Das Ringen um Worte ist mir nicht fremd. Wie oft saß ich in den letzten Jahren genau an dieser Stelle, an meinem Rechner im Arbeitszimmer unserer Cannstatter Wohnung, starrte auf den Bildschirm, atmete schwer und wusste nicht, was ich schreiben soll. Oder schlimmer noch, nicht zu wissen, wie ich mich motivieren sollte, etwas zu schreiben, was ich am liebsten gar nicht erst erlebt oder genauso schnell wieder vergessen hätte. Zu oft saß ich hier, hineingefallen in ein dunkles Loch voller Frust.

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Die Erfahrung sollte mich gelehrt haben, dass ich als VfB-Fan mit herben Enttäuschungen leben muss – und doch quält es mich noch immer. Ob man diese Gelassenheit erst nach vielen Jahren mühsam zu erlernen hat ob es einfach eine Frage der Persönlichkeit ist, wage ich nicht zu beantworten, ich weiß nur, wie viele frustrierende Momente mir dieser Verein eingebracht hat, die gefühlt weit mehr sind als jene Momente, für die ich noch ins Stadion gehe: Momente des Glücks, der Sorglosigkeit, der unzweifelhaften Leidenschaft. Heute sitze ich wieder hier. Ratlos.

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Viel habe ich schon miterlebt. Dabei ist mir stets bewusst geblieben, dass meine treuesten Wegbegleiter ja schon so viel mehr Jahre den Verein begleiten, mehr erlebt haben und auch größere Erfolge gefeiert haben. Gemeinsam stehen wir in der Kurve, hoffen zusammen, singen zusammen, unterstützen zusammen, in vager Vermutung, man würde die Leidenschaft vielleicht auch mal langfristig zurückgezahlt bekommen, und sei es ein einfaches sorgloses Jahr ohne Abstiegskampf. Wir hatten uns geirrt.

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„Dann geh doch zu den Bayern!“

Vielleicht hatte ich ein wenig gehofft, ich könnte mir ein wenig Gelassenheit abschauen, doch erfahre ich nur jedes Mal aufs Neue, wie verbittert manche Menschen schon geworden sind, genau wie ich selbst. War man sich noch vor fünf Jahren sicher, man würde schon bald aus der Krise heraus kommen, verharrt man starr in der großen Enttäuschung – sowohl die Fans, als auch die Mannschaft. Letztere blieben erneut den Beweis schuldig, man hatte zurecht in Paderborn noch das 2:1 geschossen und den Kopf aus der Schlinge gezogen.

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Wäre es besser gewesen, damals abzusteigen und einen Neuanfang zu riskieren? Mitnichten. Wir wären wohl sehr lange nicht mehr ins Oberhaus zurückgekehrt, zu gut kennen wir das Schicksal jener Vereine, die nach einem Jahr der Selbstreinigung wieder zurück sein wollten und die nie wieder gesehen wurden, manche von Ihnen sind bis in die Regionalliga zurück gefallen. Ich bin es leid, jedes Jahr so große Angst haben zu müssen. „Dann geh doch zu den Bayern!“, ja, das höre ich ständig. Es wäre ein langweiligeres, aber auch sorgloses Fanleben.

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Es gibt wichtigeres als Fußball. Am Leben zu sein, gesund zu sein, Freunde und Familie um sich zu wissen, einen sicheren Job und vielleicht gar den besten Chef zu haben, den man sich nur vorstellen kann. Die letzten sieben Tage haben uns gezeigt, wie schnell es anders sein kann. Die Geschehnisse von Paris erschütterten uns alle, gefolgt von der kurzfristigen Absage des Länderspiels gegen die Niederlande, auf einmal schien der Sport zur Nebensache zu werden. Doch nicht immer fällt es einfach, sich darauf einzulassen, wieviel wichtigere Dinge es doch gibt.

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Ein mulmiges Gefühl

Die vergangenen Wochen segnete uns Petrus mit spätsommerlichem Herbstwetter, kaum Regen, aber dafür viel Sonnenschein. Der Winter hielt am Wochenende Einzug, die Regenwahrscheinlichkeit von 90% ließ mich ahnen, was für ein Fußballnachmittag mir bevor stehen würde: ein widerlich kalter, nasser und vermutlich unsäglich frustrierender Tag – ich sollte erneut Recht behalten. Alleine machte ich mich auf dem Weg, Felix blieb aus gesundheitlichen Gründen daheim. Immer hatte ich mich im Stadion sicher gefühlt, doch ein mulmiges Gefühl begleitete mich heute trotz allem.

