Es ist nicht so, dass ich wirklich etwas anderes erwartet hatte. Ich habe genau das erwartet, was es am Ende war, eine weitere Niederlage gegen die Bayern. Und doch sind es jene Spiele, die am bittersten sind: jene, in denen du für einen Moment an der Sensation schnuppern kannst, das Gefühl fast schon riechen kannst, bevor dir ein einziger grausamer Schuss mitten ins Herz alle Hoffnungen nimmt. Eigentlich war es wie immer. Und dann aber doch irgendwie nicht. Was wäre es nur für eine Sensation gewesen, wenn der VfB die letzten notwendigen Punkte für den Klassenerhalt ausgerechnet bei denen holt, die man so gar nicht auf dem Zettel hatte? Es wäre schlichtweg zu schön gewesen, um wahr zu sein.

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Einer meiner Bekannten hatte bei Twitter geschrieben, es gäbe nur zwei Optionen: der VfB spielt gut, bemüht sich redlich und verliert am Ende dämlich und unglücklich mit einem Tor Unterschied, oder aber er ergibt sich gleich in sein fast schon unabwendbar erscheinendes Schicksal, müht sich gar nicht erst und wird förmlich überrollt, wie häufig in den letzten Jahren. Elf Ligaspiele zuzüglich drei DFB-Pokal-Spiele, niemand sonst hatte in den letzten Jahren eine derart schlechte Bilanz gegen die Bayern. Das war nicht immer so, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Damals. Als der VfB noch eine große Hausnummer war.

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Die übliche innere Unruhe ließ lange auf sich warten, man könnte fast meinen, ich sah dem Spiel entspannt entgegen. Zu holen gab es aller Voraussicht nach nichts, so blieb einzig und allein der Fakt, sich nur positiv überraschen lassen zu können. Es könnte so einfach sein, diese Partie mit Gleichgültigkeit zu begegnen und egal was passiert, es mit Fassung zu tragen – sehr viel leichter gesagt als getan. Dass es am Ende vermeintlich knapper war, als das Ergebnis einem suggeriert, macht es nicht einfacher. Fast könnte es einem egal sein, wenn man denn auf Punkte nicht noch dringend angewiesen wäre.

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Der sorgenvolle Blick aufs Restprogramm

Viele sagen mir, ich solle die Ruhe bewahren. Viele sagen mir, die Punkte kommen schon noch. Viele sagen mir, es sei doch letztes Jahr alles noch viel, viel, viel enger gewesen. Erst am vorletzten Spieltag hievten wir uns vom Tabellenende auf den Relegationsplatz um uns eine Woche später in Paderborn letztendlich zu retten. Es waren Wochen der Anspannung, der Angst, der Hoffnung, der Verzweiflung. Man hatte mehr gegeben als man konnte, sowohl wir Fans als auch die Mannschaft. Ein Jahr später ist unsere Situation zwar nicht ganz so angespannt, doch nicht frei von großen Sorgen.

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Wer weiß, wie ausweglos unsere Situation jetzt sein könnte, hätte man zu Beginn der Hinrunde nicht so bravourös aufgespielt. Viel übrig geblieben ist davon nicht und was zwischenzeitlich zum Schielen auf die internationalen Plätze verleitete, lässt uns nun nur noch hoffen, dass es am Ende doch noch reicht, ohne eine Extrarunde drehen zu müssen. An genau dieser Stelle ist Zuversicht und Optimismus gefragt. Die meisten würden sagen, dass der VfB die letzten Punkte eben einfach in Augsburg und/oder Bremen holt. “Einfach”. Nichts ist einfach. Nicht bei diesem Verein.

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Am Tag danach bleibt viel Wehmut übrig. Nicht, wegen eines verlorenen Spiel gegen den Tabellenführer. Viel mehr beim Blick aufs Restprogramm, auf die Ergebnisse der Konkurrenz, auf die Leistungsfähigkeit der Mannschaft und wegen des dumpfen Gefühls, dass es am Ende schneller gehen kann, als einem lieb ist. Dazu brauche man nur in Freiburg nachzufragen, die wohl auch nicht wirklich ahnten, wie brenzlig die Situation wirklich ist. Will ich abwarten bis zum letzten Spieltag, mich vermeintlich sicher fühlen, um dann die nahezu komplette Konkurrenz an mir vorbeiziehen zu lassen? Nein, ich kann das nicht. Ich will es auch nicht.

