„Alles wie immer“ meinte ein langjähriger Kumpel zu mir, als er den Block verließ. Wirklich überrascht war ich vom Ausgang des Spieles nicht, ist doch jeglicher Optimismus in den letzten zwei Jahren ohnehin vollständig verloren gegangen. Ich bin mir nicht sicher, was alle anderen erwartet hatten. Man konnte nicht davon ausgehen, dass ein als erfolgreich tituliertes Wintertrainingslager an der portugiesischen Küste all das ausmerzen würde, woran der VfB schon seit Jahren krankt. Schwermütig schreibe ich auch heute meine Zeilen und weiß genau, warum ich die Winterpause so genossen habe. Sie konnte einem nämlich nicht weh tun.
Ja, ich weiß. Der Januar 2015 ist schon fast vorüber, doch erst jetzt hatte ich die Zeit gefunden, meine Kilometerstatistik 2014 aufzubereiten. Es war das erste Kalenderjahr seit fünf Jahren, in dem keine internationele Auswärtsfahrt zu Buche schlägt. Jene Kilometer fehlen nicht nur in der Statistik, mein Herz blutet bei dem Gedanken, dass die “fetten Jahre” fürs erste vorbei sind. Trotz allem waren Felix und ich wieder viel unterwegs, darunter die drei weitesten Auswärtsspiele in Bremen, Hamburg und Berlin. Am kommenden Wochenende beginnt eine neue Zeitrechnung – für die Kilometerstatistik 2015.
Machen wir uns nichts vor: Für uns VfB-Fans war es kein gutes Jahr. Im Gegenteil. 365 Tage, in denen uns der Verein unsere Zeit, viel Geld und nicht zuletzt den letzten Nerv gekostet hat. Viel Gutes ist wahrlich nicht geschehen, abgesehen von der VfB-Dokumentation „Fußballfieber“ und ein paar wenigen weiteren Highlights erwies sich das Jahr als anstrengend, frustrierend und traurig. Auf all das und noch viel mehr möchte ich nun zurückblicken.
“Gott sei Dank” – es war nicht die Freude über den einen Punkt, den man nach 90 Minuten zu verzeichnen hatte, es war vielmehr die Erleichterung, dass nun endlich Winterpause ist. Selten hat man ein paar freie Wochen so sehr herbei gesehnt wie in dieser schweren Saison. Sechs Wochen hat der VfB nun Zeit, sich auf das vorzubereiten, was ihnen in der Rückrunde bevorsteht. Mit Sicherheit wird es nicht einfacher, im Gegenteil. Umso trauriger, dass man seinen Treuesten noch nicht einmal einen auch nur halbwegs erträglichen Jahresabschluss bereiten konnte.
Wieviel kann ein Fan ertragen? Minutenlang sitze ich vor dem Dokument, mit nicht mehr darauf als dieser einen Frage. Die Suche nach Antworten dauert an. Das Seuchenjahr 2014 neigt sich dem Ende, und mit ihm die letzten Hoffnungen und Träume. Wir wissen, was hinter uns liegt. Wir wissen jedoch nicht, was vor uns liegt. Vermutlich nicht viel mehr als Sorgen und Kummer. Es tut weh. Mit einem Kloß im Hals schreibe ich diese Zeilen nieder, atme schwer und frage mich, wieviel Schmerz wir noch erdulden müssen, bevor ein Schrecken ohne Ende im Sommer des kommenden Jahres sein erwartetes Ende nimmt.
Einige Tage sind ins Land gegangen seit jenem Sonntagsspiel gegen Augsburg. Was in den nachfolgenden 48 Stunden folgte, schlug mir im wahrsten Sinne des Wortes auf den Magen, davon musste ich mich zunächst erstmal erholen. Vor einigen Tagen sah die Welt noch ein wenig anders aus. Darüber zu schreiben, fällt mir schwer. Den öffentlichen Medien offensichtlich nicht, nach dem Hamburger SV und Schalke 04 hat man nun den nächsten Chaos-Klub, der nach allen Regeln der Kunst an den Hörnern durch die Arena der Gazetten geschleift wird. Hier gilt nur eine Regel: wer schon am Boden liegt, wird getreten.
Es gibt so Tage, da soll es einfach nicht sein. Ein bisschen Wehmut ist dabei, wenn meine Gedanken noch immer um das 3:3 gegen Leverkusen und das 5:4 gegen Frankfurt kreisen. Für solche Spiele lebt man, dafür gibt man sein Herzblut, hält die Flagge weit nach oben und sagt voller Stolz, wie froh man ist, Fan dieses Vereins zu sein. Zu was der VfB im Stande ist, haben wir zuletzt eindrucksvoll gesehen. Umso ernüchternder die Tatsache, dass man nun auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist.
Manchmal liegen Freud und Leid näher beieinander, als man sich vorstellen kann. Zwanzig Minuten zwischen dem absoluten Schockzustand nach einer indiskutablen Darbietung, nach der selbst ein junger Kreisklassenspieler gesagt bekommt, er wäre für diesen Sport einfach nicht gemacht; und jener großartigen Aufholjagd, die nach einem aussichtslosen 0:3-Rückstand noch einen Punkt sicherte. Die Geschehnisse vom gestrigen Tage aufzuarbeiten, fällt mir nicht leicht, ich kann es noch gar nicht richtig fassen, was da gestern im Neckarstadion passiert ist.
…schlägt mein Herz in weiß und rot. Ich lass dich niemals allein, du bist ewig mein Verein. Wir werden niemals untergehn, solange unsre Fahnen wehn. Minutenlang klang uns das Lied in den Ohren und führte uns letztendlich dahin, wonach wir uns nach so vielen Monaten so leidenschaftlich gesehnt haben: den Heimsieg, den Moment, in dem die ganze Kurve tobt. Es ist lange her, seit der VfB den letzten Sieg eingefahren hatte, umso größer sind nun die Erleichterung und die Freude.
Mit leeren Blicken starrte ich auf das Spielfeld hinaus, wie bereits zuvor in dieser Saison, wie bereits zuvor in der letzten Saison, wie bereits zuvor in der Saison vor der letzten Saison. Die tollen Zeiten sind vorbei. Es blieb ruhig in Bad Cannstatt. Jedenfalls fürs Erste. Wirklich überraschend kam es für die wenigsten von uns. Wir wussten, wie groß die Verunsicherung der Mannschaft schon zu diesem Zeitpunkt der Saison ist, es fehlt an Toren, und meist auch, an der Gier nach eben solchen.

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