Nach sechs Wochen war ich zurück. Ganze 43 Tage waren vergangen, seit ich das letzte Mal im Stadion war. Man könnte meinen, ich habe mich geradezu danach verzehrt, endlich wieder da zu sein, dass ich es genossen habe, im Kreise meiner Leute zu stehen und meine Mannschaft nach vorne zu schreien. Die bittere Wahrheit sieht anders aus. Die letzten Wochen und Monate haben ihre Spuren hinterlassen. In den letzten zwölf Jahren als VfB-Fan habe ich dieses Gefühl nicht gekannt, diesen befremdlichen Moment, nicht einmal beim vermeintlichen Siegtor der eigenen Mannschaft so etwas wie Freude zu empfinden. Da war nichts. Nur Leere.
Zwei Spiele lagen in der Rückrunde bereits hinter dem VfB, keinem von beidem konnte und wollte ich beiwohnen. Eine kleine Operation Anfang des Jahres zwang mich zur Ruhe, wenngleich der Gedanke, das erste Rückrundenheimspiel gegen Mainz nicht sehen zu können, schwer im Magen lag. Zwei Wochen später kam nun auch ich zum ersten Heimspiel der Rückrunde, so unmotiviert wie noch nie. Mit Sack und Pack beladen machte ich mich auf den Weg, dessen jeder einzelne Meter sich so anders anfühlte als in den letzten Jahren.
Vor gut zehn Jahren entschied ich mich, Mitglied in dem Verein zu werden und mir schließlich auch eine Dauerkarte zu kaufen, ungeachtet der damals 500 Kilometer. Viel hatte ich erlebt in den letzten Jahren, wovon die letzten sechs besonders intensiv waren. Drei 34er-Saisons, drei 33er-Saisons, viele Stadien, unzählige Kilometer. Aber die Zeiten ändern sich. Die Zeiten ändern dich. Nicht nur die letzten Wochen haben mir in den letzten zwölf Monaten gezeigt, dass es auch für mich Wichtigeres als Fußball geben darf. Lange habe ich mir das nicht zugestanden, es ging immer nur um Fußball, Fotos und diesen Blog. Und ich selbst? Ich blieb irgendwo auf der Strecke.
Wo ist nur die Liebe geblieben?
Da stand ich nun also, an meinem Platz, den ich vor über einem Monat das letzte Mal betreten hatte. Große Lust auf das, was nun bevor stand, hatte ich nicht. Es gibt diese Menschen, die immer und überall an das Beste glauben, diese unerschrockenen Optimisten, für die das nächste VfB-Spiel ganz sicher erfolgreich sein wird, auch wenn die Statistik und die Entwicklung der letzten Wochen eine ganz andere Sprache sprechen. Aber ich kann das nicht. Ich kann nicht glauben, dass diese Ansammlung an einzelnen Spielern – denn eine “Mannschaft” ist es ja schließlich nicht – den Ernst der Lage begriffen hat. Ich bezweifle, dass auch Markus Weinzierl genau weiß, was er da tut, obwohl er sicher ein engagierter Trainer ist. Wenn ich an den VfB denke, denke ich nicht an die Angst um den Klassenerhalt. Ich denke nur noch daran, wie man so oft als Verein an einer Kreuzung stehen kann und stets die falsche Richtung einschlagen kann.
Noch am Samstag wurde ich gefragt, was ich denke, wie es ausgeht. Ich zuckte mit den Schultern und meinte “Eigentlich ist es mir egal”. Ein wenig Angst macht mir das natürlich schon. Wo ist diese unbändige Leidenschaft, die in mir loderte, dieser unbedingte Wille, jedes Spiel des VfB im Stadion zu sehen, ungeachtet von Zeit, Geld, Kraft, Gesundheit und Urlaubstagen? Was davon übrig geblieben ist, stand am Sonntag im Stadion und war zu keiner emotionalen Regung in der Lage. Ein neues, ungewohntes Gefühl, von dem ich noch nicht weiß, wie ich damit umgehen soll und wie lange es mich begleiten wird. In einer Zeit, in der Fußball bis zur Unkenntlichkeit kommerzialisiert, die Spieltage zerrissen, der Fan verarscht und die Führungsetage des eigenen Vereins ihren Namen nicht wert ist, keine ungewöhnliche Sache.
Mir scheint es so, als stünde ich mit der wachsenden emotionalen Distanz nicht alleine da. Ist es nicht besser, sich einzugestehen, dass dieser Verein immer wieder die gleichen Fehler machen wird und es zwecklos ist, sich damit emotional zu belasten? Ich bin es leid, mich immer wieder aufzuregen und meine Wochenenden vollends dafür zu opfern, was mir oft Kummer, aber nur wenig Erheiterung bringt. Es kommen vielleicht eines Tages wieder die Zeiten, wo es mir Spaß macht, ins Stadion zu gehen, vor allem auswärts zu fahren. Aber jetzt im Moment ist da nur diese Leere. Ein komisches Gefühl für jemanden, der in den letzten Jahren gar nichts anderes gekannt hat.
Kein Jubeln, kein Frust
Ich will gar nichts groß über das Spiel schreiben. Wer diesen Blog regelmäßig liest, weiß selbst, wie es gelaufen ist. Ihr wisst selbst, wie ihr euch gefühlt habt, als Freiburg nach wenigen Minuten in Führung ging. Ihr erinnert euch, wie ihr empfunden habt, als Emiliano Insua den überraschenden Ausgleich machte. Ihr habt selbst erlebt, wie Danial Didavi kurze Zeit später zur Führung traf. Und ihr wisst auch, wie sich der Ausgleich der Freiburger in der letzten Minute der Nachspielzeit angefühlt hat. Ich zuckte nicht einmal. Lediglich der Finger lag auf dem Auslöser meiner Kamera, aber sonst? Kein Lächeln, kein Bruddeln, kein Schreien, kein Seufzen. Nichts. Wenn ich es mir genau überlege, macht mir das nicht nur ein wenig Angst, sondern ziemlich viel.
Von außen betrachtet war es ein Heimspiel wie jedes andere. Sachen packen, zum Stadion laufen, Fotos machen, als eine der Letzten den Block 33 verlassen, vor dem Stadion noch ein paar Gespräche führen und schließlich gemütlich heimlaufen, gefolgt von einem langen Abend der Bildbearbeitung und -veröffentlichung. Es hat sich noch nie so seltsam angefühlt. Am nächsten Tag begannen bei uns jahrelang naturgemäß spätestens dann die Planungen fürs nächste Auswärtsspiel. Mein letztes Auswärtsspiel ist mittlerweile gut drei Monate her, und wann ich mal wieder mit dabei bin, steht in den Sternen. Eine neue Zeitrechnung?
Wo die Reise des VfB hingeht, kann man nicht wissen. Weder die Mannschaft, noch der Trainer, noch der Vorstand und die Fans gleich gar nicht. Das dumpfe Gefühl des drohenden Wiederabstiegs schwebt umher und lässt sich nicht mehr aus den Kleidern schütteln. Manche sagen, es sei verdient, andere sagen, es wäre der Totalbankrott. Wo man sich jedoch einig ist: nie wieder lässt sich eine Saison wie 2016/2017 wiederholen. Die neuen Stadien, die neu entdeckte Freude am häufigen Gewinnen, die Aufstiegseuphorie in ganz Stuttgart, begleitet von einem niemals enden wollenden “Wenn du mich fragst, wer Meister wird”. Damals, als es mir im Stadion noch Spaß gemacht hat.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
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