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Woher sollen die Punkte denn kommen?

1:5. Nicht mehr, nicht weniger. So lautete mein nicht unrealistischer Tipp für das Spiel. Der absurd wirkende Tipp meiner Schwiegermutter ließ mich laut lachen, sie meinte, ein 2:2 wäre drin und war damit teilweise näher dran als ich mit dem 1:5. Man wird ja noch träumen dürfen. Wer eine Niederlage von vornherein mit einkalkuliert, der sollte am Ende doch nicht enttäuscht sein, oder? Am Ende blieb trotzdem ein Stück Enttäuschung zurück, hatte doch nicht viel gefehlt zum Ausgleich.

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Die Punkte müssen woanders geholt werden, das war uns vor dieser Partie bewusst und danach nur umso mehr. Doch woher genau eigentlich? In Augsburg, gegen die man seit Jahren mehr Trainer verloren als Punkte geholt hatte? Gegen Dortmund, die mit Reus, Aubameyang und Co. noch den absoluten Willen verspüren, den Bayern gefährlich nahe auf die Pelle zu rücken? In Bremen, die zwar gefährlich straucheln, ihnen aber im Zweifel ein einziger lichter Moment von Claudio Pizarro reicht? Woher denn?

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Ich sehne mich danach, dass es bereits am vorletzten Spieltag gegen Mainz um nichts mehr geht, ein hehres Ziel, das in den letzten Wochen immer unwahrscheinlicher geworden ist. Hätte man doch nur… ja, ich werde es wieder sagen…. gegen Hannover gewonnen. Ein wenig mehr Konsequenz, ein wenig mehr Leidenschaft, ein wenig mehr Cleverness, dann würde ich nicht hiersitzen und mit dem einen Spiel vor sechs Wochen hadern, das uns allen noch lebhaft im Kopf hängen geblieben ist, fast noch mehr als die neun Niederlagen unter Alexander Zorniger.

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Daheim und doch auswärts

Wenig Lust verspürte ich auf den letzten Metern zum Neckarstadion. Getragen vom Gedanken “Hoffentlich ist es schnell vorbei“ trafen wir vor den Toren unserer Heimspielstätte ein, Felix verabschiedete sich schon früh und ich führte noch ein paar Gespräche zum Kaderumbruch, der uns im Sommer mit Daniel Didavi, Filip Kostic, Martin Harnik und womöglich noch weiteren Kandidaten bevorsteht. Es wird hart, ohne jede Frage, und niemand weiß so recht, was daraus werden soll.

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Ob es gelingt, eine Mannschaft zusammenzustellen, die in der Lage ist, die Anforderungen der ersten Liga gut zu erfüllen, und zwar besser als der alljährliche Abstiegskampf? Ich weiß es nicht. Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem alle guten Spieler weg sind und jene, die uns nicht weiterhelfen, bleiben. Auf lange Gesicht gesehen ein Himmelfahrtskommando, man braucht Geld für gute Spieler, sieht als einziges Heilmittel aber nur die Ausgliederung. Nüchternen Blickes setzte ich meinen Fuß in den Block, vorbei an unzähligen eingerollten Papptafeln, die zwischen den Stufen steckten.

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Langsam schaute ich mich um und werde früher oder später in diesem Spiel erkennen, dass man wohl nur in der Cannstatter Kurve vor den Massen an Bayern-Fans sicher ist. Jene, die aus dem Stuttgarter Umland kommen keine Tickets in der Allianz Arena bekommen, erscheinen alle Jahre wieder zum Heimspiel gegen die Münchner und erzeugen damit einen immer übler werdenden Effekt: trifft der FC Bayern in Stuttgart, springen viel zu viele Leute auf und machen die Partie zum Quasi-Heimspiel. Es werden immer mehr, war es früher noch ein Viertel, wurde es eines Tages die Hälfte bis hin zum gefühlten Dreiviertel des Stadions, das mit Bayern-Fans gefüllt ist.

