Eine halbe Stunde kann so verdammt lang sein. Eine nervliche Zerreissprobe für gut 1.500 mitgereiste Fans, die noch eine halbe Stunde bis zum Abpfiff überstehen mussten. Wie man ein solches Spiel in einem doch nicht gerade vor Selbstbewusstsein strotzenden Zustand gewinnen kann, bleibt ein Rätsel, das nicht einmal der VfB selbst zu beantworten vermag. So oft hatten wir in dieser Saison sagen müssen “Es gibt manchmal solche Tage” – das funktioniert zum Glück auch mal anders herum.

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“Hoffentlich lohnt sichs!” hatte mein Chef ein weiteres Mal gesagt, als er mir wenige Tage zuvor die zwei Urlaubstage genehmigte. Das eine oder andere Mal frage ich mich schon, ob man den Verstand verloren hat, unter der Woche kurz vor Weihnachten insgesamt 1.300 Kilometer im Bus zu sitzen, für ein Spiel, von dem man – gemessen an den letzten Monaten – nicht wirklich etwas erwarten kann.

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Mit diesem Gedanken war ich allerdings nicht allein, wir fanden uns schließlich wieder in einer Gruppe der Ewiggleichen. Eben jener, die viel geben und vom VfB doch so wenig zurück bekommen. Für ein solch unglücklich terminiertes Spiel und die dabei zu absolvierende Entfernung waren 1.500 mitgereiste Schlachtenbummler (abzüglich des ortsansässigen VfB-Fanclubs Roter Brustring Hamburg) kein schlechter Schnitt. Es ist romantisch, zu glauben, dass die Mannschaft das wusste, und sich dafür besonders reingehangen hat.

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Was wäre, wenn…?

Alles stand vorbereitet im Flur auf dem Boden. Vesperrucksack, zwei Kamerataschen, zwei Bauchtäschle und die Laptoptasche mitsamt USB-Lampe, Surfstick und Zusatz-Akku. Wer viel auswärts fährt, der weiß, worauf es ankommt und was man braucht. Manch andere schütteln den Kopf: Wer nimmt denn bitte seinen Laptop auf eine Auswärtsfahrt mit? Ich. Um die Bilder direkt danach bearbeiten und online stellen zu können, um jene zu bedienen, die danach dürsten.

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Für halb zehn war der Treffpunkt am Neckarstadion vereinbart. Eine angenehme Uhrzeit, letzte Saison trafen wir uns an gleicher Stelle bereits halb fünf morgens. Ein merkwürdiges Gefühl vor der weitesten aller Auswärtsfahrten in der Bundesliga. Nicht zum ersten Mal spielte sich in meinem Kopf der Film ab, wie die Rückfahrt denn aussehen würde, sollte der VfB – fast schon erwartungsgemäß – dieses Spiel nicht gewinnen können?

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Ein freundliches „Guten Morgen!“ warf ich in die Runde, nachdem Felix mich am Stadion abgeladen hat. Er wollte ja unbedingt mit dem Auto fahren, um in den frühen Morgenstunden nicht nach Hause laufen zu müssen. Ein ehrenwerter Plan, den jedoch leider noch viele andere hatten. Während ich die ersten Bekannten schon begrüßen durfte und unsere Plätze im Bus belegt hatte, suchte Felix noch lange nach einem Platz für das Auto, er kam später nach.

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Beste Stimmung im 90er-Jahre-Partybus

Lange hatte es nicht gedauert, bis die 90er-Jahre-CD eines Bekannten den Weg in den CD-Player des 50er-Busses fand. Gemessen an der Mitsingquote und den strahlenden Gesichtern dürfte ein nicht unerheblicher Teil der Mitfahrer zwischen Mitte 20 und Mitte 30 gewesen sein. Neben „My heart will go on“ und „Quit playing games with my heart“ durfte natürlich auch „Macarena“ aus dem Jahre 1993 nicht fehlen: „Kjhekjfvfmhr jkdcmnmcbhr macarena… ncnjqekjrvd kdmbbfyemd buena.. fjwjehbowk dnnewheyr macarena.. HEEEEEYYYY MACARENA“ – inklusive der einen oder anderen Tanzeinlage auf den Sitzen.

