Es sieht finster aus. Mit einer Tasse Tee in der Hand schiebe ich die Gardine in unserem Wohnzimmer zur Seite, und sehe, dass da draußen gefühlt die Welt untergeht. Extrem starker Regen, der den Trottwar schon zu einem reißenden Fluss gemacht hat, Blätter, Zweige und kleinere Äste liegen auf der Straße, panische Menschen rennen die Straße entlang, um sich in Sicherheit zu bringen. Was für eine wunderbare Inspiration für einen – wenn auch sehr kurzen – Spielbericht zur Partie gegen Düsseldorf. Willkommen in den stürmischen Zeiten. Mal wieder.

Ich habe nicht mitgezählt, wie oft mir in den letzten Jahren empfohlen wurde, bei Spielen wie diesen meine schriftliche Nachbetrachtung ganz einfach auszusetzen. Nicht nur, dass es weit weniger Leute lesen, als ich es noch vor etwa drei Jahren gewohnt war, auch ist das zeitliche und mentale Opfer, diese Zeilen zu Papier zu bringen, oft größer als das Bestreben, euch daran anteil nehmen zu lassen. Vielleicht kommt es ja noch, das Gefühl, dass es mir besser geht, wenn ich meinen Frust niedergeschrieben habe. Diese Frage beantworte ich am Ende dieser Zeilen.

Denke ich an den Beginn der Saison 2015/2016 zurück, sehe ich einen übermotivierten Alexander Zorniger, der die Mannschaft ins Verderben rennen ließ und sich dafür verantwortlich zeichnete, die ersten fünf Bundesligaspiel verloren zu haben. Erst in Hannover war vermeintlich der Groschen gefallen, ein Irrglaube, wie sich am Ende der Spielzeit noch herausstellen sollte. Ich erinnere mich daran, wie er keine andere Spielphilosophie zulassen wollte, immer alles stets nach vorne. Die richtige Mannschaft hatte er damals dafür nicht, der Grund für sein jähes Scheitern. Warum ich mich gerade jetzt daran erinnere: wir hatten zumindest eine Spielphilosophie. Irgendwas, das erkennen ließ, was der Plan war, die Idee. Auch wenn sie in diesem Fall nicht gut war.

Wohin des Weges?

Aber was soll eigentlich das werden, wenn es fertig ist, wenn ich mir die letzten Leistungen des VfB anschaue. Was genau hat Tayfun Korkut vor? Während es bei anderen, nicht unbedingt besser gestellten Vereinen, zumindest nach einer groben Idee aussieht, fragt man sich in Stuttgart verzweifelt, wohin der Weg führen soll – was auch immer der Weg sein soll. Vertraut man auf erfahrene Spiele? Setzt man auf die jungen Wilden? Sucht man sein Heil in der Offensive? Oder versucht man es eher mit gezielten Kontern? Irgendwas…?

Es gab nicht wirklich viel, was man bei der Partie gegen Düsseldorf hätte falsch machen können. Ein Heimspiel vor eigenem Publikum, ein Aufsteiger aus der zweiten Liga und das dringende Bedürfnis, nach einem enttäuschenden ersten Punkt in Freiburg endlich mal zu gewinnen. Dass mein Gefühl mir stets zuflüstert, es würde ohnehin schiefgehen, ist weitläufig bekannt. Warum kann der VfB dann nicht einfach mal überraschen, verdient und hoch gewinnen und aufkommende Diskussionen zum Trainer, zur Mentalität und zur Motivation im Keim ersticken? Ein locker-flockiges 4:0 vor heimischer Kulisse, ein Mutmacher vor den schweren Spielen in Leipzig und gegen Bremen. Daraus gemacht hat der VfB wie so häufig rein gar nichts.

Zum ersten Mal seit ich in einer Stuttgarter Werbeagentur arbeite (Januar diesen Jahres), konnte ich mich direkt von dort auf den Weg machen. Eine halbe Stunde Anfahrtsweg statt anderthalb Stunden über viele Jahre hinweg, das hat eindeutig etwas Schönes. Noch schöner war die Vorfreude auf liebgewonnene Menschen, die ich am Stadion treffen sollte. Zum einen mein Freund Thibault aus Gent in Belgien, seit Kindesbeinen VfB-Fan, aber erst mit einem Heim- und einem Auswärtsspiel gesegnet (100% Siegquote), zum anderen das ebenfalls aus Belgien stammende Vater-Tochter-Gespann Stéphane und Maxyne, langjährige Freunde und Fans unseres lockigen Lieblingsfranzosen.

Auf der Suche nach einem Konzept

Es wurde bereits ungemütlich, als ich vorm Stadion die Menschen beobachtete, die sich auf verschiedenen Wegen zum Stadion aufgemacht hatten. Der Wind pfiff durch die Bäume, wirbelte alles Laub auf und ließ mich beinahe andächtig sagen “Ein Sturm zieht auf”. Auch nach dem Spiel ist Bad Cannstatt noch nicht vollends im Chaos versunken, aber viel Grund zur Annahme, es würde sich zeitnah bessern, hat irgendwie auch Niemand. Nach einem gemütlichen Sit-In im A-Block der Cannstatter Kurve bei Bratwurst, Pommes, LKW und Bier, trennten sich unsere Wege. Stéphane und Maxyne sind bereits das fünfte Mal in Stuttgart, zum ersten Mal jedoch in der Cannstatter Kurve. Vom Oberrang aus winkten sie mir nach unten, während Thibault inmitten des aktiven Kerns seine Zeit genoss.

