“Du schon wieder?!” – auf mich wartete eine lachende, herzliche Begrüßung. Da war ich schon wieder, mit regennasser Jacke und genau der gleichen Kameraausrüstung wie beim letzten Mal. Gerade einmal einen Monat und einen Tag war es her, da stand ich bereits an gleicher Stelle: vor den Toren des Mainzer Stadions, umgeben von einem Kartoffelacker. Mit schlechtem Wetter, mit einem unguten Bauchgefühl und nicht den Hauch von Motivation, überhaupt da zu sein. Nicht zu Unrecht, wie ich erneut feststellen musste.

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Einen Tag später fand ich mich auf der Couch sitzend wieder, im gemütlich warmen Wohnzimmer meiner Schwiegereltern, mit einem Glas Sekt in der Hand und wurde gefragt “Ja, Ute, woran liegts?”. Glaubt mir, wenn ich eine Antwort darauf hätte, würde ich viel Geld beim VfB dafür verdienen, die nahezu offensichtlichen Problempunkte anzusprechen und bei der Behebunng zu helfen. 80 Millionen Bundestrainer oder irgendwie so – kaum einer, der keinen guten Ratschlag hat für Hannes Wolf und seine Jungs. Es ist nicht einfach, Trainer des VfB zu sein, es verlangt einem alles ab. Fan des VfB zu sein, ist aber auch nicht einfach.

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Das Jahr 2017 wird einem ohne jeden Zweifel in Erinnerung bleiben, als Jahr des Aufstiegs, der unfassbaren Spiele und einer selten dagewesenen Heimserie, welche gut zwölf Monate anhalten sollte. Über die Auswärtsspiele der Hinrunde jedoch breiten wir den Mantel des Schweigens aus – mit uns holte der VfB unfassbare null Punkte in der Ferne, ohne uns in Hannover zumindest einen. Abgeschlagenes Schlusslicht der Auswärtstabelle und zunehmender Bestandteil der Tipprunde „Absteiger 2018“. Und obwohl jeder wusste, dass es als Aufsteiger schwierig wird – etwas einfacher hätte es bislang dann aber trotzdem sein dürfen.

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Protokoll eines gebrauchten Tages

Einige Tage sind nun schon vergangen, seit die Mannschaft knöcheltief im Matsch Richtung Gästeblock watete und sich die Quittung für eine weitere Nullrunde abgeholt hatte. Der größte Ärger ist verpufft, was bleibt ist die Frage, wie es nun weitergehen soll. Realisten sagen „Heimspiel gegen Schalke“, andere prophezeien uns etwas, was nicht weit von dem entfernt ist, was wir bereits vor knapp zwei Jahren erlebt haben. Einst verkannte man den Ernst der Lage, sah den „Druck bei den Anderen“, kam nicht mehr auf die Beine und stieg im Mai schließlich ab.

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Finstere Zeiten, beinahe vergessen im Glanze einer euphorischen Zweitligasaison, gekrönt vom gefeierten Aufstieg. Aber ich habe nicht vergessen. Ich habe nur Angst – davor, dass sich die Geschichte wiederholt und die gleichen Fehler der Vergangenheit erneut begangen werden. Als damals bei den meisten die Erkenntnis langsam durchsickerte, wie knapp es werden könnte, hatte der April bereits Einzug erhalten. Zwei Spieltage sind nun in der Rückrunde absolviert, theoretisch gesehen noch genug Zeit, das Ruder zum besseren rumzureißen. Praktisch gesehen stellt sich jedoch die eine Frage: ist sich der VfB wirklich bewusst, welchen Kurs er einschlagen muss?

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Es ist nicht nur die chronische Auswärtsschwäche unserer Mannschaft, es ist vielmehr die gesamte aktuelle Situation. Bisher ist Michael Reschke den Nachweis schuldig, einen qualitativ guten Kader auf die Beine zu stellen, ungeachtet der schwierigen Situation zur Winterpause. Nach dem Abgang von Simon Terodde kam Mario Gomez, den aber das selbe Schicksal ereilen wird wie unseren einstiegen Aufstiegshelden: ohne Futter verhungert er. Und als wäre das nicht schlimm genug, fehlte Chadrac Akolo im Kader, was nur eine Verletzung bedeuten konnte. Erst im Lauf des Tages sickerten Details durch: seine Spielberechtigung, die an die Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland geknüpft ist, war einen Tag zuvor erloschen. Es passte zum Bild eines abermals im Schlamassel steckenden Vereins: einmal mit Profis arbeiten.