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Es war eine entspannte und weitgehend gemütliche Fahrt in den hohen Norden Deutschlands, die Stimmung war ausgelassen und das Bier wurde zügig geleert. Ich selbst konnte das nicht, für mich war es in den Morgen- und Mittagsstunden noch zu früh. Dabei gäbe es kein „früh“ oder „spät“ bei Auswärtsfahrten, sondern nur „hinzu“ und „rückzu“, meinte einer der Jungs. Auf der eigenen Fanclub-Ausfahrt nach Wolfsburg hatte ich schon weit vor fünf Uhr morgens das erste Bier in der Hand, es war mir jedoch nicht sonderlich gut bekommen.

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Ob die Zeit ausreicht, das Stadion rechtzeitig zu erreichen? Mein Hang zur (vorschnellen) Panik dürfte mittlerweile bekannt sein, es hätte nur einen Mega-Stau oder einen Unfall geben müssen. Gut zehn Stunden lagen zwischen Abfahrt und Anpfiff, das sollte für gewöhnlich doch ausreichen, oder? Den Feierabendverkehr in und um Hamburg herum hatte man sicherlich schon ein Stück weit einkalkuliert, wirklich wohl war mir beim Blick auf tausende rote Rücklichter und dem damit einhergehenden Blick auf meine Armbanduhr selbstredend nicht.

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Erinnerungen an Hamburg

Während man uns vergangene Saison bis direkt vor den Gästeblock gefahren hatte, sahen wir uns in diesem Jahr gezwungen, noch ein Stück zu laufen. Keine einfache Situation, wenn man vorbei muss an den heimischen Fans des HSV, begleitet von einer Polizeieskorte machten wir uns auf. Die Anspannung stieg ins Unermessliche, als wir schließlich den Gästeblock erreichten. Die Mitfahrer von mehreren Bussen füllten den Block so gut es ging, trotz allem liest man hier eine unerschrockene Leidenschaft für den VfB ab. Man hätte ja genauso gut zu Hause bleiben können.

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Noch ein Backfischbrötchen auf die Hand, unseren Fanbetreuer Christian Schmidt herzlichst begrüßt und hinein in das Stadion, wo für mich einst die Lust am Live-Fußball begonnen hatte. Sieben einhalb Jahre ist es her, noch heute schaue ich verstohlen rüber zum Block 6B auf die Osttribüne und erinnere mich, welche Auswirkungen der zufällige Gewinn in einem Länderspiel-Gewinnspiel auf mein Leben hatte.

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Viel Zeit zum Überbrücken gab es nun nicht mehr, wir waren ja schließlich erst viertel acht am Stadion angekommen, reichlich knapp für meinen Hang zur Panik. Dass sich nicht nur Felix, sondern auch mein bester Freund, Scherze darüber erlauben, muss ich wohl oder übel zur Kenntnis nehmen. Es war frisch geworden, bei wenigen Grad über dem Nullpunkt war ich doch sehr dankbar über Strumpfhose, Wollsocken und Handschuhe. „Warm wird mir dann hoffentlich von allein“ – wohlwissend, dass es vermutlich eher eiskalter Angstschweiß werden würde.

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Zehntausend leere Plätze

Viele der heimischen Hamburger hatten auf den Stadionbesuch an diesem Dienstagabend verzichtet, einige hatten sicherlich arbeiten müssen, einige andere verzichteten freiwillig, wenn es aktuell nicht sonderlich gut läuft – in diesem Falle kommt einem das schon bekannt vor, nicht wahr? Am Tag zuvor hatte ich noch E-Mail-Kontakt mit Thorsten Eikmeier, dem für die Gästefans zuständigen Fanbetreuer der Hamburger. Ein Freibrief für beide Kameras, viel Spaß hatte er mir gewünscht – nur keine Punkte. Dabei hätte ich ja selbst mit einem Punkt leben können.

