüber. Dass sie nicht gerade mit Applaus begrüßt wurden, fanden sie übrigens „peinlich“. Ich lasse das jetzt einfach mal unkommentiert stehen.

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Sie waren gerade rechtzeitig gekommen zu einem Eckball des VfB direkt vor dem Gästeblock. Die Schwarz-Gelben bekamen den Ball einfach nicht weg, Ping-Pong im Strafraum, gebannte Blicke und ein innerliches Kreischen. Macht ihn! Macht ihn! Immer wieder war ein Dortmunder dazwischen gegangen, bis der Ball zu Lukas Rupp gekommen war. Es war die Schulter von Henrikh Mkhitaryan, die den Schuss unhaltbar ins linke obere Eck abfälschte. Ein einziger lauter Schrei, der VfB war zurück im Spiel.

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Mit Rückstand in die Pause

Nicht nur dem Spiel des VfB tat es gut, auch der Cannstatter Kurve, sichtlich beflügelt vom Ausgleich, sei er zu diesem Zeitpunkt auch ein wenig glücklich gewesen. Zunächst konnte ich gar nicht richtig erkennen, was sie da veranstalteten, doch es waren tatsächlich dutzende Tennisbälle, die der Gästeblock hier aufs Spielfeld warf, begleitet vom Spruchband „Großes Tennis“. Was sie als gelungene Protestaktion werteten, vermochte bei Vielen nur ein Kopfschütteln hervorzurufen. Das Spiel war unterbrochen, es ging ans Aufräumen durch Weiß-Rot und Schwarz-Gelb, ein doch durchaus lustiges Bild.

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Was haben wir die letzten Wochen nicht genossen, doch muss man auch zwei Tage später mit hängendem Kopf voller Demut anerkennen, wieviel doch noch fehlt, um eine Spitzenmannschaft wirklich im Zaum zu halten. Pierre-Emerick Aubameyang traf beim Bundesliga-Hinspiel doppelt, und wer den schnellen Gabuner nicht im Griff hat, bekommt eben die bittere Quittung. Toni Sunjic und Kevin Großkreutz konnten ihn nicht davon abhalten, knallhart und trocken aus gut 16 Metern zum 1:2 zu vollstrecken.

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Unter den angespannten Blicken von 46.500 Zuschauern versuchte die Mannschaft alles, was sie mit ihren spielerischen Mitteln konnten. Niemand vermag ihnen abzusprechen, nicht alles versucht zu haben, doch fehlte dann doch die letzte Konsequenz, gepaart mit einem Schuss Cleverness. In der Halbzeitpause blickte ich in viele bange Gesichter, sie werden gesehen haben, über wieviel Qualität unser Pokalgegner verfügt und wieviel noch fehlen würde, um sie auf dem völlig aufgeweichten Spielfeld doch noch zu schlagen. Vorstellen vermochte ich mir das noch nicht. Aber das konnte ich ja auch bei den letzten vier Spielen nicht.

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Der Geruch der Sensation

Was auch immer Jürgen Kramny seinen Jungs in der Halbzeitpause mit auf den Weg gegeben hat, es waren die richtigen Worte. Viele Spielberichte, Meinungen und Kommentare habe ich mir in den letzten 48 Stunden zu Gemüte geführt, auf der Suche nach Etwas, das mir Zuversicht geben konnte. Überall war nur zu lesen, wie verdient die Borussen ins Halbfinale eingezogen waren, doch wie schwer man es ihnen auf ihrem Weg dorthin gemacht hat. War der VfB im ersten Durchgang noch unter unseren bangen Blicken weitgehend überfordert, blühte er in der zweiten Halbzeit nur umso mehr auf. Der späte Beginn einer ganz aufregenden Endphase der Partie.

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Lauter, lauter, lauter! Sie waren nah dran, das war zu spüren. Jede Ecke, jeder Freistoß, jedes kühne Anlaufen in Richtung Strafraum, das war wahrlich der VfB, der uns in den vergangenen Wochen so sehr verzückt hat. Thomas, ein liebgewonnener Twitter-Kollege stand erneut neben mir, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, und meinte, er habe 2:2 getippt. Wäre es ein Liga-Spiel, ich hätte genickt und es klaglos mitgenommen. Doch im Pokal? Noch einmal Verlängerung? Noch einmal noch länger bis tief in die Nacht am Rechner sitzen? Wenn ich gewusst hätte, was noch folgen würde, wer weiß, ob mir da die Verlängerung noch so Unrecht gewesen wäre.