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Nur nicht blamieren

Von einigen Bekannten, die ich sonst immer im Block begrüßen darf, war weit und breit keine Spur? Wo waren die alle, Isabel, Mareike und Nina? Die Minuten krochen dem Anpfiff entgegen, überbrückt wurde die Wartezeit mit Michi Beck und Timo Hildebrand, die Holger Laser Rede und Antwort standen, deren Aussagen aber durch die unsägliche (und damit nicht vorhandene) Qualität der Lautsprecherboxen im Nichts verloren gingen. Viel Optimismus vernahm ich nicht, und wenn es ihn gab, war es wohl Zweckoptimismus: „Wir haben keine Chance. Nutzen wir sie!“

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Ungeachtet der Tatsache, dass ich unter allen VfB-Fans dieser Generation als Spätzünder gelte (die Bezeichnung „Erfolgsfan 2007“ lassen wir nunmehr getrost unter den Tisch fallen), habe ich schon einige Duelle gegen den FC Bayern München auf dem Kerbholz. Weit weniger als die meisten meiner Stammleserschaft, doch reicht es, um zu wissen, dass früher, lange Zeit vor mir, vieles oder gar alles irgendwie besser war. Berichten kann ich von einem 2:2 und einem 0:0. Der Rest ist Schweigen.

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Irgendwie möglichst schadlos die 90 Minuten überstehen, es war das einzige, was man sich erhoffen konnte. Die Zeiten, in denen es der VfB vermocht hatte, den Bayern Paroli zu bieten, sind endgültig vorbei, zu hoch deren individuelle Qualität, zu gering die unsere, das in Kombination hat uns Fans schon zu oft im Gefühl zurück gelassen, förmlich überrollt worden zu sein. Ich habe aufgehört, die Gegentore zu zählen, und jedes Jahr aufs Neue behaupte ich, ich habe aufgehört zu hoffen – nur um mich dann doch dabei zu ertappen, und sei es nur für einen winzig kleinen Augenblick.

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Gnade uns Gott

Die Zeit war gekommen, die ausgeteilten Papptafeln zu entrollen, den Ansagen der Vorschreier zu lauschen und die Kurve schlussendlich in ein Meer von Weiß und Rot zu tauchen. Was darauf zu erkennen war, sollte ich erst später in Erfahrung bringen. Gar nicht so einfach, Fotos und Choreo in Einklang zu bringen. Eine Hand hält die Papptafel, die quer auf meinem Kopf liegt, die andere Hand hält die Kamera. Klingt komisch und sieht mit recht hoher Wahrscheinlichkeit nicht weniger komisch aus.

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Vor unseren von Papier verdeckten Gesichtern betraten die Mannschaften das Feld, ausverkauftes Haus, wie fast immer, wenn Heerscharen von Bayern-Fans die Plätze füllen, die sie in München nicht bekommen. Es war also angerichtet für den Südgipfel, der seit einiger Zeit nicht mehr ist als die nahezu designierte Demontage unseres Traditionsvereins. Kurzfristig galt es Alexandru Maxim, Martin Harnik und Christian Gentner zu ersetzen, alle drei fielen wegen Grippe aus, langfristig gilt das für Serey Dié, Daniel Ginczek und Kevin Großkreutz. Wie soll das nur gut gehen?

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Der Ball rollte und die Vermutung lag nahe, dass das erste Tor bei der zweitschlechtesten Defensive der Liga (nach Werder Bremen) wohl nicht lange auf sich warten lässt. Mit vielem hatte ich gerechnet, nicht jedoch, dass es der VfB war, der nach gut elf Minuten die erste Torchance für sich verzeichnen konnte: ein Freistoß von Filip Kostic kam irgendwie noch auf den Fuß vom im Sommer nach Wolfsburg wechselnden Daniel Didavi, der das Tor besonders schön machen wollte, aber letztlich an sich selbst und an Manuel Neuer scheiterte. Nicht auszudenken, was hier los gewesen wäre.

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Dreißig Minuten auf Augenhöhe

Wirklich gerechnet hatte wohl keiner damit, dass der VfB hier in den ersten 20, 30 Minuten gut mithalten würde. Mit einer Fünferkette sicherten sie nach hinten ab, ob das gegen müde Bayern ausreicht, sollte der weitere Spielverlauf zeigen. Noch ging die Taktik von Jürgen Kramny auf und noch gab es keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Wer weiß, ob ein Punkt drin gewesen wäre, wenn Arturo Vidal Gelb-Rot vom Platz geflogen wäre, doch wechselte ihn Pep Guardiola nach bereits 26 Minuten aus.