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Der Ball rollte, was wir zu sehen bekamen, hatte allerdings nicht viel mit der Defensivarbeit von zwei Bundesliga-Teams zu tun. Zahlreiche Fehler auf beiden Seiten, die aus einer erwartet zähen Partie einen flotten Auftakt machten. Angefeuert von den Anderthalbtausend, die für den Verein größtenteils die ganze Republik durchquert hatten, mühte sich der VfB sichtlich, die Kontrolle an sich zu reißen. Immerhin… Oft wirkten sie ja schon teilnahmslos und desinteressiert, zum Leidwesen derer, die sich nach all dem Frust nicht auf den Weg nach Hamburg gemacht hatten.

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Jedes Jahr erlebe ich in Hamburg das gleiche: die wahnsinnig schlechte Akustik im Gästeblock, man vermag keinen richtigen Druck hinter die lauten Gesänge zu bekommen, da recht wenig von den Vorschreiern aus der ersten Reihe bei den weiter hinten stehenden Fans ankommt, diese Erfahrung hatte ich bereits letztes und vorletztes Jahr gemacht. Am Ende sollte mich das nicht stören, vier Punkte in zwei Spielen standen zu Buche. Die Jahre, in denen es heftige Klatschen setzte, waren glücklicherweise vor meiner Zeit.

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Das hat mit Fußball nichts zu tun

Zwar mühten sich die Gastgeber etwas mehr, doch der VfB hatte dafür die deutlich besseren Chancen, darunter Martin Harnik freistehend vor dem Tor. Noch lachten sie, die Hamburger, angesichts dieser mangelnden Chancenverwertung. Wir hingegen wollten schon beinahe verzweifeln, denn die Geschichte wiederholt sich für gewöhnlich: „Wenn du die Tore vorne nicht machst, dann…“ – ihr kennt das!

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Zwanzig Minuten waren rum, zumindest erfreulich, dass wir noch nicht früh zurücklagen. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die Hoffnung aufkeimen lassen. Welche Ironie, dass die Hamburger seit dieser Minute streng genommen zu Zehnt hätten weiterspielen müssen. Im Rücken von Dr. Felix Brych rammte Raffael van der Vaart unseren Georg Niedermeier in den Rücken und brachte ihn zu Fall.

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Weit und breit weder Ball, noch Mitspieler, noch Gegenspieler. Gesehen hat es der Unparteiische nicht, auch nicht der Linienrichter, der eine gute Sicht auf die Situation hätte haben müssen. Er durfte weiterspielen und sah nicht einmal die gelbe Karte. Manchmal läuft es eben ungerecht. Mit zunehmender Spieldauer offenbarten sich immer mehr die Unzulänglichkeiten im Stuttgarter Spiel. Man musste schon sehr optimistisch veranlagt sein, in dieser Phase das Gefühl gehabt zu haben, es würde schon irgendwie gut gehen. Gar nichts wird gut, vermutete ich.

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Aus der Deckung

Nach einer halben Stunde kam der VfB dann so langsam aus seiner Deckung und wurde besser, wie auch die Stimmung im Gästeblock. Viel Gegenwind von der Nordtribüne gab es nicht, seit die Chosen Few das Stadion verlassen haben, ist es mit Stimmung bei Heimspielen des HSV nicht weit her. Ein paar wenige Fahnen waren zu sehen, ein Spruchband für einen Stadionverbotler und außer ein paar HSV-Wechselgesängen war es nicht viel, was heimische Publikum hier an Support vor 48.223 Zuschauern anbieten konnte.

