Einfach vergessen. Gar nichts schreiben. Alles schwärzen. Über die Erfolge der U17 und U19 berichten. Ein Waffel-Rezept veröffentlichen. Auswandern. Die Alternativen, die mir im Laufe des Wochenendes offeriert wurden, waren vielfältig. Und dennoch entschied ich mich für das Schmerzhafteste von allem: über das zu schreiben, was am Samstagmittag passiert ist. Auch wenn ich es nicht will. Auch wenn mir tausend andere Beschäftigungen lieber wären als diese. Auch wenn es so unendlich weh tut, neu gewonnene Hoffnungen wieder davon schweben zu sehen. Auch deswegen. Und vielleicht sogar auch genau deswegen.
Ach, Sascha. Schwätz du nur. Breit grinsend lief er an mir vorbei die Treppe hoch und rief mir noch hinterher, ich solle positiver denken. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf beim Gedanken daran, wie absurd die Worte waren, die er eben sagte: “Pass auf, Mané macht heute zwei Tore!” Es war kurz vor acht Uhr abends, in Kürze sollte das Spiel beginnen und erstmals würden unsere Neuzugänge Carlos Mané und Benjamin Pavard in der Startelf stehen. Mehr aus der Not heraus, doch wie verrückt war es, eine solche Ansage zu machen? Sascha wird es schon gewusst haben.
Eigentlich sollten wir dankbar sein. Dankbar dafür, dass wir mit einem Punkt gut bedient sind. Dankbar dafür, dass eine englische Woche mit sieben von neun möglichen Punkten Ende ging. Dankbar dafür, dass es bei uns besser läuft als bei anderen Vereinen. So unentschlossen meine Gefühlslage mit der Verpflichtung unseres neuen Trainers Hannes Wolf war, so sehr bin ich es jetzt mit dem Unentschieden in Bochum.
Ihr alle, die ihr da draußen seid und diese Zeilen lest. Ihr alle, die ihr dem Brustring gewogen seid und euer Herz für diesen Verein gegeben habt. Ihr alle, die ihr mit mir in der Kurve gestanden seid und genau wisst, wie ich empfinde. In diesen Tagen eint uns alle das gleiche Gefühl: jene schmale Gradwanderung zwischen hoffnungsvoller Euphorie und vorsichtiger Skepsis, diese bizarre Mischung, Hoffnung geschöpft zu haben, obwohl man das nicht wollte.
Unser Ruf eilt uns bereits meilenweit voraus. Jene Tage, an denen der Gegner mit Ehrfurcht den VfB empfing und das Beste hoffte, sind vorbei. Heute sind wir nur selten mehr als ein gern gesehener Aufbaugegner. Immer wieder bewies unser Verein mit schierer Leidenschaft, wie gern er seinem zweifelhaften Image nachkommt, nämlich jedem strauchelnden Verein, der dringend Punkte benötigt, bereitwillig zu helfen. An die leidtragenden Fans, die das seit langer Zeit mitmachen müssen, denkt da natürlich niemand. Von Absicht würde ich nicht unbedingt sprechen, aber man bekommt diesen Ruf einfach nicht los.
Andere Worte kann es für diese Darbietung nicht geben. Für manche war es der Tiefpunkt der letzten Jahre, und von denen gab es wahrlich viele, für andere wiederum der allerletzte Schuss vor den Bug. Für manche überlebt Jos Luhukay den Herbst nicht als VfB-Trainer, andere wiederum sind der festen Überzeugung, er sei der richtige für die Mission Wiederaufstieg. Jeder soll selbst entscheiden, was er glaubt und woran er bis zum Ende der Saison glauben will, ich weiß nur, woran ich nach dem Freitagabend nicht mehr glaube: dass wir ein ernsthafter Kandidat für den Aufstieg sind.
Der Inbegriff der Zweitklassigkeit. Sandhausen. Lange hatte ich in der Nacht davor noch wach gelegen, habe die Schlafzimmerdecke angestarrt und mir bewusst gemacht, am nächsten Tag nach Sandhausen aufzubrechen. Keinem anderen Gegner haftet dieses unbequeme Gefühl der Zweitklassigkeit mehr an als dem SV Sandhausen, der kleinen 15.000-Einwohner-Stadt im Rhein-Neckar-Kreis, acht Kilometer südlich von Heidelberg. Wer nach Sandhausen muss, ist wirklich abgestiegen und muss sich klar machen, dass einem nichts geschenkt wird. Das alleine machte es auch gefährlich.
Es gibt sie also doch noch. Wir kennen sie alle, diese kleinen Momente, in denen alles friedlich und in allerbester Ordnung ist und nichts diesen Augenblick trüben kann. Wenn du all die Sorgen für ein paar Minuten vergisst, dich zurücklehnst und die Situation genießt. Als sich am Samstagabend die Sonne am Rande des Saarlands am Horizont unterging und den Gästeblock in ein warmes Sonnenlicht tauchte, das nur durch den hellen Schein unzähliger bengalischer Fackeln noch heller wurde, stand ich mit beiden Beinen fest auf den Betonstufen, zwischen denen das Unkraut hervorkam, schaute stillschweigend auf gut 3.000 mitgereiste VfB-Fans und dachte mir mit einem Lächeln: Warum kann es nicht einfach immer so sein?
Niemand hatte gesagt, es würde leicht werden. Im Gegenteil. Viele Jahre wischten wir uns spätestens am letzten Spieltag den Angstschweiß von der Stirn, schnauften erleichtert “Grad nommol gut gange!” und wollten nie erleben müssen, wie sich die zweite Liga wohl anfühlen würde. Kein Zuckerschlecken, das wurde uns immer suggeriert. Kleinere Stadien, weniger Tickets, unattraktiverer Fußball, ganz zu schweigen von den bescheidenen Anstoßzeiten. Dass in Liga 2 alles viel blöder ist, haben wir Fans schon vorher gewusst. Doch die Mannschaft wusste es anscheinend nicht.
So richtig bereit war ich dafür noch nicht. Zweite Liga. Der Begriff, vor dem ich so viele Jahre so unwahrscheinlich viel Angst hatte. So richtig echt fühlt es sich noch nicht an. Nun also Aue, Sandhausen und Heidenheim statt Bayern, Schalke und Dortmund. So richtig freuen konnte ich mich nicht, wenngleich die Vielfahrerei zu jeglichen Spielen des VfB meine Aussage nur umso absurder erscheinen lässt. Auf uns wartet nun eine neue, spannende und auch aufregende Zeit, von der keiner so recht erahnen kann, was sie für uns bereit hält.

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