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Mit einer abgespeckten Kameraausrüstung in der Tasche lief ich direkt zur Eingangskontrolle und wurde in meinem Glauben bestätigt, mich am Eingang mit der Kameratasche nicht sonderlich beliebt zu machen – ich half der Ordnerin ihren Job zu tun, indem ich alle unnötigen Sachen daheim ließ und alle Reißverschlüsse öffnete, solange sie mir half, meinen Job zu tun. Es kam mit Ansage, es würde zu verschärften Sicherheitskontrollen kommen. Die Zuschauer sahen es gelassen, die meisten jedenfalls.

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Einmal drin im Stadion fühlte es sich schon fast so an wie immer. Die gleichen Leute, das gleiche Gefühl wie bei jedem Heimspiel, dieses dezente Unbehagen, da man weiß, wie eklatant heimschwach der VfB über die letzten Jahre hinweg geworden ist. Immer wieder ließen sie sich am Nasenring durch die eigene Manege ziehen, immer wieder versuchten wir, nachsichtig zu sein, die Nerven im Zaum zu behalten und mussten uns doch immer wieder mal anhören, wie extrem kritisch und ungeduldig das Stuttgarter Publikum denn sei.

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Ein neuer Angstgegner

Vier Jahre ist es her, dass man gegen Augsburg gewinnen konnte. Vier Jahre, in denen so unheimlich viel schief gelaufen ist. Vier Jahre, in denen wir so viel Frust und Enttäuschung zu verarbeiten hatten, dass es an ein Wunder grenzt, jedes Jahr noch mehr Dauerkarten abzusetzen. Vier Jahre, in denen ich Stück für Stück meinen Optimismus verlor, denn enttäuscht wurden wir wahrlich viel. Zu viel. Wie sehr das die jeweils aktuelle Mannschaft interessierte, zeichnete sich klar ab im immer wiederkehrenden Abstiegskampf.

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Ein neuartiges Geräusch war zu vernehmen, zwei Mal schallte es laut „Gong!“ durchs Stadion, der Boden vibrierte. Uns wurde gesagt, das Spiel würde wie auch schon das Freitagabend-Spiel zwischen Hamburg und Dortmund wegen der verschärften Sicherheitskontrollen eine Viertelstunde später angepfiffen. Es war kalt geworden und die 90% Regenwahrscheinlichkeit sah man nun auch: der Himmel brach auf und ließ den starken Regen aufs Spielfeld fallen, wer etwas später ins Stadion kam, den erkannte man spätestens an seiner klatschnassen Kleidung.

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Wann habe ich mich eigentlich das letzte Mal so richtig auf ein Spiel gefreut? Irgendwas war immer: man spielte zwar gut, doch am Ende verliere man sowieso; man sei dem Gegner ohnehin nicht gewachsen; man verteidige einfach zu schlecht und ist zurecht die Schießbude der Liga; oder man hat einfach schon zu lange nicht mehr gegen den Gegner gewonnen. Augsburg mauserte sich zu unserem Angstgegner und sorgte obendrein des Öfteren für Trainerwechsel beim VfB. Und alle Jahre wieder steht es auch dieses Jahr zum Zeitpunkt dieses einen Heimspiels nicht gut um den den Coach. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit

Viel vermag ich über diese Partie nicht zu schreiben. Viel vermag keiner von euch ohnehin nicht darüber zu lesen – wir haben genug gesehen, selbst jene, die in der Halbzeit das Stadion bereits verlassen hatten. Zu enttäuschend, zu frustrierend, zu aussichtslos die aktuelle Situation. Das war sie oft in den letzten Jahren, immer hatte man es trotzdem noch irgendwie geschafft, sich ans rettende Ufer zu hieven. Das alleine sollte mir doch Mut machen, oder? Nein, tut es aber leider nicht. Viel mehr ist da die verbitterte Überzeugung, dass der Tag kommen wird, an dem einfach nicht mehr reicht.

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Wie die Mannschaften einliefen, habe ich nicht beobachten können, ein großes Transparent versperrte die Sicht. Auf ihm war zu lesen: „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“, gefolgt von einer Schweigeminute für die Opfer von Paris. Dann konnte es endlich losgehen mit dem Spiel, das mir ein wenig Zuversicht für die nächsten Wochen bis zur Winterpause geben sollte. Doch in meinem Kopf war sie da, die Angst vor der erneuten Niederlage. Wie gerne ich auf dieses Gefühl des drohenden Unheils verzichten würde, aber glaubt bitte nicht, es sei ein Schalter, der einfach umgelegt werden kann.

