Auf einmal gingen die Lichter aus. Hunderte Fans liefen noch in Richtung Unterführung zum Technikmuseum auf der anderen Seite der A6, als der Stromversorgungswagen mehr oder weniger versehentlich für den Weg die Lampen ausknipste. Irgendwie ironisch, nicht wahr? Mittendrin zwischen mehreren Hoffenheim-Fans, die lachten, schwärmten und einen eher unbeholfenen Derbysieger-Gesang anstimmten. Es gibt wahrlich schönere Momente als diesen. An solchen Tagen ist es nur schwer, Trost zu finden und den Kopf oben zu lassen. Es gab eine Zeit, da hätte mich ein solches Spiel brechen können. Aber das will ich nicht mehr. Zu emotionslos bin ich in dieser Hinsicht geworden und reihe mich ein in eine wachsende Anzahl von Fans, denen es genauso geht.

Es gibt nichts, was man an der gestrigen Partie beschönigen könnte. Was bringt uns eine recht passable gute erste Halbzeit, in der man bereits nach acht Minuten in Unterzahl war, wenn man nach der Pause komplett auseinander bricht? Es war nicht der frühe Platzverweis, der uns das Genick gebrochen hat, sondern die katastrophale Leistung nach Wiederanpfiff, da kann mir keiner etwas anderes erzählen. Noch vor dem Spiel sagte ich, es würde sehr schwer werden, hier etwas zählbares zu holen – mit einem Mann weniger sogar die beste Halbzeit der Saison zu zeigen, lässt tief blicken, wie tief wir nun schon gesunken sind.

Wie soll es weitergehen? Wie soll es der Trainer schaffen, das Selbstvertrauen wieder aufzubauen und den Erfolg zurückzuholen, nachdem der Trainereffekt nun schon wieder verpufft sein dürfte? Wie sollchen wir Fans weiterhin daran glauben können, dass alles im Sinne des Vereins getan wird, einen erneuten Abstieg zu verhindern? Der Karren steckt tief im Dreck und keiner geht voran, ihn herausziehen zu wollen. Die Mannschaft nicht. Der Sportdirektor nicht. Der Präsident nicht. Es braucht schon jetzt viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, wie und gegen wen der VfB mittelfristig zu punkten gedenkt. Am fehlenden Erfolgserlebnis und dem damit verbundenen Schalter kann es nachweislich nicht gelegen haben.

Kaum noch Lust aufs Auswärtsfahren

Irgendwie erinnert alles gerade an jene schicksalhafte letzte Wochen der Saison 2015/2016, als man sich aus dem Klammergriff der Abstiegsangst nicht mehr befreien konnte und schließlich den Gang in die zweite Liga antreten musste. Die zweite Liga, die Freude bereitet hatte und Hoffnungen entstehen ließ, den richtigen Weg gefunden zu haben. Eine gefühlte Ewigkeit ist das nun schon her. Alle Hoffnungen, die wir in das Gespann Jan Schindelmeiser und Hannes Wolf gesetzt hatten, alles vergebens. Man war bereits auf dem richtigen Weg, verkleinerte den Graben zwischen Verein und Anhängerschaft und es brauchte nur Geduld und Zutrauen, diesen durchaus auch mal harten Weg immer weiter zu gehen. Aber man ist vom Weg abgekommen und verirrte sich im dunklen Wald der Erfolgs- und Bedeutungslosigkeit.

Woche für Woche vergeht einem mehr und mehr die Lust, ins Stadion zu gehen. Sind zumindest die Heimspiele ein fester Bestandteil der aktuellen Lebensplanung, so ist die Planung für ein Auswärtsspiel stets mit einem Gefühl der Motivationslosigkeit verbunden. Jeder kann und soll selbst entscheiden, inwieweit er dem VfB in diesen schweren Zeiten noch in die gesamte Republik folgen möchte, aber mich deucht, es werden zunehmend mehr Leute, denen die Lust vor allem aufs Auswärtsfahren gänzlich vergangen ist. Würde man mich fragen, auf welches Auswärtsspiel ich mich in dieser Saison wirklich noch freuen würde, ich würde ein paar Sekunden innehalten und schließlich leise sagen: “Gar keins”.

Warum ich dann trotzdem noch auswärts fahre, wäre an dieser Stelle eine durchaus berechtigte Frage. Sei es die Gewohnheit, eine imaginäre Verpflichtung oder blanker Masochismus, manchmal auch alles auf einmal. Geplant wird mit Hoffenheim im Grunde immer, liegt es doch verhältnismäßig nah und ermöglicht eine nicht ganz so späte Rückkehr. Der obligatorische Stinkefinger vor dem Sinsheimer Stadion durfte nicht fehlen, auch wenn dieser via Twitter wie ein Boomerang zurückkam. Es gibt offenbar immernoch Menschen, die nicht wissen, dass der Stinkefinger auf der A6 fast schon so lange Tradition hat wie der Kommerzclub selbst.