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Meine Finger waren eiskalt. Meine Handschuhe wollte ich indes noch nicht anziehen, da ich fürchtete, sonst keinen guten Griff mehr für meine Kamera zu haben. Von dem dumpfen Geräusch beim Klatschen ganz abgesehen. Die erste Halbzeit neigte sich schon fast ihrem Ende zu und nach vielen vergebenen Möglichkeiten konnte man schließlich nur hoffen, es würde uns hinten raus nicht wieder zum Verhängnis werden.

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Dass sie es nicht immer wieder versuchten, konnte man ihnen bei weitem nicht unterstellen, nur das Glück hatte bisher ein wenig gefehlt. Wie schnell es manchmal doch gehen kann, aus einer nichtsahnenden Situation in Führung zu gehen, durften wir kurz vor dem Pausenpfiff miterleben. Wie cool ist das bitte, Florian Klein? Sich in der eigenen Hälfte nach einem Fehlpass des zu Unrecht noch auf dem Platz stehenden Raffael van der Vaart den Ball selbst vorlegen und dann reinmachen? Jaja, [Akzent ein] die Österreicher [Akzent aus].

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Klein ganz groß

Es war sein Nationalmannschaftskollege Martin Harnik, der die vorentscheidende Flanke in Richtung Strafraum gab, Valon Behrami mit einer Ljuboja’schen Streifenhörnchen-Frisur konnte ihn nicht richtig annehmen und so musste Alexandru Maxim nur noch für den inzwischen vorgesprinteten Florian Klein vorlegen, der gegen Leverkusen per Traumtor zum ersten Mal getroffen hatte. Sein zweites Tor im Brustring-Trikot: flach, rechts unten, völlig humorlos. Der Bursche gefällt mir sehr.

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Doch wie auch in Mainz vermochte ich mich nicht überschwänglich zu freuen, eine Jubelfaust musste ein weiteres Mal ausreichen – das Spiel war schließlich noch lang genug. Nicht einer wollte allerdings behaupten, diese Führung sei unverdient gewesen – ja nicht einmal die Hamburger. Es hatte sich angedeutet, umso erfreulicher, dass sie das „Ding dann doch einfach mal reinmachen“, um es mal salopp zu sagen. Kurze Zeit später pfiff Dr. Felix Brych zur Pause. Ich zog mir dann doch die Handschuhe an.

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Sehr begeistert und leidensfähig präsentierte sich das Hamburger Publikum an diesem kühlen Abend nicht gerade. Dabei dachte ich, von den Teams im Abstiegskampf sei lediglich der VfB der Verein mit den am lautesten meckernden Zuschauern? Kurz vor Beginn der zweiten Halbzeit zeigte der aktive Kern in den unteren Reihen noch ein Spruchband, etwas mit „Scheiß…“ war zu erahnen, erst die Bilder des Spiels lösten im Nachgang auf: „Scheiß Red Bull“ – mit freundlichen Grüßen an meine alte Heimat!

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Frühe Unterzahl

Mit einer dicken Chance zum 0:2 begann der zweite Durchgang, mit der Kamera hätte ich es beinahe eingefangen, es fehlte nur ein weiteres Bild jubelnder VfB-Spieler. Aus der anfänglich doch eher zögerlichen Anfeuerung aus unserem Eck zwischen Südtribüne uns Westtribüne wurde es immer lauter. Ich konnte mir nicht helfen, immer wieder kam der eine schädliche Gedanke hoch, was ist, wenn das hier doch schief geht, was ist, wenn wir wieder verlieren?

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Glaubt ihr an selbst erfüllende Prophezeiungen? Hattet ihr schon einmal vor einer Situation große Sorgen, die dann genau so eingetreten ist, wie ihr es befürchtet hattet? Ich glaube jedenfalls nicht daran, dass es anders laufen würde, wenn ich nicht immer vom Schlimmsten ausgehen würde. Ein über die letzten drei Jahre antrainierter Mechanismus, meine Erwartungen nicht allzu hoch zu stecken. Als VfB-Fan tut man wahrscheinlich ohnehin besser daran.