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Mit einem Mann weniger hätten wir sie vielleicht doch irgendwie in die Knie zwingen können. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ich würde nicht sagen, sie hätten sich gleich in ihr Schicksal gefügt, was sie zeigten, war durchaus ordentlich. Und nein, ich will damit nicht sagen, man könne sich auf die Leistung des Spiels berufen, zufrieden sein und glauben, gegen Augsburg würde dies am nächsten Wochenende schon reichen. Ich will damit nur sagen: ich habe schon wesentlich katastrophalere Auftritte gesehen, die an das Kaninchen vor der Schlange erinnert hatten.

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Was negative Statistiken angeht, ist der VfB im Gegensatz zu den positiven Werten ganz vorne mit dabei. Die meisten Gegentore. Die meisten Abseitspositionen. Die meisten versemmelten Großchancen. Die meisten Eigentore. Man könnte über so viel Slapstick beinahe lachen, wenn es denn nicht zum Heulen wäre. Eine Flanke von Franck Ribery hatte ausgereicht, um den Wert des Grauens noch weiter nach oben zu schrauben.

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Traurige Rekorde

Leidtragender war wieder einmal Georg Niedermeier, nach der Partie in Dortmund sein zweites Eigentor binnen von 132 Tagen. Bittere Ironie: er war der einzige gebürtige Münchner auf dem Platz. Nicht nur, dass in dieser Saison niemand sonst so häufig ins eigene Tor traf (sechs Mal), nein, es ist Bundesliga-Rekord. Dass die Saison noch fünf Spieltage übrig hat, macht die Tatsache keinesfalls besser. Womöglich wäre Robert Lewandowski doch noch an den Ball gekommen, doch wäre der Ball vielleicht ohne Schorschs kläglichem Klärungsversuch am Tor vorbei gerollt. Erneut sprangen gefühlt Dreiviertel des Stadions auf und jubelten. Und das soll ein Heimspiel sein?

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So richtig ins Rollen kommen wollte die Stimmung an diesem Samstagnachmittag nicht, in den Außenblöcken der Kurve wollte die Energie nicht richtig überschwappen, ein mehr als bedauernswerter Anblick, doch für einen allein kaum abzuändern. Unter unseren Blicken schlug sich der VfB achtbar, laut Statistik hatten wir mehr Torchancen und mehr gewonnene Zweikämpfe als die Bayern, die dafür allerdings gut 75% Ballbesitz hatten. Doch was sind schon Statistiken, uns interessiert nur die Tabelle, allerspätestens am letzten Spieltag. Ich habe Angst vor diesem Tag. Nicht ganz ohne Grund.

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Unter den 60.000 Zuschauern war auch Sami Khedira, unvergessen (nach der Meisterschaft) blieb auch sein spätes Ausgleichstor gegen die Bayern am 13. Dezember 2008, volley, trocken, Tor oder Neckar. Damals wars, als man den FCB noch ärgern konnte. Zuletzt gewann man 2010 in München, als ich vorhatte hinzufahren und mir ein Freund sagte, ich solle mir die weite Anreise spraren und daheim bleiben, es würde sich ohnehin nicht lohnen. Ich blieb daheim und seither verlor der VfB alle seine Spiele gegen die Bayern, entweder haushoch oder denkbar knapp.

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Erwartungsgemäß

Die zweite Halbzeit hatte unterdessen begonnen und ließ mich allenfalls hoffen, dass es am Ende nicht so schlimm wird. Wo gerade eben noch ein kleines bisschen Hoffnung da war, dass der Ausgleich doch noch irgendwie reingemurmelt wird, folgte schon bald die Ernüchterung. Es gibt Tage, da schießen die Bayern Traumtore, die man einfach nicht verteidigen kann. Und es gibt Tage, da macht es ihnen der Gegner viel zu einfach. Das erste murmelte man sich selbst hinein, das zweite bekam Toni Sunjic durch die Beine hindurch. An guten Tagen hält Przemyslaw Tyton ein solch krummes Ding, nicht jedoch in Momenten, in denen wirklich alles gegen einen spricht.