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Minutenlang kratzten sie am Ausgleich, fighteten unnachgiebig und ließen sich von der Kurve treiben, die die Sensation förmlich riechen konnte. Näher am Ausgleich als die Gäste dem 1:3 – wenn da nur nicht diese dumme Sache mit der Chancenverwertung gewesen wäre. Nur noch wenig hatten Georg Niedermeier und Toni Sunjic hinten zugelassen, doch wissen wir alle, dass der Knock-Out ebenso hätte früher erfolgen können. Doch so machte es das Pokal-Aus nur umso bitterer.

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Egal wer, egal wie

Hier sitze ich nun am Donnerstagabend, schreibe die letzten Zeilen nieder, teilweise aus meiner Erinnerung heraus, teilweise mit dem Spiel, welches im linken Bereich meines Bildschirms noch einmal läuft. Den wunderbaren Schlenzer von Filip Kostic, den ich im Stadion nicht einmal wirklich so knapp registriert hatte, er ist schön und schmerzhaft zu gleich. Wie es sich wohl angefühlt hätte, bei diesem Tor vollkommen zu eskalieren und gemeinsam mit ihm und der ganzen Mannschaft vor der Cannstatter Kurve zu feiern, so laut und so wild wie selten zuvor? Was wäre gewesen, wenn er perfekt gepasst hätte? Wir werden es nie erfahren.

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Wenig herzlich wurde Moritz Leitner begrüßt, der zwei Jahre auf Leihbasis das Trikot mit dem Brustring trug und dabei seltenst eine gute Figur gemacht hatte. Lediglich zwei Szenen sind im Gedächtnis geblieben, sein Freistoß vor dem ersten der sechs Tore gegen Hoffenheim und sein frühes Tor bei der Niederlage in Berlin, beides an aufeinander folgenden Wochenenden. Ansonsten war seine Zeit bei uns eher unglücklich, weiterentwickelt hat er sich nicht. Was für eine Beleidigung für Lukas Rupp, bei dem bei seinem Wechsel zum VfB viele sagten, er sei ein zweiter Leitner. Wir alle wissen es jetzt besser, wie auch viele Manager und Sportdirektoren, die sich nun in den Hintern beißen dürften.

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Die Dortmunder schwammen. Nur noch ein paar Minuten, der Hauch des Ausgleichs lag in der Luft. Sie taten alles, was sie konnten, doch reichte es nicht. Das eine Tor, das uns in die Verlängerung gebracht hätte, es wollte einfach nicht fallen. Viel vorzuwerfen hatten sie sich nicht, doch die Chancenverwertung mussten sie sich ankreiden lassen. Sei es Filip Kostic, Artem Kravets oder Christian Gentner, sie alle hätten den Ausgleich machen können, doch vergaben sie die besten Möglichkeiten.

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Alles nach vorn

Der bange Blick zur Uhr. Und fällt er in der Nachspielzeit, es wäre mir egal, solange der Ausgleich nur noch fällt. Flehentliches Anfeuern aus der Kurve, inbrünstig, laut, euphorisch, alles nach vorne, alle gemeinsam für unseren VfB. Sie waren im Vorwärtsgang, fast alle VfB-Spieler in der eigenen Hälfte, die Absicherung hinten hatte man bei allem Anrennen fast vergessen. Was gegen mittelklassige Gegner vielleicht noch ausreichen mag, gegen die Dortmunder reicht es nicht, erst recht nicht gegen Pierre-Emerick Aubameyang.

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Allen war er davon gelaufen, links der Gabuner, rechts sein armenischer Mannschaftskollege. „Nein, nein, nein, nein, nein!“ schrie ich laut hinaus, doch half es nichts. Was hätte Mitchell Langerak, der für das eine Spiel gegen die Ex-Kollegen ran durfte, denn auch groß tun können? Trocken rüber gespielt und als ich den Ball ins Netz gehen sah und der Linienrichter seine Fahne nicht gehoben hatte, musste ich nicht nur das ätzende Geschrei tausender Dortmunder Fans ertragen, auch die sich an mir vorbei schiebenden Massen in der Cannstatter Kurve. Noch nie hatte ich verstehen können, wie man auch nur eine Minute zu früh heimgehen kann.

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Das Ding war durch. In den letzten verbleibenden Minuten war jeder Wille, der gerade noch so stark erschien, mit Gewalt gebrochen. Man fand nicht ausreichend Mittel, um noch den Ausgleich zu erzwingen und musste nun zusehen, wie auf der Anzeigetafel das 1:3 erschien. Wir wären vielleicht auch so ausgeschieden, doch interessiert es ohnehin nicht mehr, dass das reine Ergebnis zu hoch ausgefallen war. Ob nun mit zwei oder drei Gegentoren, es war vorbei. Was in Kiel ohne uns begonnen hatte und gegen Jena und Braunschweig seine Fortsetzung fand, es endete im strömenden Regen.