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Die erste Überraschung war vor der Partie gewesen, Przemyslaw Tyton fiele wegen eines Magen-Darm-Infekts aus, Odisseas Vlachodimos bekam dafür eine weitere Möglichkeit, sich zu beweisen, eine denkbar undankbare Aufgabe. Brachte uns Tyton zwar immer wieder zur Verzweiflung und wollte von manchen schon zur Winterpause wieder verscherbelt werden, trug er zuletzt doch mit einigen Paraden dazu bei, dass man auch Spiele gewinnen konnte, die wenigsten seiner Kritiker hatten das noch erwartet.

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Der Anfang vom Ende

Sage und schreibe vier Zeigerumdrehungen hat es gedauert, bis das erste Raunen durchs Publikum drang, als eine Flanke von Emiliano Insua den Kopf von Daniel Didavi fand. Es wäre ein toller Start in das Spiel gewesen, in dem wir die drei Punkte so bitter nötig hatten. Gleichermaßen war es die erste und letzte Chance, gegen Augsburg Punkte zu holen, denn so nah dran waren wir in dieser Partie nie wieder. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt, wenn auch noch jene Spieler patzen, die uns zuletzt noch die Punkte gerettet hatten.

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Ein Fehlpass vom immer kämpferischen Serey Dié läutete einen wahrhaft gebrauchten Nachmittag ein. Wie erschreckend einfach es war, unsere „Abwehr“ auszuhebeln, hatten selbst die größten Pessimisten nicht gedacht. Der Ball von Raul Bobadilla durch die Mitte auf den durchgelaufenen Alexander Esswein und nach elf Minuten stand es bereits 0:1 auf der Anzeigetafel. Mein Blick ging rüber zu meinem besten Freund, der mir vor der Partie noch seinen Tipp mit einem Daumen nach oben und einem Smilie via SMS geschickt hatte: 4:1.

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„Ein 4:1 war ja immernoch drin“ sprach der Optimist und lebte weiter in seiner Traumwelt. Die Stimmung war merklich angeschlagen, so früh schon in diesem Spiel, das uns nun jede Illusion auf bessere Zeiten geraubt hatte. Was haben wir VfB-Fans nur verbrochen, dass so ein – wortwörtlich – bitteres Spiel mit uns getrieben wird? Wer von euch hat verdammt nochmal dem Fußballgott in den Vorgarten gekackt?

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Kalt erwischt

Sechs Minuten waren vergangen, da folgte der nächste Schlag in die Magengrube: nach einer Ecke von Ja-Cheol Koo, die Toni Sunjic noch Richtung Strafraumgrenze entschärfen konnte, stand Alexander Esswein erneut goldrichtig. Und wie es nunmal so ist, wenn es schlecht läuft, dann haust du dir die Dinger halt eben auch noch selbst rein. Der Augsburger ließ sich feiern, doch es war Timo Baumgartl, der dem Ball noch den entscheidenden Richtungswechsel gab und in den Spielberichtsbögen als Eigentorschütze aufgeführt wurde.

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Keine zwanzig Minuten waren gespielt und schon war man 0:2 hinten, wie schon in München, als die Tore in genau den gleichen Minuten gefallen waren. Wohlgemerkt: wir spielten hier gegen den Tabellenletzten. Den Tabellenletzten! Das Schlusslicht! Die rote Laterne! Aber es ist ja nichts Neues, dass sich die Mannschaft schon immer als hervorragender guter Samariter erwiesen hat und stets jenen auf die Beine half, die Punkte nötig hatten – anstatt sich selbst zu helfen.

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Es wurde extrem ungemütlich auf den Rängen. War noch bis zum 0:2 so etwas wie Zuversicht zu spüren, den knappen Rückstand doch noch zu drehen, wurde die Unterstützung leiser und die Pfiffe dafür umso größer, als die Gäste beinahe das 0:3 machten. „Aufwachen, Aufwachen!“ schallte es aus der Cannstatter Kurve, doch gehört haben sie uns offensichtlich nicht. Sie kamen mit dem schnellen Stellungsspiel der Fuggerstädter einfach nicht zurecht und zeigten sich derart desolat in ihrer Defensivarbeit, dass es nur eine Frage der Höhe sei, hier vor eigenem Publikum unterzugehen.

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Die personifizierte Lustlosigkeit

Wo ist die Gegenwehr? Nicht das geringste war davon zu sehen. Aber warum? Hat man nicht selbst den Anspruch, sich aus der präkeren und durchaus gefährlichen Situation im Tabellenkeller zu befreien? Will man nicht selbst mal dafür Sorge tragen, seinen Fans ein wenig zurückzuzahlen für alles, was man ihnen in den letzten Monaten und Jahren, ja geradezu „angetan“ hat? Immer sind wir es, die bluten müssen – niemals aber die Mannschaft. Wem es nicht genügt, Spieler des VfB zu sein, der zieht für ein paar Euro mehr weiter, was interessiert schon das Schicksal eines einst so stolzen Traditionsvereins.