Im freien Fall

Seit zehn Jahren spielt Hoffenheim nun schon in der Bundesliga, und fast genauso lange fährt man Jahr für Jahr nach Sinsheim. Waren die ersten Jahre noch von Erfolgen gekrönt, so mehrten sich in den letzten Jahren die schlimmen Erlebnisse, das letzte kurz vor Weihnachten 2017 unter der Woche. Etwa ähnlich lang dauerte auch der Zerfall beim VfB. Jahr für Jahr ging es ein Stück weiter nach unten, bis hin zum Abstieg. Der direkte Wiederaufstieg und die überraschend gute Platzierung im Jahr danach kann jedoch nicht überspielen, wieviel falsch gemacht wurde. Von mangelhafter Kaderplanung über schlechte Trainerverpflichtungen bis hin zu einer Vereinsführung, die alles erdenkliche tut, nur eben nicht im Sinne des Vereins – wo soll man da nur anfangen, und wo aufhören?

Unterwegs nach unten im rasanten Tempo, besser lässt sich die aktuelle Lage kaum beschreiben. Die Arbeit von Markus Weinzierl vernünftig beurteilen zu können, wird wohl erst ein ein paar Wochen möglich sein, ich hoffe nur inständig, dass er die völlig verunsicherte Truppe schnell wieder aufrichten kann. Bitter nötig haben sie es auf jedem Fall, nicht erst seit gestern, oder letzte Woche, seit Beginn der Saison reiht sich ein Dämpfer an den anderen. Wo das alles enden könnte, wissen wir. Ich erinnere mich noch gut an die Emotionen in Wolfsburg. Geradewegs abgestiegen und man versuchte, sich gegenseitig zu trösten mit den Worten, man wüsse schließlich noch nicht, wozu dies gut gewesen sein könnte. Jan Schindelmeiser und Hannes Wolf waren die richtige Antwort darauf – das sah die Vereinsführung aber anders.

Nach dem vierten Tor der Hoffenheimer, das Christian Gentner mustergültig vorgelegt hatte, wurde es ganz still im Block. Zwei Reihen vor mir hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Einen Namen vermochte ich dem Gesicht im Eifer des Gefechts nicht zuzuordnen, aber sie ist offenbar Leserin meines Blogs. Sie sagte, sie sei schon sehr gespannt auf das, was ich darüber schreiben würde. Das war ich auch, und wusste schon, das es trotz der größer werdenden emotionalen Distanz anstrengend sein würde, diese Zeilen zu Papier zu bringen. Dass ich nicht das dringende Bedürfnis habe, auf die gestrige Partie im Einzelnen einzugehen, muss ich vermutlich nicht betonen. Darauf, dass die Hoffnungs- und auch Lustlosigkeit im Umfeld immer größer zu werden scheint, allerdings schon.

Was am Ende übrig bleibt

Vier Tore in zwölf Minuten. Mehr muss man über dieses Spiel im Grunde nicht wissen. Es ist sicherlich müßig, zu überlegen, wie das Spiel hätte laufen können, wenn man nicht gleich nach acht Minuten einer weniger gewesen wäre. Kämpfen können sie, das haben wir beobachten können. Doch ist unter keinen Umständen ein derartiges Zusammenfallen akzeptabel, nicht zu elft, zu zehnt oder zu neunt. Das Hadern mit zwei Videobeweisen gegen den VfB mag die Situation gestern vor Ort wesentlich hitziger ausgelegt haben als es eigentlich war, viel bringen kann uns das allerdings nicht. Wären die vier Tore auch gefallen, wenn man zu elft gewesen wäre? Gegen Dortmund kassierten wir ebenfalls vier Tore, und das zu elft.

Was also bleibt von diesem Spiel, was kommt in den nächsten Wochen auf uns zu? Die Hoffnungen, dass wir in Kürze die Kurve bekommen, sind seit dem gestrigen Abend fürs erste auf Eis gelegt. Der Graben zwischen Verein und Fans klafft so weit auseinander wie in der Abstiegssaison, wenn nicht sogar noch mehr. Die nächsten fünf Gegner heißen neben Frankfurt Nürnberg, Leverkusen, Augsburg und Gladbach. Was im ersten Moment machbar klingt, hat uns schon zu oft das Genick gebrochen. Gegen die Eintracht wird man kein Land sehen und vermutlich erneut hoch verlieren, in allen anderen Spielen sind theoretisch Punkte möglich, aber nur in einer guten Verfassung, was Fitness, Spielidee und Selbstbewusstsein angeht. Drei Dinge, die der VfB im Moment nicht hat.

Vermutlich ist einfach Geduld gefragt. Und ich meine damit noch nicht einmal Geduld mit dem Trainer oder mit der Mannschaft, sondern vielmehr, dass wir geduldig sind und warten, bis der Schmerz vorbei ist. Im Grunde wissen wir alle, dass es nichts gibt, was wir tun können, damit es besser wird. An uns liegt es nicht, wir sind trotzdem immer im Stadion dabei. Was große Teile der Fanszene bereits haben kommen sehen, zerbröckelt nun stückweise vor unseren Augen. Als wir es wagten, unsere Stimme zu erheben, wurden wir beschimpft als ahnungslose Vollidioten, Erfolgsverhinderer und Ewiggestrige. Es ist ja nicht so, dass man das alles nicht hat kommen sehen. Ich will keine Angst vor einem erneuten Abstieg haben. Ich will nur, dass es mir nichts mehr ausmacht.

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