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David Alaba ließ erneut fast das ganze restliche Stadion aufspringen. Stillschweigen in der Kurve, ohnmächtig von der Einfachheit beider Tore, frustriert von der Überzahl des Gegners in der eigenen Festung. Hier standen wir nun, unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Wenn wir könnten, würden wir die Tore selbst schießen, den Gegner selbst umgrätschen und selbst alles dafür geben, hoch erhobenen Hauptes den Tag zu beenden. Wir können es nicht, wir können nur alles tun, dass wir die Mannschaft nach vorne schreien. Ob es sie beflügelt, steht auf einem anderen Blatt.

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Schweren Herzens mussten wir uns eingestehen, dass es wohl ein weiteres Mal nicht zur Sensation reichen wird. Zwei Gegentore nach 52 Minuten. Was sollte uns denn jetzt noch helfen? Ein Elfmeter? Ein oder lieber zwei Platzverweise für den Gegner? Die Hilfe vom Fußballgott höchstpersönlich? Nichts sah danach aus, als würde hier noch etwas passieren. Aber so ist eben unser VfB. Nicht einmal dann, macht er das, was man von ihm vermutet. Alles außer gewöhnlich.

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Auf dem Hosenboden zum Anschluss

Zehn Minuten waren vergangen, seit David Alaba unseren kleinen Hoffnungen auf einen erträglichen Ausgang der Partie zunichte machte. Freistoß für den VfB. Weit in den Strafraum flog der Ball hinein, Daniel Didavi bekam ihn nicht so recht unter Kontrolle, genauso wenig wie die Vielzahl an Bayern-Spielern um ihn herum. Gewusel im Strafraum, Aufregung in der Cannstatter Kurve, wieder stiegen die Leute vor mir auf die Mauer und versperrten die Sicht.

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Hoch in die Luft hob ich die Kamera, drückte den Auslöser und lauschte der Kurve, von der ich hoffte, dass sie mir ein Stück Hoffnung zurückzugeben vermag. Sekundenbruchteile, Raunen, Bangen, Hoffen, Versteinern… und schlussendlich: Schreien. Niemand weiß so recht, wie Daniel Didavi dieses Tor machen konnte, aber in diesem Augenblick war es uns egal. Erst die Anzeigetafel offenbarte mir, wie es gefallen war.

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Da lag er nun, auf dem Hosenboden sitzend im Strafraum, mit dem Fuß am Ball, im hohen Bogen über Manuel Neuer, mitten hinein ins Glück einer leidgeprüften Cannstatter Kurve. So etwas kann man sich nicht ausdenken. Es erinnerte ein wenig an Christian Gentners Knie-Tor gegen Rijeka, gefolgt von einem der bittersten Momente der letzten Jahre. Beschreien wollte ich es wirklich nicht, das schwöre ich euch.

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Helden für einen Tag

Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass es doch noch ein offenes Spiel wird. Ob es nun die leicht angezogene Handbremse der Bayern als Schonungsmaßnahme gewesen sein mag, so viel fehlte dem VfB nicht infolge dieses kuriosen Anschlusstreffers. Der VfB war am Drücker, genau wie die Cannstatter Kurve, die das unerwartete Tor aus ihrer Lethargie gerissen hatte. Alle schrien, alle hüpften, man gab wieder alles, um der Mannschaft das Gefühl zu geben, man könne hier gemeinsam etwas reißen. Nicht auszudenken, wenn hier der schnelle Ausgleich gefallen wäre?!

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Thiago kam wenige Minuten später für Mario Götze aufs Feld, mit Argwohn beobachtet und dem Wissen, dass er uns schon einmal auf grausamste Art und Weise weh getan hatte. Vor über zwei Jahren stand es bis in die Nachspielzeit hinein 1:1, als Thiago einen Seitfallzieher auspackte und uns eiskalte geschockt hatte. Kaum ein anderes Tor hat so sehr wehgetan wie dieses, kombiniert durch die bitteren Tatsachen, dass das Spiel wenige Sekunden später vorbei gewesen wäre und von 100 Versuchen wohl 99 auf der Tribüne gelandet wären.

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Vielleicht hätte uns Thiago früh erlegen können, wenn Przemyslaw Tyton in der 78. Minute seinen Gewaltschuss nicht noch an die Latte gelenkt hätte, dann wären erneut alle Hoffnungen obsolet gewesen. So aber blieb es offen, vermeintlich offen, wie der geneigte VfB-Fan empfunden haben mag. Vielleicht sprangen die Bayern nur so hoch, wie sie mussten und vielleicht hatte Pep Guardiola von Anfang an keinen Respekt vorm VfB und ließ seine besten Leute auf der Bank. Für uns aber war es ein Moment, in dem unsere Spieler – wie die geschätzten Kollegen vom Vertikalpass geschrieben hatten – für einen Tag hätten Helden sein können.

