Als ich um 22:32 Uhr einen simplen Tweet absetzte, in dem nichts anderes stand als “Geil.”, waren meine Follower sehr verwirrt. Kein Einziger wollte mir abkaufen, dass ich das selbst geschrieben hatte und binnen weniger Minuten reichten die Verschwörungstheorien von einem gekaperten Smartphone bis hin zu besorgniserregend hohem Fieber. Hat man sich einmal den Ruf der ewigen Pessimistin erarbeitet, wird man ihn nicht so schnell wieder los. Noch immer hängt mir die Erinnerung an 2016 nach, auch wenn diese Szenarien spürbar an Brisanz verloren haben. Ein weiteres Mal reichten uns die Ergebnisse der Konkurrenz sowie der eigene Sieg, um erneut zu klettern. Platz Acht steht am Ende des 27. Spieltags zu Buche. Nicht unbedingt das, was ich vor einigen Wochen erwartet hatte.

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Noch ist es rechnerisch nicht durch, aber die Wahrscheinlichkeit, doch noch in den Tabellenkeller zu rauschen, ist gering. Zum Optimisten macht mich das deswegen noch lange nicht, aber es beschert mir vermutlich zum ersten Mal seit Jahren genau das, wovon ich seit vielen Saisons in der ersten Liga geträumt hatte: einen entspannten Saisonendspurt ohne die ganz große Angst. Beruhigt und entspannt auf das schauen, was die anderen denn so treiben, wer am Ende tatsächlich absteigt, den Klassenerhalt noch schafft oder in die Relegation kommt. Das alles ganz ohne den eigenen brennenden Kittel erleben zu dürfen, ist eine charmante Vorstellung. Aber auch eine, die trügerisch sein kann.

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Der Spielplan der Rückrunde 2017/2018 war gnädig zu mir und verschont(e) mich während meiner sechsmonatigen Probezeit im neuen Job mit einer gehäuften Anzahl von Freitags- und Montagsspielen in der Ferne. Lediglich die Partie im Breisgau stand mit der Terminierung gefühlt auf der Kippe, stellte sich nach einem kurzen, netten Gespräch mit meinem Chef als überhaupt kein Problem heraus. Ein halber Tag Urlaub war für den Ausflug ins knapp 160 Kilometer entfernte Freiburg nötig, wie bei vielen anderen an diesem frühlingshaften Tag auch. Aber nicht alle von ihnen kamen auch in Freiburg an.

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Bei Kaiserwetter Richtung Baden

An manchen Tagen reicht noch nicht einmal die Sonnenblende für meine lichtempfindlichen Augen. Mit zusammengekniffenem Gesicht, das meiner VfB-Niederlagen-Visage unter Umständen recht nahe kommt, nahm ich auf dem Beifahrersitz platz. Gemeinsam mit meiner Freundin Linda machten Felix und ich uns auf den Weg gen Süden, im wahrsten Sinne des Wortes der Sonne hinterher. Traumhaftes Kaiserwetter, abgesehen von ein paar harmlosen Wolken, würde dann noch der VfB gewinnen, wäre man die größten Sorgen los. Wenn das alles nur immer so einfach wäre.

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Zunächst zog es uns, wie viele andere angereiste VfB-Fans auch, ins Parkhaus an der Pädagogischen Hochschule, fußläufig knapp eine Viertelstunde vom Schwarzwald-Stadion entfernt. Es kommt einem seltsam vor, dass das letzte Gastspiel des VfB schon dreieinhalb Jahre her ist, waren doch zuerst die Freiburger, und schließlich dann auch wir abgestiegen. Hängen geblieben vom November 2014 ist neben dem 4:1-Auswärtssieg das Wetter: bei strömendem Regen cancelten wir unseren Ausflug in die Altstadt und verharrten bis eine Stunde vor Anpfiff in einem Café in der Nähe. Verrückt, was auch bei über 350 Fußballspielen im Gedächtnis haften bleiben kann.

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Vor Ort erwartete uns eine angespannte Stimmung. Nun ist es ja nicht so, als würde man das bei einem Spiel, das viele als „Derby“ bezeichnen, sonderlich überraschend finden, aber es lag etwas in der Luft. Man hatte mittlerweile mitbekommen, dass eine groß angelegte Aktion der Polizei die Busse in Stuttgart bei der Abfahrt hinderte und große Teile der aktiven Fanszene erst gegen halb sieben in Stuttgart aufbrechen konnten – viel zu spät, um es noch rechtzeitig zum Anpfiff zu schaffen. Ob hier Gefahr im Verzug gewittert wurde oder ob es sich um reine Schikane handelt, darf jeder schlussendlich für sich selbst entscheiden. Für eine entspannte Stimmung in einem von Haus aus unentspannten Spiel sollte es jedenfalls nicht unbedingt beitragen.