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Schockmoment. Kurz nach Wiederanpfiff fiel ein Hamburger in unmittelbarer Nähe des Strafraums, gefolgt vom Jubel des heimischen Publikums. Oh Gott, das kann doch nicht wahr sein? Schnelle Rudelbildung und lange Diskussionen an der Strafraumgrenze, gefolgt von dem einen, das man nicht sehen wollte: ein grell-roter Karton war von weitem zu sehen. Nein, bitte nicht. Langsam trabte Georg Niedermeier vom Feld und streifte sich auf halber Strecke frustriert das Trikot vom Leib. Elfmeter? Nein, nur Freistoß.

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Ein Platzverweis, der keiner war

Nur mit dem Wissen, wie diese Partie ausging, betrachte ich es am Tag danach weitgehend entspannt, denn eine Notbremse war es nicht. Ja, Georg Niedermeier hatte die Hand an Artjoms Rudnevs dran, doch war es kein Foul, das mit Rot hätte bestraft werden müssen. Zumal Gotoku Sakai mitgelaufen war und Schorsch somit nicht letzter Mann war. Wäre das Gespann der Unparteiischen tatsächlich unparteiisch gewesen, wären die Hamburger bereits seit der ersten Halbzeit in Unterzahl gewesen. Nun waren wir es.

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Der Schock saß tief, in den Gesichtern meiner Mitmenschen konnte ich ablesen, was sie wohl gedacht hatten: „Na toll, das wars“. Den darauffolgenden Freistoß drosch Raffael van der Vaart leicht abgefälscht an die Latte. Boah, Alter. Nun würde es wahnsinnig schwer werden, dessen waren wir uns sicher. Wie solle man denn eine halbe Stunde in Unterzahl dagegen halten können? Die Abwehr des VfB gilt aktuell nicht als die Sicherste, dann können 35 Minuten so unendlich lang sein.

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Lange geschockt wirkten die Jungs vom Platzverweis nicht, der gleichzeitig auch Georg Niedermeiers drittes Mal im Trikot des VfB war. Auch der kühle Huub Stevens nicht – im Gegenteil! Einen Verteidiger weniger hatte er auf dem Feld, man führte, also wäre es folgerichtig gewesen, die Abwehr zu stärken und die Offensive dafür zu reduzieren. Zur Überraschung aller wechselte er offensiv und brachte für den leicht humpelnden Alexandru Maxim den frischen Timo Werner.

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Banges Warten

Wir waren lauter geworden, dafür aber auch innerlich unruhiger und aufgeregter. Je mehr Zeit verging, desto bitterer würde es werden, sollte es am Ende dann doch nicht zum Punktgewinn reichen. Eine gefühlte Ewigkeit zog sich die Schlussphase lang, jeder einzelne abgefangene Ball, jeder Freistoß, jede Ecke, jeder Ballverlust, jeder Torschuss – rein subjektiv betrachtet machten mir die Hamburger Angst. Dass sie dabei selbst eine unterdurchschnittliche Leistung darboten und dass sie vermutlich noch so oft aufs Tor schießen können, ohne zu treffen, wollte ich in dem Moment nicht wahrhaben.

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Es gab nichts, was mich hätte beruhigen können – außer vielleicht ein zweites Tor. Das war das einzige, das in diesem Moment Wunder gewirkt hätte und beruhigend auf den Puls eines jeden mitgereisten VfB-Fans gewesen wäre. Für den gelbverwarnten Martin Harnik kam mit Daniel Ginczek der nächste offensive Wechsel. Was ist mit Huub Stevens großem Plan, die Defensive zu stabilisieren? Hatte er bereits gesehen, dass bei den Hamburgern nichts, aber auch wirklich gar nichts zusammen laufen wollte?

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Zehn Minuten. Eine gefühlte Ewigkeit. Je häufiger ich auf die Anzeigetafel schaute, desto langsamer verging die Zeit. In schwarzen Lettern war der Zwischenstand zu lesen, den Zahlen waren kleine niedliche Weihnachtsmützen aufgesetzt. Es könnte ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk für uns Stuttgarter sein, wenn sie sich denn noch für zehn Minuten zusammen reißen.