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Neun Mal ohne Punkt

Wer mich kennt, weiß das bereits: ich bin bekennender Fan von Hannes Wolf. Clever, freundlich, eloquent, sympathisch und leidenschaftlich – aber eben auch verdammt jung und in der Bundesliga bisher wenig erfahren. Wie ernst die Lage ist, erkennt man oft dann, wenn selbst ein beliebter Trainer langsam in Frage gestellt wird. Davon ganz unabhängig denke ich nicht, dass ein Trainerwechsel die Lösung wäre, doch auch ich muss gestehen, dass sich die spielerischen Fortschritte der Mannschaft bislang in Grenzen halten. Wenn dann auch noch neun Auswärtsniederlagen hinzukommen, drängt sich der Verdacht auf, dass da gewaltig etwas schief läuft.

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Schon den ganzen Tag war ich unheimlich grätig. Eine kurze Nacht, Stress am frühen Morgen, mieses Wetter und dumpfe Kopfschmerzen – kurz: es gibt schönere Tage für eine Auswärtsfahrt. Unser Weg führte uns dieses Mal zunächst am dem Oberrhein nach Speyer, wo wir all die Jahre immer von weitem von der Autobahn A6 rüberschauten und uns immer sagten „Eines Tages fahren wir mal hin“. Zeit hatten wir genug, gutes Wetter hingegen weniger. Das sollte sich auch bis zur Weiterreise nach Mainz nicht ändern. Im Dauerregen rollten wir auf dem Parkplatz ein, auf dem wir schon vor 32 Tagen standen und waren mehr oder weniger bereit für den zehnten Versuch, endlich einen Auswärtssieg zu erringen. Wenn ich das so schreibe, muss ich beinahe selbst lachen.

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Ein Frikadellenbrötchen und eine Weinschorle später drückte man mir einen Flyer in die Hand, eine Choreo sollte es geben zum Thema 50+1. Wieder lief ich in den Block, wieder ging ich den linken Treppenaufgang hoch, wieder blieb ich nach ca. 25 Stufen stehen, wieder stand ich da und fragte mich, warum ich eigentlich hier bin. Am liebsten mag ich ja noch die Spiele, in denen ich ohnehin sage, der VfB würde verlieren (was ich eigentlich immer sage), und sie mich dann vom Gegenteil überzeugen. Ist es dann weniger frustrierend, wenn meine Erwartung eintrifft und man punktlos wieder heimfährt? Natürlich nicht. Das wäre ja schließlich viel zu einfach.

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Geschenke darf man auch annehmen

Gut 3.500 VfBler hatten sich auf den Weg gemacht, gut 1.000 weniger als beim Pokalspiel kurz vor Weihnachten unter der Woche. Viele von ihnen werden auch schon da vor Ort gewesen sein und sich erinnern, wie frustrierend und enttäuschend der Jahresabschluss 2017 hier von statten ging. Dennoch sind wir zurückgekehrt, auch wenn es den einen oder anderen geben dürfte, der im Vergleich zu vor zwölf Monaten den Stadionbesuchen abgeschworen hatten, die Bundesligaverdrossenheit greift weiter um sich. Um das Pokalviertelfinale würde es heute nicht gehen, dafür um drei immens wichtige Punkte im Abstiegskampf. Abstiegskampf? Rückwirkend betrachtet wollte der VfB davon noch nicht wirklich viel wissen.

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Ohne Ron-Robert Zieler hätte es schon nach gut einer Viertelstunde vorbei sein können. Aber so ist das nun mal: du kannst als Keeper in einigen Momenten ganz großartig halten, wenn dir dann doch ein Fehler passiert, bist du der größte Depp. Das haben wir schon oft zu spüren bekommen und sollten wir auch an diesem ekelhaft nass-kalten Januarnachmittag bemerken. Noch wollte ich nicht wahr haben, dass sich die Geschichte wiederholt, wie vor zwei Jahren, oder in diesem Moment viel eher wie vor einem Monat. Die Gastgeber aus Mainz waren überlegen, der VfB ging in Führung – nicht durch den Rückkehrer Mario Gomez, sondern wie im Bundesligahinspiel durch Holger Badstuber.

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Die gleiche Seite des Spielfelds und das gleiche beklemmende Gefühl, dass trotz Führung Gefahr im Verzug war. Ich sollte mich auch dieses Mal nicht täuschen. Getreu dem Motto „Rückstand VfB, verliert er eh – und führt er doch, vergeigt ers noch“. Noch vor Halbzeitpause wähnte ich den VfB auf bestem Weg dahin, das Klatschpappenpublikum des Karnevalsvereins erhob sich von den Plätzen, allerdings nicht lang. Videobeweis! 14 Sekunden vor dem Ausgleich hatte Suat Serdar offenbar den Ball mit dem Arm angenommen, bevor der Ball im Tor war. Abgepfiffen! Zu unserem Glück, doch auch das währte nicht lange.