Der Aktionsspieltag rund um die EM-Bewerbung 2024 veranlasste die aktive Fanszene, mit einem Banner aufzuwarten, die den Slogan aufgreifen sollte. Unter den Worten “United by football – Vereint im Herzen Europas” postierten sich beide Mannschaften hinter einer bedruckten Bande, während dahinter in der Cannstatter Kurve in großen Lettern geschrieben stand: “United by money – Korrupt im Herzen Europas”. Das war dann auch so ziemlich das einzig Sehenswerte, was am Ende von dieser Partie übrig bleiben würde. Und sehr viel mehr werde ich über dieses Spiel kaum schreiben, außer einen einzigen Absatz.

Kein Konzept. Keine Motivation. Keine Idee. Kein Plan. Nichts dergleichen. Rein gar nichts, was erkennen lässt, welchen Fußball Tayfun Korkut denn spielen möchte. Ein Kader, der qualitativ so besetzt ist, dass es für mehr als ein gutes Mittelfeld reichen könnte, aber so wenig, was man aus ihm rausholt. Noch immer ist kein Plan zu entdecken, wie der Trainer das Ruder herumreißen will. Defensive Ausrichtung, kaum Zug nach vorne, viel zu späte Einwechslungen der Spieler, die von Beginn an hätten spielen müssen – so gewinnst du keinen Blumentopf, geschweige denn ein Spiel.

Das denkbar schlechteste Ergebnis

Dass es am Ende nicht der VfB war, der den Siegtreffer bis in die Nachspielzeit auf dem Schlappen hatte, sondern die Fortuna aus Düsseldorf, stimmt für die nächsten Wochen alles andere als hoffnungsfroh. Nur Ron-Robert Zieler ist es zu verdanken, dass wir “zumindest” einen Punkt geholt haben. Ich dürfte nicht die einzige sein, für die ein 0:0 eine gefühlte Niederlage darstellt. Nicht nur, dass sich unsere Tabellensituation nicht etwa verbessert, sondern verschlechtert hat, sondern vielmehr wegen der Tatsache, dass ein torloses Remis vermutlich zu wenig sein dürfte, mit einem neuen Mann an der Seitenlinie noch das Beste aus der Saison rauszuholen.

Versteht mich nicht falsch, ich bin Tayfun Korkut dankbar für die unfassbare Rückrunde. Aber es fühlt sich nunmehr einfach nach dem an, was viele von uns bereits bei seiner Vorstellung vermutet hatten. Wäre es nicht besser, jetzt die Reißleine zu ziehen, um nicht noch tiefer ins Schlamassel hineinzurutschen? Wäre man dem Vorstand wirklich in diesem Fall böse, würde die Entscheidung so ausfallen? Ist es nicht sinnvoller, eine Zusammenarbeit zu beenden, wenn man merkt, dass es alles andere als fruchtbar ist? Fragen, die zumindest noch ein paar Tage warten müssen.

Noch scheint der Vereinsführung, pardon, ich meine Geschäftsführung der AG die Dringlichkeit der Lage nicht bewusst zu sein. Ob da die drohende Packung beim Auswärtsspiel in Leipzig am Mittwoch daran etwas ändern wird? Fährt man dort ohne Punkte heim und gewinnt wenige Tage später auch nicht gegen Bremen, dürfte das die letzte Chance unseres Noch-Trainers sein. Es steht mir nicht zu, an irgendwelchen Stühlen zu sägen, aber es ist mehr als offensichtlich, dass dieser Trainer mit dieser Mannschaft nicht umgehen kann. Wer es stattdessen machen soll, kann ich allerdings auch nicht beantworten.

Nächster Halt: Heimathafen

Ein Spiel mit so viel Frustpotenzial, und dennoch gereichte es mir zu einem schönen Wochenende. Es war mir so viel mehr wert, Zeit mit meinen belgischen Freunden zu verbringen, am nächsten Vormittag das obligatorische Pavard-Fantreffen am Trainingsgelände abzuhalten und meine Freunde dann wohlbehalten in den Zug Richtung Heimat zu verabschieden. Meine Vorräte an belgischen Köstlichkeiten – Bier und Pralinen – sind fürs erste aufgefüllt und die Vorfreude aufs nächste Wiedersehen schon heute sehr groß. Ist das nicht viel mehr wert als ein grottiger Kick?

Zwei Tage später ist das Wochenende nun auch schon wieder vorbei, vor uns steht nun die englische Woche. Nahezu aus allen Ecken wurde mir eine Karte für das Spiel am kommenden Mittwoch angeboten, dieses Mal würden schon alleine aufgrund der Terminierung wesentlich weniger Leute nach Leipzig fahren als noch zur Premierenpartie in der vergangenen Saison, weitere entschieden sich zum Daheimbleiben aufgrund ausbleibender Leistungen der Mannschaft.

Für mich führt kein Weg daran vorbei, sehr zur Freude meiner Eltern und meines Bruders. Auch in diesem Jahr wird es seltsam sein, das Gefühl, dass Heimat und Herz aufeinandertreffen und gleichermaßen vielleicht die Frage, was aus mir wohl geworden wäre, hätte ich nicht mein Herz ans Ländle verloren. Vermutlich eine von denen. Vielleicht aber auch nicht. Ich bin dankbar für die Freunde und Bekannte, die der VfB in mein Leben gebracht hat. Wenn er mir jetzt noch einen Grund gibt, die Leidenschaft nicht verkümmern zu lassen, hätte das auch etwas für sich.

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