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Einer für alle – alle für einen

Immer wieder rannten sie an und scheiterten an einem aufopferungsvoll kämpfenden VfB, der zum ersten Mal nach langer Zeit in einer solchen Situation des Drucks bewies, dass einer für den anderen rennen kann. Einer für alle – alle für einen! Was heroisch und poetisch klingen mag, würden wir nur allzu gerne ein jedes Wochenende auf dem Rasen sehen. Kampf! Leidenschaft! Wille! Aufopferung! Alles geben für den Verein, auch dann, wenn man vermeintlich höhere Ziele hat.

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Auf den Rängen setzten sich die ersten Zuschauer in Bewegung, sie glaubten nicht mehr an ein versöhnliches Ende für ihren HSV. Und wir wollten auch nicht daran glauben, dass hier für die Rothosen noch etwas zu holen ist, doch die Angst saß mir im Nacken und wühlte mich innerlich auf, mit jeder Minute flehte ich den Abpfiff sehnlicher herbei. Drei Minuten ließ Dr. Felix Brych nachspielen, drei verdammt lange Minuten.

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Ein langer Abschlag, ein fantasieloses Ballrumgeschiebe, das Wegschlagen von allen Bällen – Hauptsache Zeit schinden! Gegen 21:53 Uhr war es dann endlich überstanden. Erschöpft sanken manche Spieler auf dem Feld zu Boden, die einen vor Frust, die anderen vor Erleichterung. Und was uns im Gästeblock betrifft: Freude, einfach nur die pure Freude. Wir alle wissen diese drei Punkte einzuordnen, keiner von uns würde von einem wahren Befreiungsschlag sprechen. Dafür kennen wir unsere Jungs zu gut.

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Erleichterung

Wichtig ist, gegen Paderborn nachzulegen. Wichtig ist, den Fans einen halbwegs versöhnlichen Jahresabschluss zu gewähren. Wichtig ist, sich zusammenzureißen und sich dessen bewusst zu werden, wie schwer diese Saison noch werden würde. Doch hier und jetzt war nur eines wichtig: dieser immens benötigte Auswärtssieg. Das ließen wir die Mannschaft auch wissen, als sie zum Gästeblock gelaufen kam. Alle strahlten, auch jene, die nicht gespielt hatten. Vorne dran lief Daniel Schwaab, der „HSV-Checker vom Neckar“, wie es später in vfbtv gesagt wurde: er hat noch nie gegen den HSV verloren.

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Immer dann, wenn man am allerwenigsten erwartet, überraschen sie einen dann doch irgendwie. Wer über eine halbe Stunde in Unterzahl spielt und einen knappen Vorsprung über die Zeit rettet, verdient meinen höchsten Respekt. Ich gebe zu, einen Sieg hatte ich im Norden nicht erwartet, im Gegenteil, es hätte womöglich den restlichen Verlauf der Saison nur noch negativer beeinflusst, denn wer gegen erschreckend schwache Hamburger verliert, sollte sich Gedanken machen, gegen welche Vereine er gedenkt noch zu punkten.

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Erleichterung machte sich breit, bei vielen dauerte es noch Stunden, bis sie es begreifen konnten. Man ist in einer denkbar schweren Phase der Saison durch ganz Deutschland gereist, und es hat sich gelohnt – es hat sich gelohnt?! Man hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt. Es ist das warme Gefühl, das sich breit macht, wenn der Rest deines Körpers eiskalt ist. Das Adrenalin schoss durch meine Blutbahnen und ließ mich jeden meiner Gedanken, was wäre, wenn die Rückfahrt traurig und frustrierend werden würde, ganz weit weg schieben.