Die erste Halbzeit schienen sie kollektiv zu verschlafen. Jeder einzelne Angriff der Gäste wurde so gefährlich, dass mit fast jedem Schuss der Ball im Tor gewesen war, wie bezeichnend also unsere Angst, wann immer sie sich uns näherten. Ein Eckball vor der Cannstatter Kurve, bedacht mit den üblichen Pfiffen, verängstigte uns einmal mehr. So einfach. Viel zu einfach. Mehr Stuttgarter als Augsburger standen im Strafraum umher, als der Eckball vors Tor segelte, ein simpler Kopfball von Jan-Ingwer Callsen-Bracker und schon stand es 0:3. Sie hatten noch nicht genug und wir machten es ihnen nur noch einfacher.

36 Minuten hat es gedauert, um aus dem zarten Pflänzchen, erwachsen aus den Heimsiegen gegen Ingolstadt und Darmstadt erneutes Brachland zu machen. Es war das Salz auf unserer Erde, das uns nun fürchten lässt, nie wieder könne hier noch etwas wachsen. Am allerwenigsten unsere Hoffnungen auf sorglosere Tage. Viele setzten sich kurz vor der Halbzeitpause in Bewegung. Die wenigsten von ihnen kamen zurück.

Warum?

Wie konnte das nur passieren? Wie konnte man sich nur so vorführen lassen? Wie kann man nur so wenig Gegenwehr an den Tag legen? Wieso nur? Was war aus der Mannschaft geworden, die zu Saisonbeginn noch immer gute Spiele gezeigt hatte, wenngleich sie sie nicht ebenso unglücklich verlor? So viele Fragen, die uns beschäftigen, doch auf die Antworten können wir auch dieses Mal lange warten. Sind es nur die Ausfälle von Daniel Ginczek und Martin Harnik? Oder greift das Problem viel tiefer, so dass es sich unserer vollständigen Erkenntnis entzieht?

Ein wenig musste ich fast schon schmunzeln beim Gedanken an den Tag vor etwas mehr als einem Jahr, auch damals lag man zur Halbzeit 0:3 zurück, am Ende stand es 3:3 gegen Leverkusen. Welch süßer Gedanke der Aufholjagd, doch schnell verwarf ich ihn, zu schlecht die eigenen Leistungen, als dass man so etwas wieder schaffen könnte. Große Lücken taten sich auf in der Cannstatter Kurve, merklich leerer wurde es hier und auch auf den Tribünen, denen man viele leere Plätze ansehen konnte.

Wie der VfB sein Publikum vergrault, zeigt der Besucherrückgang der letzten Saisons deutlich. Nur die Cannstatter Kurve, die bleibt. Viele von uns haben hier Freunde gefunden, für die alleine es sich schon ins Stadion zu gehen lohnt. Nette Gespräche, viel lachen, ein wenig Heiterkeit, für einen Moment die Sorgen des Alltags vergessen – angesichts ganz anderer Sorgen, die man auf dem Spielfeld zu sehen bekommt. Einige Male machte es tatsächlich Spaß, hier zu stehen, zu singen, sich zu freuen, doch diese Tage sind zur Seltenheit geworden.

Hohn und Spott

Wir wussten alle, dass es keine Aufholjagd geben würde. Im Gegenteil – es wurde nur noch schlimmer. Ich wiederhole: gegen den Tabellenletzten! Ein, zwei lange Bälle überrumpelte unsere völlig indisponierte Abwehr komplett, allerspätestens mit dem 0:4 in der 54. Minute durch Ja-Cheol Koo war das Maß voll. Weitere Reihen lichteten sich, ganze Völkerwanderungen konnte man auf den Tribünen beobachten. So erschreckend einfach kann es nur der VfB seinem Gegner machen, wobei das Wort „Gegner“ vermuten lässt, es wäre zumindest ein kleines bisschen ein Duell mit gleichen Ausgangslagen.

Der Rest war Schweigen. Fast die komplette zweite Halbzeit über verstummte der Support der Kurve, wer kann es uns auch verdenken. Viele Pfiffe waren nur zu verständlich, wir hatten genug gesehen. Die Augsburger schienen zwei Gänge zurückzuschalten, was das Spiel für die letzten Minuten ein wenig ausgeglichener hat erscheinen lassen, wenn man von dem Blick auf die Anzeigetafel natürlich absieht.