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Ein schmerzhaftes Deja-vu

Im Pokalspiel war es ein Elfmeter für den VfB, der vergeben wurde – heute waren es die Flutschfinger des Ron-Robert Zieler. So oft ich es ertragen konnte (und musste), habe ich mir diese Szene angesehen, die letztlich dann doch zum Ausgleich vor der Pause führte, verstanden habe ich es noch immer nicht. Ja, es war nass. Ja, der Ball hat geflattert. Aber ja, auch sowas kann man halten, oder zumindest wegfausten. Ein ähnlicher Klops wie in Hamburg kippte das Spiel in die falsche Richtung und da war sie wieder, die Frage, warum man sich das nach gut sechs Jahren (Fast-)Allesfahrerei noch immer antut. Weil es so schön ist, wenn der Schmerz nachlässt.

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Wie es der VfB in der zweiten Halbzeit besser machen sollte, entzog sich meiner Vorstellungskraft. Als dann kurz nach Wiederanpfiff auch noch der öffentlich auserkorene Heilsbringer Mario Gomez verletzt raus musste (Nigel de Jong doing Nigel de Jong things), schwante mir Böses. Ob ich im Falle des Falles ohne seine Verletzung eine Antwort auf meine Frage gehabt hätte, hätte ich zwar nicht wirklich gewusst, aber für den ersten Auswärtssieg hätte ich das Risiko auf mich genommen, abermals ganz bedröppelt und stocksteif im Block zu stehen. Über zwölf Jahre ist es her, dass der VfB zuletzt hier in Mainz gewann, der letzte Siegtorschütze von 2005 verließ im Dauerregen den Platz.

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Der Rest der Geschichte ist bedauerlicherweise ziemlich schnell erzählt. Kurz nach der Auswechslung unserer Nummer 27 erhöhte Yoshinori Muto auf 2:1 und Gerrit Holtmann zehn Minuten später auf 3:1 – welch trostloser Niedergang eines einst so stolzen Traditionsvereins. Die Stimmen um mich herum verstummten langsam, das Raunen wurde lauter und die Wut immer größer. Besser machte es das Geschehen auf dem Platz nicht. Immer wieder drifteten meine Gedanken ab zu der Frage, wie es der VfB nur zulassen konnte, sich innerhalb weniger Jahre von kleineren Vereinen wie Freiburg und Mainz den Rang ablaufen zu lassen. Eine Antwort auf diese Frage fand ich weder in meinem schmerzenden Kopf, noch auf dem zermatschten Acker der Opel Arena.

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Keine Zeit für Experimente

Nur zehn Minuten früher hätten aus dem Desaster noch ein Wunder werden lassen können, aber Daniel Ginczeks Anschlusstreffer in der Nachspielzeit kam zu spät. Am Ende las es sich auf dem Spielberichtsbogen weitaus spannender, als es letztlich war, und ungeachtet der Tatsache, dass man jeden Punkt dringend nötig hat, verdient wäre es auch nicht gewesen. Weit an den Gästeblock heran traute sich die Mannschaft nicht, wie schon beim Pokalspiel ließ Christian Gentner die Mannschaft schon weit vor der drohenden Konfrontation mit den erbosten Fans Kehrt machen, was uns nur noch wütender machte.

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Wäre es nicht besser gewesen, sich zu stellen? Stattdessen stapften sie durch den Matsch davon und ließen uns in ihrem Frust alleine. Während bei vielen die Wut noch einige Tage oder zumindest einige Stunden anhielt, würden sie in der Kabine wieder ein fröhliches Gesicht aufsetzen. Der verletzte Mario Gomez war nicht dabei, als uns die Mannschaft schnell den Rücken zukehrte, was im Normalfall nichts gutes heißt. Es sollte noch gut zwei Stunden dauern, bis eine erste Zwischenmeldung die größten Befürchtungen im Keim erstickte. Ein Kreuzbandriss hätte zu diesem komplett gebrauchten Tag beinahe schon mit dazugehört.

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Ich rege mich immer auf, wenn der VfB verliert. Grundsätzlich. Und manchmal auch sehr viel mehr, als mir selber gut tut – einen Tag später war mein Frustlevel noch immer unwahrscheinlich hoch. Weitere Tage vergingen und noch immer bin ich tief gefrustet. Natürlich, weil man wieder keine Punkte geholt hatte. Aber noch viel mehr, weil die erkennbare Tendenz besorgniserregend ist. Ein Hannes Wolf soll sich weiterentwickeln dürfen, er soll Fehler machen dürfen, er soll aber auch die Mannschaft weiterentwickeln. Die bisher nicht schlechte Heimbilanz kann das allerdings wohl kaum kaschieren. Wir sind wieder im tiefsten Abstiegskampf. Und ich will hoffen, dass das nun jedem in diesem Verein klar geworden ist. Die Zeit der Ausreden ist vorbei.

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