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In der Stille der Nacht

Schon bald brachen wir auf, verabschiedeten uns von jenen, die unseren Bussen nicht zugehörig waren und setzten uns in Bewegung. Als der Konvoi sich gegen 23 Uhr in Bewegung setzte, hatte ich schon den Laptop auf dem Schoß und kopierte die ersten Bilder. Es würde eine lange Nacht werden, dessen war ich mir sicher. Ausbeute des Abends: 699 Fotos insgesamt, von denen nur knapp 9% brauchbar waren. Und so begab es sich, dass während ich mit konzentriertem Blick die Farb- und Helligkeitsregler hin- und herschob, um mich herum das Klacken von Bierflachen zu hören war und ich der ausgelassenen Stimmung lauschen konnte.

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Noch Stunden später war ich mit den Fotos des Spiels zugange, sie sollten perfekt sein. Das WLAN im Bus kam mir zu Gute, der Surfstick konnte somit in der Tasche bleiben. Um etwa 2:18 Uhr drückte ich den Knopf und die Bilder waren veröffentlicht. Mein Tagwerk war getan und als ich den Laptop herunterfuhr und alles in meiner Tasche verstaute, bemerkte ich, wie still es um mich herum geworden war. Die Hälfte war bereits friedlich eingeschlafen, die lange Fahrt hatte ihren Tribut gefordert. Ein paar wenige unterhielten sich noch leise im hinteren Bereich.

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Auch ich versuchte ein wenig runterzufahren, doch an tatsächlichen Schlaf war nicht zu denken, denn ich hatte sowohl direkt neben mir als auch direkt hinter mir zwei Herren jener Sorte, die in wenigen Stunden einen kompletten Wald abgesägt hatten. Felix musste selber lachen, wer denn da so laut schnarcht, wenn er es nicht selber ist. Willkommen in meiner Welt, Liebster. Wirklich erholsam waren die Momente mit geschlossenen Augen nicht, vom vielen Sitzen hatte der Hintern weh getan, der Rücken schmerzte, wehleidig rutschte ich umher und fand kaum Ruhe.

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Und alles nur, weil ich dich liebe!

Dass uns mitten in der Nacht die beiden anderen Busse unseres Konvois abhanden gekommen waren, hatte ich nur im Halbschlaf mitbekommen, bei der ersten Rast hatte unser Busfahrer das Abfahrtssignal verpasst, und so fuhren sie voraus. Dass sie dabei nochmal Rast gemacht hatten, bekam unser Busfahrer nicht mit und fuhr einfach weiter, zum Leidwesen der Raucher an Bord. Später wurde dann wegen zu vieler LKWs der Übergang zur A3 (mit dem Übergang zur A81) verpasst. Man musste rausfahren und umdrehen, der Umweg hatte Zeit gekostet, die man nicht hatte: eine weitere lange Pause kurz vor Stuttgart musste her.

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Die letzten zwei Stunden der Rückfahrt wurden zu den anstrengensten. Jeder war völlig erschöpft und am Ende der Kräfte. Wir hatten den Auswärtssieg geholt und waren dankbar, doch fordern einen diese weiten Fahrten doch jedes Mal aufs Neue heraus. Die lange Pause in der Kälte machte uns zwar kurzzeitig wieder wach, doch manche wollten nichts weiter als schlafen. Fast alle im Bus hatten am nächsten Tag frei, bis auf einen. Ich hätte das nicht gekonnt. Erwartungsgemäß erreichten wir Stuttgart im morgendlichen Berufsverkehr, doch auch das war bald überstanden.

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Mit Stolz und Freude blicke ich nun zurück auf die Auswärtsfahrt nach Hamburg. Es gab in diesem Kalenderjahr nicht sehr viel, das uns mit Freude erfüllen konnte, so nehmen wir das, was wir kriegen können. Aus dem Schneider sind wir noch lange nicht, doch es ist ein kleiner Schritt. Einer, den wir aus Liebe zum VfB mitgegangen sind, auf einem Weg, von dem wir nicht wissen, wo er hinführt, den wir aber ungeachtet aller Widerstände mitgehen. Weil wir dich lieben!

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