Eine erschreckende sportliche Leistung, ohne jeden Zweifel. Doch was mich noch mehr erschrocken hat, war die Reaktion unseres eigenen Publikums. Vom Oberrang wurde die Laola angestimmt, so viel Häme kann man sich nicht ausdenken. Ein paar Anläufe hatte es gebraucht, bis sie durchs Stadion schwappte, als würde man gerade 4:0 führen und sich endgültig aus der Abstiegszone befreien. Wie grotesk, wie erniedrigend, wie absurd das doch war, seinen eigenen Verein so bitterböse zu verspotten. Viele fanden Gefallen daran, die Laola mitzumachen – ich konnte nur meinen Kopf schütteln.

Zerrüttete Verhältnisse

Die letzten Minuten waren angebrochen, ein „Oh, wie ist das schön!“ war das Sahnehäubchen auf einen vollständig gebrauchten Tag. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Stille, ja. Lauten Unmut, ja. Aber so viel Häme und Verbitterung war selbst für mich ein neues Maß. Dieser Schmerz in meinem Herz, es tat unendlich weh, nicht das 0:4, sondern das, was ich hier hörte und sah. Das konnte doch nicht die Wirklichkeit sein, wie kann man so etwas nur tun. Hilfreich für die Mannschaft wird es gewiss nicht sein, wenngleich der Unmut verständlich sein mag.

Um etwa. 17:33 Uhr erlöste uns Schiedsrichter Sascha Stegemann, ohne Nachspielzeit war es vorbei und das Neckarstadion erlebte ein so laut gellendes Pfeifkonzert wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Das hat die Mannschaft natürlich gehört, sie machten noch einmal einen Mannschaftskreis nahe der Mittellinie. Wie bezeichnend, das Alexander Zorniger nicht mit dabei war und sie sich dabei auch nicht im Arm gehalten hatten, wie es sonst bisher getan hatten.

Das Verhältnis scheint zerrüttet. Zwischen der Mannschaft. Zwischen Mannschaft und Trainer. Und erst recht zwischen Mannschaft und Fans. Sie hielten es für eine gute Idee, nicht in die Kurve zu kommen und sich so der Kritik der eigenen Gefolgschaft zu entziehen, was die Pfiffe nur noch lauter werden ließ, sofern das überhaupt möglich war. Ein paar wenige verblieben vor dem Tunnel, Robin Dutt war zu sehen, der sich ein paar der Spieler vorknöpfte – und siehe da, immer mehr kamen zurück und sie zeigten sich schließlich doch vor der Kurve.

Keiner weiß, wie’s weitergeht

Erneute Pfiffe. Alle Wut entlud sich. Lange waren wir geduldig. Lange hofften wir, es würde sich etwas ändern. Lange applaudierten wir, auch wenn ein ums andere Spiel verloren wurde. Die Geduld war am Ende. Selbst Martin Harnik mit seiner Knieschiene und Daniel Ginczek waren mit dabei, ein löblicher Zug, auch wenn der fast unterging. Näher als bis zum Strafraum kamen sie nicht. Erinnerungen wurden wach an jene Heimspiele gegen Braunschweig und Dortmund, als sie die Nähe zu uns suchten und sich stellten, was das zerrüttete Verhältnis wieder ein wenig kitten konnte. Keine Annäherung. Kein Kitten. Nur Frust.

Der Rest der Kurve leerte sich schnell, kaum jemand wollte länger verharren, bis auf jene, die wie gelähmt waren. Fassungslos schaute ich noch ein paar Minuten aufs Spielfeld hinaus, bevor ich mich auf den Weg nach oben machte, zu Freunden und Wegbegleitern. Uns alle einte ein Gedanke: „Meine Fresse, sind wir schlecht!“ Leise trotteten wir nach draußen, in der Dunkelheit stand die Cannstatter Kurve in kleinen Gruppen beisammen. Es war still, doch wurde rege diskutiert, so leise und unscheinbar, als hätte man etwas zu verheimlichen.

Die Menge verflüchtigte sich, auch für uns war es an der Zeit zu gehen. Wie es weitergehen sollte, das war die wohl meist gestellte Frage unter uns. Egal, wie dunkel die Zeit auch gewesen sind, bisher ging es immer irgendwie weiter. Das ist das einzige, woran wir uns festklammern können. Wir müssen stark sein, selbst wenn es die Mannschaft nicht ist. Keiner von uns weiß, wie es weiter geht, doch am Ende aller Tage haben wir zumindest uns und die Dinge, die uns wichtig sind. Mehr Trost kann es für uns momentan nicht geben.

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