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Schnell in Führung

Ein Schnitzelbrötchen auf die Hand und hinein in den Block, der noch seltsam leer war. Über 2.300 VfB-Fans sollten es sein, seit Jahren ist der Freiburger Gästekäfig stets rappelvoll – und anders kann man diese lieblose Einzäunung von allen Seiten nun wahrlich nicht bezeichnen. Fünf Mal war ich bereits hier und keine einzige Partie konnte mich dazu bewegen, den Gästeblock auf meiner Liste der miesesten Stadien nach oben zu ziehen. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass Auswärtssiege in Freiburg immer ein bisschen schöner sind als woanders, denn anders als viele VfB-Fans, die bislang nur positive Erfahren mit Freiburger Fans hatten, kann ich das für mich persönlich nicht wirklich bestätigen.

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Während Felix seinen Platz auf dem Oberrang einnahm, übernahm ich seinen Platz vom letzten Spiel – nicht nur, weil dies mir am geeignetsten erschien, um seitlich von vorne bessere Fotos machen zu können, sondern auch, weil ich bei der Ankunft der aktiven Fanszene nicht im Weg stehen wollte, wenn diese den Block betritt. Noch war es warm gewesen, als die Mannschaften das Feld betraten und das obligatorisch gemischte Foto für die Presse im Sinne der Kampagne „Strich durch Vorurteile“ machten. Es war also angerichtet für die Eröffnung des 27. Spieltags, das mich zwar einen halben Urlaubstag kostete, mir im Gegenzug aber ein freies Wochenende ermöglichte.

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Der Ball rollte und es war klar, dass wir zumindest die erste Halbzeit ohne den koordinierten Support der aktiven Fanszene auskommen müssten. Auch wenn sich die Zuschauer, die es rechtzeitig geschafft hatten, engagiert bemüht hatten, so blieb es doch eher still in unserer Ecke des Schwarzwald-Stadions. Wie laut ein Torjubel dennoch sein kann, bewies man eindrucksvoll nach nur vier Minuten: der Freistoß von Dennis Aogo landete direkt auf dem Kopf von Mario Gomez, schon jetzt unsere Lebensversicherung bei der Unternehmung Klassenerhalt. Das ging schnell. Nicht das erste frühe Tor für den VfB in den vergangenen Wochen, zu viel könnte noch passieren, um sich dieser Sache sicher zu sein.

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Alte Sorgen, neue Sorgen

Schlecht machte das VfB nicht, das musste man ihm zugestehen. Mit mehr Konsequenz sollte doch vermutlich aber auch mehr gehen, bei allem Respekt für die Breisgauer, die sich stets so viel Mühe geben (was man vom VfB in den letzten Jahren nicht immer behaupten konnte). Das zweite Tor wäre da Gold wert gewesen, das wusste vermutlich auch Mario Gomez, der nach einer halben Stunde auf nahezu identische Weise das erste Tor nachmachte. Benjamin Brand hatte aber bereits abgepfiffen, ein Stürmerfoul soll vorgelegen haben, wobei ich mir nicht vorstellen kann, wie man das pfeifen kann.

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Das zweite Tor hätte das Spiel zum Ende hin womöglich weit weniger spannend gemacht, auch wenn sich der Gedanke gut anfühlt, dass es am Ende noch zu drei Punkten gereicht hat. Und so ist die Geschichte des Spiels fast schon weitgehend erzählt: der VfB stabil und bemüht, während den Breisgauern nicht viel eingefallen war. Immer wieder schaute ich während der ersten Halbzeit verstohlen zum Blockeingang, bis ich schließlich die ersten Bündel Fahnen entdecken konnte, gefolgt von einer Horde Ultras. Sie hatten es geschafft, noch vor Ende der ersten Halbzeit waren wir vollzählig – bis auf jene, die bereits in Stuttgart entschieden hatten, eine Anreise würde keinen Sinn mehr haben.

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Ein seltsames Gefühl. Einerseits froh, dass es die aktive Fanszene nun endlich ins Stadion geschafft hat, der VfB in Führung, aber so ganz entspannen konnte ich mich noch nicht. In Freiburg zu verlieren und zu erleben, wie das Ziel vom Klassenerhalt ein wenig anfängt zu wanken, das konnte und wollte ich hier nicht erleben. Mit dem Beginn der zweiten Halbzeit wurde mir auch auf unmissverständliche Art und Weise klar gemacht, woher dieses blöde Gefühl kam. Nils Petersen sei es gegönnt, das Tor des Monats erzielt zu haben, aber der Ausgleich nagte dann doch mehr an mir als er sollte – denn er weckte bei den Freiburgern neue Kräfte.