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Ein schwacher Trost

Immer wieder rannten sie an, doch ohne die letztendliche Konsequenz, den letzten Schritt, den letzten Funken Leidenschaft. Ein wenig mehr davon und ein Punkt wäre drin gewesen. So aber kam Douglas Costa, dessen letztes Tor ironischerweise aus dem Hinspiel gegen uns zurückdatiert ist, eine Minute vor dem offiziellen Ende der Partie. Auch dieser Schuss war nicht unhaltbar, machte aber am Ende keinen Unterschied mehr, da der VfB das Tor einfach kein zweites Mal zu treffen vermochte. Kurz darauf war es überstanden, Bastian Dankert pfiff die erwartete Niederlage gegen die Bayern ab, ungeachtet der Tatsache, dass vielleicht ein Punkt doch drin gewesen wäre.

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Trösten kann mich der zumindest etwas couragiertere Auftritt nicht, denn wirklich kaufen können wir uns davon nichts, im Gegenteil. Ist man bei der Mannschaft wohl geneigt, sich selbst für die Leistung zu loben, verfällt man schlimmstenfalls am kommenden Wochenende in Augsburg wieder in alte Verhaltensmuster zurück, zeigt sich wieder schläfrig und selbstzufrieden, um auf ebenso bittere Art und Weise zu verlieren wie in den letzten Jahren. Ist sich die Mannschaft der prekären Lage wirklich bewusst? Es darf bezweifelt werden.

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Ihren Applaus holten sie sich trotzdem ab, ungeachtet der neuerlichen Enttäuschung war es die angemessenere Reaktion. Verstand ich vor einer Woche die wenigen Applaudierenden am Böllenfalltor nicht, galt es zumindest den Jungs Mut zu machen, denn diesen werden sie in einer Woche definitiv brauchen. Was wir brauchen, ist Zuversicht. Was wir haben, ist Frust und Enttäuschung. Bei manchen jedenfalls, mich eingeschlossen.

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Die Jäger der verlorenen Punkte

Die Reihen lichteten sich, zum Vorschein kamen die Massen an zerknülltem Papier, die es beim Papierkugelweitwurf zum Anpfiff nicht in den Graben zwischen Kurve und Spielfeld geschafft haben. Niedergetrampelt von 16.000 Füßen würden sie dem Reinigungsdienst noch viel Freude bereiten. Man verabschiedete sich voneinander, die Reaktionen waren dabei nahezu identisch. Zwischen „Schade“ über „War doch klar“ bis hin zu „Sie haben sich zumindest nicht abschlachten lassen“, ein gutes Spiegelbild der Emotionen.

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Wir wussten bereits vorher, dass wir die Punkte woanders holen müssen, doch einen Punkt hätte ich, gemessen am Sturmlauf nach Daniel Didavis Sitz-Anschlusstreffer nur zu gerne mitgenommen, eine kleine Sorge weniger vor den letzten fünf Spielen unseres Saisonfinales. Kopfschütteln lief ich langsam die Treppen hoch zum Ausgang, stieg über die letzten Überreste der Choreo und stellte mir die längst hinfällige Frage, was vielleicht noch drin gewesen wäre. Ich will mich nicht am Ende der Saison fragen müssen, wo ein, zwei Punkte gefehlt haben, um uns über dem Strich zu halten.

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Jedem von euch sei seine eigene Meinung zugestanden. Wer optimistisch sein will, soll zuversichtlich auf die nächsten Spiele schauen und sich sicher sein, dass die Punkte schon noch kommen. Doch sei auch mir die Vorsicht und die Sorge zugestanden, die mich immer wieder an die bangen Momente im letzten Jahr erinnert. Am Abend saßen wir noch mit unserem guten Kumpel Josef und seiner Familie beim Abendessen, der einzige Bayern-Fan in meinem Freundeskreis (ja, so etwas gibt es auch), plauderten und lachten (ja, auch das). Am Charlottenplatz verabschiedete er uns mit den Worten „Bis spätestens nächste Saison“. Er ist sich da sicherer, als ich es bin.

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