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Fassungslos

Ist das bitter. Ist das schade. Ist das traurig. Meine Gedanken angesichts der Niederlage, statt anzuerkennen, wie gut der VfB mitgehalten hat und der BVB dann doch eine Klasse besser war und es eben einfach nicht gereicht hat. Nein, es war der Frust, der blieb. Unter ganz normalen Umständen hätte mir ein „drüber Schlafen“ ein zaghaftes Lächeln zurückgebracht, zusammen mit der Erkenntnis, dass doch nicht alles so schlecht war, wie ich es mir nach dem Spiel noch eingeredet hatte. Aber was sind beim VfB schon normale Umstände?

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Es hatte nicht sollen sein, doch war ich offenbar die Einzige, die das frustrierte. Nicht, weil mich die Leistung an alldem gestört hätte, sondern vielmehr, weil ich Angst vor dem habe, was nun vor uns liegt. Gelingt es der Mannschaft nicht, gegen Berlin und Schalke zu punkten, wissen wir alle, dass es genauso schnell wieder in den Tabellenkeller zurückgehen kann, aus dem wir uns doch gerade erst befreit hatten. Gegen Dortmund kann man verlieren. Gegen die nächsten beiden Bundesligisten unter Umständen auch. Doch was kommt dann?

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Immer wieder kehre ich gedanklich zurück nach Paderborn. Kein bisschen habe ich es vergessen können, dieses beklemmende Gefühl beim Stande von 1:1, in diesem engen, hitzigen und emotional aufgeladenen Gästeblock, wo doch alle wussten, dass der VfB abgestiegen ist, wenn das Siegtor nicht fällt. Nie wieder wollte ich eine solche Situation mitmachen, geschweige denn vom „Können“. Diese Kraft habe ich schlicht und ergreifend nicht. Rechtzeitig vor Ende der Saison durch sein, sich entspannt zurücklehnen können und die letzten Spiele zu Feiertagen erklären. Ein hehres Ziel, wenn man den Brustring auf dem Trikot und im Herzen trägt.

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Raus mit Applaus

Was folgen würde, konnte ich nicht einschätzen. Pfiffe von der Tribüne? Wilde Gesten von der Cannstatter Kurve? Oder gar Applaus für eine couragierte Leistung? Knappe Niederlagen gegen Dortmund vor heimischem Publikum sind uns nicht fremd, denkt man nur ein Jahr zurück, so erinnere ich mich an emotionale Szenen, die wahrscheinlich letztlich den richtigen Anstoß in Richtung Klassenerhalt gaben. Auch damals wusste ich es nicht einzuschätzen, war doch eher anzunehmen, die Stimmung kippt ins Negative. Wahrscheinlich wären wir damals dann tatsächlich abgestiegen.

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Ich blickte nach links, auf den Stimmungskern der Kurve, sah traurige Gesichter. Doch sah ich auch, wie sie ihre Hände in die Luft streckten und klatschten. Ehrlich, tröstend, wohlwollend, frei von allen Schuldzuweisungen und jeder Bruddelei. Es war der letztlich verdiente Applaus für eine weitere couragierte Darbietung. Auch ich vermochte in diesem Moment des Frusts zu klatschen, hatten sie es doch verdient. Als sie uns ihren Rücken zukehrten und in die Kabine liefen, überkam sie mich wieder, die Sorge vor dem drohenden Ende, das ich mir vielleicht nur einrede, vielleicht aber eben auch nicht. Da war er wieder, jener leere Blick ins Nichts.

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Dabei habe ich nichts im Spiel gesehen, was mir derart viel Kummer bereiten könnte. Lediglich das, das ich meine mit schwarzer Farbe an die Wand malen zu müssen, das ist es, was mich des Nachts kaum schlafen lässt. Schnell leerte sich das Stadion und auch wir traten alsbald den Rückzug an, meinerseits mit hängendem Kopf. Ich konnte Stolz auf die Leistung meines Teams sein. Doch trug ich die Bürde meines eigenen Vorurteils. So gerne würde ich es Ihnen zutrauen, dass sie das einfach so wegstecken können. Doch leider kann ich es nicht. Davon müssen sie mich erst einmal überzeugen. Ich bitte den VfB darum, nein, ich flehe ihn an: bringt mir meine Zuversicht zurück.

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