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Warum auch immer

Jetzt war guter Rat teuer. Wer die Hausherren auf die leichte Schulter nimmt, kann auch mal bitter bestraft werden. Unter den Augen des nahezu vollzähligen Gästeblocks brachte der VfB nicht mehr viel zustande und ich konnte mich des Gefühls nicht verwehren, dass durch den zugegebenermaßen wunderschönen Ausgleichstreffer das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Da war sie wieder, die Angst vor einem weiteren Gegentor, vor einem dummen individuellen Fehler, vor einem unberechtigten Strafstoß, vor der Niederlage. Gerüchten zufolge von jenen, die mich an diesem Freitagabend im Gästeblock hin und wieder beobachtet hatten, soll ich wohl recht entspannt ausgesehen haben. In mir sah es aber anders aus, das könnt ihr mir glauben.

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Lange hatte der VfB nicht mehr Zeit, um die Partie doch noch zu seinem Gunsten kippen zu lassen. Für mich war die Zeit allerdings lang genug, um die vergangenen Wochen vor meinem inneren Auge noch einmal Revue passieren zu lassen. Wie konnte das alles passieren? Gerade eben hattest du noch den sympathischsten Trainer, den dieser Verein in den letzten Jahrzehnten hatte, dann stürzt du dich selbst ins Chaos, nur um ein paar wenige Wochen später im Mittelfeld der Tabelle angekommen zu sein und verdutzte Gesichter zurückzulassen? Unter Tayfun Korkut ist der VfB bislang ungeschlagen. Was als zufälliger Glücksgriff in den ersten zwei Spielen erschien, wuchs sich mittlerweile aus zu einer beinahe schon beunruhigen Serie. Was ist passiert? Und warum?

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Mitten im Gedanken riss man mich heraus, schüttelte mich kräftig und setzte mich in der Realität ab. Schreiend, jubelnd, hüpfend – der VfB führte erneut und ließ den gesamten Gästeblock sich gegenseitig in die Arme fallen. Eine Flanke von Andreas Beck, die in Köln zum wohl amüsantesten und am wenigsten erwarteten Tor führte, stolperte Mario Gomez gerade noch so rein, genauso unschön wie er seine Tore bisweilen zu erzielen vermag, heute und auch vor über acht Jahren. Richtig schöne Tore kann er eigentlich nicht – die wichtigen Tore dafür umso mehr.

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Der Nächste bitte

Eine Viertelstunde war noch übrig auf der Uhr, die ein gut aufgelegter Gästeblock über die Zeit bringen wollte. Leichter gesagt als getan, für mich jedenfalls. Diese permanente Angst vor dem erneuten Ausgleich saß mir zweifelsohne im Genick und drückte mir schwer aufs Kreuz. Der nicht weniger sehenswerte Schlenzer von Christian Gentner wäre kurz vor dem Spielende Gold wert gewesen – zwar hätte das 2:1 auch so gereicht, für mein Nervenkostüm wäre es allerdings wesentlich entspannter gewesen. Die Kälte kroch langsam durch die Betonstufen nach oben, die Knie schmerzten und der Rücken spannte. Drei Minuten Nachspielzeit, eine gefühlte Ewigkeit. Und dann war er endlich da, der ersehnte Abpfiff, der nur noch eine Emotion im jubelnden Gästeblock zuließ: „So verdammt wichtig“.

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Erst einmal ordentlich durchpusten und wieder beruhigen, doch zunächst galt es, die Mannschaft gebührend zu feiern. Sie haben sich gefunden in der denkbar unmöglichsten Konstellation, doch solange es anhält, bin ich dankbar dafür, dass Tayfun Korkut etwas in diesem Moment gelungen ist, das uns allen als VfB weiterhilft. Es gab keine Worte dafür, wie unendlich gut es tat, hier mit drei Punkten die Heimreise antreten zu können, Siege gegen direkte Konkurrenten sind seit jeher die allerwichtigsten. Wir ließen das Schwarzwald-Stadion hinter uns und liefen schnellen Schrittes zum Parkhaus zurück. Erleichtert klappte ich den Laptop auf meinem Schoß auf, doch nicht einmal bei der kurzen Strecke schaffte es mein Körper, meine Augen nicht zuklappen zu lassen. Ein Tag, der Kraft gekostet hatte.

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Was gibt es Schöneres, als am Tag nach dem eigenen Sieg im wahrsten Sinne des Wortes Katastrophentourismus betreiben zu dürfen? Nach dem Finalisieren der Bilder um die Mittagszeit herum, zog es Felix und mich in Richtung Calw zu meinem Kumpel Stephan, wo wir die Konferenz schauten und uns freuten, dass Platz Acht zumindest an diesem Spieltag gesichert war. Vor uns liegt nun eine entspannte Länderspielpause, die wir über das Wochenende in Leipzig verbringen werden. Was dann passiert, werden wir abwarten müssen. Hat der VfB aus seinen Fehlern gelernt, passiert nicht noch einmal das gleiche wie vor zwei Jahren, als man sich auf überhebliche Art und Weise den Hannoveranern entgegen stellte und scheiterte. Nur wenn der VfB daraus gelernt hat, werde ich mir zugestehen können, ja sogar müssen, dass der VfB in dieser Saison vermutlich nicht absteigt. Aber nur dann.

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